JudikaturJustiz1Ob21/92

1Ob21/92 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter K*****, vertreten durch Dr. Walter Korschelt, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Land SALZBURG, ***** vertreten durch Dr. Bruno Heinz, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 58.735,-- s.A. infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 3. April 1991, GZ 1 R 288/90-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 24. August 1990, GZ 2 Cg 389/89-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Rahmen von Kontrollfahrten wurde von der Straßenmeisterei Salzburg II, die der für die Bundesstraßen im Bereich des Bundeslandes Salzburg im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung zuständigen Abteilung Straßenverwaltung des Amts der Salzburger Landesregierung untersteht, vor dem 16.2.1989 beanstandet, daß vom Wald des Alois F*****, welcher unmittelbar an die Bundesstraße B 1 im Bereich des Straßenkilometers 311,1 angrenzt, Bäume auf gefährliche Weise in die Bundesstraße hineinhängen. Der Eigentümer vereinbarte mit den Leuten der Straßenmeisterei die Durchführung der Schlägerungsarbeiten am 16.2.1989 und ersuchte um die Absicherung der Bundesstraße während der Arbeiten. Zum vereinbarten Termin trafen drei Leute der Straßenmeisterei Salzburg II, nämlich der Partieführer Arno H*****, und die beiden Arbeiter Peter W***** und Nikolaus G***** an der Schlägerungsstelle ein. Die Arbeiter der Straßenmeisterei stellten vor Beginn der Schlägerungsarbeiten Verkehrszeichen auf, die sie "normalerweise für kurzfristige Straßenarbeiten" verwenden. Auf jeder Seite der Arbeitsstelle wurden das Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung 70 km/h" zusammen mit dem Gefahrenzeichen "Baustelle" und in der Folge die Vorschriftszeichen "Geschwindigkeitsbeschränkung 50 km/h" und "Überholen verboten", sodann das Gefahrenzeichen "Fahrbahnverengung" und nach der Schlägerungsstelle die Auflösung all dieser Zeichen angebracht. Mit dem Landwirt Alois F***** wurde sodann vereinbart, daß dieser zuerst die Bäume auf der Fallseite einschneiden, dann dem auf der Bundesstraße stehenden Partieführer ein Zeichen zu deren Absperrung geben und nach der Absperrung den Baum von der anderen Seite her umschneiden werde. Der Partieführer blieb in der Nähe des Landwirts, die beiden Gehilfen wurden auf beiden Seiten der Bundesstraße etwa 50 bis 70 m entfernt mit Winkerkellen zur Straßenabsperrung abkommandiert. Auf diese Weise waren bereits mehrere Bäume ohne Zwischenfälle gefällt worden, wobei die Bäume stets auf die Bundesstraße fielen und sodann vom Landwirt zusammen mit den Leuten der Straßenmeisterei von dort weggeräumt wurden. Auch der Partieführer half mit der Motorsäge mit. Schließlich war ein Baum umzuschneiden, der eine besonders starke Neigung in Richtung Bundesstraße hatte. Dieser Baum brach, während er eingeschnitten wurde, ab, da er in der Mitte vermorscht war. Nicht feststellbar ist, ob der Landwirt Alois F***** dem Partieführer bereits das Zeichen zum Absperren der Bundesstraße gegeben hatte und ob dieser dieses Zeichen an Peter W***** weitergegeben hatte. Peter W***** der in Richtung Grenzübergang Walserberg aufgestellt war, hatte zunächst die Bundesstraße bereits gesperrt gehabt; als sich der Kläger mit seinem PKW VW Passat gegen 9,30 Uhr vom Grenzübergang her näherte, winkte er den Kläger mit der grünen Winkerkellenseite durch, weil er vom Partieführer noch kein Zeichen zur Absperrung bekommen hatte. Der Kläger beschleunigte daraufhin sein Fahrzeug wieder auf 40 bis 45 km/h. Als er sich der Schlägerungsstelle näherte, bemerkte der Partieführer Arno H*****, daß der Baum fiel. Er versuchte noch, den Kläger zu stoppen, doch war ihm dies nicht mehr möglich. Der Kläger sah zwar das Handzeichen und den fallenden Baum, versuchte auch noch auszuweichen, aufgrund der gegebenen Straßenverhältnisse war ihm dies aber nicht mehr möglich. Daraufhin fiel der Baum direkt auf die Windschutzscheibe des Fahrzeuges und brachte den PKW zum Stillstand.

