JudikaturJustiz2Ob93/20w

2Ob93/20w – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D* S*, vertreten durch Dr. Josef Dengg und andere Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, gegen die beklagten Parteien 1. H* GmbH, 2. O* GmbH, beide *, beide vertreten durch Dr. Schartner Rechtsanwalt GmbH in Altenmarkt im Pongau, wegen 35.999,26 EUR und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Februar 2020, GZ 6 R 12/20g 45, mit welchem das Teil-Zwischenurteil des Landesgerichts Salzburg vom 29. November 2019, GZ 2 Cg 75/18f 39, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Soweit die Revision von der erstbeklagten Partei erhoben wurde, wird sie zurückgewiesen .

Soweit die Revision von der zweitbeklagten Partei erhoben wurde, wird ihr nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 1.119,44 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 186,57 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Parteien streiten über die Haftung der Beklagten für einen Unfall des Klägers bei Arbeiten auf einer Baustelle. Die Zweitbeklagte war Bauträgerin und Bauherrin, sie hatte die Erstbeklagte als Generalunternehmerin beauftragt. Der Geschäftsführer beider Beklagten war Bauleiter und beauftragte eine GmbH mündlich mit der Baustellenkoordination.

[2] Der Kläger war am 16. Mai 2017 als Dienstnehmer eines Subunternehmers auf der Baustelle tätig. Nach Beendigung seiner Arbeit sprang er über eine etwa 1 m hohe Betonmauer etwa 1 m auf ein Gerüst hinunter, wobei er sich mit beiden Händen abstützte und die Beine seitlich über die Mauer schwang. Die oberste Gerüstplatte, die nicht ordentlich fixiert war, verrutschte und gab nach, weswegen der Kläger nach unten auf eine Treppe fiel. Die Platte fiel ihm nach und traf ihn. Der Kläger wurde dadurch verletzt.

[3] Das Gerüst war von der Erstbeklagten nicht fachgerecht errichtet worden und nicht ohne Gefahr benützbar. Die Beklagten hatten weder ein Bautagebuch geführt noch ein Prüfprotokoll für das Gerüst angefertigt. Auch dem Kläger musste klar sein, dass das Gerüst weder ordnungsgemäß errichtet war noch einem derartigen Sprung standhalten würde.

[4] Der Kläger begehrt Schadenersatz von 35.999,26 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung der Haftung beider Beklagten für zukünftige Schäden. Die Erstbeklagte habe das Gerüst mangelhaft errichtet. Die Zweitbeklagte habe ihre Fürsorgepflicht als Bauherr nicht eingehalten und gegen das BauKG verstoßen. Einen Baustellenkoordinator habe sie nicht wirksam bestellt.

[5] Die Beklagten bestreiten ihre Haftung. Die Erstbeklagte habe das Gerüst nicht aufgestellt. Die Zweitbeklagte habe ihre Pflichten an den Baustellenkoordinator übertragen. Den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er auf das Gerüst gesprungen sei.

[6] Das Erstgericht sprach mit Teil-Zwischenurteil aus, dass das Zahlungsbegehren gegen beide Beklagten mit einem Drittel zu Recht bestehe. Die Erstbeklagte sei aus ihrem Werkvertrag mit dem Subunternehmer zur Fürsorge für den Kläger als dessen Dienstnehmer verpflichtet gewesen. Die Zweitbeklagte hafte, weil sie die mangelhafte Errichtung des Gerüstes nicht verhindert, die Baustelle nicht kontrolliert und das mangelhafte Gerüst nicht gesperrt habe. Mangels schriftlicher Bestellung habe sie ihre diesbezüglichen Pflichten nicht wirksam auf einen Baustellenkoordinator übertragen. Den Kläger treffe ein überwiegendes Mitverschulden, weil er durch das Springen auf das Gerüst sorglos in eigenen Angelegenheiten gehandelt und gegen § 62 Abs 3 und 4 BauV verstoßen habe.

[7] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung mit der Maßgabe, dass es das Zahlungs- und das Feststellungsbegehren im Umfang von zwei Dritteln abwies. Die ordentliche Revision ließ es zu.

