JudikaturJustiz1Ob107/17t

1Ob107/17t – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. D* K*, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. H* K*, und 2. M* K*, beide vertreten durch Mag. Martin Rützler, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Feststellung und Einverleibung der Löschung einer Dienstbarkeit, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 23. März 2017, GZ 1 R 70/17b 25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 29. Jänner 2017, GZ 6 C 477/15w 21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 688,92 EUR (darin enthalten 114,82 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, die mit der Dienstbarkeit des Geh und Fahrrechts zugunsten einer Liegenschaft, die je zur Hälfte im Eigentum der beiden Beklagten steht, belastet ist. Das Geh und Fahrrecht verläuft über einen 1,30 m breiten Streifen des Grundstücks der Klägerin. Unter Berücksichtigung der im Eigentum der Stadt D* stehenden anschließenden Wegparzelle verfügten die Beklagten über eine insgesamt 3,50 m breite bekieste Zufahrt. Nachdem ein benachbarter Eigentümer einen Teil seiner Liegenschaft der Stadt geschenkt hatte, errichtete diese eine bekieste Straße bis zur Liegenschaft der Beklagten. Die Straße wurde im Jahr 2014 von der Stadt (durch Verordnung) zur Gemeindestraße erklärt. Die Gemeindestraße weist – ohne Berücksichtigung der Dienstbarkeitsfläche – eine Breite von 4,27 m auf. Derzeit ist diese Straße noch nicht asphaltiert und die Randeinfassungen sind noch nicht errichtet. Die Fahrbahnfläche wird sich durch diese Bauarbeiten um ca 20 cm verkleinern, sie bleibt jedoch zumindest 4 m breit. Das Lichtraumprofil der Straße wird bei ca 4,25 m bleiben; diese Fläche ist befahrbar. Auf der Gemeindestraße können zwei Kraftfahrzeuge einander passieren; es besteht ein Fahrverbot, ausgenommen für Anrainer.

Die Vorinstanzen gaben – im zweiten Rechtsgang – dem Klagebegehren der Klägerin auf Feststellung, dass die Dienstbarkeit des Geh und Fahrrechts erloschen sei und die Beklagten schuldig seien, in die Einverleibung der Löschung der Dienstbarkeit einzuwilligen, statt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige, und erklärte nachträglich die Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO für zulässig, weil zur Frage, ob eine öffentliche Straße vollwertigen Ersatz für ein privatrechtlich vereinbartes Geh- und Fahrrecht biete, „keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs“ vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Dies ist gemäß § 510 Abs 3 ZPO – kurz – zu begründen:

1. Eine Dienstbarkeit kann nur bestehen, wenn sie für das herrschende Grundstück nützlich und bequem ist, und erlischt, wenn sie zwecklos wird (RIS Justiz RS0011582). Eine Wegedienstbarkeit erlischt grundsätzlich nicht allein deshalb, weil der Berechtigte seinen Grund auf einem anderen Weg erreichen kann (RIS Justiz RS0011574; RS0011688 [T3]; vgl RS0011582 [T3]). Der Zweck einer Wegeservitut kann aber dann wegfallen, wenn eine vom Servitutsweg verschiedene Zugangsmöglichkeit einen vollwertigen (gleichwertigen) Ersatz für diesen bietet (RIS Justiz RS0011582 [T5]; RS0011688 [T2]; RS0011699; Bittner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 §§ 492, 493 ABGB Rz 8, § 524 ABGB Rz 7). Dabei wurde vom Obersten Gerichtshof nicht nur auf die Länge, sondern auch auf den Zustand der zur Verfügung stehenden Wege und auch auf sonstige Umstände abgestellt (2 Ob 190/12y mwN; RIS Justiz RS0011582 [T11]; RS0011589 [T8]). Jeder auch nur einigermaßen ins Gewicht fallende Vorteil genügt für die Aufrechterhaltung des erworbenen Rechts (RIS Justiz RS0011701; vgl RS0116757).

