JudikaturJustiz1Ob243/22z

1Ob243/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. G*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei Land Oberösterreich, Linz, Landhausplatz 1, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts GmbH in Linz, wegen 12.710,72 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. September 2022, GZ 4 R 94/22d 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 13. April 2022, GZ 31 Cg 32/21y 9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 782,70 EUR sowie der Nebenintervenientin die mit 939,24 EUR (darin 156,54 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger leitet daraus Amtshaftungsansprüche ab, dass ihm bei einer Verkehrskontrolle am 28. 4. 2019 aufgrund von in seinem Fahrzeug verbauten Sensoren eines nach § 98a KFG verbotenen „Radarblockers“ das Weiterfahren untersagt und diese beschlagnahmt worden seien. Tatsächlich wären die Sensoren mangels Steuergeräts nicht geeignet gewesen, Radarmessungen zu stören. Das gegen die sicherheitsbehördlichen Zwangsmaßnahmen angerufene Landesverwaltungsgericht habe die Beschlagnahme, nicht aber die Untersagung der Weiterfahrt als rechtswidrig beurteilt. Letzteres sei erst vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen worden. Der Kläger begehrt den Ersatz der ihm entstandenen Verfahrenskosten.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung der Klage, weil die von den Organen im Anlassverfahren zugrundegelegte Rechtsansicht vertretbar gewesen sei. Die Revision sei zulässig, weil auch „argumentiert werden könnte“, dass diese dabei vom klaren Gesetzeswortlaut des § 98a KFG abgewichen seien.

Rechtliche Beurteilung

[3] Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch – ist die Revision des Klägers mangels Darlegung einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig .

[4] 1. Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sie lieg en nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[5] 2. Dass das Berufungsgericht Feststellungen zum vor dem Verwaltungsgerichtshof geführten Revisionsverfahren unrichtig wiedergab, beruhte auf einem bloßen Schreibfehler.

[6] 3. Die Relevanz (RS0043265; RS0043367 [T1]) der behaupteten Aktenwidrigkeit zum Charakter eines 2018 (also vor dem hier strittigen Vorfall) beschlagnahmten Steuergeräts legt der Kläger nicht dar; sie ist auch nicht ersichtlich. Die diesbezüglichen Ausführungen der Revision können daher keine erhebliche Rechtsfrage begründen.

[7] 4. Für die Beurteilung der Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs kommt es nicht wie im Rechtsmittelverfahren auf die Richtigkeit eines Organverhaltens an. Sind gesetzliche Bestimmungen nicht eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und besteht auch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung, ist vielmehr maßgeblich, ob das Verhalten rechtlich vertretbar war (RS0049951; RS0049955 [insb T7]; RS0050216 [T2; T7]). Eine vertretbare Rechtsauffassung kann auch dann keinen Amtshaftungsanspruch begründen, wenn sie von der höheren Instanz nicht gebilligt wird (RS0049955). Ob eine behördliche Maßnahme rechtlich vertretbar war, ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen und begründet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine solche könnte sich nur bei einer – hier nicht anzunehmenden – klaren Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht ergeben (RS0110837).

[8] 5. Gemäß § 98a Abs 1 KFG in der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des BGBl I 2017/9 dürften Geräte oder Gegenstände, mit denen technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung beeinflusst oder gestört werden können, an Kraftfahrzeugen weder angebracht noch in solchen mitgeführt werden. Abs 3 Satz 1 leg cit berechtigte die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der Straßenaufsicht, Zwangsmaßnahmen zur Verhinderung der Weiterfahrt zu setzen, bis diese Geräte oder Gegenstände ausgebaut waren , wenn sie an oder in Fahrzeugen entdeckt wurden. Nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung waren diese Geräte oder Gegenstände für verfallen zu erklären.

