JudikaturJustiz2Ob213/97f

2Ob213/97f – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Mai 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Daniela T*****, vertreten durch Dr.Tassilo Neuwirth u.a., Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Heinrich Kellner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,327.500,-- sA, infolge außerordentlicher Revision (Revisionsinteresse S 721.692,60) der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 19.Oktober 1994, GZ 13 R 159/94-33, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8.April 1994, GZ 13 Cg 48/94p-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Vorentscheidungen, die im Umfang des Zuspruchs von S 605.807,40 samt 4 % Zinsen seit 24.1.1989 mangels Anfechtung als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben.

Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 25.7.1982 ereignete sich auf der A 2 in Fahrtrichtung Klagenfurt bei Kilometer 327,5 ein Verkehrsunfall, an welchen die Klägerin als Lenkerin ihres PKW und Adolf T***** als Lenker seines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW, beteiligt waren. Die Klägerin geriet mit ihrem Fahrzeug ins Schleudern. Die Klägerin erlitt dabei so schwere Verletzungen, daß sie erwerbsunfähig ist.

In dem zu 40 Cg 769/84 (= 2 Cg 728/89) des Erstgerichtes anhängig gewesenen Prozeß, in dem auch der Lenker und Halter des bei der nunmehr beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges beklagt war, begehrte die Klägerin die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für zwei Drittel ihrer künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall, wobei die Haftung der Erstbeklagten durch den Versicherungsvertrag begrenzt sei. Sie brachte dort vor, daß den Lenker des gegnerischen Fahrzeuges wohl das Alleinverschulden am Unfall treffe, aus prozeßökonomischen Gründen jedoch, ausgehend von einem eigenen Mitverschulden in Höhe von einem Drittel, nur zwei Drittel der ihr zustehenden Ansprüche, vorbehaltlich der Ausdehnung, geltend gemacht würden. Im Vorprozeß stellte der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 57/91 infolge einer von der Klägerin erhobenen Revision in Abänderung des Urteils des Erstgerichtes vom 30.12.1989 und des Berufungsgerichtes vom 28.5.1991 fest, daß die beklagten Parteien der Klägerin zur ungeteilten Hand für zwei Drittel ihrer zukünftigen Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25.7.1982 haften, wobei die Höhe der Haftung der erstbeklagten Partei (= hier beklagten Partei) durch den Versicherungsvertrag mit der zweitbeklagten Partei begrenzt ist. Ein Verschulden der Klägerin sei nicht nachgewiesen, sodaß deren Begehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für zwei Drittel der künftigen Unfallsfolgen jedenfalls berechtigt sei.

Mit ihrer nunmehr am 2.7.1990 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin, ausgehend von einem eigenen Mitverschulden von nur mehr 10 %, nach Ausdehnungen (AS 19, 71 und 125) S 1,327.500,-- sA aus dem Titel des Schadenersatzes. In diesem Betrag seien S 29.700,-- (90 % von S 33.000,--) für die Anschaffung eines unfallbedingt notwendig gewordenen Zahnersatzes enthalten. Der Rest werde aus dem Titel des Verdienstentganges begehrt. Sie habe vor dem Unfall die Höhere Schule für Bekleidungsgewerbe, mit dem Schulziel des Maturaabschlusses und dem Berufsziel, Kostümbildnerin zu werden, besucht. Um diesen Beruf vorzubereiten, habe sie bereits eine Ferialbeschäftigung am Landestheater in Salzburg absolviert und auch Verwendungszusagen seitens der Bundestheater und aus der Filmbranche gehabt. Ohne den Verkehrsunfall hätte sie am 1.4.1984 mit ihrer Arbeit begonnen. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie bis einschließlich 31.3.1993 S 1,442.000,-- als Kostümbildnerin verdienen können. Abzüglich 10 % für die zugestandene Mithaftung ergebe dies S 1,297.800,--. Für die Ausübung des Berufes der Kostümbildnerin sei nicht unbedingt ein Hochschulabschluß notwendig, als Vorstufe gebe es auch Berufe der Gardrober, Gewandmeister, Requisiteure und Assistenten für Kostümbildner. Im übrigen hätte sie, ebenso wie ihre Schwester, für den Fall, daß sie die klagsweise begehrten Verdienstsummen nicht erreicht hätte, im Betrieb ihres Vaters arbeiten und auch so dasselbe verdienen können.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß die Klägerin dadurch, daß sie bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 90 km/h und starkem Regen ins Schleudern geraten und nicht in der Lage gewesen sei, den Schleudervorgang abzufangen, das auslösende Moment gesetzt und damit einen Primärunfall verschuldet habe. Es treffe daher die Klägerin das überwiegende, mit zwei Drittel zu bewertende Verschulden. Im übrigen sei die Klägerin nicht berechtigt, eine höhere Haftungsquote zu verlangen als im präjudiziellen Verfahren 2 Cg 728/89 des Erstgerichtes. Mit Ausnahme der Kosten für die Anschaffung eines Zahnersatzes blieb das Klagebegehren auch der Höhe nach bestritten.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei für schuldig, der klagenden Partei S 605.807,40 samt 4 % Zinsen seit 24.1.1989 zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 721.692,60 samt gestaffelten Zinsen wies es ab.

