JudikaturJustiz3Ob502/96

3Ob502/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Unterhaltssache der Antragstellerin Mandy R*****, vertreten durch Dr.Reinhard Kolarz, Rechtsanwalt in Stockerau, wider den Antragsgegner Peter R*****, vertreten durch Dr.Markus Orgler und Dr.Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, infolge Rekursen beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 3.November 1995, GZ 44 R 639/95-25, womit aus Anlaß des Rekurses des Antragsgegners gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 12.Juni 1995, GZ 3 P 198/93-16, berichtigt mit Beschluß vom 27.Juni 1995, GZ 3 P 198/93-18, festgestellt wurde, daß auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch das streitige Verfahren anzuwenden ist, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Rekurse wird der angefochtene Beschluß des Rekursgerichtes aufgehoben und der von der Antragstellerin im außerstreitigen Verfahren gestellte Antrag auf Unterhalt zurückgewiesen.

Der Antrag der Antragstellerin, das Bezirksgericht Floridsdorf für die Geltendmachung ihrer Unterhaltsansprüche im streitigen Rechtsweg als örtlich zuständig zu bestimmen, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die am 19.6.1975 geborene Antragstellerin begehrt mit dem am 11.11.1993 eingebrachten Antrag von ihrem Vater Unterhalt; beide sind deutsche Staatsbürger. Die Ehe der Eltern der Antragstellerin wurde im Jahr 1984 mit Urteil eines Gerichtes der damaligen DDR geschieden. Während der Vater seinen Wohnsitz in Deutschland beibehielt, zog seine Tochter mit ihrer Mutter im Sommer 1990 nach Österreich.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater aufgrund des - im außerstreitigen Verfahren gestellten - Antrags der Tochter zu Unterhaltsleistungen von monatlich S 2.370 für 1.7.1991 bis 30.6.1992, S 3.190 für 1.7.1992 bis 31.12.1992 und S 3.560 ab 1.1.1993 bis auf weiteres, längstens aber bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes; das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Rekursgericht stellte aus Anlaß des Rekurses des Vaters fest, daß auf den geltend gemachten Unterhaltsanspruch das streitige Verfahren anzuwenden sei. Die Unterhaltswerberin sei als deutsche Staatsbürgerin aufgrund ihres Personalstatutes (§ 2 BGB) mit Vollendung des 18.Lebensjahres am 19.6.1993 volljährig geworden. Den Unterhaltsantrag habe sie erst danach am 11.11.1993 eingebracht. Da die Unterhaltswerberin seit 1990 in Österreich lebe, sei nach dem Übereinkommen über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatut-Abkommen) BGBl 1961/293 das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes für die Bestimmung des Unterhaltspflichtigen und des Unterhaltsausmaßes maßgebend. Unterhaltsansprüche pflegebefohlener Kinder gegen ihren ehelichen Vater seien im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen. Dies gelte auch für minderjährige eheliche Kinder ausländischer Staatsangehörigkeit, wenn sie sich im Inland aufhalten und inländische Pflegschaftsgerichtsbarkeit bestehe. Inländische Pflegschaftsgerichtsbarkeit setze jedoch gemäß § 110 JN Minderjährigkeit voraus, die hier jedoch nicht gegeben sei. Dem stehe nicht entgegen, daß gemäß Art 1 Abs 3 Haager Unterhaltsstatut-Abkommen das Unterhaltsstatut auch bestimme, wer zur Einbringung der "Unterhaltsklage" befugt sei und welche Fristen für die Einbringung gelten. Unter diese Bestimmung fielen wohl die Fragen der Parteifähigkeit, der Prozeßfähigkeit und der Klagslegitimation, aber nicht die Frage, ob der Unterhaltsanspruch im streitigen oder im außerstreitigen Verfahren zu verhandeln sei. Für die Lösung dieser Rechtsfrage sei die lex fori maßgebend; das Unterhaltsstatut-Abkommen regle nur das Kollisionsrecht auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht. Die fehlende inländische Pflegschaftsgerichtsbarkeit ermögliche es der 18-jährigen deutschen Staatsbürgerin, auch wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland habe, nicht mehr, ihren Unterhaltsanspruch im außerstreitigen Verfahren geltend zu machen.

