JudikaturJustiz14Os159/02

14Os159/02 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Februar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zucker als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franz H***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 12. September 2002, AZ 17 Bs 217/02 (= GZ 63a Vr 1.775/00-50 des Landesgerichtes Korneuburg), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, und des Verteidigers Dr. Thomas Krankl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Franz H***** wurde mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 29. November 2001, GZ 73a Vr 1775/00-43, der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen schuldig erkannt und hiefür zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Sogleich nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung durch den Vorsitzenden meldete der (nach Inhalt des unberichtigt gebliebenen, vollen Beweis machenden Hauptverhandlungsprotokolls - entgegen dem Vorbringen des gewählten Verteidigers im Gerichtstag, wonach er nach der Urteilsverkündung Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet habe -) der Angeklagte ohne Widerspruch des Verteidigers Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung "wegen Schuld" an (S 133). In der Folge führte er durch den Wahlverteidiger fristgerecht eine Nichtigkeitsbeschwerde sowie Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe aus.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2002, GZ 14 Os 33/02-6 (= ON 48), wies der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung zurück und leitete zugleich die Akten zur Entscheidung über die Berufung dem Oberlandesgericht Wien zu.

Der Gerichtshof zweiter Instanz wies jedoch diese Berufung mit Beschluss vom 12. September 2002, AZ 17 Bs 217/02 (= ON 50), mit der Begründung zurück, dass die Strafprozessordnung eine Schuldberufung für das schöffengerichtliche Verfahren - anders als für das Verfahren vor den Bezirksgerichten und vor dem Einzelrichter des Gerichtshofs erster Instanz - nicht vorsehe. Daher sei die nunmehrige Ausführung der Strafberufung ohne vorangegangene rechtzeitige Anwendung dieses Rechtsmittels verspätet (§ 294 Abs 4 StPO). Ergänzend hiezu führte das Berufungsgericht noch aus, dass der Strafberufung in sachlicher Hinsicht ohnehin keine Berechtigung zukäme.

Nach Ansicht des Generalprokurators steht der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien auf Zurückweisung der Berufung aus nachstehenden Gründen mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Der Angeklagte hat jedenfalls Berufung angemeldet, jedoch dabei die beifügende Bezeichnung "wegen Schuld" gebraucht. Wenngleich die Prozessordnung eine solche Anfechtungsrichtung - anders als im bezirksgerichtlichen und im einzelrichterlichen Verfahren vor den Gerichtshöfen erster Instanz, in deren Rahmen übrigens die Schuldberufung auch die Strafberufung mitumfasst (§§ 467 Abs 3, 489 Abs 1 StPO) - nicht vorsieht, hat der Angeklagte durch dieses Vergreifen in der Bezeichnung des Rechtsmittels nicht auch schon auf eine Berufung gegen den Strafausspruch verzichtet. Die folgende Ausführung der Berufung in dieser Richtung auf der Grundlage der erwähnten Anmeldung war daher zulässig (und entsprach den durch den vorletzten Satz des § 294 Abs 2 StPO gestellten Anforderungen), weshalb über dieses Rechtsmittel meritorisch zu erkennen gewesen wäre (vgl Mayerhofer, StPO4, E 13a zu § 294).

Die bloße Erörterung der für die Strafzumessung relevanten Gesichtspunkte im Rahmen des Zurückweisungsbeschlusses entspricht nicht den Erfordernissen einer Berufungsentscheidung, weil dem Berufungswerber damit nicht das gebotene rechtliche Gehör in einer Berufungsverhandlung gewährt wurde.

Die Generalprokuratur erhebt daher gemäß § 33 Abs 2 StPO die Nichtigkeitsbeschwerde zur Warnung des Gesetzes und beantragt, nach einem gemäß § 292 StPO durchzuführenden Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung zu erkennen:

Im Verfahren zu AZ 63a Vr 1775/00 des Landesgerichtes Korneuburg verletz der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 12. September 2002, AZ 17 Bs 217/02 (ON 50), womit die Berufung des Franz H***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 29. November 2002 (ON 43) zurückgewiesen wurde, das Gesetz in der Bestimmung des § 294 Abs 2 und 4 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, über die Berufung des Franz H***** neuerlich zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 283 Abs 1 StPO steht gegen Urteile der Schöffengerichte Berufung nur gegen den Ausspruch über die Strafe und gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche offen. Das Rechtsmittel ("die Berufung") ist innerhalb der im § 284 StPO bezeichneten (Drei-Tages )Frist anzumelden. Erklärt ein Rechtsmittelwerber binnen offener Frist - wie hier - ausdrücklich bloß, die "Berufung wegen Schuld" (also ein allein gegen Urteile eines Einzelrichters zulässiges Rechtsmittel) anzumelden, versteht der Oberste Gerichtshof den Zusatz stets dahin, dass sich das so angemeldete Rechtsmittel - demnach unzulässig - nur gegen den Ausspruch über die Schuld richtet und weist eine so angemeldete Berufung als unzulässig zurück (RS0098904). Durch Anmeldung einer "Berufung wegen Schuld" erfolgt demnach keine Anmeldung einer Berufung iS des § 283 StPO (Mayerhofer StPO4 § 294 E 13). Das bedeutet keineswegs, dass der Berufungswerber gehalten wäre, bereits bei der Anmeldung Berufungspunkte erschöpfend zu bezeichnen. Vielmehr steht es ihm frei, sowohl die Anmeldung der Berufung fristgerecht zu ergänzen als auch das Rechtsmittel in Richtung eines bei der Anmeldung nicht genannten Berufungspunktes auszuführen, weil aus der Bezeichnung eines (zulässigen) Berufungspunktes ein schlüssiger Verzicht auf andere nicht abgeleitet werden darf (RZ 2002/21; Ratz, WK-StPO § 294 Rz 2). Voraussetzung dafür aber ist die Anmeldung einer zulässigen Berufung innerhalb der im § 284 StPO genannten Frist. Gebricht es daran, besteht kein Recht zur Ausführung des (nicht angemeldeten) Rechtsmittels. Damit ist der Inhalt einer solchen Schrift für das Berufungsgericht unbeachtlich und ändert nichts an dessen Befugnis zur Zurückweisung der Berufung bereits in nichtöffentlicher Sitzung nach § 294 Abs 4 StPO.

Sollte sich nachträglich die Richtigkeit der im Gerichtstag erstmals aufgestellten Behauptung des Verteidigers, derzufolge er nach der Urteilsverkündung ohnehin (nur) Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet habe, mithin herausstellen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien auf Zurückweisung der "Berufung wegen Schuld" auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage ergangen ist, ohne dass dem Gerichtshof zweiter Instanz solcherart ein Rechtsfehler unterlaufen wäre, kommt auf Antrag des Generalprokurators (noch immer) analoge Anwendung des § 362 Abs 1 Z 2 StPO durch den Obersten Gerichtshof in Betracht (aaO § 292 Rz 16).

Rechtssätze
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