[9] 6. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen wurden am Fahrzeug des Klägers Sensoren eines „Laserblockers“ und im Fahrzeug – ersichtlich dem Anschluss eines Steuergeräts dienende – Kabel mit Steckverbindungen vorgefunden. Wenngleich kein Steuergerät aufgefunden werden konnte, steht somit fest, dass die Sensoren durch Anschluss eines solchen einsatzbereit gemacht und zur Störung oder Beeinflussung von Radarmessgeräten verwendet werden hätten können. Dies bestreitet der Revisionswerber auch gar nicht, vielmehr behauptet er nur, dass die Sensoren ohne Verwendung eines geeigneten Steuergeräts nicht zur Beeinflussung oder Störung von Radargeräten geeignet gewesen wären. Davon ging das Berufungsgericht aber ohnehin aus.

[10] 7. Dem bei der Verkehrskontrolle am 28. 4. 2019 ausgesprochenen Verbot, mit den im Fahrzeug verbauten Sensoren weiterzufahren, lag erkennbar die Rechtsansicht zugrunde, dass auch einzelne Bestandteile von Geräten oder Gegenständen iSd § 98a Abs 1 KFG vom Verbot nach dieser Bestimmung erfasst seien (die von einem Polizisten gegenüber dem Kläger – nach dessen Behauptung – geäußerte abweichende Meinung wurde der Amtshandlung nicht zugrunde gelegt). Auch das vom Kläger angerufene (der Beklagten funktionell zuzurechnende; vgl 1 Ob 115/22a) Landesverwaltungsgericht vertrat in seiner Entscheidung vom 3. 12. 2019 diese Rechtsansicht und ließ zu dieser Frage die Revision zu.

[11] Bereits in seinem zu Ra 2019/02/0069 ergangenen Erkenntnis vom 17. 6. 2019, auf welches das Landesverwaltungsgericht im Anlassverfahren Bezug nahm, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass sich aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 98a Abs 1 KFG ergebe, dass für die Anwendbarkeit dieser Bestimmung nur maßgeblich sei, ob Geräte oder Gegenstände im Sinn dieser Bestimmung geeignet sind, technische Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung zu beeinflussen oder zu stören. Darauf, ob dies tatsächlich erfolgte, das Gerät oder der Gegenstand also in Betrieb genommen wurde, komme es nicht an (ebenso Ra 2020/02/0063 sowie im Anlassverfahren Ro 2020/11/0005). Zur Frage, wann ein Gerät oder Gegenstand iSd § 98a Abs 1 KFG eine Eignung zur Beeinflussung oder Störung von Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung aufweist, nahm der Verwaltungsgerichtshof erstmals in seinem Erkenntnis vom 13. 10. 2020 zu Ra 2020/02/0063 Stellung. Danach reicht es für eine Eignung eines Geräts zur Störung oder Beeinflussung einer Lasermessung noch nicht aus, dass dieses erst durch weitere am Tatort und zur Tatzeit nicht verfügbare technische Maßnahmen in die Lage versetzt werden muss, solche Störungen oder Beeinflussungen herbeizuführen, es also nicht ohne weiteres – etwa mittels eines im Fahrzeug angebrachten Schalters – in Betrieb genommen werden kann. Dieser Ansicht schloss er sich auch in der im Anlassverfahren ergangenen Entscheidung vom 23. 2. 2021 zu Ro 2020/11/0005 an (ebenso zu Ra 2020/02/0084).

[12] Woraus der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsansicht ableitete, kann den genannten Entscheidungen nicht eindeutig entnommen werden. Der Wortlaut des § 98a Abs 1 KFG beschreibt die erforderliche Eignung eines Gegenstands oder Geräts zur Beeinflussung oder Störung von Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung jedenfalls nicht näher. Auch den vom Verwaltungsgerichtshof herangezogenen Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung (ErlRV 1359 BlgNR 25. GP 7) ist nur zu entnehmen, dass „Geräte oder Vorrichtungen“ iSd § 98a KFG weder an Fahrzeugen angebracht noch mitgeführt werden dürfen. Ob dies auch für bloße Sensoren gilt, die unter Verwendung eines Steuergeräts zur Beeinflussung oder Störung von Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung genutzt werden können, ergibt sich daraus nicht.