[8] Die Erstbeklagte hafte wegen nicht fachgerechter Errichtung des Gerüstes. Die Bestellung eines Baustellenkoordinators durch die Zweitbeklagte sei mangels Schriftlichkeit nicht wirksam gewesen. Die Entscheidung 2 Ob 162/08z stehe dem nicht entgegen, weil es dort eine schriftliche Urkunde gegeben habe. In der Entscheidung 2 Ob 272/03v habe der Oberste Gerichtshof zwar ausgeführt, dass das Schriftlichkeitserfordernis Beweiszwecken diene. Er habe damit aber nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Nichteinhaltung der Form die Gültigkeit der Bestellung nicht berühre; vielmehr habe er den Vorinstanzen den Auftrag erteilt, das Vorliegen einer „ordnungsgemäßen“ Bestellung zu prüfen, was als Bezugnahme auf das Schriftlichkeitserfordernis zu verstehen sei. Zweck sei – wie im Verwaltungsstrafrecht (VwGH 2007/02/0119) – das Schaffen klarer Verhältnisse. Bei Wirksamkeit einer mündlichen oder bloß konkludenten Bestellung eines Baustellenkoordinators wäre der Geschädigte der Gefahr ausgesetzt, den Haftpflichtigen nicht ermitteln zu können, weil ihm jeder in Anspruch Genommene die Existenz oder Nichtexistenz mündlicher oder konkludenter Bestellung entgegenhalten könnte. Die Beklagten hafteten solidarisch, weil sich die Schadensanteile nicht bestimmen ließen. Die Verschuldensteilung sei angemessen. Da das Erstgericht eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass die Beklagten nur für ein Drittel des Schadens hafteten, sei sein Urteil mit der Maßgabe zu bestätigen, dass die Mehrbegehren abgewiesen würden.

[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil nicht hinreichend klar durch oberstgerichtliche Judikatur untermauert werden könne, dass aus der Nichteinhaltung des Schriftlichkeitsgebots des § 3 Abs 6 BauKG die Passivlegitimation des Bauherrn für Arbeitsunfälle auf der Baustelle folge.

[10] Mit ihrer Revision streben die Beklagten eine zur Gänze abweisende Entscheidung an. Auch die bloß mündliche Bestellung des Koordinators sei wirksam gewesen; eine andere Beurteilung führe zum „grotesken“ Ergebnis, dass der Koordinator haftpflichtversichert sei, der Bauherr aber schadenersatzpflichtig werde. Den Kläger treffe aufgrund seiner „Eigenverantwortung“ das Alleinverschulden am Unfall, er habe das Gerüst „hochgradig illegal“ benutzt.

[11] Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Die Entscheidung des Berufungsgerichts treffe zu.

Rechtliche Beurteilung

[12] A. Soweit die Revision von der Erstbeklagten erhoben wurde, ist sie mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig .

[13] Für die Haftung der Erstbeklagten ist die Frage, ob die Bestellung des Baustellenkoordinators wirksam war, nicht relevant. Andere erhebliche Rechtsfragen zeigt die Revision nicht auf.

[14] B. Soweit die Revision von der Zweitbeklagten erhoben wurde, ist sie zur Klarstellung der Rechtslage zulässig , sie ist aber nicht berechtigt .

[15] Die Begründung des Berufungsurteils trifft uneingeschränkt zu (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Den teilweise polemischen Revisionsausführungen ist in der gebotenen Kürze Folgendes entgegenzuhalten:

[16] 1. Nach § 3 Abs 1 BauKG ist der Bauherr verpflichtet, für die Ausführungsphase einen Baustellenkoordinator zu bestellen, wenn auf einer Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig werden. Die früher auf die Fürsorgepflicht des Werkbestellers nach § 1169 ABGB gestützte Koordinationspflicht des Bauherrn wird im Regelungsbereich des BauKG durch dieses als Schutzgesetz konkretisiert. Das BauKG verdrängt insofern als lex specialis den bisherigen Ansatz nach § 1169 ABGB (2 Ob 272/03v SZ 2003/158; RS0123294). Bestellt der Bauherr keinen Koordinator, so trägt er selbst die Verantwortung für die diesem vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben; im Fall der Bestellung haftet er hingegen nur für Auswahlverschulden (2 Ob 272/03v; RS0015253).

