JudikaturJustiz14Os60/21m

14Os60/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. August 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Lampret in der Strafsache gegen H***** A***** wegen (richtig) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Jänner 2021, GZ 35 Hv 62/20x 141, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** A***** jeweils mehrerer Verbrechen „der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster und zweiter Fall StGB“ (A/I), der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (A/II), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (C) und eines Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 1, Abs 4 (gemeint [vgl US 21]) vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40 (F) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (D), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (E) und der beharrlichen Verfolgung nach § 107a (richtig) Abs 1 StGB (G) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*****

A/I/ S***** A***** mit Gewalt, indem er sie festhielt, niederdrückte, mit seinen Händen und Beinen fixierte, sodass sie sich nicht bewegen konnte, teils ihren Mund zuhielt, zur Duldung des Beischlafs und einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, wobei die Tat in einem Fall eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der vergewaltigten Person, nämlich eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, zur Folge hatte, und zwar

a/ 2011, indem er sie mit seinem Penis vaginal und anal penetrierte;

b/ im September 2012, indem er sie mit seinem Penis vaginal penetrierte;

c/ im Sommer 2017, indem er sie mit seinem Penis vaginal penetrierte und in ihre Vagina ejakulierte, was ihre Schwangerschaft zur Folge hatte;

II/ S***** A***** von 2008 bis 2014 und von 2016 bis zum Sommer 2017 vielfach, teils bis zu zweimal pro Woche, außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur (richtig:) Vornahme von geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er sie festhielt und durch Führen ihrer Hand zwang, ihn bis zur Ejakulation zu befriedigen;

B/ mit der 2001 geborenen, mithin zu den Tatzeiten unmündigen, S***** A***** durch die zu A/I/a und b beschriebenen Handlungen den Beischlaf und eine diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen;

C/ an der unmündigen S***** A***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen, und zwar

I/ von 2011 bis 2014 zumindest fünf Mal pro Jahr, indem er ihre (bereits entwickelten [US 9]) Brüste fest über der Kleidung betastete;

II/ durch die zu A/II beschriebenen, bis 2014 vorgenommenen Handlungen;

D/ durch die zu B/ und C/ beschriebenen Handlungen mit seiner minderjährigen Stieftochter S***** A***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen;

E/ von 2008 bis 2014 und von 2016 bis zum Sommer 2017 jeweils nach den zu A bis C beschriebenen Handlungen S***** A***** durch gefährliche Drohung, indem er sinngemäß äußerte, sie dürfe niemandem von den sexuellen Übergriffen erzählen, widrigenfalls er ihre Mutter, ihren Bruder oder andere ihr nahestehende Familienangehörige umbringe oder ihre Schwester entführe, zur Unterlassung, sich jemandem anzuvertrauen, genötigt;

F/ von 2015 bis Ende 2018 gegen seinen 2007 geborenen Sohn B***** A***** durch fortdauernde körperliche Misshandlungen und Nötigungen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihn zumindest zwei Mal pro Woche trat oder ohrfeigte, wobei er ihn teilweise dabei festhielt, sowie zumindest zwei Mal pro Monat durch die Äußerung, er werde ihn schlagen, wenn er sich weiterhin „auf eine bestimmte Weise verhalte“ (etwa auf einer Playstation spiele [US 12]), mithin durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, „sich in einer bestimmten Weise zu verhalten“, genötigt, wobei er die Tat gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausübte;

G/ S***** A***** und ***** Al***** von Mitte März 2020 bis Mitte/Ende Juni 2020, somit eine längere Zeit hindurch, in einer Weise, die geeignet war, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er fortgesetzt

I/ dadurch räumlich ihre Nähe aufsuchte, dass er sich jeden zweiten bis dritten Tag vor ihrer Wohnung aufhielt und ihnen mit seinem Auto hinterher fuhr;

II/ dadurch im Wege der Telekommunikation Kontakt zu Al***** herstellte, dass er sie jeden zweiten Tag anrief und ihr Nachrichten sendete.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 (lit) a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Entgegen dem von der Mängelrüge erhobenen Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite (unter anderem) „aus dem objektiven Geschehen“ (US 18) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0116882). Im Übrigen wird nicht klar, weshalb sich das Erstgericht dabei nicht auch auf das vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung abgelegte Geständnis stützen dürfe (US 18 iVm ON 140 S 5).