Der Kläger begehrt unter Berufung auf die Bestimmungen des ABGB, der Straßenverkehrsordnung und des Amtshaftungsgesetzes Schadenersatz für die ihm durch dieses Schadensereignis entstandenen, näher aufgeschlüsselten Schäden am Fahrzeug (Reparaturkosten, Selbstbehalt aus der Kaskoversicherung, An- und Abmeldespesen für ein neues Fahrzeug, Wertminderung, Spesen für Telefonate, Fahrten zur Werkstätte usw), für eine beschädigte Sonnenbrille, die Kosten für ein Ersatzfahrzeug, Verdienstentgang und Schmerzengeld. Die von den Leuten der Straßenmeisterei vorgenommenen Absicherungs- und Absperrmaßnahmen seien in Ausübung straßenpolizeilicher Maßnahmen, sohin in Hoheitsverwaltung für die beklagte Partei gesetzt worden, jedoch völlig unzureichend gewesen. Die Straße hätte jedenfalls schon bei Beginn der Sägearbeiten bis zu deren Beendigung gesperrt werden müssen und nicht erst nach einem sogenannten Einschnitt des Baumes, zumal von vorneherein schon wegen der von der Straßenmeisterei erkannten allgemeinen Gefahrenlage mit dem Sturz der umgeschnittenen Bäume auf die Bundesstraße zu rechnen gewesen sei. Den Kläger treffe am Schadensereignis keinerlei Mitverschulden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, die Tätigkeit der Leute der Straßenmeisterei sei im Rahmen der Verwaltung einer Bundesstraße, sohin der Privatwirtschaftsverwaltung erfolgt, sodaß das Land Salzburg passiv nicht klagslegitimiert sei. Im übrigen treffe das Alleinverschulden am gegenständlichen Unfall entweder den Kläger, weil er die Haltesignale des Partieführers Arno H***** nicht beachtet habe, oder den Landwirt Alois F*****, weil er die zur Verkehrssicherung abgeordneten Leute der Straßenmeisterei nicht rechtzeitig vor dem Sturz des Baumes informiert habe. Auch Grund und Höhe der geltend gemachten Ersatzansprüche wurden bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Leute der Straßenmeisterei seien nicht hoheitlich tätig geworden, sie hätten nur im Zuge von Straßenerhaltungsarbeiten, wozu auch die Beseitigung von die Straße gefährdenden Bäumen gehöre, "Baustellentafeln" aufgestellt. Dazu bedürfe es keines Hoheitsaktes des beklagten Landes, das zur Setzung eines solchen bei einer Bundesstraße auch nicht berechtigt gewesen wäre. Die Straßenmeisterei sei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung für den Bund tätig geworden, sodaß der Bund zu klagen gewesen wäre.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Die Instandhaltung einer öffentlichen Straße falle in den Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung. Zur Entfernung der Bäume sei gemäß § 91 StVO der Grundeigentümer, somit Alois F*****, selbst verpflichtet gewesen. Auch wenn über dessen Ersuchen Bedienstete der Straßenmeisterei zur Absicherung der Straße und des Verkehrs auf dieser mitgewirkt hätten, sei dieser Tätigkeit kein hoheitlicher Charakter beizumessen. Die Aufstellung von Verkehrszeichen und die Regelung des Verkehrs mit Signalscheiben durch Leute der Straßenmeisterei seien keine Akte der Straßenpolizei. Es fehlten auch die Voraussetzungen für die Unterstellung der Vorgangsweise der Leute der Straßenmeisterei unter § 44 b Abs. 1 StVO, weil es sich bei den durchzuführenden Straßen- und Verkehrssicherungsmaßnahmen nicht um unaufschiebbare, sondern um längere Zeit vorher geplante Verkehrssicherungen gehandelt habe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil der zweiten Instanz erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist berechtigt.

