JudikaturJustiz1Ob233/22d

1Ob233/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des J*, geboren am *, vertreten durch die Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 6. September 2022, GZ 3 R 219/22m 42, mit dem sein Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 15. Juli 2022, GZ 6 P 3/21m 35, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben und diesem die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Betroffenen unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Für den Betroffenen wurde für bestimmte Angelegenheiten – insbesondere zur Verwaltung seines Einkommens und Vermögens; zur Vertretung bei über alltägliche Geschäfte hinausgehenden Rechtsgeschäften; zur Vertretung gegenüber Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern; konkret auch zur „Prüfung und gegebenenfalls Rückabwicklung“ von Schenkungen von Liegenschaften auf den Todesfall an seinen Enkel – ein Rechtsanwalt zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellt. Dieser beantragte beim Erstgericht die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klage des Betroffenen gegen seinen Enkel, mit der zwei Schenkungen auf den Todesfall (über Anteile an zwei Liegenschaften) angefochten werden sollen.

[2] Das Erstgericht genehmigte die Klageführung.

[3] Das Rekursgericht wies den dagegen vom Betroffenen erhobenen Rekurs, den er durch einen frei gewählten Rechtsanwalt (somit nicht durch den Erwachsenenvertreter) eingebracht hatte, zurück. Voraussetzung für die wirksame Bevollmächtigung des einschreitenden Rechtsanwalts wäre gewesen, dass der Betroffene bei Erteilung der Vollmacht fähig war, deren Zweck zu erkennen. Dies sei nach den erstinstanzlichen Feststellungen (im Beschluss über die Bestellung des Erwachsenenvertreters) nicht anzunehmen. Dem für den Betroffenen im Rekursverfahren einschreitenden Rechtsanwalt fehle es daher an einer wirksam erteilten Vollmacht.

[4] Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

[5] Dagegen erhob der anwaltlich vertretene Betroffene einen außerordentlichen Revisionsrekurs , in dem im Wesentlichen ausgeführt wird, dass ihm die Fähigkeit zur Erteilung einer Vollmacht zur Vertretung im Erwachsenenschutzverfahren nicht (gänzlich) gefehlt habe.

[6] Über Auftrag des Gerichts legte der anwaltliche Vertreter des Betroffenen eine schriftliche „Prozessvollmacht“ vor und gab bekannt, dass ihm diese am 12. 8. 2021 vom Betroffenen erteilt worden sei.

[7] Der Erwachsenenvertreter äußerte sich zum Revisionsrekurs sowie zur Vollmachtsvorlage zusammengefasst dahin, dass dem anwaltlichen Vertreter des Betroffenen keine Rechtsmittellegitimation zukomme, er der Erhebung des Revisionsrekurses nicht zugestimmt und der Betroffene die erforderliche Fähigkeit zur Erteilung der Vollmacht nicht aufgewiesen habe.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt , weil dieses die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur wirksamen Vollmachtserteilung durch einen Betroffenen falsch angewendet hat.

[9] 1. Vorauszuschicken ist, dass die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klageführung über ein Vermögensrecht rein vermögensrechtlicher Natur iSd § 59 Abs 2 AußStrG 2005 ist (RS0109789). Obwohl das Rekursgericht den daher erforderlichen Bewertungsausspruch unterließ, ist eine Rückstellung an dieses Gericht (vgl RS0007073) jedoch entbehrlich. Der Wert des zweitinstanzlichen Entscheidungsgegenstands überstieg nämlich eindeutig 30.000 EUR (RS0007073 [T7, T10]), was sich schon aus dem Streitwert der zu genehmigenden Klage von 200.000 EUR ergibt.

[10] 2. Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist jeder im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene Beschluss des Rekursgerichts bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage anfechtbar, also auch wenn mit diesem – wie hier – das Rechtsmittel zurückgewiesen wurde (RS0120565 [insb T7, T12]).

[11] 3. Bereits zur Rechtslage vor dem AußStrG 2005 wurde judiziert, dass dem Betroffenen dann, wenn zwischen ihm und dem Sachwalter Uneinigkeit über eine wichtige Frage iSd § 273a Abs 3 ABGB (etwa über die Berechtigung oder Zweckmäßigkeit einer vom Sachwalter beabsichtigten und der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedürfenden Maßnahme) bestehe, ein eigenes Rekursrecht gegen eine darüber ergangene Entscheidung zukomme. Nur dadurch könne eine erhebliche Verletzung seiner Interessen durch Handlungen des gesetzlichen Vertreters bzw durch eine genehmigende Entscheidung des Pflegschaftsgerichts hintangehalten werden (5 Ob 559/94 mwN).

