JudikaturJustiz15Os76/22y

15Os76/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Oktober 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Oktober 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Mag. Buttinger in der Strafsache gegen * S* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * S* und * B* gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 6. April 2022, GZ 13 Hv 92/21y 161, sowie über die Beschwerde des * S* gegen einen gleichzeitig gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des * B* sowie aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch Ⅱ./B./, demzufolge auch in den die Angeklagten * S* und * B* betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnungen) sowie der den Angeklagten S* betreffende Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden zurückgewiesen.

Die Angeklagten werden mit ihren Berufungen auf die Aufhebung der Strafaussprüche, der Angeklagte S* mit seiner Beschwerde überdies auf die Aufhebung des Widerrufsbeschlusses verwiesen.

Den Angeklagten S* und B* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch eines weiteren Angeklagten enthält, wurden * S* und * B* jeweils des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (II./A./) und des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (II./B./) sowie * S* darüber hinaus des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I./A./), sowie der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I./B./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und  2 erster Fall StGB (I./C./), der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (VI./A./) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (VI./B./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben bzw hat – soweit im Folgenden von Belang – in T*

I./ * S* am 12. November 2021 * H*

A./ durch das Versetzen mehrerer Schläge mit der Faust ins Gesicht und mit dem Ellbogen gegen den Oberkörper sowie von Fußtritten Prellungen des Schädels, der Halswirbelsäule und des Brustkorbs zugefügt und versucht, diesen dadurch schwer am Körper zu verletzen;

B./ durch die sinngemäße Aussage „Wenn du jemals zur Polizei gehst, dann bringe ich alle um“, sohin durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung einer Sympathieperson (US 9: ua dessen Mutter) am Körper, zu einer Unterlassung, und zwar zur Abstandnahme von der Verständigung der Polizei, zu nötigen versucht;

C./ durch die sinngemäße Aussage „Ich werde dich umbringen“, wobei er H* zur Untermauerung seiner Drohung ein Messer anhielt, gefährlich mit dem Tod bedroht, um den Genannten dadurch in Furcht und Unruhe zu versetzen;

II./ * S* und * B* am 12. November 2021 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit abgesondert verfolgten Mittätern

A./ „kurze Zeit nach der zu I./ angeführten Tathandlung“ * H* und * L* mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Wert „die eine ihnen vermeintlich zustehende Forderung gegen H* im Wert deutlich überstiegen“, mit Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben weggenommen bzw abgenötigt, „indem sie auf * H* bedrohlich einwirkten und zwar dadurch, dass * S* auf H* einschlug, während die Mittäter die Wohnung durchsuchten“;

B./ nach der zu II./A./ angeführten Tat versucht, * H* mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch die Handlung des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, durch die sinngemäße Aussage eines – abgesondert verfolgten (US 11) – Mittäters „in ein paar Tagen musst du M* 500 Euro geben, sonst passiert dir wieder etwas“, sohin durch gefährliche Drohung – mit zumindest einer Verletzung am Körper (US 11) – zu einer Handlung zu nötigen, die diesen am Vermögen schädigen sollte;

VI./ * S* am 26. November 2019

A./ fremde Sachen beschädigt, wodurch * Ma* ein 5.000 Euro nicht übersteigender Schaden entstand, nämlich

a./ dessen PKW, indem er mit der Hand die Seitenscheibe einschlug,

b./ dessen Mobiltelefon, indem er es dem Genannten entriss und auf den Boden warf;

B./ * Ma* durch die zu A./a./ genannte Tat am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig verletzt, wobei die Splitter der zerbrochenen Scheibe gegen den unmittelbar hinter der Scheibe am Fahrersitz Sitzenden fielen, wodurch dieser multiple Schnittverletzungen an der linken Hand und am Kinn erlitt.

