JudikaturJustiz2Ob124/17z

2Ob124/17z – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J***** S*****, 2. mj E***** S*****, 3. mj R***** S*****, 4. mj S***** S*****, alle *****, alle vertreten durch ihre Mutter E***** S*****, ebendort, diese vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei G***** G*****, vertreten durch Dr. Georg Kahlig Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 55.107,29 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2017, GZ 16 R 205/16h 16, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. Oktober 2016, GZ 60 Cg 33/16p 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am 17. Jänner 2014 verstorbene Erblasserin hatte in einem Testament eine Schwester und einen Neffen zu Erben bestimmt und unter anderem den minderjährigen Klägern Legate ausgesetzt. Dazu hatte sie Folgendes verfügt:

„Ich setze meine Schwester […] und meinen Neffen […] zu gleichen Teilen nach Stämmen meines übrigen, gesamten, wie immer Namen habenden und wo immer befindlichen Nachlasses zu Erben ein, wobei sie verpflichtet sind mir ein ortsübliches, standesgemäßes Begräbnis auszurichten, die Kosten dieses Begräbnisses sowie die Kosten des Verlassenschaftsverfahrens, nicht jedoch die anfallende Grunderwerbsteuer, sind aus meinem Barvermögen, Konti, Sparbücher, etc. zu bezahlen; der allenfalls nach Berichtigung dieser Kosten und Ausgaben verbleibende Restbetrag von diesem Vermögen vermache ich [den Klägern] zu gleichen Teilen.“

Dem Verlassverfahren lagen Aktiva von 62.711,81 EUR darunter ein Sparbuch mit einem Guthaben von 13.500 EUR, und Passiva von 10.957,53 EUR zu Grunde. Im Einantwortungsbeschluss wurde in Bezug auf die Legate Folgendes festgehalten.

„Im Erben- und Legatübereinkommen vom 19. 4. 2016 haben die zu Punkt 1. genannten Erben vereinbart, dass Notar Dr. [..] unwiderruflich bevollmächtigt und beauftragt ist, nach Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses und Realisierung des Nachlasses aus dem bei ihm erliegenden Nachlassrealisat sämtliche Nachlasspassiva laut Vermögenserklärung vom 19. 4. 2016 und die Gerichtsgebühr sowie Gerichtskommissionsgebühren zu berichtigen und den verbleibenden Restbetrag zuzüglich Zinsen, abzüglich Anderkontospesen und KESt von EUR 955,98 auf ein von den erbl. Eltern und gesetzlichen Vertretern der [Kläger] bekanntzugebendes Konto zu überweisen, welche hierüber gleichteilig zu Gunsten der Minderjährigen rechnungsfrei verfügen können.“

Die Kläger begehren jeweils 13.776,82 EUR sA. Der Beklagte habe noch zu Lebzeiten der Erblasserin ein Sparbuch mit einem Guthaben von 30.395,29 EUR realisiert und wahrheitswidrig behauptet, die Erblasserin habe ihm dieses Sparbuch geschenkt. Ein weiteres Sparbuch mit einem Guthaben von 39.212 EUR habe er realisiert und den Erlös auf zwei oder drei Sparbücher aufgeteilt. Eines davon mit einem Guthaben von 13.500 EUR habe er dem Gerichtskommissär übergeben, daraus seien die Begräbnis- und Verfahrenskosten bezahlt worden. Die anderen Sparbücher habe der Beklagte inzwischen realisiert. Durch das unrechtmäßige Handeln des Beklagten sei den Klägern ein Schaden in Höhe des Klagebetrags entstanden. Die Erblasserin habe den Beklagten nur ermächtigt, über ihren Auftrag treuhändig über die Sparkonten zu verfügen. Der Beklagte habe gegen diese Vereinbarung verstoßen, indem er sich die Sparbücher angeeignet habe. Dadurch habe der Beklagte in das Eigentumsrecht der Erblasserin eingegriffen. Durch die letztwillige Verfügung sei es zu einer Schadensverlagerung zu den Klägern gekommen, sodass diese im Hinblick auf einen Schadenersatzanspruch aktiv legitimiert seien.

