JudikaturJustiz1Ob233/02z

1Ob233/02z – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der beim Landesgericht Ried im Innkreis zur AZ 2 Cg 197/02d anhängigen Rechtssache der klagenden Partei Franz P*****, vertreten durch Mag. Josef Hofinger und Dr. Roland Menschik, Rechtsanwälte in Grieskirchen, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 44.959,59 EUR sA und Feststellung (Streitwert 4.000 EUR) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 19. August 2002, GZ 4 Nc 51/02t-3, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss ersatzlos behoben.

Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch von Rekurskosten wird abgewiesen.

II. Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien bestimmt.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte mit der beim Landesgericht Wels eingebrachten Klage die Zuerkennung von 44.959,59 EUR sA und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle zukünftigen Schäden und Nachteile aufgrund seiner Haft vom 24. 4. bis 6. 12. 2001. Das Landesgericht Wels habe über ihn am 26. 4. 2001 die Untersuchungshaft verhängt und diese Haft "trotz 4-maliger Enthaftungsanträge bzw Haftbeschwerden immer wieder fortgesetzt". Er sei von der wider ihn erhobenen Anklage letztlich freigesprochen und danach enthaftet worden.

Das Landesgericht Wels legte den Akt mit Verfügung vom 14. 8. 2002 dem Oberlandesgericht Linz zur Prüfung der Delegierungsfrage vor. Das Oberlandesgericht Linz bestimmte zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache das Landesgericht Ried im Innkreis. Der Kläger mache Ersatzansprüche aus einer strafgerichtlichen Anhaltung geltend, die vom Landesgericht Wels angeordnet worden sei. Dieses Gericht sei daher "gemäß §§ 8 Abs 2 StEG, 9 Abs 4 AHG als Zivilgericht ausgeschlossen". Die Rechtssache sei deshalb an ein anderes Landesgericht zu delegieren.

Der - auch ungeachtet des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zulässige (1 Ob 80/02z) - Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

I. 1. Der Kläger stützt den Klageanspruch ausdrücklich auf § 2 Abs 1 lit b iVm § 1 StEG. Nach dem weiteren Klagevorbringen strebt er die Prüfung dieses Anspruchs jedoch offenkundig nicht nur nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz an. Die Klageerzählung enthält zwar keine Tatsachenbehauptungen, aus denen sich entweder ein bloß rechtswidriges oder ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Organen der beklagten Partei ableiten ließe. Insofern wurde lediglich vorgebracht, der Grund für die Untersuchungshaft des Klägers sei "der Verdacht des versuchten Mordes" gewesen und diese Haft sei "trotz 4-maliger Enthaftungsanträge bzw Haftbeschwerden immer wieder fortgesetzt" worden. Nicht behauptet wurde dagegen, der Tatverdacht sei entweder überhaupt unbegründet gewesen oder die Verdachtslage habe die Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft jedenfalls nicht rechtfertigen können. Vorgebracht wurde jedoch auch, dass die "Voraussetzungen zur Klagsführung gemäß § 8 AHG" vorlägen und sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts "auf § 9 AHG" gründe. Im Übrigen indiziert auch die Geltendmachung eines immateriellen Schadens als Teil des Klagebegehrens, dass der Klageanspruch nicht nur auf das Strafrechtliche Entschädigungsgesetz gestützt wird, ist doch ein immaterieller Schäden gemäß § 1 StEG nicht ersatzfähig (zuletzt so 1 Ob 153/98a mwN). Die Delegierungsfrage ist somit nicht nur nach § 8 Abs 2 StEG, sondern auch nach § 9 Abs 4 AHG zu beurteilen.

I. 2. Wird ein Ersatzanspruch nach dem Strafrechtlichen Entschädigungsgesetz aus der Entscheidung eines Landesgerichts oder Oberlandesgerichts abgeleitet, das nach den Bestimmungen dieses Gesetzes unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wäre, so ist gemäß § 8 Abs 2 dieses Gesetzes ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen. Der Kläger leitet den Ersatzanspruch aus der Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft "trotz 4-maliger Enthaftungsanträge bzw Haftbeschwerden" ab und beruft sich für diese Behauptung auf den Strafakt als Beweismittel. Daraus ergibt sich, dass das Oberlandesgericht Linz Beschwerden des Klägers gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht Folge gab bzw in einem Fall zurückwies. Vor dem Hintergrund des unter 1. referierten weiteren Klagevorbringens wird der erhobene Ersatzanspruch daher erkennbar auch aus Entscheidungen des Oberlandesgerichts Linz abgeleitet. Somit kommt aber gemäß § 8 Abs 2 StEG eine Delegierung der Rechtssache durch dieses Gericht nicht in Betracht, wäre es doch im Instanzenzug zur Entscheidung über den Ersatzanspruch zuständig. Das "übergeordnete Gericht" im Sinne des § 8 Abs 2 StEG ist vielmehr, wie die beklagte Partei zutreffend ausführt, nicht das Oberlandesgericht Linz, sondern der Oberste Gerichtshof. Soweit das Klagebegehren auf den Titel der Amtshaftung gestützt wird, besteht nach § 9 Abs 4 AHG die gleiche Rechtslage. Das Oberlandesgericht Linz entbehrte somit der funktionellen Zuständigkeit, eine Entscheidung in der Delegierungsfrage zu fällen, weshalb der angefochtene Beschluss gemäß § 477 Abs 1 Z 3 ZPO nichtig (vgl 3 Ob 176/97x; EvBl 1997/191) und deswegen ersatzlos zu beheben ist.

I. 3. Das Begehren auf Zuspruch von Rekurskosten ist abzuweisen, weil dem amtswegigen Delegierungsverfahren ein Kostenersatz fremd ist (1 Ob 26/93; 1 Ob 6/90).

II. Der Akt wurde dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über einen die Delegierungsfrage betreffenden Rekurs vorgelegt. Der Oberste Gerichtshof ist gleichzeitig aber auch das Gericht, das nach den Erwägungen unter I. 2. funktionell zuständig ist, über die im Anlassfall gemäß § 9 Abs 4 AHG und § 8 Abs 2 StEG notwendige Delegation zu entscheiden. Demzufolge ist gleich ein Landesgericht außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichts Linz zur Verhandlung und Entscheidung der Streitsache zu bestimmen.