JudikaturJustiz13Os47/22v

13Os47/22v – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Buttinger in der Finanzstrafsache gegen * K* wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 17. Jänner 2022, GZ 24 Hv 21/19x 69a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* jeweils mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG (1) und nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG (2) schuldig erkannt.

Danach hat er im Zuständigkeitsbereich des (ehemaligen) Finanzamts * als handelsrechtlicher Geschäftsführer (US 3) der K*-* GmbH. vorsätzlich

(1) unter Verletzung abgabenrechtlicher Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflichten, nämlich durch die Abgabe unrichtiger Jahressteuererklärungen, eine Verkürzung von Umsatzsteuer „für die Jahre 1995 und 1996 von insgesamt EUR 68.640,94“ bewirkt, indem er zu Unrecht die Differenzbesteuerung (§ 24 UStG) in Anspruch nahm, sowie

(2) unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von § 21 UStG 1994 entsprechenden Voranmeldungen, und zwar „durch die Nichtangaben bzw. Abgabe von unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen“, eine Verkürzung von Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume Jänner 1997 bis Dezember 1997 um (im Ersturteil nach Entrichtungszeiträumen aufgegliedert) insgesamt (richtig) 96.203,8 8 Euro bewirkt und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5, 5a, 9 lit a und lit b sowie 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[3] Aus ihrem Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil – wie auch die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – nicht geltend gemachte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO anhaftet, die zum Nachteil des Angeklagten wirkt und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[4] Die Strafbarkeit eines Finanzvergehens erlischt durch Verjährung (§ 31 Abs 1 erster Satz FinStrG). Die Verjährungsfrist für die in Rede stehenden Finanzvergehen beträgt fünf Jahre (§ 31 Abs 2 FinStrG). Bei Erfolgsdelikten beginnt die Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs 1 dritter Satz FinStrG mit dem Eintritt des (zum Tatbestand gehörenden) Erfolgs zu laufen.

[5] Zur Erfüllung der Tatbestände der Abgabenhinterziehung (hier § 33 Abs 1 und 2 lit a FinStrG) muss eine Abgabenverkürzung bewirkt werden und solcherart ein – von der Tathandlung trennbarer – Erfolg eintreten ( Lässig in WK 2 FinStrG § 31 Rz 4).

[6] Nach § 33 Abs 3 lit a erster Fall FinStrG ist die Abgabenverkürzung mit der Bekanntgabe des Bescheids oder Erkenntnisses, mit dem bescheidmäßig festzusetzende Abgaben (hier Umsatzsteuer [1]) zu niedrig festgesetzt wurden, bewirkt (eingehend Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 31 und 33 f).

[7] Bei Abgaben, die selbst zu berechnen sind (hier Umsatzsteuervorauszahlung [2], § 21 Abs 1 erster Satz UStG), ist die Abgabenverkürzung bewirkt, wenn sie bis zum Ablauf der Leistungsfrist (ganz oder teilweise) nicht abgeführt wurden (§ 33 Abs 3 lit b FinStrG), wobei sich die jeweilige Leistungsfrist aus den Abgabenvorschriften ergibt ( Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 38). Die Umsatzsteuervorauszahlung ist bis zum 15. des auf einen Kalendermonat (Voranmeldungszeitraum) zweitfolgenden Kalendermonats zu leisten (§ 21 Abs 1 UStG).

[8] Bei Tatmehrheit verjähren die einzelnen Taten grundsätzlich für sich (RIS Justiz RS0128998 [T3]). Jeweils eine selbständige Tat (§ 21 Abs 1 FinStrG) ist bei Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG – bezogen auf ein Steuersubjekt – die Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags), bei Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG das Unterlassen der auf einen bestimmten Kalendermonat bezogenen Abfuhr der Umsatzsteuervorauszahlungen unter Verletzung der Anmeldungspflicht (RIS Justiz RS0124712 und RS0118311, Lässig in WK 2 Vor FinStrG Rz 9 f mwN).

