JudikaturJustiz12Os25/05a

12Os25/05a – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. März 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. März 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Petö als Schriftführer, in der Strafsache gegen Erich B***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld und Strafe des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Dezember 2004, GZ 034 Hv 160/04b-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die „Berufung wegen Schuld" werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung wegen Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erich B***** der Verbrechen des „teils versuchten, teils vollendeten" sexuellen Missbrauches von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1, 15 StGB (I) und der Vergehen des sexuellen Missbrauches von Jugendlichen nach § 207b Abs 1 StGB (II), der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III) und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 3 [vierter Fall iVm Abs 4 Z 3 lit a] StGB (IV) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung von § 28 Abs 1 StGB nach § 207 Abs 1 StGB unter Vorhaftanrechnung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Danach hat er in Wien

I. im Zeitraum von Mai bis 22. Juni 2004 außer den Fällen des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen

1) vorzunehmen versucht, indem er einmal einen Handverkehr an dem am 10. Juni 1992 geborenen Wolfgang N***** durchzuführen versuchte;

2) vorgenommen, indem er einmal einen Handverkehr an dem am 15. November 1991 geborenen Harpavitar Ba***** durchführte und den Penis des letztgenannten betastete;

II. im Zeitraum von Mai bis 22. Juni 2004 an einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und aus bestimmten Gründen noch nicht reif genug war, die Bedeutung des Vorganges einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieser mangelnden Reife sowie einer altersbedingten Überlegenheit geschlechtliche Handlungen vorgenommen bzw von dieser an sich vornehmen lassen, indem er an dem am 31. August 1989 geborenen Manolito E*****, der aufgrund einer ausgeprägten Unreife sowohl im kognitiven als auch im emotionalen Bereich zumindest in seiner Dispositionsfähigkeit nicht altersgemäß entwickelt war, in drei Angriffen einen Handverkehr durchführte und einmal von E***** einen Handverkehr an sich durchführen ließ;

III. im Juni 2004 dadurch, dass er in Gegenwart des am 10. Juni 1992 geborenen Wolfgang N***** eine Videokassette mit pornographischen Darstellungen von 14- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen, die Oral-, Anal- sowie Handverkehr durchführen, abspielte und dabei an sich selbst einen Handverkehr durchführte, eine Handlung vorgenommen, die geeignet war, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter 16 Jahren zu gefährden, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen und zu befriedigen;

IV. im Juni 2004 dadurch, dass er in Gegenwart von Wolfgang N***** und Manolito E***** und vor deren Augen eine Videokassette mit pornographischen Darstellungen von 14- bis 17-jährigen männlichen Jugendlichen, die Oral-, Anal- sowie Handverkehr durchführten, abspielte, pornographische Darstellungen minderjähriger Personen anderen vorgeführt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a, 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt. Die Verfahrensrüge (Z 4) gegen die Abweisung (S 403, auch US 13) des Antrages auf Einholung eines Gutachtens eines weiteren kinderpsychologischen Sachverständigen, „welcher über die in § 126 Abs 2 StPO geforderten Qualitäten verfügen möge" (S 403 iVm ON 31 und ON 42), versagt:

Die solcherart angegriffene Expertise (ON 23) wurde im Sinne der Einwendungen des Angeklagten (ON 31) ergänzt (ON 39) und in der Hauptverhandlung - unter anderem mit fragender Beteiligung des Nichtigkeitswerbers - erörtert (S 399 ff).

Zu keinem Zeitpunkt vermochte dieser konkrete Mängel von Befund und Gutachten (§§ 125 f StPO) aufzuzeigen, sondern beschränkte sich bis zuletzt darauf, die Schlüssigkeit des Gutachtens pauschal zu bestreiten, ohne auf die Argumente der Sachverständigen einzugehen. Die Beurteilung, ob die Schwierigkeit der Begutachtung einer Sachfrage die Zuziehung eines zweiten Sachverständigen gebietet (§ 118 Abs 2 StPO), ist dem pflichtgemäßen, nur auf Willkür überprüfbaren Ermessen der Tatrichter anheimgestellt. Die Überzeugungskraft einer Expertise unterliegt der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO). Das wie hier auf bloß - nach Art einer Berufung wegen Schuld - behauptete Mängel iSd §§ 125 f StPO (deren Aufklärung der Angeklagte ernsthaft und sachbezogen gar nicht versuchte - vgl neuerlich S 399 ff) gestützte Begehren auf Beiziehung eines weiteren - noch dazu nach § 126 Abs 2 StPO qualifizierten - Sachverständigen zielt auf unzulässige Erkundungsbeweisführung ab und wurde somit prozessordnungs- und grundrechtskonform (Art 6 EMRK) abgelehnt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; 12 Os 72/03 uva). In seiner Mängelrüge zum Faktum I/1 orientiert sich der Angeklagte nicht am gesetzlich vorgegebenen Anfechtungsumfang (Z 5), sondern unterzieht bloß verschieden lautende Aussagen sowie die Glaubwürdigkeit des Zeugen E***** einer eigenständig-spekulativen Würdigung, ohne den erstgerichtlichen Überlegungen dazu (US 9 bis 12) einen Mangel in der Bedeutung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes anzulasten.

