JudikaturJustiz2Ob44/85

2Ob44/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. November 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Gottlieb A, Pensionist, Lazarettgasse 5/7, 1090 Wien, vertreten durch Dr. Robert Eder, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei B C, Schloß Mirabell, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Michael Wonisch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 373.579,89 samt Anhang und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 30. April 1985, GZ 4 R 81/85-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 28. Dezember 1984, GZ 8 Cg 16/84-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat der Beklagten die mit S 16.267,05 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 960,-- Barauslagen und S 1.391,55 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stürzte am 3.2.1981 in Salzburg auf dem Gehsteig in der Nähe der O-Busstation Mirabellplatz und erlitt hiebei einen komplizierten Bruch des rechten Knächels. Er begehrt einen Schadenersatzbetrag von S 373.579,89 und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden. Er brachte vor, er sei auf Eisbuckeln ausgerutscht, die die Beklagte in grob fahrlässiger Weise weder entfernt noch bestreut habe. Die Beklagte hafte als Halter des Gehsteiges, aber auch als Befärderungsunternehmer, weil der Kläger die Absicht gehabt habe, den O-Bus zu benützen. Darüber hinaus werde die Haftung auch auf jeden anderen erdenklichen Rechtsgrund gestützt.

Die Beklagte wendete ein, sie habe für eine ordnungsgemäße Bestreuung gesorgt. Überdies sei kein Glatteis vorhanden gewesen. Eine Haftung der Beklagten als Befärderungsunternehmer bestehe schon deshalb nicht, weil die D E ein selbständiges Unternehmen seien. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aus seinen auf den Seiten 3 und 4 der Ausfertigung des Urteiles des Berufungsgerichtes wiedergegebenen Feststellungen über Ort und Hergang des Unfalles ist folgendes hervorzuheben:

Der Kläger ging auf einem einige Meter von der Rainerstraße entfernten Gehsteig in Richtung stadtauswärts zum Schloß Mirabell. In seiner Gehrichtung befindet sich rechts eine Haltestelle der D F für den O-Bus stadteinwärts.

Der Kläger hatte vor, noch ein Stück stadtauswärts zu gehen und dann auf der gegenüberliegenden Seite der Rainerstraße einen O-Bus in Richtung stadtauswärts zu benützen. Am Nachmittag des 3.2.1981 kam es in Salzburg zu keiner Glatteisbildung. Im Bereich des Mirabellplatzes wurde an diesem Tag ab 5 Uhr früh von einem Straßenwärter, dem auch eine Hilfskraft zugeteilt war, der Streudienst durchgeführt. In dem Bereich, auf dem der Kläger später zu Sturz kam, wurde Eis aufgehackt und anschließend mit Streusplitt gestreut. Die Streutätigkeit des Straßenwärters, die durch einen Straßenmeister kontrolliert wurde, endete um 16 Uhr. Die Bestreuung der Straße erfolgt jeweils nach einer täglichen Anfrage an die Wetterdienststelle Salzburg darüber, mit welcher Witterung gerechnet werden muß. Der Kläger, der damals Lederschuhe mit glatten Sohlen trug und bei einer Körpergräße von 176 cm 106 kg schwer war, stürzte in der Nähe des Haltestellenhäuschens für den O-Busverkehr Richtung stadteinwärts.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Beklagten und ihren Leuten sei keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 1319a ABGB anzulasten. Der Kläger, der offenbar körperlich etwas unbeweglich gewesen sei und glatte Lederschuhe getragen habe, hätte besonders vorsichtig sein müssen, um einen Sturz zu vermeiden. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es führte aus, ein haftungsbegründender Verstoß der Beklagten gegen § 93 Abs 1 StVO lasse sich den Verfahrensergebnissen nicht entnehmen, weil nicht vorgebracht und dementsprechend auch nicht festgestellt worden sei, daß die Beklagte Eigentümerin der an den Gehsteig angrenzenden Liegenschaft sei. Die diesbezügliche Behauptung in der Berufung sei eine unzulässige Neuerung. Auch eine Haftung wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten aus der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels scheide aus, weil sich der Unfall nicht im Bereich jener Haltestelle ereignet habe, bei der der Kläger einzusteigen beabsichtigte. Die Beklagte könnte daher nur im Rahmen des § 1319a ABGB für die Schäden des Klägers haftbar gemacht werden. Dazu müßte sie oder einer ihrer Leute den mangelhaften Zustand des Gehsteiges im Bereich der Haltestelle Mirabellplatz vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet haben, was jedoch nicht der Fall sei.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers. Er macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger stützte sein Begehren rechtlich darauf, daß die Beklagte Halter des Gehsteiges sei, ferner auf vorvertragliche Pflichten der Beklagten als Befärderungsunternehmer und schließlich auf 'jeden anderen erdenklichen Rechtsgrund'. Das Gericht ist an die vom Kläger vorgenommene rechtliche Qualifikation nicht gebunden; es hat den erhobenen Anspruch insofern nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, als ein entsprechendes Sachvorbringen erstattet worden ist (Fasching IV 323). Das Gericht hat sich aber auf den sich aus den Parteienvorbringen ergebenden Streitgegenstand zu beschränken (RZ 1979/16). Der Kläger brachte nicht vor, daß die Beklagte Eigentümerin der neben dem Gehsteig befindlichen Liegenschaft sei. Er erstattete somit kein Sachvorbringen, aus welchem sich eine Haftung der Beklagten nach § 93 Abs 1 StVO ableiten ließe (7 Ob 701/84). Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers kann nicht davon ausgegangen werden, es sei gerichtsnotorisch, daß die Beklagte Eigentümerin der an den Gehsteig angrenzenden Liegenschaft sei. Aus der Vorschrift des § 93 Abs 1

