JudikaturJustiz2Ob81/01b

2Ob81/01b – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Eder Kundmann Knaus Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1.) Verband *****, 2.) Adelheid F*****, vertreten durch Ferner Hornung Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen S 162.107,30 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13. Dezember 2000, GZ 1 R 195/00b 15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 28. Juni 2000, GZ 2 Cg 142/99b 9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 10.048,50 (darin S 1.674,75 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 18. 1. 1999 ereignete sich im Stadtgebiet von Salzburg im Bereich der Kreuzung Vogelweiderstraße - Rettenlackstraße ein Verkehrsunfall, an dem Michael B***** als Lenker des von der klagenden Partei gehaltenen PKWs der Marke Toyota T 22 sowie die Zweitbeklagte mit dem bei einem deutschen Versicherer haftpflichtversicherten PKW der Marke Jaguar Sovereign beteiligt waren.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz des Fahrzeugschadens sowie des Aufwandes für einen Leihwagen im Betrag von S 126.725, , des Weiteren den Ersatz von Lohnfortzahlungskosten im Betrag von S 35.382,30. Hiezu brachte sie vor, dass ihr Angestellter Michael B***** stadtauswärts am rechten Fahrstreifen der Vogelweiderstraße gefahren sei. Im Bereich der Kreuzung mit der Rettenlackstraße habe er sich auf den dort beginnenden Rechtsabbiegestreifen eingeordnet. Die Zweitbeklagte habe sich auf der Gegenfahrbahn dem Kreuzungsbereich genähert und beabsichtigt, in die Rettenlackstraße einzubiegen. Michael B***** habe keine Möglichkeit mehr gehabt, dem PKW der Zweitbeklagten auszuweichen oder das von ihm gelenkte Fahrzeug vor der Kollision anzuhalten, wodurch es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge gekommen sei. Das Alleinverschulden an diesem Unfall treffe die Zweitbeklagte, die den Michael B***** zukommenden Vorrang verletzt habe. Mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Salzburg vom 19. 3. 1999 sei die Zweitbeklagte wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung verurteilt worden.

Die beklagten Parteien wandten aufrechnungsweise eine Gegenforderung von S 131.050, - ein. Darüber hinaus beantragten sie die Abweisung des Klagebegehrens und brachten hiezu vor: Die Zweitbeklagte habe ihren PKW auf der Vogelweiderstraße in der Absicht stadteinwärts gelenkt, nach links in die Rettenlackstraße einzubiegen. Da sich stadtauswärts auf den beiden Fahrstreifen ein Stau gebildet habe, hätten zwei Fahrzeuglenker, die die Fahrstreifen Richtung stadtauswärts benutzt hätten, angehalten, um ihr das Linksabbiegen zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich der PKW der klagenden Partei in der Kolonne am rechten Fahrstreifen befunden. Erst nachdem die Zweitbeklagte das Linksabbiegemanöver begonnen habe, sei Michael B***** mit dem PKW der klagenden Partei ohne Betätigung des Blinkers aus der stehenden Kolonne ausgeschert, um an den vor ihm anhaltenden Fahrzeugen vorbeifahren zu können. Dies sei nur dadurch möglich gewesen, dass er den am Beginn der Rettenlackstraße befindlichen Schutzweg überfahren habe. Die Kollision habe sich in der Mitte der Kreuzung Vogelweiderstraße Rettenlackstraße ereignet. Das alleinige Verschulden an diesem Unfall treffe daher Michael B*****. Die Zweitbeklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass an den vor der Kreuzung anhaltenden Fahrzeugen kein Fahrzeug rechts vorbeifahre, zumal die Vogelweiderstraße Richtung stadtauswärts bis zur Kollisionsstelle lediglich zwei Fahrstreifen aufgewiesen habe. Hinzu komme, dass auch der PKW der klagenden Partei hinter den vor der Rettenlackstraße anhaltenden Fahrzeugen zum Stillstand gekommen sei und demzufolge ebenfalls auf den Vorrang verzichtet habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgenden Feststellungen zum Unfallshergang aus:

