JudikaturJustiz2Ob54/05p

2Ob54/05p – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ruth B*, vertreten durch Dr. Josef Broinger und Mag. Markus Miedl, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei Erika H*, vertreten durch Dr. Ludwig Pramer und andere, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 11.646,90 sA und Feststellung (Streitwert EUR 2.500), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 4. November 2004, GZ 6 R 180/04i 20, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25. Juni 2004, GZ 2 Cg 73/03p 14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 812,52 (darin EUR 135,42 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am 12. 11. 2001 ereignete sich in der Abelstraße in Aschach an der Donau ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin eines Fahrrades und die Beklagte als Fußgängerin beteiligt waren. Die Abelstraße führt als Einbahnstraße in westliche Richtung und ist am Beginn durch das Hinweiszeichen „Einbahnstraße" (§ 53 Abs 1 Z 10 StVO) und an ihrem Ende durch die Vorschriftszeichen „Einfahrt verboten" (§ 52 lit a Z 2 StVO) gekennzeichnet. Die Siernerstraße mündet westlich von der späteren Unfallstelle aus nördlicher Richtung in die Abelstraße ein. Vor dieser Kreuzung sind in der Siernerstraße die Vorschriftszeichen „Halt" (§ 52 lit c Z 24 StVO) und „vorgeschriebene Fahrtrichtung" (§ 52 lit b Z 15 StVO) angebracht, nicht jedoch die Einbahnregelung betreffende Straßenverkehrszeichen. Die ortsunkundige Klägerin bog aus der Siernerstraße dem Rechtsabbiegegebot folgend in die Abelstraße ein, um in weiterer Folge den in dieser Straße etablierten „Spar Markt" aufzusuchen. Auf dieser Wegstrecke passierte sie weitere Kreuzungen, an denen ebenfalls kein Hinweiszeichen gemäß § 53 Abs 1 Z 10 StVO angebracht war. Gegenüber der Einmündung der Weisgerberstraße ist das Vorschriftszeichen gemäß § 52 lit b Z 15 StVO aufgestellt. Nachdem die Klägerin ihre Einkäufe erledigt hatte, setzte sie die Fahrt in der Abelstraße in entgegengesetzter Richtung fort. Der Klägerin war dabei nicht bewusst, dass sie gegen die auf einer Einbahnregelung beruhende zulässige Fahrtrichtung fuhr. Unterdessen hatte die Beklagte, die in der vorgeschriebenen Fahrtrichtung in die Abelstraße eingefahren war, ihren PKW gegenüber dem Haus Abelstraße 53 am linken Fahrbahnrand geparkt. Sie stieg aus ihrem Fahrzeug aus und versuchte sodann, „eiligen Schrittes hinter dem PKW hervorkommend", die rund 5 m breite Fahrbahn zu überqueren. Dabei blickte sie weder nach rechts noch nach links. Sie betrat die Fahrbahn so knapp vor der herannahenden Klägerin, dass für diese eine unfallverhindernde Maßnahme nicht mehr möglich war. Die Beklagte stieß gegen die rechte Körperseite der Klägerin, die dadurch zu Sturz kam und schwere Verletzungen am rechten Bein erlitt. Die Klägerin hatte sich schon im Sichtbereich der Beklagten befunden, als diese ihr Fahrzeug verließ. Auch danach hätte die Beklagte über das Dach ihres PKWs hinweg den Kopf der sich nähernden Klägerin erkennen können.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten Schmerzengeld, den Ersatz ihrer Aufwendungen für Medikamente und für einen ärztlichen Befund sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfallereignis vom 12. 11. 2001.

