JudikaturJustiz1Ob125/16p

1Ob125/16p – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S***** G*****, geboren am ***** 1999, vertreten durch den Vater B***** G*****, vertreten durch Dr. Peter Reitschmied, Rechtsanwalt in Neulengbach, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 20. April 2016, GZ 23 R 159/16d 5, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 4. April 2016, GZ 1 Pg 182/10y 2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Die Zurückweisung des Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

Das Rekursgericht begründete seinen nachträglichen Zulassungsausspruch damit, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des Zuspruchs von Schadenersatz für Schockschäden bei Verlust eines Tieres in Verbindung mit der Frage, ob dadurch ein unzumutbares Prozesskostenrisiko vorliege.

1. Rechtshandlungen eines Pflegebefohlenen – wie hier die Klagsführung durch die Minderjährige – sind nach § 132 Abs 1 AußStrG nur dann gemäß § 167 Abs 3 ABGB pflegschaftsgerichtlich zu genehmigen, wenn sie in dessen Interesse liegen und dessen Wohl entsprechen (1 Ob 55/13i). Ob eine Prozessführung im Interesse der Minderjährigen liegt, ist eine Ermessensentscheidung des Pflegschaftsgerichts, die sich am konkreten Einzelfall zu orientieren hat (RIS Justiz RS0048142 [T4]; RS0048207 [T1]). Maßgebend ist dabei, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde (RIS Justiz RS0108029 [T11]). Das ist jedenfalls dann nicht anzunehmen, wenn die Erfolgsaussichten gering sind und deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit ein erheblicher Vermögensnachteil der Minderjährigen durch die Belastung mit Prozesskosten droht (RIS Justiz RS0048156). Die Frage der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängig und daher grundsätzlich nicht revisibel (6 Ob 83/15x mwN). Eine erhebliche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl RIS Justiz RS0044088 [T41]). Das ist hier nicht der Fall.

2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten oder „schwerst“ Verletzten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert Schmerzengeld, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vgl RIS Justiz RS0031111; RS0116866). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 70/14d = RIS Justiz RS0116865 [T22]).

3. Eine Haftung des Schädigers für Schockschäden bei Verlust eines Tieres wurde vom Obersten Gerichtshof noch nie vertreten. Nach einer Entscheidung des deutschen BGH (VI ZR 114/11 = NJW 2012, 1730 = JuS 2012, 841 [ Mäsch ] = LMK 2012, 336116 [ Ch. Huber ]) ist die Rechtsprechung zu Schmerzengeldansprüchen in Fällen psychisch vermittelter Gesundheitsbeeinträchtigungen mit Krankheitswert bei der Verletzung oder Tötung von Angehörigen oder sonst nahestehenden Personen (sogenannte Schockschäden) nicht auf Fälle psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Verletzung oder Tötung von Tieren zu erstrecken.

Auch nach der herrschenden Ansicht in der österreichischen Literatur ( Danzl in Danzl/ Gutierrez Lobos/Müller , Schmerzengeld 10 [2013] 163 f FN 422; Karner , Rechtsprechungswende bei Schock und Fernwirkungsschäden Dritter?, ZVR 1998, 182 [188 f]; ders , Trauerschmerz und Schockschäden in der aktuellen Judikatur, ZVR 2008/18, 44 [45]; Wittwer in DAR 2004, 237; Schlosser/Fucik/Hartl , Verkehrsunfall VI 2 [2012] Rz 622; Kath , Schmerzengeld [2005], 92 f FN 196; ebenso zum Trauerschmerzengeld Hinteregger in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.02 § 1325 Rz 43 unter Verweis auf OLG Wien 12 R 146/10v = ZVR 2012/35, 62) ist die Sorge um ein Tier als Schockursache nicht ausreichend. In diesem Fall fehle es an der spezifischen Gefährlichkeit des Erstschadens für die Gesundheit des Schockgeschädigten. Nur die Sorge um eine Person sei als hinreichend erhebliche Schockursache anzusehen.

4. Die Vorinstanzen haben sich mit der von der Minderjährigen bereits eingebrachten Schadenersatzklage aufgrund der von ihr behaupteten psychischen Erkrankung infolge des Todes des Pferdes ihres Vaters, das im Stall des Schädigers nicht artgerecht gehalten worden sein soll, auseinandergesetzt und aufgrund der mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Klagsabweisung die Prozessführung nicht genehmigt. Die Minderjährige war also nicht Eigentümerin des Pferdes und behauptet auch kein vorsätzliches Verhalten des Pferdeeinstellers, sodass ihr ein Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens wegen Verletzung oder Tötung des Tieres nach § 1331 ABGB nicht zustehen könnte.

Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klagsweg nicht bestreiten würde, hält die Minderjährige nur entgegen, höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach bei Schockschäden, die durch den Tod eines Tieres verursacht worden seien, zu dem der Geschädigte ein extrem intensives emotionales Verhältnis gehabt habe, liege nicht vor. Der Revisionsrekurs enthält aber keine Argumente, warum der Zuspruch des begehrten Schmerzengeldes für Schockschäden als Folge des Verlusts eines geliebten Tiers berechtigt sein soll. Dass keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bestehe, „die zwingend zur Abweisung“ des Schadenersatzbegehrens führen würde, zeigt keine Fehlbeurteilung der Vorinstanzen auf, die der auf Zahlung von Schmerzengeld und Feststellung der Haftung des Pferdeeinstellers für sämtliche künftige Schäden, die der Minderjährigen aus dem Tod des Pferdes erwachsen seien, gerichteten Klage die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung versagten.

Rechtssätze
7
  • RS0116865OGH Rechtssatz

    14. Dezember 2023·3 Entscheidungen

    Nach der neueren Rechtsprechung gebührt nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten "Schockschaden" mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld, weil diese "Dritten" durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (vergleiche RIS-Justiz RS0031111). Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung in diesem Sinne kann aber bei nahem Verwandten auch die Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Angehörigen typischerweise besteht, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich ist, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden kann (so schon 2 Ob 79/00g).