Die Unfallstelle befindet sich im Salzburger Stadtgebiet auf der Vogelweiderstraße im Kreuzungsbereich mit der Rettenlackstraße. Die Vogelweiderstraße weist in beiden Richtungen zwei Fahrstreifen auf. Im Bereich der Unfallstelle mündet stadtauswärts gesehen von rechts die benachrangte Rettenlackstraße ein. Erst nach dem Ende des Einmündungstrichters der Rettenlackstraße beginnt als dritter Fahrstreifen stadtauswärts der Rechtsabbiegestreifen in Richtung Landstraße. Am Beginn der Rettenlackstraße befindet sich im Bereich des breiten Einmündungstrichters ein Fußgängerübergang. Zwischen dem rechten Geradeausfahrstreifen der Vogelweiderstraße und dem Schutzweg liegt eine abgegrenzte Verkehrsfläche, welche kurz nach Beginn des Einmündungstrichters (nach der Abschrägung) eine Breite von 2,3 m und am Ende eine Breite von 1,6 m aufweist. Die Fläche ist durch eine Begrenzungslinie vom rechten Geradeausfahrstreifen getrennt und mündet am Ende des Trichters in den Rechtsabbiegestreifen ein.

Zum Zeitpunkt des Unfalles war starkes Verkehrsaufkommen im Unfallbereich. Die Unfallstelle war künstlich beleuchtet, die Fahrbahn trocken und die Bodenmarkierungen und Verkehrszeichen gut erkennbar. Die Vogelweiderstraße weist Richtung stadtauswärts eine leichte Steigung auf.

Am 18. 1. 1999 gegen 18.05 Uhr fuhr Michael B***** mit dem PKW der Klägerin auf dem rechten Geradeausfahrstreifen der Vogelweiderstraße Richtung stadtauswärts. Auf beiden Fahrstreifen herrschte Kolonnenverkehr, welcher auf Grund der Verkehrsampel bei der Kreuzung mit der Landstraße immer wieder zum Stillstand kam. Der Lenker des Klagsfahrzeuges fuhr zunächst eingereiht im Zuge der rechten Kolonne. Als die Kolonne immer langsamer wurde und schließlich zum Stillstand kam, scherte er mit seinem Fahrzeug, ohne in der Kolonne anzuhalten, am Anfang des Einmündungstrichters der Rettenlackstraße nach rechts aus. Er fuhr über die Begrenzungslinie auf die freie Verkehrsfläche zwischen dem rechten Geradeausfahrstreifen und dem Schutzweg und dann unter teilweiser Befahrung des Schutzweges an den stehenden Fahrzeugen vorbei. Er lenkte das Fahrzeug zügig in die Kreuzung ein, ohne Sicht auf das Geschehen im Kreuzungsbereich zu haben. Der Lenker des Klagsfahrzeuges beabsichtigte, über die abgegrenzte Verkehrsfläche auf den Rechtsabbiegestreifen vorzufahren, um dort in die Landstraße einzubiegen. Die Verkehrsfläche und der Rechtsabbiegestreifen waren zu diesem Zeitpunkt völlig frei.