[3] Gegen dieses Urteil wenden sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * S* sowie die auf § 281 Abs 1 Z 5, 8 und 9 lit a StPO gegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * B*.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* :

[4] Entgegen der in der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zu I./A./ erhobenen Kritik ist der – vom Erstgericht vorgenommene (US 19) – Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wollen oder Wissen rechtsstaatlich vertretbar und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch auch gar nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0116882 [T1]). Zudem berechtigen nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu Tatsachenfeststellungen (RIS Justiz RS0098362).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * B*:

[5] Der Begründungsmangel der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn nicht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder auch aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgt ist (RIS Justiz RS0117995). Die zu II./A./ ausgeführte Mängelrüge (Z 5 erster Fall) geht jedoch daran vorbei, dass es keine entscheidende Tatsache betrifft, welcher der Mittäter eine bestimmte der Ausführungshandlungen gesetzt hat (RIS Justiz RS0089808 [T13]).

[6] Soweit die Beschwerde der Sache nach dem konstatierten aggressiven Packen des Opfers an der Kleidung (rechtlich) eine Eignung als Tathandlung des Raubes abspricht, macht sie inhaltlich – wie in der Rechtsrüge (Z 9 lit a, dazu unten) – einen Rechtsfehler, nicht jedoch eine Undeutlichkeit i m Sinn der Z 5 erster Fall geltend.

[7] Gleiches gilt für die eine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) behauptende Mängelrüge, die erneut thematisiert, dass der Angeklagte B* * H* – auch nach dessen Angaben – nur „am Krawattl“ gepackt habe.

[8] Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegt auch keine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) darin, dass das Erstgericht „ohne weitere Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Handlungen“ des Angeklagten B* davon ausging, dass dieser „einer von vier Mittätern gewesen sei“. Das Erstgericht hat nämlich die Feststellungen zum Tathergang auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Zeugen H* (US 17 f) gestützt, hingegen jene des Angeklagten B* – soweit er sich zum faktischen Hergang nicht ohnedies partiell geständig zeigte – als unglaubwürdig verworfen (US 15).

[9] Den weiteren Beschwerdeeinwänden (Z 5 vierter Fall) zu II./A./ zuwider ist auch der vom Erstgericht unter gesamthafter Betrachtung des Tathergangs gezogene Schluss vom äußeren Tatgeschehen auf die subjektive Tatseite (US 20) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0098671).

[10] Als Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO rügt der Beschwerdeführer zu II./A./, dass ihm die Anklage (ON 55 S 7 f) anlastete, er und * S* hätten (gemeint:) abwechselnd auf * H* eingeschlagen, während er und der abgesondert verfolgte Angeklagte M* die Wohnung durchsucht und Wertsachen an sich genommen hätten, ihm im Urteil aber andere Handlungen zur Last gelegt würden.

[11] Von einem Überschreiten der Anklage (hier zu II./A./) kann jedoch nur dann gesprochen werden, wenn das Urteil den Angeklagten eines Verhaltens schuldig erkannt, welches nicht Gegenstand der Anklage war. Den Gegenstand der Anklage aber bildet die Beteiligung des Angeklagten an einem historischen Geschehen, das einen nach Ansicht der Staatsanwaltschaft strafgesetzwidrigen Erfolg herbeigeführt hat. Nur an diesen Anklagevorwurf ist das Gericht gemäß §§ 262, 267 StPO gebunden (prozessualer Tatbegriff; Ratz , WK StPO § 281 Rz 502 ff). Im Übrigen hat es jedoch das Verhalten des Angeklagten in Bezug auf das inkriminierte Ereignis nach allen Richtungen zu erforschen und sich ohne Rücksicht auf die in der Anklage vertretene Anschauung ein Urteil darüber zu bilden, in welcher Art sich das Ereignis abgespielt und in welcher Form sich der Angeklagte daran schuldhaft beteiligt hat (vgl RIS Justiz RS0113142 [insbes T12, T17]).