[17] 2. Die Bestellung des Koordinators hat nach § 3 Abs 6 BauKG schriftlich zu erfolgen, sie ist nach dieser Bestimmung nur wirksam, wenn der Bestellte ihr nachweislich zugestimmt hat. Diese Regelung dient nach den Materialien zum BauKG der „Beweissicherung“ und soll „klare Verhältnisse für alle Beteiligten schaffen“ (EB zum BauKG, 1462 BlgNR 20. GP 12). Der Senat führte dazu in 2 Ob 272/03v aus, dass das Erfordernis der Schriftlichkeit „Beweiszwecken“ diene. Nach 2 Ob 162/08z kann die Zustimmung des Koordinators – anders als die Bestellung – auch konkludent erfolgen.

[18] 3. Zu den Beteiligten, in deren Interesse „klare Verhältnisse“ geschaffen werden sollen, gehören zweifellos auch Arbeitnehmer, die bei einem Unfall auf der Baustelle verletzt wurden. Denn ihrem Schutz dient das BauKG, und für ihre allfälligen Ansprüche ist von entscheidender Bedeutung, ob ein Baustellenkoordinator bestellt war oder ob dessen Pflichten mangels Bestellung den Bauherrn trafen. Genügte eine mündliche oder konkludente Bestellung, müssten sie ohne sichere Grundlage entscheiden, ob sie den Bauherrn oder einen allenfalls bestellten Baustellenkoordinator in Anspruch nehmen. Unter Umständen könnte dann erst im Prozess – also verbunden mit einer möglichen Kostenbelastung – geklärt werden, ob eine Bestellung erfolgt war oder nicht. Eine Klage sowohl gegen den Bauherrn als auch den (vermeintlichen) Koordinator führte zwingend zur Kostenersatzpflicht gegenüber einem der Beklagten; bei sukzessiven Klagen bestünde unter Umständen ein Verjährungsproblem. Das Interesse geschädigter Arbeitnehmer an „klaren Verhältnissen“ schließt es daher aus, § 3 Abs 6 BauKG als bloße Ordnungsvorschrift anzusehen, deren Missachtung zwar verwaltungsstrafrechtlich relevant ist (VwGH 2007/02/0119 VwSlg 17.438 A), aber zivilrechtlich keine Folgen hätte.

[19] 4. Der Bauherr kann sich daher gegenüber geschädigten Arbeitnehmern nicht auf die nur mündlich oder konkludent erfolgte Bestellung eines Baustellenkoordinators berufen. Vielmehr haftet er in diesem Fall selbst für die Verletzung von Pflichten, die nach dem BauKG den Koordinator träfen. Dieses – nach Auffassung der Beklagten „groteske“ – Ergebnis folgt aus dem Zweck des Schriftlichkeitsgebots und wäre durch dessen Einhalten leicht vermeidbar gewesen. Ob der Zweck der Formvorschrift auch einem Regress gegen einen nicht schriftlich bestellten Baukoordinator entgegensteht, ist hier nicht zu entscheiden.

[20] 5. Im konkreten Fall hätte einem Baustellenkoordinator bei Besichtigung der Baustelle die Gefahrenquelle auffallen müssen, was ihn zur unverzüglichen Information des Bauherrn (und diesen zur Beseitigung der Gefahr) verpflichtet hätte (§ 5 Abs 4 BauKG); zudem hätte der Koordinator schon bei der Koordinierung der Gefahrenverhütung (§ 5 Abs 1 Z 1 BauKG) auf die unterbliebene Prüfung des Gerüstes hinwirken müssen. Die Verletzung dieser Pflichten fällt der Zweitbeklagten zur Last.

[21] 6. Die „Eigenverantwortung“ des Klägers haben die Vorinstanzen ohnehin durch Annahme eines Mitverschuldens von zwei Dritteln berücksichtigt. Da sich die Anteile am Schaden nicht bestimmen lassen, haften die Beklagten nach § 1302 ABGB solidarisch, ohne dass es auf das Ausmaß des jeweiligen Verschuldens ankäme (RS0026597). Wer endgültig welchen Teil des Schadens zu tragen hat, ist hier nicht zu entscheiden.

[22] 7. Aus diesen Gründen ist das angefochtene Urteil zu bestätigen. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Bauherr kann sich gegenüber geschädigten Arbeitnehmern nicht auf die nur mündlich oder konkludent erfolgte Bestellung eines Baustellenkoordinators berufen. Vielmehr haftet er in diesem Fall selbst für die Verletzung von Pflichten, die nach dem BauKG den Koordinator träfen.

[23] C. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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