Die Zweitbeklagte war zum selben Zeitpunkt in Richtung stadteinwärts unterwegs und beabsichtigte, links in die Rettenlackstraße einzubiegen. Sie reihte sich aus diesem Grund auf dem Linksabbiegestreifen ein und brachte ihr Fahrzeug dort zum Stillstand, um den Gegenverkehr abzuwarten. Nach kurzer Zeit hielten zwei Lenker ihre Fahrzeuge auf den Fahrstreifen Richtung stadtauswärts an, um die Kreuzung freizuhalten und der Zweitbeklagten das Abbiegen zu ermöglichen. Die Fahrzeuge auf den Geradeausfahrstreifen waren etwa in Höhe der Mitte des Einmündungstrichters zum Stillstand gekommen. Während die Zweitbeklagte die Gegenfahrbahnen querte, bedankte sie sich bei den beiden Lenkern durch Betätigen der Lichthupe, beachtete aber nicht das Straßenstück neben dem Geradeausfahrstreifen. Die Zweitbeklagte fuhr relativ steil mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/h in Richtung Rettenlackstraße ein. Sie wollte die Verkehrsfläche, auf der der Lenker des Klagsfahrzeuges unterwegs war, etwa in der Mitte des Einmündungstrichters kreuzen. Der Zweitbeklagten war die Sicht auf das Klagsfahrzeug, durch die anhaltenden Fahrzeuge versperrt. Auch der Lenker des Klagsfahrzeuges konnte aus demselben Grund das Beklagtenfahrzeug nicht wahrnehmen. Die Zweitbeklagte bemerkte das Klagsfahrzeug erst kurz vor der Kollision, konnte aber einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Die Kollisionsgeschwindigkeit des Klagsfahrzeuges betrug ca 45 km/h, die des Beklagtenfahrzeuges ca 15 km/h. Zur Kollision kam es in der Mitte des Einmündungstrichters. Das Klagsfahrzeug stieß mit dem linken vorderen Eck (außen) gegen das linke vordere Eck (Front zur Mitte hin) des Beklagtenfahrzeuges. Durch den Anprall rutschte der Lenker des Klagsfahrzeuges mit dem Fuß vom Bremspedal auf das Gaspedal, wodurch das Fahrzeug beschleunigt wurde. Er konnte es erst 20 bis 30 Meter nach der Unfallstelle im Bereich des Gehsteiges zum Stillstand bringen. Beim Klagsfahrzeug trat durch den relativ harten Stoß eine mittlere Verzögerung von 7 bis 8 g ein, beim Beklagtenfahrzeug eine solche von etwa 6 g.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass die Verkehrsfläche zwischen den beiden stadtauswärts führenden Fahrstreifen der Vogelweiderstraße und dem im Kreuzungsbereich mit der Rettenlackstraße befindlichen Zebrastreifen auf der Rettenlackstraße nicht als zur Fahrbahn der Vogelweiderstraße gehörig anzusehen sei. Den rechten Rand der Vogelweiderstraße bilde die rechte Begrenzungslinie des rechten, stadtauswärts führenden Fahrstreifens als Fortsetzung der davor befindlichen Randlinie. Eine Begrenzungslinie, auch als Längsmarkierung definiert, diene dazu, die Fahrbahn von anderen Verkehrsflächen, wie Einmündungen, abzugrenzen. Diese Verkehrsfläche gehöre somit zum Einmündungstrichter der Rettenlackstraße und sei bis zum Ende des Einmündungstrichters der Rettenlackstraße eine Verkehrsfläche dieser Straße. Unabhängig von diesen Erwägungen könne diese Verkehrsfläche aber auch schon deshalb keine Rechtsabbiegefahrspur sein, weil sie im Bereich des Einmündungstrichters auch nicht als solche markiert sei. Ausgehend von dieser Straßensituation könne nicht von einem Vorbeifahren iSd § 17 StVO gesprochen werden. Ein solches Vorbeifahren hätte nämlich, weil die angehaltenen Fahrzeuge nicht zum Linksabbiegen eingeordnet gewesen seien, nur links erfolgen dürfen, rechts aber nur dann, wenn tatsächlich ein Rechtsabbiegestreifen vorhanden gewesen wäre. Michael B***** sei daher außerhalb der Fahrbahn der Vogelweiderstraße rechts an den gemäß § 18 Abs 3 StVO anhaltenden Fahrzeugen vorbeigefahren, während die Zweitbeklagte nicht damit rechnen habe müssen, dass außerhalb der Fahrbahn ein Fahrzeug unter Ausnutzung des Einmündungstrichters der einmündenden Rettenlackstraße rechts an den anhaltenden Fahrzeugen vorbeifahre und das noch dazu mit einer solchen Geschwindigkeit, die es nicht mehr ermöglichte, bei Querverkehr anzuhalten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Es führte im Wesentlichen folgendes aus:

Nach § 2 Abs 1 Z 12 StVO sei ein Schutzweg ein durch gleichmäßige Längsstreifen (sogenannte "Zebrastreifen") gekennzeichneter, für die Überquerung der Fahrbahn durch Fußgänger bestimmter Fahrbahnteil. Es würde dem Schutzzweck eines solchen Schutzweges jedoch mehr als widersprechen, wenn dieser in der vorgegebenen Gehrichtung der Fußgänger auch befahren werden dürfte. Andererseits verjünge sich in Fahrtrichtung des Michael B***** gesehen diese Verkehrsfläche von 2,3 m auf 1,6 m, sodass schon unter diesem Gesichtspunkt von einem Fahrstreifen, der nach § 2 Abs 1 Z 5 StVO ein Teil der Fahrbahn sei, dessen Breite für die Fortbewegung einer Reihe mehrspuriger Fahrzeuge ausreiche, nicht mehr gesprochen werden könne. Wenn nach dem Ende des Einmündungstrichters und somit nach dem Ende des Zebrastreifens die Rechtsabbiegefahrspur unstrittig eine Fahrbahnbreite von 2,65 m aufweise und sich in diesem Bereich erstmals als Bodenmarkierung ein Rechtsabbiegepfeil befinde, dann sei dies wohl der maßgebliche Hinweis dafür, dass in diesem Bereich die Rechtsabbiegespur in Richtung Landstraße überhaupt erst beginnen könne.

Gemäß § 17 Abs 4 StVO dürfe an Fahrzeugen, die gemäß § 18 Abs 3 StVO anhalten, nur vorbeigefahren werden, wenn wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung vorhanden seien, auf Fahrbahnen mit Gegenverkehr die Fahrbahnmitte oder eine zur Trennung der Fahrtrichtungen angebrachte Sperrlinie nicht überfahren werde und für den weiteren Fahrstreifen nicht auch schon die Voraussetzungen des § 18 Abs 3 StVO gegeben seien. Da ein weiterer Fahrstreifen aber nicht vorhanden sei, hätte der Lenker des PKWs der klagenden Partei nicht an den gemäß § 18 Abs 3 StVO anhaltenden Fahrzeugen vorbeifahren dürfen. Nach § 2 Abs 1 Z 2 StVO sei die Fahrbahn der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil der Straße. Grundsätzlich seien alle befahrbaren Teile einer Straße zur Fahrbahn zu rechnen, wenn nicht die Widmung bestimmter Teile ausschließlich für andere Zwecke auffällig sei. Nach § 7b der Bodenmarkierungsverordnung seien Begrenzungslinien unterbrochene Längsmarkierungen in weißer Farbe, die die Fahrbahn von anderen Verkehrsflächen wie Einmündungen, Ausfahrten und dgl (§ 55 Abs 3 StVO) abgrenzen. Genau dies treffe hier zu, weil die im Einmündungsbereich verlaufende Längsmarkierung die Fahrbahn der Vogelweiderstraße von der Fahrbahn der Rettenlackstraße abgrenzen wolle. Daran ändere auch nichts der Umstand, dass ein Befahren der außerhalb der Fahrbahn gelegenen, durch Begrenzungslinien abgegrenzten anderen Verkehrsflächen grundsätzlich nicht verboten sei. Es sei nämlich zwischen "Befahren" und "Vorbeifahren" iSd § 17 StVO grundsätzlich zu unterscheiden. Nach § 17 Abs 1 StVO sei nämlich das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer weder gefährdet noch behindert würden. Gerade dies vermöge aber offenbar die erst nach dem Ende des Einmündungstrichters der Rettenlackstraße beginnende Rechtsabbiegespur zu gewährleisten.

