JudikaturJustiz1Ob6/90

1Ob6/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. April 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verlassenschaft nach Maria K***, verstorben am 27. Jänner 1988, vertreten durch den erbserklärten Erben Dr. Wilhelm K***, Strafgefangener, Wien 5., Mittersteig 25, dieser vertreten durch Dr. Helmut Mühlgassner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen S 400.000,-- samt Anhang infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 4.Dezember 1989, GZ 14 Nc 45/89-2, womit zur Verhandlung und Entscheidung in der Rechtssache gegen die beklagte Partei gemäß § 9 Abs 4 AHG das Landesgericht St. Pölten bestimmt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag auf Zuspruch von Rekurskosten wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Die klagende Partei brachte gegen die beklagte Partei sowie gegen Dr. Herbert G***, Rechtsanwalt in Wien 6., und Mag. Walter S***, Immobilienverwalter in Wien 1., eine auf Zuspruch des Betrages von 400.000 S samt Anhang zur ungeteilten Hand gerichtete Klage ein. Die klagende Partei nimmt die Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung in Anspruch. Zu 1 E 115/83 des Bezirksgerichtes Fünfhaus sei gegen Maria K*** ein Zwangsversteigerungsverfahren in Ansehung ihrer 137/8983-Anteile an der Liegenschaft EZ 1081 KG Meidling Haus Meidlinger Hauptstraße 84, mit welchen Anteilen das Wohnungseigentum an der Wohnung Stiege I top.Nr. 44 und dem Kfz-Einstellplatz Nr. 2 untrennbar verbunden gewesen sei, anhängig gewesen. Mag. Walter S*** sei als Sachverständiger zur Ermittlung des Schätzwertes der Liegenschaftsanteile beigezogen worden. Er habe aufgrund eines unrichtigen und fehlerhaften Gutachtens einen Schätzwert von S 608.000 ermittelt. Dagegen hätte die Verpflichtete Erinnerungen erhoben und vorgebracht, der Schätzwert betrage S 1,250.000. Das Bezirksgericht Fünfhaus habe einzig und allein aufgrund des fehlerhaften Gutachtens des Mag. Walter S*** ungeachtet dieser Erinnerungen den Schätzwert mit Beschluß vom 3.6.1985 mit S 608.500 bestimmt. Einem Rekurs der Maria K*** sei mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 25.7.1986, 46 R 447/86, mit unvertretbarer und daher haftungsbegründender Begründung nicht Folge gegeben worden. Die Liegenschaftsanteile seien schließlich um das Meistbot von S 620.000 zugeschlagen worden. Bei Ermittlung eines marktgerechten Schätzwertes wäre das Meistbot um S 400.000 höher gewesen. Dr. Herbert G*** habe Maria K*** im Exekutionsverfahren anwaltlich vertreten. Ihm sei zur Last zu legen, daß ihm bei Erhebung des Rekurses gegen die Bestimmung des Schätzwertes ein Fehler unterlaufen sei sowie daß er einen Antrag auf neuerliche Schätzung unterlassen habe. Schon in der Klage führte die klagende Partei aus, ein Antrag nach § 9 Abs 4 AHG werde nicht gestellt. Es sei zwar richtig, daß Amtshaftungsansprüche auch aus der Tätigkeit des Landesgerichtes für ZRS Wien abgeleitet werden, doch ergebe sich aus § 21 Abs 2 JN, daß auf die Geltendmachung eines gesetzlichen Ausschließungsgrundes verzichtet werden könne. Da gegen die Unparteilichkeit der zur Behandlung der Amtshaftungsklage berufenen Richter des Landesgerichtes für ZRS Wien nicht der mindeste Zweifel obwalte, bedürfe es daher nach Meinung der klagenden Partei keiner Verfügung nach § 9 Abs 4 AHG.

Das Landesgericht für ZRS Wien legte die Akten dem Oberlandesgericht Wien mit dem Ersuchen um Delegierung nach § 9 Abs 4 AHG vor.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Wien zur Verhandlung und Entscheidung in der gegen die Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung gerichteten Rechtssache das Landesgericht St. Pölten bestimmt. Die Auffassung der klagenden Partei, daß es einer solchen Zuständigkeitsbestimmung nicht bedürfe, weil sie die Unparteilichkeit der zur Behandlung der Amtshaftungsklage berufenen Richter in Zweifel ziehe, und gemäß § 21 Abs 2 auf die Geltendmachung des gesetzlichen Ausschließungsgrundes verzichtet werden könne, sei unrichtig. Sie übersehe, daß eine solche Delegierung auch ohne Anzeige der Parteien, also von Amts wegen, vorzunehmen sei. Die Vorschrift des § 9 Abs 4 AHG habe zwingenden Charakter. Richter eines Gerichtshofes sollten nicht über Amtshaftungsansprüche entscheiden, die das Verhalten irgendeines Mitgliedes desselben Gerichtshofes zum Gegenstand hätten.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der klagenden Partei ist nicht berechtigt. Es ist zulässig, neben dem aus dem Titel der Amtshaftung in Anspruch genommenen Rechtsträger auch weitere Mitschädiger aus einem anderen Rechtstitel zu klagen. In einem solchen Fall liegt eine subjektive Klagehäufung aufgrund einer formellen Streitgenossenschaft vor (Vrba-Zechner, Kommentar zum Amtshaftungsrecht, 232; Böhm in Aicher, Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben 251; Matscher in JBl. 1974, 610). Jede - auch die subjektive - Klagehäufung kann unanfechtbar (§ 192 Abs 2 ZPO) gemäß § 188 ZPO getrennt werden (Fasching, Kommentar II 895); dies gilt auch für in einer Klage gegen den Rechtsträger und weitere Mitschädiger geltend gemachten Ansprüche (Matscher aaO 611). Formelle Streitgenossenschaft begründet nicht den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach § 93 JN (SZ 60/277; SZ 59/205; SZ 56/162 ua; Fasching, Lehrbuch2 Rz 304), sodaß der klagenden Partei durch die Trennung infolge notwendiger Delegierung ein einheitlicher Gerichtsstand nicht genommen werden konnte.

Die Vorschrift des § 9 Abs 4 AHG bildet den Anwendungsfall einer notwendigen Delegierung wegen Ausfalles des an und für sich zuständigen Gerichtes (Fasching aaO Rz 208). Sie ist, wie schon die Formulierung des § 9 Abs 4 AHG zeigt, zwingender, der Parteidisposition entzogener Natur (vgl. Böhm aaO 254). Die Voraussetzungen nach § 9 Abs 4 AHG sind aber auch, entgegen den Rekursausführungen, gegeben. Wird wie hier der Amtshaftungsanspruch aus einem kollegialen Beschluß eines Landesgerichtes abgeleitet, ist es irrelevant, ob zum Zeitpunkt der Einbringung der Amtshaftungsklage die Richter des kollegialen Organs noch beim angerufenen Gericht ihren Dienst versehen.

Der Anspruch auf Zuspruch von Rekurskosten war abzuweisen, da ein Kostenersatz dem ohne Beteiligung der Gegenpartei durchgeführten amtswegigen Delegierungsverfahren fremd ist.