JudikaturJustiz1Ob194/14g

1Ob194/14g – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer in der Familienrechtssache des Antragstellers Ing. W***** S*****, vertreten durch Dr. Christian Widl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin H***** S*****, vertreten durch Dr. Alfred Feitsch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. Juni 2014, GZ 43 R 280/14s 99, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 3. April 2014, GZ 56 Fam 49/10v 92, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Urteil vom 24. 2. 2009 schied das Erstgericht die Ehe der Streitteile nach § 55 EheG und sprach über Antrag der Beklagten (hier Antragsgegnerin) gemäß § 61 Abs 3 EheG aus, dass das Verschulden an der Zerrüttung den Kläger (hier Antragsteller) treffe. Das Urteil wurde beiden Parteien am 3. 3. 2009 zugestellt. Die Beklagte ließ es unbekämpft, der Kläger focht es nur im Ausspruch über das Verschulden an. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Urteil vom 23. 6. 2009 nicht Folge. Die Entscheidung wurde den Parteien am 7. 7. 2009 zugestellt, Revision wurde nicht erhoben.

In weiterer Folge wies das Erstgericht den am 2. 7. 2010 eingebrachten Aufteilungsantrag des Antragstellers ab, weil dieser wegen Rechtskraft des Scheidungsurteils mit 1. 4. 2009 nach Ablauf der Jahresfrist des § 95 EheG eingebracht worden sei. Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von diesem Abweisungsgrund auf. Wegen des inneren Zusammenhangs zwischen den Aussprüchen über die Scheidung und das Verschulden sei keine Teilrechtskraft eingetreten, vielmehr sei auch der Ausspruch über die Scheidung erst mit ungenutztem Ablauf der Revisionsfrist rechtskräftig geworden. Der Antragsteller habe die Jahresfrist daher gewahrt. Der Oberste Gerichtshof (1 Ob 7/11b) wies den dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin zurück, weil das Rekursgericht den Revisionsrekurs nicht zugelassen hatte (§ 64 Abs 1 AußStrG).

Im zweiten Rechtsgang verpflichtete das Erstgericht die Antragsgegnerin zur Zahlung eines Ausgleichsbetrags von 45.029,76 EUR und wies das Mehrbegehren des Antragstellers von 129.124,88 EUR sA (im Umfang von 113.470,97 EUR sA unbekämpft und daher rechtskräftig) ab.

Das Rekursgericht gab den Rekursen beider Parteien nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Zum Rekurs der Antragsgegnerin, die ausschließlich die Verfristung des Antragsbegehrens nach § 95 EheG relevierte, führte es aus, der Aufteilungsantrag sei fristgerecht erhoben worden. Die Erlassung eines Teilurteils über die Scheidung nach § 55 Abs 3 EheG ungeachtet einer Antragstellung nach § 61 Abs 3 EheG sei unzulässig, weil ansonsten die vom Gesetzgeber für den Fall eines Verschuldensausspruchs gewünschte Kontinuität der Unterhaltsberechtigung des beklagten Ehegatten wie bei aufrechter Ehe (§ 69 Abs 2 EheG) gefährdet wäre. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers bei Änderung des § 55 EheG sei es gewesen, den schuldlos gegen seinen Willen nach § 55 EheG geschiedenen Ehegatten, dem die früher bestandene Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Scheidung genommen worden sei, unterhaltsrechtlich möglich so zu stellen, als wäre die Ehe nicht geschieden worden. Um das Ziel der Vermeidung einer finanziellen Schlechterstellung zu erreichen, solle nicht nur der bisherige Unterhaltsanspruch ungemindert bleiben, sondern auch durch Änderung sozialversicherungsrechtlicher Vorschriften die Hinterbliebenenversorgung gesichert werden (1 Ob 514/86). Der von der Antragsgegnerin angestrebten Gleichstellung der Beurteilung des Eintritts der (Teil )Rechtskraft von Scheidungsurteilen gemäß § 49 EheG mit denen nach § 55 EheG stehe der Wille des Gesetzgebers entgegen. Wenn die Antragsgegnerin die Teilrechtskraft eines Scheidungsausspruchs nach § 55 EheG von einem Unterhaltsanspruch des beklagten Ehegatten abhängig machen wolle, wäre gerade dann die Rechtssicherheit nicht gewährleistet, weil der Eintritt der (Teil )Rechtskraft der Scheidung stets von der materiellrechtlich zu lösenden Vorfrage abhinge, ob und inwieweit ein aufrechter Unterhaltsanspruch des beklagten Ehegatten bestehe. Das nach § 55 iVm § 61 Abs 3 EheG ergangene Scheidungsurteil sei erst nach Ablauf der Revisionsfrist in Rechtskraft erwachsen und damit der Aufteilungsanspruch fristgerecht erhoben worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Antragsgegnerin zeigt im außerordentlichen Revisionsrekurs, in dem sie ausschließlich die Verfristung des Aufteilungsanspruchs gemäß § 95 EheG geltend macht, keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