Die Beklagte wendete ein, die Klägerin sei gegen die Einbahn gefahren und beim Anblick der Beklagten so erschrocken, dass sie - ohne Kollision zu Sturz gekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteige und ließ die ordentliche Revision zunächst nicht zu. Ausgehend von den übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes vertrat es die Rechtsansicht, die Beklagte habe durch ihr Verhalten gegen § 76 Abs 1 iVm Abs 4 lit b und Abs 5 StVO verstoßen. Auf den Vertrauensgrundsatz könne sie sich nicht mit Erfolg berufen, weil dieser hinsichtlich nicht wahrgenommener (aber wahrnehmbarer) Verkehrsteilnehmer keine Geltung habe. Auch wenn im Allgemeinen nicht damit zu rechnen sei, dass Einbahnstraßen in der Gegenrichtung befahren werden, gebiete schon die in § 26 Abs 3 letzter Satz StVO normierte Ausnahmebestimmung für Einsatzfahrzeuge auch die Beobachtung der entgegengesetzten Fahrtrichtung. Für die Klägerin sei die Einbahnregelung in der Abelstraße nicht erkennbar gewesen. Das dort angebrachte Gebotszeichen „vorgeschriebene Fahrtrichtung" deute nur auf ein zB im Interesse der erhöhten Leichtigkeit des Verkehrs verfügtes Abbiegeverbot nach links, nicht aber auf das Bestehen einer Einbahn hin. § 48 Abs 1 StVO erfordere, dass eine Einbahn in ihrem Verlauf jedenfalls auch dort durch ein Hinweiszeichen „Einbahnstraße" kundgemacht werde, wo eine andere Straße in diese Einbahn einmünde. Richtigerweise hätte die Kennzeichnung an der Einmündung der Siernerstraße in die Abelstraße daher durch ein in der Abelstraße aufgestelltes und in die vorgeschriebene Fahrtrichtung weisendes Hinweiszeichen „Einbahnstraße" und durch ein weiteres, links von der Siernerstraße aufgestelltes Verkehrszeichen „Einfahrt verboten" zu erfolgen gehabt. Aufgrund der tatsächlichen Kennzeichnung habe sich jedoch ein von der Siernerstraße in die Abelstraße einfahrender Verkehrsteilnehmer nach der Kreuzung so verhalten dürfen, als befände er sich nicht auf einer Einbahnstraße. Er habe beispielsweise umkehren und sodann die Abelstraße entgegen der zulässigen Fahrtrichtung befahren dürfen. Demnach sei die Klägerin zwar objektiv rechtswidrig entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung der Einbahn gefahren; dieses Verhalten sei ihr mangels ordnungsgemäßer Kundmachung der Einbahnstraße aber nicht vorwerfbar. Zur Einholung von Erkundigungen über das mögliche Bestehen einer Einbahnregelung sei sie auch nicht aufgrund des Gebotszeichens „vorgeschriebene Fahrtrichtung" verpflichtet gewesen.

Auf Antrag der Beklagten änderte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 31. 1. 2005 seinen Ausspruch, mit dem es die ordentliche Revision nicht zugelassen hatte, dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Zur Begründung führte es aus, im „Moniturantrag" werde zutreffend aufgezeigt, „dass sich das Berufungsgericht nur unzureichend auf Judikatur des Obersten Gerichtshofes stützen konnte".

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist entgegen dem gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichtes wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof sprach schon in zahlreichen Fällen aus, dass sich die nach dem Gesetz erforderliche Prüfung der Stichhältigkeit eines Abänderungsantrages gemäß § 508 Abs 1 ZPO nicht in einer Scheinbegründung erschöpfen darf und sich das Berufungsgericht bei seiner Prüfung mit den Antragsargumenten sachlich wenngleich kurz auseinanderzusetzen hat, darf es doch einem solchen Antrag nur dann stattgeben, wenn es ihn für „stichhältig" hält (1 Ob 185/03t mwN; RIS Justiz RS0112166, RS0111729). Hier zeigt das Berufungsgericht in der Begründung seines abändernden Ausspruches nach § 508 Abs 3 ZPO nicht einmal ansatzweise eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf. Eine solche wird auch dadurch nicht begründet, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof bisher noch nicht entschieden wurde (RIS Justiz RS0107773). Aber auch in der Revision der Beklagten werden keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass das Verhalten eines Fußgängers, der entgegen § 76 Abs 6 StVO die Fahrbahn außerhalb eines Schutzweges oder einer Kreuzung überqueren will, in § 76 Abs 4 lit b und Abs 5 StVO geregelt ist. Danach hat ein Fußgänger, bevor er auf die Fahrbahn tritt, sorgfältig zu prüfen, ob er die Straße noch vor Eintreffen von Fahrzeugen mit Sicherheit überqueren kann (ZVR 1979/126; ZVR 1987/97 uva; RIS Justiz RS0075656, RS0073755). Maßgeblich ist hiebei die jeweilige Verkehrslage (RIS Justiz RS0027751, RS0073755). Schon aus der gesetzlichen Anordnung folgt, dass der Fußgänger seine Aufmerksamkeit nicht nur auf einen Teil der Fahrbahn beschränken darf. Dass für Einbahnstraßen anderes gelten sollte, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Der Vertrauensgrundsatz kommt demjenigen nicht zugute, der das unrichtige oder zumindest verkehrsbedenkliche Verhalten des anderen bereits in einem Zeitpunkt erkennen kann, in dem für ihn noch eine zumutbare Reaktion möglich war, der eine solche Reaktionshandlung aber unterlässt (RIS Justiz RS0073173; vgl auch RS0073482 und RS0073429).

Hier hatte die Beklagte ab dem Aussteigen aus ihrem PKW Sicht auf die entgegen der Fahrtrichtung der Einbahn herannahende Klägerin, die sie vor Betreten der Fahrbahn nur deshalb nicht wahrgenommen hat, weil sie einen Kontrollblick nach links unterließ. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Beklagte habe unter diesen Umständen die einschlägigen Verhaltensnormen des § 76 StVO schuldhaft verletzt, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Auch die (implizite) Bejahung des Rechtswidrigkeitszusammenhanges zwischen dem verbotswidrigen Verhalten der Beklagten und dem eingetretenen Schaden ist nicht zu beanstanden, weil die Schutznorm des § 76 StVO nicht nur bezweckt, den Fußgänger vor allen möglichen, von der Fahrbahn her drohenden Gefahren zu schützen (ZVR 1985/9), sondern auch ganz allgemein der Vermeidung von Verkehrsunfällen dienen soll (RIS Justiz RS0027735).