[9] § 31 FinStrG normiert aber in Abs 3 eine (Ablauf-)Hemmung durch später begangene vorsätzliche Finanzvergehen bis zum Ablauf der Verjährungsfrist auch für die letzte dieser Taten und in Abs 4 lit b – in Bezug auf (wie hier) gerichtlich zu ahndende Finanzvergehen – eine (Fortlauf-)Hemmung für die Zeit, während der wegen der Taten gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht geführt wird (RIS Justiz RS0132861 und RS0133841, Lässig in WK 2 FinStrG § 31 Rz 7 und 11 mwN).

[10] Nach § 31 Abs 1 letzter Satz FinStrG beginnt die Verjährungsfrist jedoch nie früher zu laufen als jene für die Festsetzung der Abgabe, auf die sich die Straftat bezieht, womit eine (durch abgabenrechtliche Vorschriften determinierte) Anlaufhemmung normiert wird. Dies ist als generelle – also auf alle Abgaben bezogene – Anordnung zu verstehen, bei der Berechnung der Frist zur finanzstrafrechtlichen Verfolgungsverjährung auf die Bestimmungen des § 208 BAO Bedacht zu nehmen ( Lässig in WK 2 FinStrG § 31 Rz 5).

[11] Nach § 208 Abs 1 lit a BAO (auch in den zu den Tatzeiten geltenden Fassungen BGBl 1984/531 und BGBl I 1998/9) beginnt die Verjährung der in Rede stehenden Abgaben (§ 207 Abs 2 BAO [auch in den Fassungen BGBl 1994/681 und BGBl I 1998/9]) mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabenpflicht knüpft (§ 4 Abs 1 BAO [auch in der Fassung BGBl 1994/681]).

[12] Auf der Grundlage der Urteilskonstatierungen (US 4 iVm US 1 f) ist der letzte Abgabenanspruch (Schuldspruch 2 in Bezug auf den Voranmeldungszeitraum Dezember 1997) im Februar 1998 entstanden. Ausgehend davon wurde der Anlauf der fünfjährigen Verjährungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 1998 gehemmt.

[13] Tatumstände, die den Eintritt der Verjährung mit 1. Jänner 2004 gehindert hätten, hat das Erstgericht nicht festgestellt. Seit wann das Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen der vom Schuldspruch umfassten Finanzvergehen bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht im Sinn des § 31 Abs 4 lit b FinStrG „geführt“ wurde (oder im Sinn dieser Norm in ihren vor BGBl I 2007/44 geltenden Fassungen bei Gericht anhängig war [siehe dazu RIS Justiz RS0086477 und RS0086484]), ist dem Ersturteil nicht zu entnehmen.

[14] Machen aber fehlende Feststellungen – wie hier zu verjährungshemmenden Umständen (dazu RIS Justiz RS0091794 und RS0118545) – die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Verjährung) unschlüssig, liegt ein Rechtsfehler mangels Feststellungen (hier Z 9 lit b) vor (RIS Justiz RS0122332 [T11]).

[15] Dieser erfordert – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).

[16] Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[17] Im Übrigen sei mit Blick darauf, dass das Urteil weitere materielle Nichtigkeit (Z 9 lit a) erkennen lässt, hinzugefügt:

[18] 1.) Hinsichtlich zu veranlagender Abgaben (hier Umsatzsteuer) wird – bezogen auf ein Steuersubjekt – mit (soweit hier von Relevanz) Abgabe einer unrichtigen Jahressteuererklärung je Steuerart (unabhängig von der Höhe des Hinterziehungsbetrags) ein Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG begründet. Solcherart bildet insoweit die Jahressteuererklärung – allenfalls als Bündel mehrerer steuerlich trennbarer Einzelaspekte – das kleinste (nicht mehr teilbare) Element des Sachverhalts, also eine selbständige Tat im materiellen Sinn (RIS Justiz RS0124712 [T8] und RS0086590 [T2]). Die zum Schuldspruch 1 getroffenen Feststellungen, die – ohne Differenzierung nach Veranlagungsjahren – bloß einen Gesamtbetrag an verkürzter Umsatzsteuer für die Jahre 1995 und 1996 nennen (US 4), genügen den sich daraus ergebenden Feststellungserfordernissen nicht. Sie bilden nämlich keine hinreichende Feststellungsbasis für die Beurteilung, ob auf jede einzelne Tat ein strafbestimmender Wertbetrag entfällt, der größer als „null“ ist (dazu Lässig in WK 2 Vor FinStrG Rz 13 und 20 je mwN). Des Weiteren fehlen Urteilskonstatierungen, wann der Angeklagte welche inhaltlich unrichtige Jahressteuererklärung abgegeben hat und durch welchen konkreten Sachverhalt die Verkürzung von Umsatzsteuer bewirkt worden sein soll.