[13] Dass der Verwaltungsgerichtshof das in § 98a Abs 1 KFG nicht näher bestimmte Kriterium der „Eignung von Geräten oder Gegenständen zur Beeinflussung oder Störung technischer Einrichtungen zur Verkehrsüberwachung“ nach der strittigen Amtshandlung anders auslegte als die Behörden im Anlassverfahren, lässt deren Rechtsansicht noch nicht als unvertretbar erscheinen. Der Gesetzgeber erkannte selbst, dass der Anwendungsbereich des § 98a KFG nicht klar abgegrenzt war, weshalb er mit dem durch BGBl I 2020/134 neu eingefügten Abs 4 leg cit klarstellte, dass auch das Anbringen oder Mitführen von Gerätekomponenten der in § 98a Abs 1 KFG beschriebenen Geräte oder Gegenstände verboten sei. Wenngleich die Vertretbarkeit einer behördlichen Maßnahme im Amtshaftungsverfahren ex ante zu beurteilen ist (1 Ob 171/21k ua), spricht auch dies dafür, dass bei der Auslegung dieser Bestimmung ein Interpretationsspielraum bestand. Dass das Berufungsgericht davon ausging, die Organe im Anlassverfahren hätten diesen nicht überschritten, begegnet keinen vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifenden Bedenken.

[14] 8. Der Verfall von Gegenständen kann als Strafe oder als bloße Sicherungsmaßnahme normiert sein. Der konkrete Zweck ist anhand der jeweiligen materiellen Verwaltungsvorschriften zu bestimmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob der Verfall unmittelbar an eine Verwaltungsübertretung anknüpft und eine Sanktion für diese darstellt (VwGH Ra 2022/02/0179). Handelt es sich um eine Strafe, ergibt sich die Möglichkeit zur Beschlagnahme aus § 39 VStG.

[15] Die – zum Zeitpunkt der Kontrolle des Fahrzeugs des Klägers offenbar der gängigen Praxis entsprechende (vgl Denk/Greifeneder , Polizeiliches Vorgehen bei der Sicherstellung von Radar- und Laserblockern, SIAK Journal 2021, 77 [78]) – Beschlagnahme der Sensoren beruhte ersichtlich auf § 39 VStG iVm § 98a Abs 3 KFG. Ob die letztgenannte Bestimmung den Verfall als Strafe anordnete, sodass eine Beschlagnahme nach § 39 VStG erfolgen durfte, oder ob dieser vom Gesetzgeber als bloße Sicherungsmaßnahme gedacht war, konnte ihrem Wortlaut nicht entnommen werden (vgl Denk/Greifeneder aaO 79). Auch die Gesetzesmaterialien (ErlRV 1359 BlgNR 25. GP 7) enthielten dazu keine Aussage. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage bestand zum Zeitpunkt der Beschlagnahme am 28. 4. 2019 nicht. Dass es das Berufungsgericht mangels eindeutiger gesetzlicher Bestimmung und fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung als rechtlich vertretbar ansah, dass die Sicherheitsorgane im Anlassverfahren von der Zulässigkeit einer Beschlagnahme ausgingen, begründet daher keine vom Fachsenat aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[16] Dass der Verwaltungsgerichtshof den in § 98a Abs 3 KFG angeordneten Verfall nach der hier zu beurteilenden Amtshandlung vom 28. 4. 2019 als bloße – eine Beschlagnahme nach § 39 VStG ausschließende – Sicherungsmaßnahme qualifizierte (VwGH 21. 4. 2021, Ra 2020/02/0064; ebenso VwGH 19. 7. 2021, Ra 2020/02/0084), ändert nichts an der zuvor bestehenden unklaren Rechtslage. Diese erkannte auch der Gesetzgeber, der mit der 39. KFG-Novelle (BGBl I 2020/134) den Strafcharakter des Verfalls von Geräten oder Gegenständen iSd § 98a Abs 1 KFG dadurch klarstellte, dass er diesen in den Strafkatalog des § 134 Abs 8 KFG aufnahm (vgl auch die ErlRV 411 BlgNR 27. GP 6).

[17] 9. Daraus, dass auch die Landespolizeidirektion gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts – zur Frage der Zulässigkeit der Beschlagnahme – eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben hat, leitete der Kläger in erster Instanz keine Amtshaftungsansprüche ab. Sein diesbezügliches Revisionsvorbringen verstößt daher gegen das Neuerungsverbot.

[18] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 50 ZPO. Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen.

Rechtssätze
6