Es entspreche zwar ständiger Rechtsprechung, dass selbst ein Verstoß gegen das Vorbeifahrverbot des § 17 Abs 4 StVO und das Anhaltegebot des § 18 Abs 3 StVO keinen Einfluss auf die Vorrangregeln hätten. Eine Vorrangverletzung könne aber nur dann vorliegen, wenn der Wartepflichtige im Zeitpunkt des Einbiegens tatsächlich in der Lage sei zu erkennen, dass er gegenüber einem anderen Fahrzeug wartepflichtig sei, also dann nicht, wenn das bevorrangte fahrbahnbenützende Fahrzeug noch nicht wahrnehmbar sei. Die Zweitbeklagte habe ihr Fahrverhalten nicht auf die völlig unberechenbare und unvorhersehbare Fahrweise des Lenkers des PKWs der klagenden Partei einstellen müssen, insbesondere nicht damit rechnen müssen, dass dieser plötzlich aus der anhaltenden Kolonne nach rechts ausschere, um mit enormer Beschleunigung über wenige Meter auf eine Geschwindigkeit von ca 45 km/h bis zum Zusammenstoß mit dem PKW der Zweitbeklagten zu gelangen, dies noch dazu unter Befahren eines Schutzweges (Zebrastreifens) in Gehrichtung.

In der Rechtsprechung sei aber auch der Grundsatz entwickelt worden, dass jede unklare Verkehrssituation im bedenklichen Sinn auszulegen und ihr durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch rechtzeitige und ausreichende Herabsetzung der Geschwindigkeit, erforderlichenfalls auch durch Abgabe von Warnzeichen, Rechnung zu tragen sei. In diesem Sinne könne auch das Anhalten der stadtauswärts fahrenden Fahrzeugkolonne verstanden werden, das Michael B***** selbst den Fall eines zulässigen Vorbeifahrens rechts der stehenden Fahrzeugkolonne veranlassen hätte müssen, besondere Vorsicht, insbesondere in Bezug auf die zu wählende Geschwindigkeit walten zu lassen. Dem stehe sein Fahrverhalten mit extremer Beschleunigung des von ihm gelenkten PKWs massiv entgegen. Vertrete man dennoch die Auffassung, dass sich Michael B***** gegenüber der Zweitbeklagten tatsächlich im Vorrang befunden habe, dann lasse die Einschätzung der Gesamtschau des Verkehrsgeschehens ein allfälliges Mitverschulden der Zweitbeklagten derart in den Hintergrund treten, dass dieses vernachlässigt werden könne.

Die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO sei zulässig, weil zur Frage, ob das Befahren eines Schutzweges (Zebrastreifens) in Gehrichtung noch als Befahren einer Fahrbahn angesehen werden könne, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtslage einer Klarstellung bedarf, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, ein Schutzweg dürfe von Fahrzeugen nicht nur im rechten Winkel überquert, sondern auch in gleicher Richtung befahren werden; ein Fahrstreifen werde durch einen in den "Fahrkanal" hineinreichenden Schutzweg nicht verschmälert, die vom Fahrzeug der Klägerin benützte Verkehrsfläche habe demnach über die gesamte Länge eine ausreichende Breite gehabt und sei als weiterer Fahrstreifen zu qualifizieren; die benachrangte Zweitbeklagte haben keinen Anspruch auf Nichtbehinderung gehabt, sie hätte eine entsprechende Fahrweise - beispielsweise durch schrittweises Vortasten - wählen müssen, um den Vorrang eines allenfalls entgegenkommenden Fahrzeuges zu wahren.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass die gegen die Zweitbeklagte erlassene Strafverfügung (Geldstrafe von S 900, ) im Schadenersatzprozess keine Bindungswirkung entfaltet (2 Ob 72/97w = SZ 70/49 = ZVR 1997/84; RIS Justiz RS0107749).

