JudikaturJustiz12Os34/23a

12Os34/23a – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. April 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 31 U 3/23b des Bezirksgerichts Fünfhaus, über die von der Generalprokuratur gegen das „Unzuständigkeitsurteil“ des Bezirksgerichts Döbling vom 27. Juli 2022, GZ 32 U 55/22a 21, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, und des Angeklagten * S* zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 31 U 3/23b des Bezirksgerichts Fünfhaus verletzt der Umstand, dass die Entscheidung des Bezirksgerichts Döbling vom 27. Juli 2022 (ON 21) auf Überweisung des Strafverfahrens an das Bezirksgericht Fünfhaus wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Urteil erging, § 35 StPO.

Text

Gründe:

[1] Beim Bezirksgericht Fünfhaus ist zu AZ 31 U 3/23b (vormals AZ 31 U 40/22t) ein Strafverfahren wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB anhängig.

[2] Mit Verfügung vom 23. Mai 2022 überwies das Bezirksgericht Fünfhaus das Verfahren an das „örtlich zuständige“ Bezirksgericht Döbling, weil (ersichtlich gemeint) der Handlungsort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war (ON 1 S 2).

[3] In der daraufhin am 27. Juli 2022 durchgeführten Hauptverhandlung entschied das Bezirksgericht Döbling mit Urteil, das Strafverfahren an das Bezirksgericht Fünfhaus infolge örtlicher Unzuständigkeit des Bezirksgerichts Döbling zu überweisen (ON 21). Ausschlaggebend dafür war (aus Sicht des Bezirksgerichts Döbling) eine Änderung des für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Sachverhalts gegenüber der Entscheidung des Bezirksgerichts Fünfhaus, das Verfahren an das Bezirksgericht Döbling zu überweisen (US 2 f).

[4] In weiterer Folge legte das Bezirksgericht Fünfhaus die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Entscheidung über den Zuständigkeitskonflikt vor (§ 38 letzter Satz StPO).

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Entscheidung des Bezirksgerichts Döbling vom 27. Juli 2022 (ON 21) verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – das Gesetz.

[6] Ein Bezirksgericht hat seine (sachliche) Unzuständigkeit nur dann mit Urteil auszusprechen, wenn es nach Eintritt der – durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 StPO; RIS Justiz RS0132157) zum Ausdruck gebrachten – Rechtswirksamkeit des Strafantrags erachtet, dass die der Anklage zugrundeliegenden Tatsachen an sich oder in Verbindung mit in den in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen – eine (oder mehrere) zur Zuständigkeit des Landesgerichts gehörige strafbare Handlung(en) begründen (§ 447 iVm § 261 Abs 1 StPO [RIS Justiz RS0098835]).

[7] Sieht sich das Bezirksgericht hingegen aufgrund der in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umstände – wie hier – für örtlich unzuständig, hat es auch in diesem Verfahrensstadium gemäß § 38 StPO vorzugehen und die Sache dem zuständigen Gericht zu überweisen (§ 38 erster Satz erster Halbsatz StPO). Da im bezirksgerichtlichen Verfahren für Zuständigkeitsentscheidungen allein im Fall sachlicher Unzuständigkeit die Beschluss- oder Urteilsform vorgesehen ist (§ 450 StPO; §§ 447 iVm 261 Abs 1 StPO), handelt es sich bei der Überweisung an das örtlich zuständige Gericht um eine rein prozessleitende Verfügung (vgl RIS Justiz RS0129801, RS0101706 [T1], RS0098800 [T2]; Bauer , WK StPO § 450 Rz 9; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/3 und § 38 Rz 2 und 8; vgl auch Ratz , WK StPO § 468 Rz 7) .

[8] Der Umstand, dass die Entscheidung auf Überweisung des Verfahrens an das Bezirksgericht Fünfhaus wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Urteil erging, verletzt daher das Gesetz in § 35 Abs 2 zweiter Satz StPO. Der Vollständigkeit halber ist mit Blick auf die von der Generalprokuratur für verletzt erachtete Bestimmung des § 38 letzter Satz StPO festzuhalten, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Bezirksgerichts Döbling aufgrund der Änderung der für die Zuständigkeitsfrage maßgeblichen Umstände gegenüber der Überweisung des Strafverfahrens an das Bezirksgericht Döbling infolge der Ergebnisse der Hauptverhandlung keine von § 38 letzter Satz StPO erfasste Verfahrenssituation gegeben war.

[9] Ob ein Urteil, ein Beschluss oder „bloß eine auf den Fortgang des Verfahrens oder die Bekanntmachung einer gerichtlichen Entscheidung gerichtete Verfügung“ vorliegt (§ 35 StPO), bestimmt sich nicht nach der Form, sondern dem Wesen der Entscheidung (RIS Justiz RS0106264 [T3]; Ratz , WK StPO Vor §§ 280–296a Rz 5; vgl ders , Verfahrensführung und Rechtsschutz² Rz 353), weil ansonsten die Rechtsmittelzulässigkeit, also der gesetzliche Richter (Art 83 Abs 2 B VG) im Belieben des Entscheidungsorgans stünde (vgl Ratz , Verfahrensführung und Rechtsschutz² Rz 5, 348). Danach stellt das hier zu beurteilende „Unzuständigkeitsurteil“ – nach seinem Wesen – eine prozessleitende Verfügung dar.

[10] Der bloße Umstand einer falschen Entscheidungsform gereichte dem Angeklagten nicht zum Nachteil, sodass die festgestellte Gesetzesverletzung nicht mit konkreter Wirkung zu verbinden war (§ 292 vorletzter Satz StPO).

[11] Über den (nunmehrigen) Zuständigkeitskonflikt hat das Landesgericht für Strafsachen Wien zu entscheiden (§ 38 letzter Satz StPO). Dass die als „Unzuständigkeitsurteil“ bezeichnete Überweisung an das Bezirksgericht Fünfhaus (ON 21) einer Entscheidung des Landesgerichts entgegenstehen sollte, ist nicht nachvollziehbar (so aber die Anregung der Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes ON 1 S 7).

Rechtssätze
4
  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.