[19] 2.) Ausgehend davon, dass – wie oben dargelegt – bei Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStG hinsichtlich jedes Voranmeldungszeitraums eine selbständige Tat vorliegt, lassen die Konstatierungen zum Schuldspruch 2 nicht erkennen, ob (gegebenenfalls wann) Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und ob hinsichtlich jedes einzelnen der Monate Jänner bis Dezember 1997 abgabenrechtliche Pflichten verletzt worden sind und aus welchen konkreten Umständen eine Abgabenverkürzung von mehr als „null“ (und zwar bezogen auf jeden einzelnen Voranmeldungszeitraum) bewirkt worden ist (RIS Justiz RS0124713, Lässig in WK 2 Vor FinStrG Rz 13).

[20] 3.) Grundsätzlich zutreffend sind auch die Ausführungen der Generalprokuratur zum Günstigkeitsvergleich in Bezug auf § 33 Abs 5 FinStrG (zum nach § 4 Abs 2 FinStrG vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich eingehend Lässig in WK 2 FinStrG § 4 Rz 5 und 7 mwN, zur Anknüpfung an den Tätervorsatz in der Neufassung des § 33 Abs 5 FinStrG durch die FinStrG Novelle 2010 BGBl I 2010/104 siehe Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 47 f). Die dabei als verfehlt kritisierte Anwendung des Urteilszeitrechts durch das Erstgericht ist aber nicht zu ersehen (vgl US 2 und 6).

Rechtssätze
8
  • RS0118311OGH Rechtssatz

    23. November 2022·3 Entscheidungen

    Selbstständige Tat (iSd § 21 Abs 1 FinStrG) beim Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG ist die vom Steuerpflichtigen unter vorsätzlicher Verletzung seiner Verpflichtung zur Abgabe inhaltlich richtiger Umsatzsteuervoranmeldungen wissentlich bewirkte Verkürzung der im Voranmeldungszeitraum zu entrichtenden Umsatzsteuer. Durch diesen Tatbestand wird die vom Täter unter Zuwiderhandlung gegen die Voranmeldungspflicht (Nichteinreichung von bzw Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen oder Geltendmachung ungerechtfertigter bzw überhöhter Abgabengutschriften) für den jeweiligen Voranmeldungszeitraum (Kalendermonat) bewirkte Vorauszahlungsverkürzung in ihrer Gesamtheit erfasst. Ein gegen den Abgabenschuldner wegen des Finanzvergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG ergangenes, in Rechtskraft erwachsenes Straferkenntnis der Finanzstrafbehörde entfaltet im Umfang der darin abgestraften Tat Sperrwirkung dergestalt, dass eine gerichtliche Verfolgung und Aburteilung wegen derselben Tat als Verkürzung der Umsatzsteuervorauszahlung nach § 33 Abs 2 lit a FinStrG - ohne vorherige Wiederaufnahme des verwaltungsbehördlichen Finanzstrafverfahrens (vgl etwa § 165 Abs 1 lit a FinStrG) zum Zwecke eines finanzstrafbehördlichen Vorgehens nach § 54 Abs 1 FinStrG - selbst bei nachträglichem Hervorkommen von im selben Tatzeitraum zusätzlich bewirkter Vorauszahlungsverkürzung ausgeschlossen ist (Art 4 Abs 1 7. ZPMRK).