Der Beklagte bestreitet ein rechtswidriges Verhalten. Die Erblasserin habe ihr „durchaus beträchtliches“ Vermögen „mit warmer Hand“ verteilt, indem sie ihm zwei Sparbücher übergeben und ihm einerseits Teile der Einlagen geschenkt und andererseits den Auftrag erteilt habe, Beträge an dritte Personen auszufolgen. Die Behauptung, er habe sich die Guthaben gegen den Willen der Erblasserin zugewendet („sozusagen sabralisiert“), sei frei erfunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Bei Zutreffen des Klagevorbringens bestünde ein Anspruch der Erben gegen den Beklagten. Legate begründeten demgegenüber nur einen Anspruch der Legatare gegen die Erben. Ein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten scheitere daran, dass die Kläger nicht Gesamtrechtsnachfolger der Erblasserin seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.

Die Kläger hätten aufgrund der Legate einen Anspruch gegen die Erben, nicht gegen den Beklagten. Aus den von den Klägern genannten Entscheidungen 2 Ob 2226/96h und 4 Ob 504/93 könne nichts Gegenteiliges abgeleitet werden, da die Kläger Leistung begehrten und nicht wie in 4 Ob 504/93 die Feststellung, dass bestimmte Sparbücher zum Nachlass gehörten. Der Anspruch lasse sich auch nicht nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation begründen. Auch wenn aufgrund der Formulierung des Vermächtnisses absehbar sei, dass sich der allfällige Schaden bei den Klägern „niederschlagen“ würde, spiegle ihre „Rechtsposition“ dies noch nicht wider. Ihre rechtliche Stellung sei nicht „exakt“ mit der eines Leasingnehmers oder Käufers zu vergleichen, der bereits die Preisgefahr trage. Gegen eine Drittschadensliquidation spreche auch § 664 ABGB, wonach der Vermächtnisnehmer beim Legat einer Forderung erst nach deren Abtretung durch den Nachlass oder den Erben gegen den Schuldner vorgehen könne. Die Revision sei zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob Schadenersatzansprüche aus der Schmälerung des Nachlasses der Drittschadensliquidation durch den letztlich allein davon betroffenen Legatar unterliegen könnten.

In der Revision machen die Kläger geltend, es habe eine bloße Schadensverlagerung stattgefunden. Daher verfügten sie nach der Rechtsprechung zur Drittschadensliquidation über einen eigenen Schadenersatzanspruch und der Beklagte sei sohin „passiv klagslegitimiert“.

Der Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig ; sie ist auch berechtigt .

1. Die Kläger stützen sich auf die Rechtsprechung zur Drittschadensliquidation. Das Berufungsgericht hat die Rechtslage insofern an sich richtig dargestellt.

1.1. Grundsätzlich kann zwar nur der unmittelbar Geschädigte Ersatz verlangen, nicht ein bloß mittelbar geschädigter Dritter ( Karner in KBB 5 § 1295 Rz 13; Kodek in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.02 § 1295 Rz 39). Anderes gilt aber dann, wenn beim unmittelbar Geschädigten kein Vermögensnachteil eintritt, weil ein Dritter aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen zum Geschädigten das wirtschaftliche Risiko zu tragen hatte ( Reischauer in Rummel ³ § 1295 Rz 27 ff; Karner in KBB 5 § 1295 ABGB Rz 17; Lukas , Von liquidierbaren Drittschäden, anzurechnenden Vorteilen und unechten Gesamtschulden, JBl 1996, 481, 484 ff; Apathy , Drittschadensliquidation, JBl 2009, 69; RIS-Justiz RS0022608; RS0022578 [T4]; RS0022612 [T4]). In solchen Fällen ist ein Anspruch des Dritten begründet, weil wegen der bloßen Schadensverlagerung keine Ausuferung der Ersatzpflicht droht und eine Entlastung des Schädigers, die mit dem Innenverhältnis zwischen dem unmittelbar Geschädigten und dem Dritten begründet würde, Grundwertungen des Schadenersatzrechts widerspräche ( Apathy , JBl 2009, 74 mwN). Die Drittschadensliquidation erfasst (nur) jenen Schaden, der typischerweise beim unmittelbar Geschädigten eintritt, im besonderen Fall aber durch ein Rechtsverhältnis auf einen Dritten überwälzt wird (4 Ob 525/85, SZ 58/202; RIS-Justiz RS0022608; zuletzt etwa 4 Ob 46/12m, SZ 2012/78).