[12] 4. An dieser Rechtsansicht hielt der Oberste Gerichtshof auch nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 fest. Bei Uneinigkeit zwischen dem Betroffenen und dem für ihn bestellten (nunmehr) Erwachsenenvertreter über eine Maßnahme, die der Genehmigung des Pflegschaftsgerichts bedarf, steht dem Betroffenen demnach ein Rekursrecht gegen eine dem Willen des Erwachsenenvertreters folgende gerichtliche Entscheidung auch dann zu, wenn die bekämpfte Entscheidung in dessen Wirkungsbereich fällt (4 Ob 100/09y; RS0124785).

[13] 5. Der Betroffene kann sich bei der Erhebung seines Rekurses auch von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern (nach der Aktenlage) nicht offenkundig ist, dass ihm bei Vollmachtserteilung die Vernunft völlig gefehlt hätte und er nicht fähig gewesen wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen (RS0008539 [insb T11]). Nur bei offenkundig (gänzlich) fehlender Fähigkeit des Betroffenen zu einer solchen Einsicht wäre die Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters unwirksam (5 Ob 36/17f; 6 Ob 99/18d, jeweils mwN; vgl auch 3 Ob 175/12z, wo das Erfordernis der Offenkundigkeit der fehlenden Einsichtsfähigkeit besonders hervorgehoben wird). Entgegen der Stellungnahme des Erwachsenenvertreters wurde der vorliegende Revisionsrekurs vom Betroffenen und nicht von seinem anwaltlichen Vertreter (im eigenen Namen) erhoben; einer Zustimmung durch den Erwachsenenvertreter bedurfte es dazu nicht.

[14] 6. Das Erstgericht hatte in seinem Beschluss, mit dem es für den Betroffenen einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter bestellte, festgestellt, dass bei diesem eine vaskuläre Demenz aufgrund einer chronischen Durchblutungsstörung seines Gehirns besteht. Er zeigt demnach teilweise deutliche kognitive Defizite, ist zeitlich nur zum Teil orientiert und weist Störungen des autobiografischen Gedächtnisses und des Namensgedächtnisses sowie seiner Merk- und Konzentrationsfähigkeit auf. Seine Fähigkeit zum vorausschauenden Denken, Planen und Handeln sowie zur Fehlerkorrektur sind stark beeinträchtigt, ebenso seine Entscheidungsfähigkeit. Aufgrund seiner Demenz ist der Betroffene bei der selbstständigen Erledigung seiner Angelegenheiten zunehmend überfordert.

[15] 7. Dass der Betroffene des Gebrauchs der Vernunft gänzlich beraubt und daher offensichtlich nicht in der Lage wäre, den Zweck und das Wesen einer erteilten (Prozess )Vollmacht zumindest in Grundzügen zu erfassen, kann diesen Feststellungen nicht entnommen werden. Aus dem im Bestellungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten ergibt sich vielmehr, dass der Betroffene bei der Untersuchung durch den Sachverständigen bewusstseinsklar war, er dem Gespräch mit diesem folgen konnte, grundsätzlich adäquate Antworten gab und keine akuten psychotischen Symptome mit inhaltlichen und formalen Denkstörungen bestanden. Der Sachverständige legte in seinem Gutachten auch ausdrücklich dar, dass der Betroffene die Bedeutung und Folgen einer Bevollmächtigung zumindest in Grundzügen verstehen kann. Dass er den Betroffenen im Ergebnis dennoch als nicht „vollmachtsfähig“ ansah (worauf das Rekursgericht seine Entscheidung stützte), muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass der Gutachtensauftrag nur die Beurteilung der Fähigkeit des Betroffenen zur Errichtung einer Vorsorgevollmacht – und nicht auch die hier vorzunehmende Beurteilung eines Mindestmaßes an Einsichtsfähigkeit in das „allgemeine“ Wesen einer Vollmacht – umfasste.

[16] 8. Zusammengefasst ging das Rekursgericht somit zu Unrecht von einer offenkundigen Unfähigkeit des Betroffenen aus, den Zweck der Erteilung der Vollmacht an seinen Rechtsvertreter zumindest in Grundzügen zu erkennen. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben und dem Rekursgericht eine Entscheidung über das Rechtsmittel des Betroffenen unter Abstandnahme vom angezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Rechtssätze
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