Die zu ebendiesem Faktum erhobene Tatsachenrüge (Z 5a) greift neuerlich die widersprüchlichen Angaben der Zeugen E***** (S 389) und N***** (S 275) auf: Während zweiterer nur von einer Berührung am Oberschenkel sprach, will ersterer bereits einen Handverkehr gesehen haben. Soweit der Angeklagte darauf gestützt die Vollendung des Verbrechens nach § 207 Abs 1 StGB erwägt, führt er sein Rechtsmittel nicht zu seinen Gunsten aus. Er vermag überdies insgesamt erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch I/1 tragenden Feststellungen nicht hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a; teilweise der Sache nach Z 10, vgl dazu Fabrizy StPO9 § 281 Rz 54) behauptet Konsumtionen:

„Begleithandlungen" seien die Fakten III zu I/1 und IV zu II; das Schuldspruchfaktum IV sei, „soweit Wolfgang N***** betroffen ist", straflose Vorbereitungshandlung zu III.

Mit diesen Überlegungen verlässt der Angeklagte allerdings die Tatsachengrundlage des Ersturteiles: Es ist diesem nämlich einerseits nicht zu entnehmen, dass der Rechtsmittelwerber die zu III beschriebene Tathandlung „in seinem Bestreben die Zeugen N***** und Manolito [gemeint: E*****] zu missbrauchen, offensichtlich aus Gründen der Stimulanz" setzte. Zum anderen ist daraus klar ersichtlich, dass ein von Faktum II erfasster Angriff zwar am selben Tag wie die im Schuldspruch IV beschriebene Tat stattfand, allerdings zeitlich, örtlich und ablaufmäßig völlig getrennt (US 6, 7). Die Vorführung (§ 207a Abs 1 Z 3 vierter Fall StGB) - und nicht (wie der Nichtigkeitswerber urteilsfremd vermeint) der Besitz (§ 207a Abs 3 zweiter Fall StGB) - der pornographischen Darstellungen minderjähriger Personen schließlich erfolgte nicht bloß vor Wolfgang N*****, sondern auch vor Manolito E***** (US 7), was zur Herstellung des Tatbestandes genügt („... einem anderen ..." in § 207a Abs 1 Z 3 StGB) und der Argumentation einer Idealkonkurrenz hinsichtlich eines weiteren Opfers den Boden entzieht.

Der Vollständigkeit halber (§ 290 Abs 1 Satz 2 StPO) sei daran erinnert, dass nur typische Begleittaten der Konsumtion unterliegen können und eine Vortat nur bei schutzzweckorientierter Schadenskongruenz straflos bleibt (Ratz in WK² Vorbem vor §§ 28 bis 31 Rz 58, 59, 68).

Die aus Z 11 gerügte - der herrschenden Ansicht einer fakultativ anzuwendenden Strafbemessungsregel (SSt 46/40 vS und die seither ständige Judikatur) zuwider laufende - Annahme (US 17) eines Strafrahmens von 6 Monaten bis 7 ½ Jahren Freiheitsstrafe (§ 207 Abs 1 StGB iVm § 39 StGB) begründet - da die aktuelle Strafe das nach §§ 39, 207 Abs 1 StGB zulässige Höchstmaß nicht überschritt - keine Nichtigkeit (Flora in WK² § 39 Rz 43 mwN).

Die Meinung, das Erstgericht hätte Vorverurteilungen wegen fahrlässiger Körperverletzung und Betruges (neben acht weiteren Vorverurteilungen) als erschwerend gewertet, beruht auf einem Rechenfehler des Nichtigkeitswerbers: Laut der Strafregisterauskunft ON 49 weist der Angeklagte 11 Vorstrafen auf, die bis auf die genannten zutreffend als einschlägig und somit erschwerend gewertet wurden (US 17).

Die (zwei) Verurteilungen wegen Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB sind ungeachtet des mittlerweiligen Ausscheidens der genannten Norm aus dem Rechtsbestand (BGBl I 101, 134/2002) als auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend weiterhin als erschwerend (§ 33 Z 2 StGB) zu berücksichtigen (Ebner in WK² § 33 Rz 6; vgl auch 11 Os 95/02 vS = EvBl 2003/182 = JBl 2004, 261 = RZ 2004/12). Schließlich fehlt der „Meinung" des Angeklagten, seine in Punkt 1 der Strafregisterauskunft aufscheinende Verurteilung durch den Polizeirichter Zwolle (Niederlande) wegen „Unzüchtigen Handlungen mit Jugendlichen" sei keine „gerichtliche Strafe" gewesen, jegliches Substrat, das Zweifel an der richtigen Anwendung von § 2 Abs 1 Z 2, Abs 3 StRegG (vgl auch § 73 StGB) begründen könnte. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - ebenso wie die in den Prozessgesetzen gegen kollegialgerichtliche Urteile nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld - in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Erledigung der Berufung des Angeklagten folgt (§§ 280, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung fußt auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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