[5] Mit der Verantwortung des Beschwerdeführers und dessen Darstellung des Geschehens in seinen an die Opfer adressierten Briefen setzten sich die Tatrichter ohnehin auseinander (US 17), weshalb der darauf bezogene Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Leere geht.

[6] Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Ausspruch nach § 21 Abs 2 StGB – im Übrigen zu Unrecht (vgl US 17 f) – unterbliebene Erörterung des Gutachtens behauptet, übersieht sie, dass die Gefährlichkeitsprognose als Grundlage dieses Ausspruchs den Gegenstand einer Anfechtung (bloß) aus Z 11 zweiter Fall und solcherart keinen Bezugspunkt der Mängelrüge bildet (RIS Justiz RS0118581, RS0099869; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 680 und 693).

[7] Die von der Tatsachenrüge (Z 5a) – ohne Bezugnahme auf konkrete Schuldsprüche – erhobene Kritik, es fehlten Beweisergebnisse, aus denen auf „den Vorsatz“ geschlossen werden könnte, releviert gerade keine gegen die Schuld des Beschwerdeführers sprechenden Beweisergebnisse (RIS Justiz RS0128874).

[8] Der – zudem ebenfalls bloß pauschal geäußerte – Vorwurf einer Verletzung der „Pflicht zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit“ unterlässt die gebotene Darlegung, wodurch der Beschwerdeführer gehindert war, aus seiner Sicht zweckmäßige Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen (RIS Justiz RS0115823).

[9] Nominell im Rahmen der Mängelrüge (der Sache nach Z 9 lit a) moniert der Beschwerdeführer unsubstantiiert, das Erstgericht habe zur subjektiven Tatseite bloß „die verba legalia des Tatbildes“ wiederholt, ohne Feststellungen mit Sachverhaltssubstrat zu treffen. Er verfehlt dabei die gebotene Bezugnahme auf die Gesamtheit des Urteilssachverhalts (RIS Justiz RS0099810) und legt zudem nicht im Einzelnen dar, zu welchem Schuldspruch das behauptete Konstatierungsdefizit vorliege.

[10] Gleichermaßen urteilsfremd ist die Behauptung (nominell Z 9 lit a), die vom Schuldspruch C erfassten strafbaren Handlungen stünden „in einheitlichem Tatkomplex“ mit den zu Punkt B angelasteten (vgl aber US 8 f), weshalb sie von diesen konsumiert würden.

[11] Der zu E/ geäußerte – im Übrigen unzutreffende – Einwand, es fehlten Feststellungen dazu, wie das Opfer „die Äußerungen des Angeklagten auffasste“, legt nicht dar, weshalb dies zur Beurteilung der objektiven Eignung, begründete Besorgnisse zu wecken (§ 74 Abs 1 Z 5 StGB), erforderlich sei (vgl RIS Justiz RS0092102). Da es sich bei der Frage nach dieser Eignung um eine Rechtsfrage handelt (vgl RIS Justiz RS0092160 [T1]), ist diese selbst nicht Gegenstand von Feststellungen (RIS Justiz RS0130194). Warum die dazu getroffenen Konstatierungen (vgl US 8 f) die Beurteilung der Rechtsfrage nicht zuließen, wird nicht deutlich und bestimmt dargetan.

[12] Gleiches gilt für das zu Punkt G erstattete Vorbringen, das nicht erklärt, weshalb die Feststellungen (US 13 f) zur Beurteilung der Rechtsfrage (vgl 15 Os 86/14g) nach der Eignung des inkriminierten Verhaltens, die Opfer in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, nicht ausreichten.