Es ging dabei von folgenden, über den unstrittigen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen aus:

Die Klägerin besuchte seit 1977 die Höhere gewerbliche Lehranstalt für Bekleidungswirtschaft. Nachdem sie den 1. und 3. Jahrgang dieser Schule wiederholt hatte, befand sie sich im Schuljahr 1981/82 im 4. Jahrgang, konnte jedoch keinen positiven Klassenabschluß aufweisen, weshalb sie nicht berechtigt war, in den 5. Jahrgang aufzusteigen. Zur Wiederholung des 4. Jahrganges kam es jedoch infolge des dazwischen tretenden Unfalls nicht. Es war der Wunsch der Klägerin, Kostümbildnerin zu werden, sie hatte jedoch keinerlei konkrete Zusagen auf einen bestimmten Posten, sondern nur Verwendungszusagen, sie entweder bei der "S*****-Film" und bei den Bundestheatern unterzubringen. Der Vater der Klägerin betreibt ein Unternehmen, in dem Büroeinrichtungen verkauft werden. Die Klägerin war dort kurz probeweise tätig, konnte infolge ihrer unfallsbedingten Behinderung jedoch die Arbeit nicht fortführen.

Als Damenkleidermacherin in der Industrie hätte die Klägerin laut Kollektivvertrag des Fachverbandes der Bekleidungsindustrie Österreichs in der Zeit vom 1.4.1984 bis 31.3.1993 insgesamt einen Betrag von S 875.711,10 verdienen können. Zuzüglich der Zahnbehandlungskosten von S 33.000,-- beläuft sich ihr Gesamtschaden daher auf S 908.711,10.

Rechtlich erachtete das Erstgericht, daß im Vorverfahren mit bindender Wirkung auch für dieses Verfahren die Verschuldensquote der am Unfall beteiligten Lenker festgestellt und gleichzeitig im Feststellungsbegehren die Haftung der nunmehr beklagten Partei für zwei Drittel des Schadens unter Berücksichtigung der Deckungssumme ausgesprochen worden sei. Es erübrige sich somit, darauf einzugehen, ob die Klägerin nur ein Mitverschulden von einem Zehntel treffe. Der Klägerin sei der Beweis dafür, daß sie den von ihr angestrebten Beruf einer Kostümbildnerin auch tatsächlich ausüben hätte können, nicht gelungen. Nach dem gewöhnlichen Gang der Dinge, der für die Ermittlung eines fiktiven Verdienstentganges maßgeblich sei, könne nicht auf einen Spezialberuf, sondern nur darauf Bedacht genommen werden, welchen Beruf die Klägerin aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung erreichen hätte können. Dies sei nur der der Damenschneiderei. Unter dieser Prämisse errechne sich der fiktive Verdienstentgang mit S 875.711,10, zwei Drittel davon ergäben S 583.807,40. Dazu kämen noch zwei Drittel der Kosten eines Zahnersatzes, nämlich S 22.000,--.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil des Erstgerichtes erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Die Funktion einer Feststellungsklage erschöpfe sich nicht darin, einer möglichen Verjährung wirksam zu begegnen. Sie diene vielmehr nach ständiger Rechtsprechung auch zur Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten, zur Klärung des Verschuldens bzw Mitverschuldens und zur Klarstellung der Haftungsfrage nach Grund und Umfang. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin nun in ihrer früheren Klage ein Feststellungsbegehren gestellt, welches sich sowohl dem Wesen als auch der ausdrücklichen Formulierung nach auf alle zukünftigen Schadenersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 25.7.1982, somit auch auf die hier geltend gemachten Ansprüche, beziehe. Das Feststellungsurteil entfalte seine Bindungswirkung auf die mit der vorliegenden Leistungsklage geltend gemachten Ansprüche, weshalb von der festgestellten Haftungsquote im Verhältnis 2:1 zu Lasten der beklagten Partei auszugehen sei. Das Erstgericht habe bei Ermittlung des fiktiven Verdienstentganges zu Recht nicht auf die - nicht erwiesene - Berufsmöglichkeit einer Kostümbildnerin, sondern auf den der Ausbildung der Klägerin und ihren Kenntnissen ersprechenden Beruf der Damenkleidermacherin abgestellt.