StVO kann daher ein Anspruch des Klägers nicht abgeleitet werden. Eine Haftung als Befärderungsunternehmer auf Grund vorvertraglicher Schutzpflichten kommt nicht in Frage, weil der Kläger nicht die Absicht hatte, bei der Haltestelle, in deren Nähe er stürzte, in den O-Bus einzusteigen.

Das Schadenersatzbegehren des Klägers könnte daher nur in § 1319a ABGB eine Grundlage haben, weshalb es nur bei grober Fahrlässigkeit berechtigt wäre (Vorsatz scheidet im vorliegenden Fall von vornherein aus). Geht man vom festgestellten Sachverhalt aus, muß eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten und ihrer Leute im Sinne des § 1319a ABGB verneint werden. Die Beklagte hat zur Bestreuung einen Straßenwärter bestellt und ihm eine Hilfskraft zugeteilt, sie überwacht die Tätigkeit des Straßenwärters überdies durch einen Straßenmeister. Täglich wird bei der Wetterdienststelle Salzburg angefragt, mit welcher Witterung gerechnet werden muß. Der Straßenwärter und die Hilfskraft begannen am Tag des Unfalles ihre Tätigkeit um 5 Uhr früh, das auf dem Boden befindliche Eis wurde aufgehackt, anschließend wurde mit Streusplitt bestreut. Die Streutätigkeit der Leute der Beklagten endete um 16 Uhr. Wenn auch im Zeitpunkt des Unfalles um 16,30 Uhr nur mehr eine spärliche Streuung vorhanden war, besteht keinerlei Anhaltspunkt für eine außergewöhnliche und auffallende Sorgfaltsverletzung, die den Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich vorhersehbar gemacht hätte. Dies wäre aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung Voraussetzung für die Annahme grober Fahrlässigkeit (ZVR 1984/142 und 176 uva). Die Behauptung des Revisionswerbers, durch ein nur teilweises Aufhacken des Eises sei eine besondere Gefahrenlage entstanden, findet in den Feststellungen keine Deckung. Ohne Bedeutung ist es, ob dem Kläger eine Unachtsamkeit bei Benützung des Gehsteiges vorgeworfen werden kann, weil die Beklagte mangels grober Fahrlässigkeit auf keinen Fall zur Haftung herangezogen werden kann.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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