JudikaturJustiz1Ob85/08v

1Ob85/08v – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gabriela R*****, vertreten durch Gabler Gibel Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Karl H*****, vertreten durch Dr. Raimund Hora, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung und Unterlassung (Streitwert 10.000 EUR) sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Jänner 2008, GZ 40 R 276/07w 23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 8. August 2007, GZ 30 C 88/06s 17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen deren mit 742,27 EUR (darin enthalten 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin als Liegenschaftseigentümerin begehrte, ihren beklagten Sohn zu verpflichten, sein Zimmer und die von ihm genutzten Räume in seinem Elternhaus von eigenen Fahrnissen geräumt zu übergeben und es zu unterlassen, die sonstigen Räume des Hauses zu benützen und die Liegenschaft zu betreten. Der Beklagte sei selbsterhaltungsfähig und habe keinen Rechtsanspruch auf Benützung der Räumlichkeiten.

Der Beklagte stützte seinen Anspruch auf Benützung des Hauses darauf, dass darin die Ehewohnung seiner Eltern liege und dass sein Vater, gegen den er (ebenfalls) einen Unterhaltsanspruch habe, die Räumung nicht „mittrage", zumal zwischen der Klägerin und ihrem Gatten seinem Vater - ein Ehescheidungsverfahren anhängig sei, wobei über die Aufteilung der Ehewohnung noch nicht entschieden worden sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab, weil der Beklagte einen von seinem Vater aus § 97 ABGB abgeleiteten Anspruch auf Benützung der vormaligen Ehewohnung der Eltern habe. Die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beklagten hindere den Anspruch nach § 97 ABGB nicht und erlösche dieser erst bei Auflösung der Ehe der Eltern. Dass der Vater des Beklagten und (noch) Ehegatte der Klägerin bis zur Beendigung des anhängigen Scheidungsverfahrens von der Liegenschaft weggewiesen sei, ändere daran nichts.

Das Berufungsgericht gab der Klage statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der über eigenes Einkommen und eine eigene Wohnung verfügende großjährige Beklagte habe gegen seine Eltern keinen Anspruch auf Wohnversorgung. § 97 ABGB gewähre dem Beklagten keinen Anspruch gegen die Klägerin. Auch wenn der Vater die Räumungsklage nicht „mittrage" - immerhin sei er nicht Eigentümer der Liegenschaft -, habe er keinen Anspruch, dass sein Sohn die Liegenschaft benutze. Der Entscheidung 1 Ob 212/03p sei ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Die Klägerin sei Eigentümerin der Liegenschaft und habe nach § 366 ABGB das Recht, jeden anderen von der Benützung ihres Hauses auszuschließen. Dieses absolute Recht der Eigentümerin sei durch obligatorische oder gesetzliche Ansprüche des Beklagten nicht beschränkt. Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Frage, ob ein großjähriges, selbsterhaltungsfähiges Kind den Anspruch eines Elternteils nach § 97 ABGB dem anderen, die Wohnung innehabenden, ein gemeinsames Wohnen mit dem Kind ablehnenden Elternteil entgegenhalten könne, keine eindeutige höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Der Beklagte stützt seinen Benutzungsanspruch auf die eheliche Gebrauchsordnung im Sinn des § 91 ABGB zwischen seinen Eltern. Dass die eheliche Gebrauchsordnung der Ehegatten nicht einseitig zu Lasten der Kinder abgeändert werden könne, ergebe sich auch aus § 83 Abs 1 EheG. Dabei sei irrelevant, dass die Klägerin Alleineigentümerin der Liegenschaft sei. In Bezug auf § 97 ABGB „könnte dem Berufungsgericht Recht gegeben werden", wenn diese Bestimmung nicht als taugliche Grundlage für die Benutzung der Wohnung durch den Beklagten angesehen werde. Schließlich sei aber doch auf § 97 ABGB „abzustellen", weil nach der Entscheidung 1 Ob 212/03p das Recht auf Beibehaltung der Ehewohnung auch den Weiterverbleib eines volljährigen, selbsterhaltungsfähigen Kindes im bisherigen Umfang decken könne.