Die ordentliche Revision sah das Berufungsgericht nicht als zulässig an, weil keine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO normierten Bedeutung zu lösen sei.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß ihrer Berufung Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen bzw dieser keiner Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht, daß mit dem Feststellungsurteil die Verschuldensanteile abschließend und bindend festgestellt wurden, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Zutreffend erkannte das Berufungsgericht zwar, daß sich der Zweck einer Feststellungsklage nicht in der Unterbrechung der Verjährung erschöpft, sondern auch darin besteht, spätere Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, Verschulden bzw Mitverschulden zu klären und die Haftungsfrage nach Grund und Umfang klarzustellen (ZVR 1977/63, ZVR 1978/160, ZVR 1978/200, ZVR 1980/80 ua). Aus diesen Prämissen folgt für jene Verfahren, in denen die insgesamt mögliche Ersatzpflicht eines Schädigers Gegenstand des Feststellungsbegehrens ist, daß auf dem festgestellten Rechtsverhältnis oder Recht beruhende Leistungsklagen im Falle eines festgestellten Mitverschuldens nur im Rahmen der den Schädiger treffenden Verschuldensquote Erfolg haben können, weil durch das rechtskräftige Feststellungsurteil für Nachfolgeprozesse zwischen den Parteien bindend das Rechtsverhältnis festgestellt ist (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 15 zu § 228).

Bei dem Feststellungsbegehren des Vorprozesses handelte es sich jedoch um eine Teileinklagung, mit der die Klägerin den Zweck verfolgte, die Haftung des Schädigers und des Haftpflichtversicherers zumindest für zwei Drittel künftiger unfallskausaler Schäden festzusetzen. Nur dies war demnach auch Verfahrensgegenstand. Der Ausspruch einer über diese Quote hinausgehenden Haftung der beklagten Partei hätte somit einen Verstoß gegen § 405 ZPO dargestellt. Aus der Formulierung des § 411 Abs 1 Satz 1 ZPO wird zu Recht abgeleitet, daß eine Teileinklagung auch tatsächlich nur den geltend gemachten Anspruchsteil erfaßt und die sich in der Regel auf den Gesamtanspruch beziehende Bejahung oder Feststellung seines Bestehens in den Entscheidungsgründen einer dieser Beurteilung widersprechenden neuen Klage, mit der der Restbetrag eingeklagt wird, nicht entgegensteht (Rechberger in Rechberger, ZPO Rz 7 zu § 411 mwN). Dies muß auch für eine - ausdrücklich nur einen Teilanspruch umfassende - Feststellungsklage gleicherweise Geltung haben. Auch hier ist Gegenstand der Rechtskraft nur der Urteilsspruch (vgl Fasching, LB**2 Rz 1523), in dem im vorliegenden Fall wohl die 2/3-Haftung der Beklagten, nicht jedoch auch eine Abweisung des verbleibenden möglichen Haftungsumfanges von einem weiteren Drittel ausgesprochen wurde. Auch die vom OGH im Vorprozeß dargestellte Beurteilung (2 Ob 57/91), daß der Klägerin ein Verschulden nicht nachgewiesen wurde, ist so zu verstehen, daß ein die 2/3-Haftung des Schädigers und des Haftpflichtversicherers minderndes Mitverschulden der Klägerin nicht gegeben ist. Nicht wurde jedoch damit über ein - gar nicht verfahrensgegenständliches - Mitverschulden der Klägerin im Rahmen des zunächst in Rechnung gestellten 1/3-Anteils verbindlich abgesprochen.

So wenig daher das Feststellungsurteil des Vorprozesses aus der Rechtskraft erfließende Bindungswirkungen für ein Mitverschulden der Klägerin entfalten konnte, konnte damit die Festlegung einer Obergrenze der Haftung der beklagten Parteien des Vorprozesses erfolgen.

Ausgehend von ihrer entgegengesetzen Rechtsansicht haben die Vorinstanzen zum Unfallshergang keine weiteren Feststellungen getroffen. Dies wird im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen sein. Zu diesem Zweck waren die Urteile der Vorinstanz teilweise aufzuheben.

Anzumerken ist noch, daß sich der Oberste Gerichtshof nicht in der Lage sieht, zur Ermittlung des Verdienstentgangs der Klägerin durch die Vorinstanzen Stellung zu nehmen, weil sie ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuzählen ist und daher entgegen der in Revision vertretenen Meinung der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht unterliegt (ZVR 1987/113; 1988/130; Reischauer in Rummel II**2 Rzz 22, 23 zu § 1325 ABGB). Ein allein revisibler Verstoß gegen die Denkgesetze ist den Vorinstanzen nicht anzulasten, wenn sie dabei nicht den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wenig wahrscheinlichen Beruf der Bühnenbildnerin, sondern den dem bisherigen Ausbildungsgang und -fortschritt der Klägerin angemessenen Beruf der Damenkleidermacherin herangezogen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.