Den im Mittelpunkt der Revisionsausführungen stehenden Überlegungen zu der Entscheidung 2 Ob 157/88 (= ZVR 1990/18), die das Berufungsgericht nur zur Erhärtung seines Schuldvorwurfes herangezogen hat, kommt keine streitentscheidende Bedeutung zu, weil ein Einsatzfahrzeug tatsächlich nicht vorhanden war und das Verhalten eines Verkehrsteilnehmers stets nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage zu beurteilen ist (RIS Justiz RS0073327). Die in der Revision zitierte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wonach ein Fahrzeuglenker mit dem Ausnahmefall des Befahrens der Einbahnstraße in der Gegenrichtung durch ein Einsatzfahrzeug nicht zu rechnen braucht (RIS Justiz RS0073987), bedarf daher ebenfalls keiner Erörterung. Ebensowenig kommt es hier darauf an, inwieweit ein Fahrzeuglenker mit einem anderen gegen die Einbahn fahrenden Fahrzeug rechnen muss. Auch die zitierte Rechtsprechung zu diesem Thema, die sich vorwiegend mit Vorrangfragen befasst (etwa ZVR 1979/34), eignet sich demnach nicht dazu, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen.

Aber auch die in der Revision aufgeworfene Frage, ob die Klägerin zu Erkundigungen über das Bestehen einer Einbahnregelung verpflichtet war, betrifft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO, weil dabei die Umstände des Einzelfalles maßgebend sind und der Lösung dieser Frage keine über den Anlassfall hinausgehende und daher keine erhebliche Bedeutung im Sinne der angeführten Gesetzesstelle zukommt. Gemäß § 7 Abs 5 Satz 1 StVO dürfen Einbahnstraßen (§ 2 Z 3 lit b StVO) nur in der durch das Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 10 angezeigten Fahrtrichtung befahren werden. § 43 Abs 1 lit b Z 1 StVO verpflichtet die Behörde unter den dort genannten Voraussetzungen, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, zu erlassen (RIS Justiz RS0075265). Die Kundmachung dieser Verordnung erfolgt durch die entsprechenden Straßenverkehrszeichen, nämlich wie auch hier gemäß § 53 Abs 1 Z 10 und § 52 lit a Z 2 StVO (§ 44 Abs 1 StVO); sie tritt durch das Aufstellen der Verkehrszeichen in Kraft (RIS Justiz RS0075303, RS0053789). Die Revisionswerberin zieht die auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 20. 2. 1986, Zl 85/02/0240 = VwSlg 12.042/A/1986 = ZVR 1989/26) beruhende Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nicht in Zweifel, wonach die Einbahnregelung auch an der Einmündung der Siernerstraße in die Abelstraße durch Anbringung eines Hinweiszeichens gemäß § 53 Abs 1 Z 10 StVO kundgemacht hätte werden müssen. Sie lässt zutreffend auch die Auffassung ungerügt, dass das Vorschriftszeichen gemäß § 52 lit b Z 15 StVO keine Einbahnregelung trifft (8 Ob 12/80 = RIS Justiz RS0075313; auch VwGH aaO sowie Erkenntnis vom 29. 4. 2002, Zl 2002/03/0048 mwN). Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Verstoß der Klägerin gegen § 7 Abs 5 StVO mangels gehöriger Kundmachung der Einbahnregelung gar nicht möglich war (so VwGH in ZVR 1989/26; vgl auch OGH in ZVR 1980/59; RIS Justiz RS0049878; Dittrich/Stolzlechner, StVO³, § 44 Rz 16) oder ob ihr ein solcher wegen unverschuldeter Unkenntnis der gehörig kundgemachten Verordnung nur nicht vorgeworfen werden kann (RIS Justiz RS0075188). In letzterem Fall hätte die Klägerin zwar eine Schutznorm objektiv verletzt, sodass ihr der Nachweis ihres fehlenden Verschuldens oblag (8 Ob 64/76; RIS Justiz RS0112234). In der Auffassung des Berufungsgerichtes, die Klägerin habe nach den Umständen des hier zu beurteilenden Einzelfalles diesen Beweis erbracht, zumal für sie mangels Erkennbarkeit der Einbahnregelung auch vor Antritt der Retourfahrt keine Verpflichtung zur Anstellung von Nachforschungen über eine allfällige Einbahnregelung bestanden habe, ist keine auffallende Fehlbeurteilung zu erkennen.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision der Beklagten daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
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