Bundessache ist die Gesetzgebung und Vollziehung in Angelegenheiten der Bundesstraßen (Bundesstraßenverwaltung - Art 10 Abs. 1 Z 9 B-VG), Bundessache in Gesetzgebung, jedoch Landessache in Vollziehung sind die Angelegenheiten der Straßenpolizei (Art 11 Abs. 1 Z 4 B-VG). Die Straßenverwaltung als Summe der auf den Bau und die Instandhaltung von öffentlichen Straßen abzielenden Verwaltungstätigkeit ist grundsätzlich dem privatwirtschaftlichen Aufgabenbereich des jeweiligen Rechtsträgers zu unterstellen, auch wenn die Herstellung und Instandhaltung der öffentlichen Straßen in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht geschieht. Der Träger der Straßenbaulast hat als solcher keine andere Rechtsstellung als ein Privater, der sich eine Straße bauen läßt (Schragel, AHG2 91 mwH). Die dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßen sind derart instandzuhalten, daß sie von allen Verkehrsteilnehmern bei Beachtung der Straßenverkehrsvorschriften gefahrlos benützt werden können (ZVR 1980/324). Die Organe der Straßenverwaltung haben besser als die Behörde die Möglichkeit, Unzukömmlichkeiten zu erkennen und - allenfalls sofort nötige - Abhilfe zu schaffen. Sie können im Fall der Unaufschiebbarkeit Verkehrsbeschränkungen anordnen (§ 44 b Abs. 1 StVO), die dann insoweit als Vollzugshandlungen dem Rechtsträger zuzurechnen sind (EvBl 1978/39 ua; Schragel aaO 92).

Im vorliegenden Fall sind die von den Bediensteten der Straßenmeisterei verfügten Verkehrsbeschränkungen und Sicherungsmaßnahmen ungeachtet des Umstandes, daß diese Arbeiten nicht sofort nach der Aufdeckung der Gefahrenlage, sondern erst zu einem späteren, zwischen dem Grundeigentümer und der Straßenmeisterei vereinbarten Termin vorgenommen wurden, der Bestimmung des § 44 b Abs. 1 StVO zu unterstellen. Der erkennende Senat schließt sich bei dieser Beurteilung dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (vom 16.12.1981, JBl 1983, 33) an, der unter die im § 44 b Abs. 1 lit a bis c StVO demonstrativ aufgezählten Fälle der Unaufschiebbarkeit auch

Reinigungs- und/oder Erhaltungsarbeiten an Straßen subsumierte, weil diese zwar flexibel im voraus geplant werden können, aber was Beginn und Ende betrifft nicht immer zeitlich genau fixierbar sind, sodaß nach der jeweiligen Sachlage die jeweils notwendigen Verkehrsbeschränkungen (auch Geschwindigkeitsbeschränkungen) unaufschiebbar im Wege des § 44 b StVO zu treffen sind. Die vorgenannte Gesetzesbestimmung bietet die Grundlage für im "vereinfachten Verfahren", also ohne Verordnung und deren Kundmachung zu verfügende Verkehrsbeschränkungen. Im vorliegenden Fall haben die Leute der Straßenmeisterei Geschwindigkeitsbeschränkungen und Überholverbote "erlassen" und den Verkehr mit Signalscheiben an beiden Seiten der betroffenen Arbeitsstelle geregelt. Damit haben sie die im § 44 b Abs. 1 StVO genannten Maßnahmen so gesetzt, als ob diese Maßnahmen von der Behörde getroffen worden wären. Diese Maßnahmen haben die Straßenverkehrsteilnehmer auch zu einem bestimmten Verhalten gezwungen und waren daher schon aus diesem Grunde, wie der Oberste Gerichtshof für die Maßnahmen gemäß § 44 b Abs. 1 StVO bereits ausgesprochen hat (EvBl 1978/39), als funktionelle Ausübung der Angelegenheiten der Straßenpolizei hoheitlicher Natur. Das dabei von den Bediensteten der Straßenmeisterei gesetzte rechtswidrige Verhalten ist dem für Straßenpolizeiangelegenheiten zuständigen Rechtsträger Land zuzurechnen (Schragel aaO 38 f mwH). Es ist aber auch schuldhaft, denn die Fällung eines in Richtung der Bundesstraße stark überhängenden Baums hätte zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen. Die Gefahr, daß ein solcher Baum teilweise vermorscht ist und daher beim Einschneiden vorzeitig abbricht, kann niemals ausgeschlossen werden. Dem hätte durch Absperren der Straße während des gesamten Vorgangs der Fällung des Baums begegnet werden müssen.

Von einem Allein- oder auch Mitverschulden des Klägers kann beim festgestellten Unfallsablauf nicht die Rede sein, weil der Kläger gerade wegen der Freigabe der Durchfahrt durch Peter W***** nicht mit Gefahren rechnen mußte und eine schuldhafte Reaktionsverspätung auf die Handsignale des Partieführers nicht festgestellt wurde.

Die Notwendigkeit von Feststellungen über Art und Umfang der vom Kläger behaupteten Schäden erfordert die Aufhebung der Vorentscheidungen und die Rückverweisung der Sache an das Erstgericht.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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