Gemäß § 40 a JN richte sich nach dem Inhalt des Begehrens und des Vorbringens der Parteien das Verfahren, in welchem die Rechtssache zu behandeln sei. Sei zweifelhaft, welches Verfahren anzuwenden sei, so habe das Gericht darüber zu entscheiden. Die Anwendung der Verfahrensart sei hier durchaus zweifelhaft, sodaß aus Anlaß des Rekurses darüber gemäß § 40 a JN zu entscheiden gewesen sei. Dieser Beschluß sei selbständig anfechtbar, sodaß der Revisionsrekurs jedenfalls zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Parteien dagegen erhobenen Rekurse sind zulässig. Entgegen der Begründung des Rekursgerichtes ist sein Beschluß zwar nicht jedenfalls, sondern nur in Analogie zu § 519 Abs 1 Z 2 ZPO anfechtbar (EvBl 1990/173); die Voraussetzungen für die Zulassung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof sind jedoch deshalb gegeben, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen war.

Entgegen der Ansicht der Rekurse sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Unterhaltsansprüche im außerstreitigen Verfahren nicht gegeben.

Nach Art 1 Abs 1 des Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht (Haager Unterhaltsstatut-Abkommen), BGBl 1961/293, bestimmt das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes, ob, in welchem Umfang und von wem das Kind Unterhaltsleistungen verlangen kann. Weiters bestimmt Art 6, daß die Konvention nur anzuwenden ist, wenn das Sachrecht eines Vertragsstaates zur Anwendung kommt; d.h. das Internationale Privatrecht eines Vertragsstaates muß als Kollisionsrecht auf den Fall anzuwenden sein. Diese Voraussetzung ist jedenfalls erfüllt, wenn ein Gericht eines Vertragsstaates mit dem Fall befaßt ist (SZ 49/78). Für die Anwendbarkeit der Konvention genügt es, daß das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat; auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es nicht an (Kropholler in Staudinger12, Rz 16 zu Vorbem zu Art 18 EGBGB). Nach der in Art 1 Abs 1 normierten Grundregel des Abkommens, die seinen sachlichen Anwendungsbereich und die Hauptanknüpfung festlegt, richten sich die Unterhaltsansprüche eines Kindes nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes.

Für die Anwendbarkeit des Abkommens ist nicht entscheidend, ob der Unterhaltsberechtigte minderjährig ist. Das Unterhaltsstatut-Abkommen gilt nur für Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern. Der Art 1 Abs 4 sagt, wer Kind im Sinn des Abkommens ist (Sihr in Böhmer/Sihr, Das gesamte Familienrecht, Rz 12 zu 7.4 Art 1). Nach dieser Bestimmung ist unter der Bezeichnung "Kind" für die Zwecke dieses Übereinkommens jedes eheliche, nichteheliche oder adoptierte Kind zu verstehen, das unverheiratet ist und das 21.Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Diese Altersgrenze war 1956 in den meisten Vertragsstaaten identisch mit der Minderjährigkeitsgrenze. Inzwischen haben zahlreiche Vertragsstaaten das Volljährigkeitsalter herabgesetzt. Diese Herabsetzung des Volljährigkeitsalters ist für die Anwendbarkeit des Unterhaltsstatut-Abkommens unerheblich (Sihr aaO Rz 12). Das Abkommen gilt, bis das Kind sein 21.Lebensjahr vollendet hat; ob das Kind früher volljährig wird, ist ohne Belang (Kegel in Soergel11, BGB, Rz 103 vor Art 18 EGBGB). Der nicht näher begründeten Ansicht von Scheucher (Das Haager Unterhaltsstatutabkommen, ZfRV 1963, 82 [85]), das Abkommen gelte für gesetzliche Unterhaltsansprüche von minderjährigen Kindern, kann nicht gefolgt werden.

Selbst wenn die Antragstellerin als deutsche Staatsbürgerin nach § 2 BGB mit Vollendung des 18.Lebensjahres volljährig wurde und dieser Umstand nach § 12 IPRG maßgeblich wäre, würde sich daraus nicht die Unanwendbarkeit des Haager Unterhaltsstatut-Abkommens ergeben. Für dessen Anwendbarkeit ist allein maßgeblich, daß die Antragstellerin das 21.Lebensjahr noch nicht vollendet hat und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat.

