JudikaturJustiz15Os30/19d

15Os30/19d – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Binder als Schriftführer in der Strafsache gegen Carmen G***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. Mai 2018, GZ 8 Hv 24/18w 31, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider und des Verteidigers Mag. Wurnig zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 7. Mai 2018, GZ 8 Hv 24/18w 31, verletzt §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB und § 259 Z 3 StPO.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 7. Mai 2018, GZ 8 Hv 24/18w 31, wurde Carmen G***** (unter Verpflichtung zum Kostenersatz) des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt, die das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 22. August 2018, AZ 8 Bs 216/18b, (unter bedingter Nachsicht eines Teils derselben) erhöhte.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie am 20. August 2017 in G***** zur Körperverletzung des Michael S***** dadurch beigetragen, dass sie für ihn morphinhältige Compensan-Tabletten aufkochte und in eine Spritze aufzog, die sich dieser zweimal selbst injizierte, wobei die Tat den Tod S*****s zur Folge hatte.

Einen Freispruch gemäß § 259 Z 3 StPO fällte das Schöffengericht hinsichtlich des Vorwurfs, Carmen G***** habe im Zuge dieser Tat vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich „morphinhältiges Compensan“ besessen.

Nach den Urteilsfeststellungen (US 2 ff) erhielt S***** im Rahmen einer ärztlichen Substitutionstherapie (oral einzunehmende) morphinhältige Compensan-Tabletten zu insgesamt 900 mg täglich. Am 20. August 2017 war er krank, hatte seit einigen Tagen bis zu 39,6 Grad Fieber und „begann teilweise schon zu halluzinieren und Selbstgespräche zu führen“. Seine Lebensgefährtin G*****, selbst ehemalige Drogenkonsumentin und Substitutionspatientin, hatte entsprechend einer ärztlichen Ermächtigung Compensan-Tabletten für S***** in der Apotheke besorgt. Letzterer ersuchte G***** gegen 8:15 Uhr und ein weiteres Mal gegen 14:00 Uhr, für ihn jeweils eine morphinhältige Compensan-Tablette á 300 mg aufzukochen und in eine Spritze aufzuziehen, weil er aufgrund seiner Erkrankung hiezu nicht selbst in der Lage war. G***** wusste, dass S***** sich seit geraumer Zeit Compensan-Tabletten injizierte, kam den beiden Ersuchen nach, kochte zweimal jeweils 300 mg morphinhältiges Compensan auf, zog es in eine Spritze und reichte diese S*****, der sich das Compensan selbst in die Armbeuge injizierte. Dabei „hielt sie es zumindest ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass sich Michael S***** dadurch am Körper verletzt bzw an der Gesundheit schädigt bzw dies tun werde, zumal sie auch wusste, dass er dieses Ersatzmittel eigentlich nicht zu spritzen“, sondern oral einzunehmen hatte. „Dies konnte sie allerdings ihrem Lebensgefährten nicht ausreden, obwohl sie dies zuvor versucht hatte.“

S***** befand sich aufgrund der Injektionen den ganzen Tag über „in einer Art Delirium“ und verstarb am Abend an der durch das injizierte Compensan herbeigeführten Morphinvergiftung und der dadurch eingetretenen massiven Hirnschwellung und Atemlähmung.

G***** befand sich trotz ihres Alkoholkonsums in keinem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand und war in der Lage, „die erforderliche Sorgfalt zu beachten“ und „den möglichen eingetretenen Erfolg, nämlich den Tod ihres Lebensgefährten Michael S***** vorherzusehen“.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht das Urteil mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

I./ Zum Schuldspruch:

Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB ist, wer sonst – auf andere Weise als durch Bestimmung (vgl § 12 zweiter Fall StGB) – zur Ausführung einer strafbaren Handlung beiträgt, also ein Verhalten setzt, das die Tatbildverwirklichung durch einen anderen ermöglicht, erleichtert, absichert oder sonst fördert und für den Tatablauf kausal ist (RIS Justiz RS0090508, RS0090516; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 81 ff mwN). Mit „strafbarer Handlung“, zu welcher der Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB beiträgt, ist dessen eigene strafbare Handlung (als Gattungsbegriff für sämtliche gesetzliche Tatbestände) gemeint, also jenes Delikt, das nach § 13 StGB allein durch seine eigene subjektive Tatseite determiniert ist (14 Os 158/99; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 39 f; vgl auch RIS Justiz RS0106089, RS0089470).

