JudikaturJustiz2Ob15/22b

2Ob15/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen I. der klagenden Partei D*, vertreten durch Dr. Oliver Peschel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podosovnik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (AZ 28 C 603/19h des Erstgerichts, führendes Verfahren), II. der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podovsovnik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, vertreten Dr. Oliver Peschel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (AZ 28 C 318/20y des Erstgerichts) und III. der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Podovsovnik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Dr. Oliver Peschel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (AZ 28 C 319/20w des Erstgerichts) über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei (führendes Verfahren) sowie der beklagten und klagenden Partei (führendes und verbundenes Verfahren) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. November 2021, GZ 28 R 251/21z 51, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Bezeichnung der beklagten Partei des führenden Verfahrens wird auf „T* in Liqu.“ berichtigt.

II. Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Zu I.:

[1] Aus dem Firmenbuch (FN *) ergibt sich, dass die Generalversammlung am 29. 9. 2021 den Beschluss gefasst hat, die Beklagte aufzulösen, und dass diese ihre Firma geändert hat. Ihre Parteibezeichnung ist daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen (RS0039550).

Zu II.:

[2] Z wischen den Streitteilen als Parteien von – unstrittig – dem MRG unterliegenden Mietverhältnissen über Geschäftsräumlichkeiten ist die Wirksamkeit einer Befristungsvereinbarung gemäß § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG sowie umstritten, ob es im Falle einer wirksamen Befristungsvereinbarung zu einer stillschweigenden Vertragsverlängerung um drei Jahre gemäß § 29 Abs 3 lit b MRG gekommen ist .

[3] Die Vorinstanzen bejahten eine wirksam vereinbarte Befristung, lehnten daher die vom klagenden Mieter im führenden Verfahren primär angestrebte, auf die Verletzung des Schriftformgebots des § 29 Abs 1 Z 3 lit a MRG gestützte Feststellung unbefristeter Bestandverträge ab, bejahten im Sinne der Eventualbegehren aber deren stillschweigende Erneuerung um drei Jahre gemäß § 29 Abs 3 lit b MRG und wiesen folglich die in den verbundenen Verfahren vom Vermieter erhobenen Räumungsbegehren ab.

[4] Weder die außerordentliche Revision des Mieters, der die Feststellung unbefristeter Mietverhältnisse anstrebt, noch jene des Vermieters, der auf die Abweisung sämtlicher Feststellungsbegehren sowie die Stattgebung seiner Räumungsbegehren wegen titelloser Benützung abzielt, zeigen eine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 2 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

I. außerordentliche Revision des Mieters (Kläger im führenden und Beklagter in den verbundenen Verfahren):

[5] 1. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Befristung bei einem Mietvertrag ist die Einhaltung der Schriftform; dies bedeutet, dass eine die Vereinbarung des unbedingten, durch Datum oder Fristablauf von vornherein bestimmten Endtermins dokumentierende Urkunde von beiden Vertragsteilen unterfertigt sein muss oder unterfertigte Anbot und Annahmeerklärungen derartigen Inhalts vorliegen müssen (RS0112243). Der Zweck der für Zeitmietverträge vorgeschriebenen Schriftform liegt zum einen in einer Warn- und Aufklärungsfunktion für den Mieter, aber zum anderen auch in der Erleichterung und Sicherung des Beweises für die Befristung (RS0030289). Der vom Gesetzgeber mit der Anordnung der Schriftform verbundene Zweck verlangt es, dass die materiellen Voraussetzungen des Vorliegens eines Vertrags von bestimmter Dauer aus dem Wortlaut der Urkunde selbst hervorgeht (RS0017182).

[6] 2. Die Vorinstanzen gingen in einzelfallbezogener, mangels krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze nicht korrekturbedürftiger Vertragsauslegung (RS0042776 [T31]) vom Abschluss eines einheitlichen Mietver hältnisses über die zusammenzulegenden Räume 208 und 209 auf Grundlage des Mietvertrags vom 29. 8. 2017 und der am selben Tag abgeschlossenen, ebenfalls von beiden Vertragsparteien unterfertigten, einen Vertragsbestandteil bildenden „Umbaubestätigung“ aus. Aufgrund der als Einheit zu wertenden Vertragsunterlagen (Mietvertrag und Umbaubestätigung) sowie des im Mietvertrag enthaltenen, schriftlich fixierten Endtermins, weicht die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht von der Rechtsprechung zum Schriftformerfordernis ab.