1. Seit der Entscheidung 1 Ob 514/86 (= SZ 59/64; RIS Justiz RS0040724; zuletzt 4 Ob 31/08z = EF Z 2008/136, 221 [ Beck ]; vgl dazu Deixler Hübner in Fasching/Konecny ² § 391 ZPO Rz 8; Rechberger in Rechberger 4 § 392 ZPO Rz 6) vertritt die Rechtsprechung den Standpunkt, dass ein Teilurteil über ein Scheidungsbegehren nach § 55 EheG unzulässig ist, wenn der beklagte Ehegatte einen Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG gestellt hat, weil ansonsten die vom Gesetzgeber für den Fall eines Verschuldensausspruchs gewünschte Kontinuität der Unterhaltsberechtigung des beklagten Ehegatten wie bei aufrechter Ehe (§ 69 Abs 2 EheG) gefährdet wäre. Die gegenteilige frühere Rechtsprechung (1 Ob 527/81; 8 Ob 619/85 = EFSlg 52.182; RIS Justiz RS0040616 [T1]), die den unterhaltsrechtlichen Zusammenhang nicht berücksichtigte, ist überholt. Die Unzulässigkeit des Teilurteils in diesem Fall gilt nicht nur bei aktuellen unterhalts oder sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen des beklagten Ehegatten, sondern auch bei potentiellen derartigen Ansprüchen (1 Ob 621/88 = EFSlg 57.762). Die Rechtsprechung, dass im Ehescheidungsverfahren nach § 49 EheG der Scheidungsausspruch in Rechtskraft erwachsen könne, ohne dass bereits rechtskräftig über das Verschulden entschieden ist, sofern das Verschulden des beklagten Ehegatten wenigstens teilweise rechtskräftig festgestellt ist (RIS Justiz RS0056846), gilt bei Scheidung nach § 55 EheG und Nichterledigung des Verschuldensantrags nach § 61 Abs 3 EheG nicht (RIS Justiz RS0056846 [T2]).

2. Nichts anderes kann für den Fall der nicht rechtskräftigen Erledigung des Verschuldensantrags nach § 61 Abs 3 EheG gelten, wenn der die Scheidung gemäß § 55 EheG begehrende Kläger den Verschuldensausspruch bekämpft.