Mit der Frage, ob eine öffentliche Straße als vollwertiger Ersatz für einen Servitutsweg zu werten ist, beschäftigten sich insbesondere die Entscheidungen 6 Ob 46/63 (= ImmZ 1963, 137), 6 Ob 83/98v und 4 Ob 78/00z. Ob ein gleichwertiger Ersatz vorliegt oder nicht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (2 Ob 190/12y; 3 Ob 214/14p, jeweils mwN). Das Erlöschen einer Servitut wegen Zwecklosigkeit beendet das Recht ex lege (RIS Justiz RS0011582 [T9]; RS0011589 [T7]).

2. Mit der Bejahung der Gleichwertigkeit haben die Vorinstanzen den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Durch die nunmehrige Gemeindestraße blieb die Länge der Zufahrt unverändert und die Anbindung der Liegenschaft sowie des Hauses der Beklagten an die Zufahrtsstraße erfuhr keine Veränderung. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass infolge der nunmehr befahrbaren Breite der Straße von 4,27 m, die die frühere Zufahrtsmöglichkeit in der Breite von 3,5 m übersteigt, ein vollwertiger Ersatz für die vormals aus der Dienstbarkeitsfläche und dem Radweg auf dem Grundstück der Stadt bestehende Zufahrt zur Liegenschaft der Beklagten besteht, ist nicht korrekturbedürftig. Jedenfalls vertretbar hielt das Berufungsgericht fest, dass der Einwand der Beklagten, die Stadt könnte die Gemeindestraße verschmälern, Parkflächen errichten oder die Straße gar zusperren, ausgehend von den getroffenen Feststellungen nicht berechtigt ist, wobei es insbesondere darauf verwies, dass die Beklagten bereits vor Errichtung der Gemeindestraße auf den der Stadt gehörenden Teil des Zufahrtswegs angewiesen gewesen seien. Wenn die Beklagten damit argumentieren, dass sie sich im Fall der Aufrechterhaltung der Dienstbarkeit mit der actio confessoria (Servitutsklage) nach § 523 ABGB oder einer Besitzstörungsklage gegen die den Zufahrtsweg blockierenden parkenden Kraftfahrzeuge effektiv zur Wehr setzen könnten, so würde dies nur dann zutreffen, wenn ein solches Fahrzeug gerade auf dem 1,3 m breiten Dienstbarkeitsstreifen abgestellt wäre. Dem steht die Möglichkeit gegenüber, dass im Fall einer Verkehrsbeeinträchtigung auf der Gemeindestraße, wenn die Beklagten als Lenker eines Fahrzeugs am Vorbeifahren oder Wegfahren oder Zufahren zu ihrer Garagen oder Grundstückseinfahrt gehindert sind, die Behörde verpflichtet ist, die Entfernung des dort stehenden Fahrzeugs oder Gegenstands ohne weiteres Verfahren zu veranlassen (§ 89a Abs 2 iVm Abs 2a lit c StVO). Die Rechtsschutzmöglichkeiten sind aber im vorliegenden Fall nur von untergeordneter Bedeutung für die Beurteilung, ob eine Dienstbarkeit für den Berechtigten nützlich und bequem ist. Zudem haben die Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren nicht konkret vorgebracht, dass auf ihrem 1,3 m breiten Dienstbarkeitsweg bislang fremde Fahrzeuge geparkt hätten. Die gemäß § 20 Abs 1 [Vorarlberger] Straßengesetz (LGBl 2012/79; kurz Vlbg StrG) durch Verordnung zur Gemeindestraße erklärte Straße ist eine öffentliche Straße, die dem Gemeingebrauch gewidmet ist (§ 2 Abs 3 lit b Vlbg StrG; zum Gemeingebrauch siehe § 4 Abs 1 leg cit). Voraussetzung für die Erklärung zur Gemeindestraße ist unter anderem, dass es sich um eine vorwiegend für den Verkehr innerhalb des Gemeindegebiets notwendige Straße handelt (§ 20 Abs 2 Vlbg StrG), sodass die Befürchtung der Beklagten, die Stadt könnte die Straße wieder verschmälern, völlig hypothetisch ist. Welchen Vorteil der nicht einmal die Breite eines Personenkraftfahrwagens umfassende 1,3 m breite Servitutsstreifen nunmehr für die Beklagten noch haben soll, vermögen sie daher nicht plausibel zu begründen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 und § 46 Abs 2 ZPO. Die Klägerin wies in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hin, sodass ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung dient.

Rechtssätze
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