2. Vereinbarungen über die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft können zwischen den Ehegatten ausdrücklich oder konkludent, insbesondere durch langjährige einvernehmliche Lebenspraxis zustandekommen. Solche Vereinbarungen betreffend die rein persönlichen Rechte und Pflichten der Ehegatten sind im Gegensatz zu vermögensrechtlichen Vereinbarungen idR nicht direkt gerichtlich durchsetzbar ( Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth , EheG, § 91 ABGB Rz 7). Die Verletzung des Einvernehmlichkeitsgebots steht grundsätzlich nur unter Scheidungssanktion. Eine bestimmte Gestaltung kann nicht gerichtlich erzwungen und ein nicht vom Einvernehmen der Ehegatten getragenes Verhalten kann nicht durch Unterlassungsklage abgestellt werden ( Stabentheiner in Rummel3 § 91 ABGB Rz 7).

§ 91 ABGB bietet dem Beklagten somit keine Handhabe zur Durchsetzung eines Benutzungsrechts an der Ehewohnung seiner Eltern. Dasselbe gilt für § 83 Abs 1 EheG, zumal hier keine Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse vorzunehmen ist.

3. Den Kindern des verfügungsberechtigten Ehegatten steht grundsätzlich kein Anspruch aus § 97 ABGB zu (RIS Justiz RS0035106).

In der Entscheidung 1 Ob 212/03p wies der Oberste Gerichtshof allerdings die Räumungsklage des aus der seinerzeitigen Ehewohnung ausgezogenen geschiedenen Ehegatten der Mutter der dort Beklagten - seiner Tochter gegen diese mit der Begründung ab, dass sein Eigentumsrecht an der vormaligen Ehewohnung durch die eherechtlichen Ansprüche des anderen (vormaligen) Ehegatten - aufgrund des § 97 ABGB - und das daraus durch dessen Gestattung abgeleitete Recht der Beklagten auf Benutzung dieser Wohnung beschränkt werde.

Im Unterschied dazu verfügt beim hier gegebenen Sachverhalt der Vater des Beklagten selbst (derzeit) über keinen Anspruch im Sinne des § 97 ABGB, zumal ihm mittels einer im Rahmen des Scheidungsverfahrens erlassenen einstweiligen Verfügung der Aufenthalt auf der gegenständlichen Liegenschaft, die von der Klägerin bewohnt wird, untersagt wurde. Aus der genannten Entscheidung kann daher für den Beklagten nichts gewonnen werden, zumal sein Vater - von dem der Beklagte das von ihm behauptete Recht ableitet - seinen Wohnungserhaltungsanspruch gemäß § 97 ABGB verwirkte (vgl Schwimann/Ferrari in Schwimann , ABGB3 § 97 Rz 14).

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Elternteil schließlich zur „Entfernung" eines volljährigen Kindes aus der Wohnung befugt, wenn er Hauptmieter (gleiches muss für den Eigentümer gelten) der Wohnung ist und diese selbst bewohnt . Er ist aber dazu nicht befugt, wenn er die eheliche Wohnung verlässt (verlassen muss) und diese dem anderen Gatten zur Benutzung überlässt bzw (aufgrund gerichtlicher Anordnung) überlassen muss. Das Kind leitet in jenem Fall - wenn der Familienverband gelöst und die Wohnung dem anderen Gatten überlassen ist - seine Befugnis zum Wohnen von diesem ab (RIS Justiz RS0047090).

Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Somit steht dem volljährigen (und selbsterhaltungsfähigen) Kind kein Anspruch auf Benutzung der bisherigen Ehewohnung seiner Eltern zu, wenn der Elternteil, von dem es sein Recht ableitet, diese Wohnung - im Gegensatz zum klagenden Elternteil - selbst nicht mehr bewohnt, weil er seinen Wohnungserhaltungsanspruch gemäß § 97 ABGB verwirkte.

Der Revision des Beklagten ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50 und 41 ZPO.

Rechtssätze
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