Würde man hier die Teilrechtskraft der Scheidung nach § 55 EheG in Betracht ziehen, ohne dass rechtskräftig über den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG abgesprochen wäre, hätte es der Kläger entgegen dem Willen des Gesetzgebers (JAB 916 BlgNR XIV. GP 2 f und 10 [zu BGBl 1978/280]; 917 BlgNR XIV. GP 1 [zu BGBl 1978/303]) in der Hand, eine unterhaltsrechtliche Schlechterstellung des beklagten Ehegatten herbeizuführen. Hätte die (potentiell) Unterhaltsberechtigte im Scheidungsverfahren den rechtskräftigen Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG erwirkt, wonach der Unterhaltsschuldner die Zerrüttung der Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat, wäre sie nach § 69 Abs 2 EheG so zu stellen, wie wenn die Ehe nicht geschieden wäre (vgl RIS Justiz RS0115545). Ihr würde auch nach der Scheidung ein Unterhalt wie bei aufrechter Ehe nach § 94 ABGB gebühren (7 Ob 80/13k = EF Z 2013/169, 267 [zustimmend Gitschthaler ] = iFamZ 2013/192, 252 [ Deixler Hübner ] = JBl 2013, 713 [ Sagerer Forić ]). Solange nach Scheidung gemäß § 55 EheG der begehrte Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG fehlt (oder noch nicht rechtskräftig ist), kann nur im Rahmen des Provisorialverfahrens ein einstweiliger Unterhalt zugesprochen werden, das Unterhaltsverfahren selbst ist zu unterbrechen. Im Provisorialverfahren hätte die Unterhaltsberechtigte die anspruchsbegründenden Voraussetzungen glaubhaft zu machen und ein Verschulden des Unterhaltspflichtigen zu bescheinigen (7 Ob 116/12b = EF Z 2013/35, 43 [ Nademleinsky ] = EvBl 2013/44, 313 [ Rudolf ]; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR [2011] § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO Rz 19 mwN).

Bekämpft im Fall einer reinen Zerrüttungsscheidung der Scheidungskläger allein den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG, kann keine Teilrechtskraft des Scheidungsausspruchs eintreten (in diesem Sinn Deixler Hübner , [Teil ]Rechtskraft von Eheauflösungsentscheidungen und Frist nach § 95 EheG, Zak 2012/399, 203). Dies ergibt sich daraus, dass es ausdrücklich erklärter Wille des Gesetzgebers (JAB aaO) war, im Fall langjähriger Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft zwar entgegen der früheren Rechtslage auch dem schuldigen Teil die Möglichkeit der Scheidung zu geben, aber dem schuldlosen Ehegatten ohne Unterbrechung möglichst jene finanzielle Stellung zu erhalten, die er bei aufrechter Ehe hatte (1 Ob 514/86 = SZ 59/64).

3. Der Kläger und nunmehrige Antragsteller hat das erstinstanzliche Scheidungsurteil nur im ihn betreffenden Verschuldensausspruch angefochten. Gemäß § 462 Abs 1 ZPO überprüft das Berufungsgericht die Entscheidung des Gerichts erster Instanz innerhalb der Grenzen der Berufungsanträge (für das Revisionsverfahren vgl § 504 Abs 1 ZPO). Zwar erwuchs wie zu Punkt 2. dargelegt der Scheidungs-ausspruch nicht in Teilrechtskraft, jedoch ist die rechtliche Nachprüfung in zweiter Instanz auf die selbständige und alleinige Bekämpfung der Entscheidung über den Verschuldensausspruch beschränkt, die der Rechtsmittelwerber zum Gegenstand seiner Berufung machte. Der unbekämpfte Scheidungsausspruch war ein abschließend erledigter Streitpunkt, der vom Berufungsgericht gemäß § 462 Abs 1 ZPO nicht mehr zu überprüfen ist (in diesem Sinn wohl 7 Ob 229/02f; vgl zur ähnlichen Situation bei Klage und Gegenforderungen als selbständige Streitpunkte Zechner in Fasching/Konecny ² § 504 ZPO Rz 12 f).

4. Nach § 95 EheG erlischt der Anspruch auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, wenn er nicht binnen einem Jahr nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung gerichtlich geltend gemacht wird. Unter Rechtskraft ist die formelle Rechtskraft nach § 411 ZPO zu verstehen (RIS Justiz RS0041294). Das Rekursgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Scheidungsausspruch gemäß § 55 EheG in Verbindung mit dem Verschuldensantrag nach § 61 Abs 3 EheG erst mit der Rechtskraft des Urteils des Berufungsgerichts vom 23. 6. 2009, das dem nunmehrigen Antragsteller am 7. 7. 2009 zugestellt wurde, eintrat. Da die einjährige Frist des § 95 EheG erst mit formeller Rechtskraft dieser Entscheidung zu laufen begann, war sie im Zeitpunkt der Einbringung des Aufteilungsantrags am 2. 7. 2010 noch offen und damit der Aufteilungsanspruch nicht erloschen.

5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtssätze
4