Den Tatbestand der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB verwirklicht, wer einen anderen (vorsätzlich [§ 7 Abs 1 StGB]) am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und dadurch fahrlässig dessen Tod herbeiführt.

Das Injizieren von eine Vergiftung (im Sinn einer pathologischen Veränderung im Körper) bewirkendem Suchtgift stellt zumindest eine Gesundheitsschädigung dar, im Fall von über den bloßen Stich mit der Injektionsnadel hinausgehenden Verletzungen (etwa in Form von Blutergüssen) auch eine Körperverletzung (vgl RIS Justiz RS0120380; Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 83 Rz 9 und 16 mwN; Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 83 Rz 11).

Wer einem anderen vorsätzlich Suchtgift injiziert, verwirklicht demnach in der Regel § 83 Abs 1 StGB, im Fall der fahrlässigen Herbeiführung dessen Todes § 86 Abs 2 StGB (vgl [zu §§ 83 Abs 1, 86 StGB aF] 12 Os 63/01, 12 Os 38/02, 13 Os 102/02, 15 Os 61/09y, 11 Os 65/11k).

Tatobjekt des § 86 Abs 2 StGB (wie aller anderen Körperverletzungsdelikte) ist „ein anderer“, also jeder vom Täter verschiedene Mensch, weshalb Selbstverletzungen grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig sind (vgl Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 83 Rz 4; Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 Vorbem §§ 83 ff Rz 3).

Aus Sicht eines Beteiligten nach § 12 dritter Fall StGB ist der sich selbst Verletzende „ein anderer“, sodass die Tatbestandsmäßigkeit zwar nicht von Vornherein ausscheidet (vgl 14 Os 158/99), aber nur eingeschränkt zu bejahen ist:

Die Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder verletzung ist (anders als die Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung [§ 78 StGB]) mit Blick auf den Grundsatz der Selbstbestimmung und Selbstverantwortung jedes Menschen (Autonomieprinzip) mangels Vorliegens eines deliktstypisch sozial-inadäquat gefährlichen Verhaltens straflos (vgl Fuchs/Zerbes AT I 10 33/87 f; Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 75 Rz 17, § 80 Rz 64; RIS Justiz RS0129960, RS0117714). Denn setzt sich jemand freiwillig und selbstverantwortlich einer bestimmten Gefahrenlage aus und ist er sich des damit verbundenen Risikos bewusst, hat er die ihm daraus erwachsenden Gefahren selbst zu tragen. Deren Realisierung ist einem Dritten, der an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung mitgewirkt hat, nicht anzulasten. Nicht nach §§ 83 ff StGB strafbar macht sich demnach, wer zum eigenverantwortlichen gesundheitsschädigenden oder körperverletzenden Suchtgiftkonsum eines anderen durch Überlassen oder Aufbereiten des Suchtgifts beiträgt.

Nur wenn dem sich selbst verletzenden Opfer die Eigenverantwortlichkeit fehlt (etwa aufgrund seines geringen Alters, zufolge Krankheit, Berauschung, Schock, gravierender Beurteilungs oder Willensmängel), findet das Autonomieprinzip seine Grenzen. Diesfalls kommt (Vorsatz des Täters auf das Fehlen der Eigenverantwortlichkeit des Opfers begründende Umstände vorausgesetzt) Strafbarkeit des sich an der Verletzung eines anderen Beteiligenden nach (hier:) §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB in Betracht (vgl zur Beteiligung an einer nicht eigenverantwortlichen Selbsttötung RIS Justiz RS0111325, RS0113431; Fuchs/Zerbes AT I 10 33/89; Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 75 Rz 17; siehe auch RIS Justiz RS0117714).

