JudikaturJustiz14Os25/06t

14Os25/06t – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juni 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Thomas F***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 20. Jänner 2006, GZ 23 Hv 197/05m-56, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Bauer, des Angeklagten sowie seines Verteidigers Dr. Battlogg zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Thomas F***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Demnach hat er am 16. Juni 2005 in Dornbirn den am 16. März 1998 geborenen Murat K*****, mithin eine unmündige Person, mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihn in seine Wohnung trug, ihm, weil er um sich schlug, mehrere Schläge versetzte, ihn entkleidete und mit beiden Händen festhielt, sodass er nicht davonlaufen konnte, worauf er ca ein bis zwei Minuten am Penis des Kindes lutschte, wobei die Tat eine schwere Angststörung sowie Anzeichen einer mittelgradigen posttraumatischen Belastungsstörung, verbunden mit einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung, sowie ein Hämatom im Kiefer-/Wangenbereich links, Hauteinblutungen im Brustbereich, am rechten Arm und am linken Oberschenkel, sowie eine Einblutung am Penissschaft bei diesem zur Folge hatte.

Die Geschworenen bejahten die an sie (anklagekonform) gerichtete Hauptfrage und verneinten die nach Zurechnungsunfähigkeit zur Zeit der Tat gestellte Zusatzfrage.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs 1 Z 8, 11 lit b und 13 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Die Instruktionsrüge (Z 8) vermisst im Blick auf die gutachterliche Äußerung des Sachverständigen Prim. Univ. Prof. Dr. H*****, der Entwicklungsstand des Angeklagten entspreche dem eines neunjährigen Kindes (S 60/II), die Aufklärung der Geschworenen in der Rechtsbelehrung, dass eine neunjährige Person unmündig und daher nicht schuldfähig sei. Der Beschwerdeführer ist auf die erschöpfende Rechtsbelehrung zur Frage der Zurechnungsfähigkeit (S 103 ff/II) und darauf zu verweisen, dass das Zurückführen der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung (hier: Schuldausschließungsmerkmale) auf den zu beurteilenden Sachverhalt nicht Gegenstand der Rechtsbelehrung nach § 321 Abs 1 StPO ist, sondern Aufgabe der nach § 323 Abs 2 StPO abgehaltenen (S 62/II) Besprechung war (vgl Philipp, WK-StPO § 321 Rz 16). Der Rüge zuwider kann aus der normativ festgelegten mangelnden Strafbarkeit Unmündiger (§ 4 Abs 1 JGG) nicht geschlossen werden, die auf dem geistigen Niveau Unmündiger stehenden Erwachsenen seien ebenfalls generell diskretions- und dispositionsunfähig, sodass eine diesbezügliche Anleitung der Geschworenen zu Recht unterblieben ist. Die die Zurechnungsunfähigkeit des Beschwerdeführers relevierende Rechtsrüge (Z 11 lit b) ist in Anbetracht der Verneinung der in Richtung § 11 StGB gestellten Zusatzfrage durch die Geschworenen nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt, weil sie den gebotenen Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen enthaltenen und damit festgestellten Tatsachen mit dem zur Anwendung gebrachten Strafgesetz vermissen lässt (vgl SSt 42/34).

Nur klarstellend sei angemerkt, dass es sich beim Strafausschließungsgrund des § 4 Abs 1 JGG um eine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung fehlender Diskretions- bzw Dispositionsfähigkeit handelt, die auch dann Platz greift, wenn eine unmündige Person das Unrecht der Tat zu begreifen und dieser Einsicht gemäß zu agieren vermag (vgl Schroll in WK² § 4 JGG Rz 2). Die Regelung des § 4 Abs 1 JGG kommt allerdings nur Personen zugute, deren vierzehntes Lebensjahr noch nicht vollendet ist (§ 1 Z 1 JGG). Nach erreichter Mündigkeit ist stets im Einzelfall das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB zu prüfen.

Unberechtigt ist in diesem Zusammenhang der Beschwerdevorwurf der „verwehrten Rechtsschutzmöglichkeit im geschworenengerichtlichen Rechtsmittelverfahren"; dementgegen eröffnen - angepasst der Besonderheit dieses Verfahrens - Frage-, Instruktions- und Tatsachenrüge dem Angeklagten hinreichende Möglichkeiten, die erstgerichtliche Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit einer Überprüfung durch die Instanz zuzuführen. Die je nach Verfahrensart differenzierende Anfechtbarkeit von Urteilen ist auch unter dem in der Beschwerde angesprochenen gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkt unbedenklich (vgl JBl 1980, 607). Somit liegt kein Grund für eine vom Beschwerdeführer angeregte Antragstellung nach Art 140 B-VG vor. Entgegen der Sanktionsrüge (Z 13) hat das Geschworenengericht auch nicht durch Übergehung des § 5 Z 4 JGG in unvertretbarer Weise gegen Bestimmungen über die Strafbemessung verstoßen, weil es an der Voraussetzung der Ahndung einer Jugendstraftat (§ 1 Z 3 JGG) mangelt. Die vom Beschwerdeführer geforderte analoge Anwendung des § 5 Z 4 JGG auch auf Erwachsene mit verzögerter Reife verbietet schon dessen Charakter als ausschließlich den jugendlichen Straftäter privilegierende Sonderregelung. Eine planwidrige Gesetzeslücke, die Voraussetzung einer Analogie wäre, liegt nicht vor. Die unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen. Bemerkt wird, dass bei gegebener Idealkonkurrenz der Grunddelikte (§ 201 Abs 1 StGB und § 206 Abs 1 StGB) die Tatfolge der schweren Körperverletzung (iSd § 84 Abs 1 StGB) nicht nur der Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB, sondern zusätzlich - ungeachtet materieller Subsidiarität - auch jener nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB unterstellt wurde, was ungerügt blieb. Das Schöffengericht erblickte in der nominellen Heranziehung beider Qualifikationen allerdings keinen Erschwerungsumstand, sodass durch die doppelte Subsumtion dem Angeklagten kein Nachteil erwachsen ist, der zum Anlass eines Vorgehens nach §§ 290 Abs 1, 344 StPO genommen werden müsste (vgl JBl 2002, 129).

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 2 StGB unter Anwendung der §§ 28 (Abs 1), 41 (Abs 1 Z 3) StGB eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und wies ihn gemäß § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein. Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen zweier strafbarer Handlungen, als mildernd hingegen die eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit, die bisherige Unbescholtenheit und das reumütige vollumfängliche Geständnis. Der auf eine Herabsetzung der Strafe antragenden Berufung zuwider sieht sich der Oberste Gerichtshof zu einer Änderung der Sanktion nicht bestimmt.

Das Geschworenengericht hat die Strafzumessungsgründe im Wesentlichen richtig angeführt. Zum Nachteil des Angeklagten tritt noch hinzu, dass eines der (unmissverständlich als verwirklicht angenommenen) Verbrechen, nämlich die Vergewaltigung, in Form zweier Begehungsmittel gesetzt wurde.

Der eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten wurde mangels oben beschriebener Möglichkeit einer Privilegierung nach dem JGG durch Gewährung außerordentlicher Strafmilderung hinreichend Rechnung getragen. Die in der Beschwerde vorgetragene Sichtweise der Aufarbeitung eines am Angeklagten vorgenommenen Übergriffs durch die in Rede stehende Tat fällt keineswegs als mildernd ins Gewicht. Die brutale Vorgangsweise an einem erst siebenjährigen Kind mit teils massiven physischen und psychischen Folgen steht einer Herabsetzung der Strafe entgegen.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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