[7] 3. Damit geht aber das Argument der Revision, es sei aufgrund der Zusammenlegung der Räume nicht klar, welcher der für die Räume 208 und 209 ursprünglich separat vereinbarte Endtermin gelten solle, ins Leere.

[8] 4. Auch hält sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, d ie Bezugnahme auf einen allenfalls unbestimmten, für eine Verlängerung des Mietverhältnisses maßgeblichen Baubeginn sei unschädlich, im Rahmen des von der Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraums. Wurde ein datumsmäßig bestimmter unbedingter Endtermin vereinbart und dem Mieter – wenn auch abhängig von einem nicht näher definierten Baubeginn – bloß die einvernehmliche Verlängerungsmöglichkeit in Aussicht gestellt (nicht aber die Beendigung zum bestimmten Datum von der unterbliebenen einvernehmlichen Verlängerung oder einem allfälligen Baubeginn abhängig gemacht), steht fest, dass ohne weiteres Zutun der Vertragsparteien das Mietverhältnis zum Endtermin erlischt (vgl 5 Ob 26/11a [im Zusammenhang mit einer Verlängerungsoption]).

[9] 5. Auch d ie (im Zusammenhang mit möglichen Umbauarbeiten am Mietobjekt) vereinbarte Räumungsverpflichtung gegen Ersatzbeschaffung wurde in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (7 Ob 563/90) als Kündigungsmöglichkeit aus bestimmtem Grund gewertet, die einem unbedingten Endtermin nicht entgegensteht .

II. außerordentliche Revision des Vermieters (Beklagter im führenden und Kläger in den verbundenen Verfahren):

[10] 1. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet. Maßgebend sind die rechtserzeugenden Tatsachen, die zur Individualisierung des herangezogenen Rechtsgrundes erforderlich sind (RS0127052). Eine Bindungswirkung besteht nur in Bezug auf die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage (RS0042554). Die Entscheidungsgründe sind nur zur Auslegung und Individualisierung des rechtskräftigen Anspruchs heranzuziehen (RS0043259). Dass materielle Nahebeziehungen bzw Abhängigkeiten zwischen den Streitgegenständen, teleologische Sinnzusammenhänge der Entscheidungsgegenstände oder Rechtsverhältnisse, das Gebot der Entscheidungsharmonie oder das Bedürfnis nach Rechtssicherheit keine hinreichenden Gründe für eine Erweiterung der Bindungswirkung sind, entspricht ebenso der ständigen Rechtsprechung (RS0039843 [T42]; RS0102102; RS0041157 [T26]). Waren Feststellungen in dem im Vorprozess ergangenen Urteil nicht entscheidungswesentlich, so kann ihnen weder als Vorfrage noch im Sinne einer Bindungsmöglichkeit aus Gründen der Entscheidungsharmonie Bedeutung zukommen (RS0041157 [T19]).

[11] Wenn die Vorinstanzen eine Bindungswirkung in Bezug auf die im zwischen den Parteien anhängig gewesenen, rechtskräftig beendeten Übergabeverfahren getroffene Feststellung, der Mieter benütze die Räumlichkeiten seit 2. 9. 2018 titellos, verneint haben, entspricht dies den Grundsätzen der dargelegten Rechtsprechung, war doch die Frage nach dem Bestehen eines Bestandvertrags lediglich als – letztlich in Anbetracht der Aufhebung des Übergabeauftrags und Abweisung des Räumungsbegehrens wegen Überschreitung der Frist des § 567 ZPO nicht einmal entscheidungswesentliche – Vorfrage zu beurteilen.

[12] 2. Mit ihrer Behauptung, das Berufungsgericht wäre aufgrund der von ihr ordnungsgemäß erhobenen Rechtsrüge im Rahmen seiner allseitigen rechtlichen Prüfpflicht verhalten gewesen, die Dispositivität des § 29 Abs 3 lit b MRG zu prüfen, übersieht die Revision, dass in der Berufung lediglich ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des Urteils im Übergabeverfahren releviert und damit inhaltlich keine Rechtsrüge, sondern der Berufungsgrund der Nichtigkeit ausgeführt wurde (RS0074226). Die in der Berufung versäumte Rechtsrüge kann aber im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden (RS0043480).

Rechtssätze
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