Ausgehend von den gegenständlichen Urteilsfeststellungen hat sich S***** das zu seiner tödlichen Morphinvergiftung führende Suchtgift selbst injiziert. (Ausreichende) Konstatierungen zum Fehlen seiner Eigenverantwortlichkeit (und zu einem darauf bezogenen Vorsatz der G*****) wurden nicht getroffen, weshalb die Subsumtion nach §§ 12 dritter Fall, 86 Abs 2 StGB rechtlich verfehlt ist und das Urteil das Gesetz in den genannten Bestimmungen verletzt.

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wirkt zum Nachteil der Verurteilten. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, ihre Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden und den Schuldspruch (I./), den damit einhergehenden Strafausspruch sowie die Verpflichtung zum Kostenersatz aufzuheben und eine neue Verhandlung und Entscheidung anzuordnen (§ 292 letzter Satz StPO). Vom kassierten Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen (wie insbesondere das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 22. August 2018, AZ 8 Bs 216/18b) gelten damit gleichfalls als beseitigt (RIS Justiz RS0100444; Ratz , WK StPO § 292 Rz 28).

Für das weitere Verfahren bleibt anzumerken:

Führt der eigenverantwortliche Suchtgiftkonsum zum Tod des Konsumenten, so kommt Strafbarkeit desjenigen, der für diese (lebensbedrohliche) Gefahrensituation (etwa durch das Überlassen oder Aufbereiten von Suchtgift) mitursächlich wurde, auch nach § 80 Abs 1 StGB (allenfalls nach § 81 Abs 1 StGB) grundsätzlich nicht in Betracht.

Der auch hier geltende Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit findet aber dort seine Grenzen, wo die Selbstgefährdung des anderen (hier: des Suchtgiftkonsumenten durch eigenhändige Injektion von Suchtgift) erkennbar auf einem gravierenden Beurteilungsmangel seitens des Konsumenten (zB Schock, Panik, Irrtum, Täuschung, jugendliche Unreife, Berauschung) beruht oder der an der Selbstgefährdung Mitwirkende das dem anderen drohende Risiko etwa kraft seines Alters, seiner Erfahrung oder seines überlegenen Wissens besser erfasst (vgl Kienapfel/Schroll StudB BT I 4 § 80 Rz 64 f [mwN], Rz 67 f; Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 80 Rz 83 ff; RIS Justiz RS0129960). Trifft denjenigen, der für den (tödlichen) Suchtgiftkonsum mitursächlich wurde, eine besondere Schutzpflicht (etwa aufgrund von Unterschieden der Verstandesreife, der körperlichen Kräfte oder der Einsichtsfähigkeit; vgl RIS Justiz RS0117714), kann ihm (eigenes) sorgfaltswidriges Verhalten für den Tod des anderen angelastet werden. Demnach kann etwa bei mangelndem Wissen des Konsumenten um die Gefährlichkeit des Suchtmittels, bei Vorliegen eines akuten Suchtgiftrausches oder willensbeeinträchtigender Entzugserscheinungen das Überlassen einer tödlichen Suchtgiftdosis als sorgfaltswidriges Verhalten Strafbarkeit nach § 80 StGB begründen.

Allenfalls (vgl § 94 Abs 4 StGB) wäre auch § 94 StGB (vgl Jerabek/Ropper in WK² StGB § 94 Rz 3, 5, 9 ff; RIS Justiz RS0093449) zu prüfen.

II./ Zum Freispruch:

Schuld und Freispruch beziehen sich stets auf die Tat (also das unter Anklage gestellte historische Geschehen) und nicht auf die rechtliche Kategorie (strafbare Handlung). Daher erweist sich der Freispruch vom Vorwurf des – nach der Anklage (ON 20 S 1 und 4 f) mit der Vorbereitung der Injektion einhergehenden – Besitzes von Suchtgift als rechtlich verfehlt (RIS Justiz RS0115553, RS0120128, RS0091051; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 20; zur Idealkonkurrenz strafbarer Handlungen vgl RIS Justiz RS0124174).

Wenngleich dieser Freispruch prozessual unbeachtlich ist (RIS Justiz RS0115553 [T5 und T11]) und die Gesetzesverletzung G***** nicht zum Nachteil gereicht, war der verfehlte Subsumtionsfreispruch zur Klarstellung zu beseitigen.

Rechtssätze
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