1.2. Anwendungsfälle dieser Drittschadens-liquidation sind die Lohnfortzahlung (RIS-Justiz RS0043287), die Überwälzung von Kosten auf den Leasingnehmer bei Beschädigung des Leasingobjekts (RIS Justiz RS0020815; RS0050071), Gefahrtragungsregeln bei Kauf- oder Werkverträgen (RIS Justiz RS0022563) oder Fälle mittelbarer Stellvertretung im Frachtrecht (4 Ob 2336/96z, SZ 69/266). Im Schrifttum wird darüber hinaus der Fall genannt, dass eine geschenkte oder vermachte Sache vor deren Übergabe beschädigt oder zerstört wird, sodass der Erbe oder Schenker keinen subjektiv-konkreten Schaden erleidet, der Legatar oder Beschenkte aber noch kein Eigentum erworben hatte ( Apathy , JBl 2009, 74).

2. Auf dieser Grundlage ist die Aktivlegitimation der Kläger zu bejahen.

2.1. Die Erblasserin hatte den Klägern ein Geldlegat ausgesetzt, das als unechtes Gattungsvermächtnis (dazu Welser in Rummel/Lukas 4 §§ 656–659 Rz 5 f mwN) ausgestaltet war: Der Anspruch gegen den Nachlass bzw die Erben bestand nur in jenem Ausmaß, in dem das im Nachlass vorhandene „Barvermögen“ die Erblasser- und Erbgangschulden überstieg. Damit war das Vermächtnis gegenstandslos, soweit kein über die Schulden hinausgehendes Barvermögen gefunden wurde ( Welser aaO Rz 6; 2 Ob 162/52, SZ 25/203; RIS-Justiz RS0012607). Auf dieser Grundlage trugen ausschließlich die Kläger das Risiko einer Verminderung des Nachlasses durch rechtswidrige Handlungen eines Dritten, während der Nachlass bzw die Erben dadurch nicht (konkret) geschädigt waren, denn die entzogenen Vermögenswerte wären auch bei Unterbleiben der rechtswidrigen Handlungen nicht an sie, sondern an die Kläger gefallen.

2.2. Das Risiko der Nichtrückgabe der strittigen Vermögenswerte (Sparbücher) wurde daher durch die letztwillige Verfügung von den unmittelbar Berechtigten (Nachlass, Erben) auf die Kläger überwälzt. Damit sind die Voraussetzungen für eine Drittschadensliquidation erfüllt. Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass der Schaden zunächst unmittelbar bei der Erblasserin eingetreten sei. Zwar hätte die Erblasserin aufgrund des (behaupteten) Treuhandauftrags einen eigenen Anspruch auf Herausgabe der Guthaben gehabt. Mit ihrem Tod ging aber das mit der Durchsetzung dieses Anspruchs verbundene Risiko aufgrund der letztwilligen Verfügung nicht auf die Erben, sondern auf die Kläger über. Denn nur diesen käme die Erfüllung des Anspruchs zugute, während sich die Lage der Erben weder durch Erfüllung noch durch Nichterfüllung änderte. Der durch die Nichtrückgabe verursachte Schaden fällt damit ausschließlich den Klägern zur Last. Bei wertender Betrachtung ist daher auch in diesem Fall eine Schadensverlagerung anzunehmen, die nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation einen Anspruch der Kläger begründet.

2.3. Zwar könnten daneben auch dingliche Herausgabeansprüche des Nachlasses bzw der Erben existieren. Das steht aber einem Schadenersatzanspruch der Kläger nicht entgegen. Denn beim Entzug einer Sache können sachenrechtliche und schuldrechtliche Ansprüche konkurrieren ( Kodek in Klang 3 § 366 Rz 35 mwN), wobei diese Ansprüche auch verschiedenen Personen zustehen können. So könnte etwa ein Leasingnehmer nach einem Diebstahl die Rückgabe der Sache (auch) im Weg der schadenersatzrechtlichen Naturalrestitution begehren, während der Leasinggeber einen Herausgabeanspruch aufgrund seines Eigentums geltend machen könnte. Ebenso wäre der Beklagte im vorliegenden Fall – bei Zutreffen der Klagebehauptungen – unter Umständen Ansprüchen von mehreren Seiten ausgesetzt. Es ist aber nicht erkennbar, weshalb einer dieser Ansprüche den anderen ausschließen sollte. Über das Verhältnis der Ansprüche zueinander ist hier nicht zu entscheiden.

3. Entgegen der Annahme der Vorinstanzen haben die Kläger daher ein schlüssiges Vorbringen zum Vorliegen eines Schadenersatzanspruchs erstattet. Dies führt zur Zurückverweisung in die erste Instanz. Im fortgesetzten Verfahren ist die Behauptung der Kläger, der Beklagte habe der Erblasserin die strittigen Vermögenswerte rechtswidrig entzogen, inhaltlich zu prüfen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.

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