Unabhängig davon ist die Frage des anzuwendenden Verfahrens zu beurteilen. Hiefür enthält das Haager Unterhaltsstatut-Abkommen keine Bestimmung; es regelt kein Verfahren, sondern lediglich das auf den Unterhaltsanspruch von Kindern anwendbare Recht (Sihr aaO Rz 19 zu Art 1). Dem steht nicht entgegen, daß gemäß Art 1 Abs 3 des Übereinkommens das Unterhaltsstatut auch bestimmt, wer zur Einbringung der "Unterhaltsklage" befugt ist und welche Fristen für ihre Einbringung gelten. Unter diese Bestimmung fallen wohl die Fragen der Parteifähigkeit, der Prozeßfähigkeit, der Klagslegitimation usw, aber nicht die Frage, ob der Unterhaltsanspruch im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu verhandeln ist. Für die Lösung dieser Frage ist die lex fori maßgebend; das Unterhaltsstatut-Abkommen regelt nur das Kollisionsrecht auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht (SZ 49/78; Sihr aaO Rz 135 zu Art 1; Schwimann aaO 239 f).

Nach dem maßgeblichen österreichischen Recht verweist § 12 IPRG für die Frage der Volljährigkeit auf das Personalstatut der Antragstellerin; für die Frage des anzuwendenden Verfahrens ist somit entscheidend, daß die Antragstellerin als deutsche Staatsbürgerin nach deutschem Recht, nämlich nach § 2 BGB, bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung volljährig war.

Das Rekursgericht ist somit zutreffend zum Schluß gekommen, daß die Unterhaltsansprüche nicht im außerstreitigen Verfahren geltend gemacht werden können. Für eine Beschlußfassung nach § 40 a JN fehlt jedoch die Voraussetzung, daß eine Klagsführung im Inland überhaupt möglich ist. Der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit, der in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist, führt auch zur Zurückweisung des von der Antragstellerin für diesen Fall nunmehr im Rekurs an den Obersten Gerichtshof gestellten Antrags, das Erstgericht gemäß § 28 JN als sachlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Voraussetzung für die Zuständigkeitsbestimmung durch den Obersten Gerichtshof, falls die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes nicht gegeben ist, ist, daß entweder Österreich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist oder die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Beide Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ergibt sich aus dem Haager Unterhaltsstatut-Abkommen keine Verpflichtung Österreichs zur Ausübung der Gerichtsbarkeit. Vielmehr regelt dieses Abkommen nur einen Sektor des internationalen Unterhaltsrechts, nämlich die kollisionsrechtliche Frage, nach welchem Recht die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern zu beurteilen ist (Sihr aaO Rz 2 zu 7.4 EinF). Da das Haager Unterhaltsstatut-Abkommen nur das anwendbare Recht bestimmt, richtet sich die internationale Zuständigkeit der angerufenen Instanz nach autonomem Recht oder nach vorgegebenen Staatsverträgen (Sihr aaO Rz 23, 133; Kropholler in Staudinger12 Rz 16 Vorbem zu Art 18 EGBGB). Ein derartiger Staatsvertrag, aus dem sich die Verpflichtung Österreichs ergeben würde, einem volljährigen Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich die Möglichkeit der Unterhaltsklage gegen seinen in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Vater einzuräumen, besteht nicht. Auch aus Art 3 Z 2 des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern, BGBl 1961/294, und der dort indirekt geregelten Zuständigkeit (competence indirecte) (vgl Hoyer in ZfRV 1979, 280;

derselbe in ZfRV 1988, 211; derselbe ZfRV 1971, 121;

Loewe/Duchek/Reishofer/Schütz/Wiesbauer, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen 155 FN 5 a mwN; Kropholler, Europäisches ZPR4, Rz 19 zu Art 5), ergibt sich nicht eine derartige Verpflichtung.

Es kann auch keinesfalls gesagt werden, daß die Rechtsverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 28 JN war daher der Antrag der Antragstellerin auf Bestimmung des Erstgerichtes als zuständiges Gericht zurückzuweisen.

Da Österreich bisher das EuGVÜ nicht ratifiziert hat, kann dessen Art 5 Z 2, mit dem für Unterhaltsklagen ein Gerichtsstand bei dem Gericht des Ortes, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, geschaffen wurde, nicht angewendet werden. Die bisher nicht erfolgte Ratifizierung verhindert eine Klagsführung des Unterhaltsberechtigten in Österreich, obwohl der Klägergerichtsstand des Art 5 Z 2 EuGVÜ aus den gleichen sozialen und praktischen Erwägungen wie Art 3 Z 2 des Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommens, BGBl 1961/294, geschaffen wurde (vgl zu den Beweggründen des EuGVÜ Kropholler aaO).

Rechtssätze
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