[13] Die Kritik, zu Punkt F des Schuldspruchs fehlten Feststellungen zu einem auf fortgesetzte Gewaltausübung gerichteten Vorsatz, verfehlt abermals die Bezugnahme auf den Urteilssachverhalt (vgl US 13; erneut RIS Justiz RS0099810).

[14] Die nominell im Rahmen der Rechtsrüge erhobene Forderung nach einem Entfall des Schuldspruchs B (der Sache nach Z 10), weil „der Umstand, dass es sich um einen Unmündigen gehandelt habe“, durch das „Vergewaltigungstatbild konsumiert“ sei, leitet nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl aber RIS Justiz RS0116565), weshalb die Tatbegehung an einer Unmündigen typische, also regelmäßig verbundene Begleiterscheinung (mit wesentlich geringerem Unwertgehalt) einer Vergewaltigung und solcherart vom Gesetzgeber beim Strafsatz für diese strafbare Handlung mitbedacht worden sei (vgl RIS Justiz RS0124022; Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 58 f; zum Verhältnis dieser beiden Tatbestände vgl im Übrigen RIS Justiz RS0095615; Philipp in WK 2 StGB § 206 Rz 32).

[15] Gleiches gilt für die nicht näher begründete Behauptung, der Schuldspruch wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (D) habe wegen der angenommenen tateinheitlichen Begehung von § 206 Abs 1 StGB (B) und § 207 StGB (C) „zu entfallen“ (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0095110, RS0090725).

[16] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11) haben die Tatrichter die mit hoher Wahrscheinlichkeit befürchteten (zudem keineswegs bloß „abstrakt-hypothetisch“ für möglich gehaltenen) Prognosetaten hinreichend konkretisiert (US 16, 23 f; vgl RIS Justiz RS0118581 [T10]). Mit dem Einwand, der Angeklagte sei „ausreichend in der Strafhaft behandelbar, sodass keine gesonderte Verhängung einer Maßnahme für die Behandlung des Angeklagten erforderlich“ erscheine, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[18] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO). Dieses wird zu beachten haben, dass dem Erstgericht folgende (nicht geltend gemachte) Subsumtionsfehler unterliefen, die sich nicht konkret zum Nachteil des Beschwerdeführers auswirkten und daher nicht von Amts wegen wahrzunehmen waren:

[19] Der Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) zu Punkt A lautete auf mehrere Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 erster und zweiter Fall StGB. Abgesehen davon, dass ausschließlich die zu A/I/c angelastete Tat eine Schwangerschaft zur Folge hatte (US 10), hätte die Erfolgsqualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB nur einmal angelastet werden dürfen (RIS Justiz RS0120828). Damit wäre aber richtig eine Tat § 201 Abs 1 StGB in der zur Tatzeit (wegen der niedrigeren Strafuntergrenze) günstigeren Fassung (BGBl I 2004/15) und damit in Idealkonkurrenz (zu B) § 206 Abs 1 idF BGBl 2001/130 sowie (zu D) § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2006/56 zu subsumieren gewesen (RIS Justiz RS0089011 [insbesondere T3]).

[20] Zu Punkt F des Schuldspruchs begründete das Erstgericht die Subsumtion nach Tatzeitrecht (§ 107b Abs 1, 3 Z 1 und Abs 4 [gemeint] vierter Fall StGB idF BGBl I 2009/40) damit, dass nach diesem „§ 107b Abs 3a Z 1 StGB noch nicht in Geltung war“ (US 21), hat dabei jedoch übersehen, dass der auf Basis des Urteilssachverhalts verwirklichte § 107b Abs 1, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung gleich günstig und daher nach der Anordnung des § 61 zweiter Satz StGB anzuwenden war.

[21] Angesichts dieser Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei der Entscheidung über die Berufung nicht an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch gebunden (RIS Justiz RS0118870).

[22] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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