[12] Im vorliegenden Fall umfasst der von der Anklage determinierte Sachverhalt die unmittelbare Beteiligung des Angeklagten B* an dem durch ihn, den Mitangeklagten * S* sowie zwei weitere abgesondert verfolgte Täter an * H* begangenen Raub, somit sein in diesem Zusammenhang gesetztes Gesamtverhalten und damit auch eine von der Anklage abweichende, jedoch dem gleichen pönalisierten Erfolg dienende Handlungsweise.

[13] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verneint zu II./A./ die Verwirklichung des Tatbestands des Raubes „nach § 142 StGB“ durch den Angeklagten B*, weil die Feststellungen zu seiner mehrstündigen Anwesenheit in der Wohnung des Opfers und zum einmaligen Erfassen desselben an der Kleidung, verbunden mit der Behauptung, H* hätte zuvor ihm, B*, eine Playstation weggenommen (US 10), dazu nicht hinreichten. Sie scheitert aber schon daran, dass sie prozessordnungswidrig (vgl RIS Justiz RS0099810) die Konstatierung, wonach die anwesenden Personen (darunter der Beschwerdeführer) dem Opfer im Einzelnen bezeichnete Gegenstände und Geldbeträge wegnahmen (US 10; vgl RIS Justiz RS0117320), ebenso übergeht wie die zur subjektiven Tatseite getroffenen Feststellungen (US 11).

[14] B erechtigt ist jedoch die zu II./B./ erhobene Rechtsrüge (Z 9 lit a), die das Fehlen von Feststellungen zur Mittäterschaft oder T äterschaft durch sonstigen Beitrag des Angeklagten B* geltend macht.

[15] Mittäter der Erpressung ist, wer eine – vom gemeinsamen Vorsatz getragene – nach § 144 StGB wortlautkonforme Ausführungshandlung setzt (vgl Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 26; RIS Justiz RS0117320).

[16] Eine solche ist der Konstatierung , wonach einer der abgesondert verfolgten Mittäter, als sie gegen 5:30 Uhr die Wohnung verließen, zu * H* sagte, er solle […] I* in ein paar Tagen 500 Euro auf den Tisch legen, sonst passiere wieder etwas und sie seien keine Freunde mehr (US 11), nicht zu entnehmen.

[17] Auch die Annahme eines – gleichwertigen – sonstigen Tatbeitrags nach § 12 dritter Fall StGB tragen die Feststellungen nicht; die Bereitschaft zum Eingreifen oder eine sonstige psychische Unterstützung des unmittelbaren Täters bedarf einer subjektiven Komponente, welche vom Erstgericht nicht festgestellt wurde. Die bloße Anwesenheit am Tatort, das bloße Wissen um ein bestimmtes, von einem anderen in Aussicht genommenes deliktisches Verhalten, das bloße Begleiten eines Täters oder die stillschweigende Duldung der Tatausführung reicht für keine der in § 12 StGB angeführten Beteiligungsformen aus (vgl RIS Justiz RS0099235, RS0089840).

[18] Aufgrund der somit erforderlichen Aufhebung dieses Schuldspruchs erübrigte sich ein weiteres Eingehen auf die diesbezüglich aus Z 5 dritter und vierter Fall erhobene Beschwerdekritik.

[19] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass aus den gleichen Gründen auch hinsichtlich des Angeklagten * S* dem Schuldspruch II./B./ materielle Nichtigkeit (Z 9 lit a), nämlich ein Rechtsfehler mangels ausreichender Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand, anhaftet, die ihm, dessen Nichtigkeitsbeschwerde diesen Schuldspruch nicht bekämpft, zum Nachteil gereicht.

[20] Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * B* und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden gemäß § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO zugunsten des Angeklagten * S* in dem beide Angeklagten betreffenden Schuldspruch II./B./, demzufolge auch in den die Genannten betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der S* betreffende Widerrufsbeschluss aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht St. Pölten zu verweisen (§ 285e StPO).

[21] Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

[22] Auf die aufhebende Entscheidung waren die Angeklagten mit ihren Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe zu verweisen.

[23] Die Kostenersatzpflicht, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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