Das Vorbeifahren an Fahrzeugen, die im Sinne des § 18 Abs 3 StVO angehalten haben, um den Querverkehr nicht zu behindern, ist grundsätzlich verboten und nur bei Vorliegen der in § 17 Abs 4 StVO erwähnten Voraussetzungen erlaubt (Dittrich/Stolzlechner § 17 StVO Rz 62). Diese Vorschrift verlangt das Vorhandensein von wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung; für den weiteren Fahrstreifen dürfen allerdings nicht auch schon die Voraussetzungen des § 18 Abs 3 StVO gegeben sein, der weitere Fahrstreifen muss also grundsätzlich frei sein. Auf mehrspurigen Fahrbahnen gelten diese Voraussetzungen für jeden weiteren Fahrstreifen (Dittrich/Stolzlechner § 17 StVO Rz 65). Es kommt also darauf an, ob für das Vorbeifahren an den gemäß § 18 Abs 3 StVO anhaltenden Fahrzeugen ein eigener Fahrstreifen zur Verfügung steht. Dass ein Vorbeifahren nur unter Benützung von sonstigen Fahrbahnteilen oder außerhalb der Fahrbahn gelegenen Flächen (vgl 2 Ob 13/85 = ZVR 1986/26; 2 Ob 2/93 = ZVR 1993/142) möglich ist, genügt hingegen nicht. Ein Fahrstreifen im Sinne des § 2 Abs 1 Z 5 StVO muss zwar nicht in jedem Fall 2,5 m breit sein (RIS Justiz RS0053076), er bedarf jedoch einer Mindestbreite von 2 m (2 Ob 2420/96p; vgl auch 2 Ob 5/90 = ZVR 1990/128).

Im vorliegenden Fall hatte die vom Lenker des Fahrzeuges der Klägerin befahrene, zwischen dem markierten rechten Geradefahrstreifen der Vogelweiderstraße und dem über die Rettenlackstraße führenden Schutzweg liegende, im Kreuzungsbereich befindliche Verkehrsfläche nur eine Mindestbreite von 1,6 m, weshalb sie nicht als weiterer Fahrstreifen gewertet werden kann. Ein solcher begann erst nach Kreuzungsende in Gestalt eines 2,65 m breiten markierten Rechtsabbiegestreifens in Richtung Landstraße. Wegen der zu geringen Breite der in Rede stehenden Verkehrsfläche befuhr der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin teilweise auch den Schutzweg. Dieser Fahrbahnteil war aber im Sinne des § 2 Abs 1 Z 12 StVO für die Überquerung der Rettenlackstraße durch Fußgänger bestimmt und kann dementsprechend nicht als in Gehrichtung der Fußgänger zu befahrender Teil eines weiteren Fahrstreifens der Vogelweiderstraße aufgefasst werden. Vielmehr fehlt ein solcher, weshalb der Lenker des Fahrzeuges der Klägerin mit seiner Fahrweise gegen das Vorbeifahrverbot des § 17 Abs 4 StVO verstoßen hat.

Durch einen derartigen Verstoß geht der Vorrang des im Vorrang befindlichen Verkehrsteilnehmers nach ständiger Rechtsprechung nicht verloren (RIS Justiz RS0074410; etwa 2 Ob 5/90 = ZVR 1990/120; Dittrich/Stolzlechner § 17 StVO Rz 66). Lenker des Querverkehrs müssen daher die Zulässigkeit und Möglichkeit, eine Kreuzung zu überqueren oder in sie einzubiegen, für jeden Fahrstreifen gesondert überprüfen, was nur durch ein besonders vorsichtiges und langsames Einfahren in den Kreuzungsbereich gewährleistet werden kann (Dittrich/Stolzlechner aaO).

Im vorliegenden Fall war der Zweitbeklagten die Sicht auf das gegnerische Fahrzeug durch die anhaltenden Fahrzeuge versperrt. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, setzt eine Vorrangverletzung aber die Wahrnehmbarkeit des bevorrangten Fahrzeuges voraus (RIS Justiz RS0074873). Die eben erwähnte Pflicht eines überquerenden oder einbiegenden Lenkers zur besonderen Sorgfalt bezieht sich auf Verkehr in Fahrstreifen; mit Gegenverkehr auf der zwischen dem rechten Fahrstreifen und dem Schutzweg liegenden Verkehrsfläche musste die Zweitbeklagte nicht rechnen. Vielmehr durfte sie im Sinne des § 3 StVO darauf vertrauen, dass diese Verkehrsfläche (und der Schutzweg) vom Gegenverkehr nicht befahren wird (vgl 2 Ob 333/97b = ZVR 1999/123 mwN). Selbst wenn der Zweitbeklagten aber (wie vom Strafgericht) eine noch größere Sorgfalt zugemutet würde, wäre ein allfälliges Verschulden gegenüber dem gravierenden Verschulden des gegnerischen Lenkers zu vernachlässigen.

Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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