JudikaturJustiz11Os26/14d

11Os26/14d – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. September 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 2014 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Breuß als Schriftführerin, in der Strafsache gegen MMag. Dr. Karl P*****, Dr. Helmut S***** und Mag. Christian T***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden und der Berufungen der Angeklagten sowie der Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. April 2013, GZ 121 Hv 87/12v 566, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B VG iVm Art 140 Abs 1 Z 1 lit a B VG an den Verfassungsgerichtshof den

Antrag

auf Aufhebung wegen Verfassungswidrigkeit

I. der Wortfolge „Sachverständigen oder“ in § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 2004/19;

in eventu

II. der Wortfolgen

1. „von der Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen (§§ 104, 105) und für das Hauptverfahren (§ 210 Abs 2) jedoch“ in § 126 Abs 3 erster Satz StPO idF BGBl I 2009/52,

2. „von der Staatsanwaltschaft, im Fall einer Bestellung durch das Gericht von diesem,“ im zweiten Satz und „Sachverständigen oder“ im dritten Satz des § 126 Abs 4 StPO idF BGBl I 2004/19,

3. „eine Staatsanwaltschaft oder“ im zweiten Satz und „der Staatsanwaltschaft oder“ im dritten Satz des § 128 Abs 2a StPO idF BGBl I 2009/40;

in eventu der Wortfolge

III. „Sachverständigen oder“ in § 126 Abs 2c StPO idF BGBl I 2010/111.

Mit der Fortsetzung des Rechtsmittelverfahrens wird bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

1. Darstellung der Rechtslage :

Bei den angefochtenen Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO, BGBl 1975/631, zuletzt geändert durch BGBl I 2014/71) handelt es sich um § 126 Abs 2c StPO idF BGBl I 2010/111, § 126 Abs 3 StPO idF BGBl I 2009/52, § 126 Abs 4 StPO idF BGBl I 2004/19 sowie § 128 Abs 2a StPO idF BGBl I 2009/40.

§ 126

...

(2c) Bei der Wahl von Sachverständigen oder Dolmetschern und der Bestimmung des Umfangs ihres Auftrags ist nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit vorzugehen.

(3) Sachverständige sind von der Staatsanwaltschaft, für gerichtliche Ermittlungen oder Beweisaufnahmen (§§ 104, 105) und für das Hauptverfahren (§ 210 Abs 2) jedoch vom Gericht zu bestellen. Werden Angehörige des wissenschaftlichen Personals einer Universitätseinheit als Sachverständige bestellt, so ist eine Ausfertigung des Auftrags auch dem Leiter der Einheit zuzustellen. Der Beschuldigte hat das Recht, binnen einer angemessen festzusetzenden, eine Woche nicht übersteigenden Frist begründete Einwände gegen die ausgewählte Person zu erheben; darüber ist er zu informieren, wobei ihm eine Ausfertigung der Bestellung zuzustellen ist.

(4) Für Sachverständige und Dolmetscher gelten die Befangenheitsgründe des § 47 Abs 1 sinngemäß. Soweit sie befangen sind oder ihre Sachkunde in Zweifel steht, sind sie von der Staatsanwaltschaft, im Fall einer Bestellung durch das Gericht von diesem, von Amts wegen oder aufgrund von Einwänden (Abs 3) ihres Amts zu entheben, bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes gemäß § 47 Abs 1 Z 1 und 2 bei sonstiger Nichtigkeit. Im Hauptverfahren kann die Befangenheit eines Sachverständigen oder Dolmetschers nicht bloß mit der Begründung geltend gemacht werden, dass er bereits im Ermittlungsverfahren tätig gewesen ist.

§ 128

...

(2a) Im Fall einer Beauftragung einer Universitätseinheit hat die Leitung dieser Einheit die persönliche Verantwortung für die Obduktion im Sinne des § 127 Abs 2 einem Angehörigen des wissenschaftlichen Personals dieser Einheit zu übertragen, der die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen erfüllt. Ersucht eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht um die Übertragung an eine bestimmte Person, so hat die Leitung diesem Ersuchen zu entsprechen, es sei denn, dass wichtige Gründe entgegenstehen. Ist dies der Fall, so hat die Leitung die Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts zu einer anderweitigen Übertragung einzuholen. Die Universitätseinrichtung kann Gebühren in sinngemäßer Anwendung des Gebührenanspruchsgesetzes (GebAG), BGBl 1975/136, geltend machen, wobei sie die Gebühr für Mühewaltung nach Abzug der Gebühren für die Nutzung der Untersuchungsräumlichkeiten, einschließlich der Infrastruktur der Person zu überweisen hat, der die Verantwortung für die Obduktion übertragen wurde.

2. Antragslegitimation :

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß Art 89 Abs 2 B VG bei Bedenken aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit gegen die Anwendung eines Gesetzes zur Antragstellung auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof verpflichtet (etwa VfSlg 11.248/1987 mwN).

3. Maßgeblicher Sachverhalt :

Mit dem angefochtenen Urteil das auch unangefochten in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält wurden die Angeklagten MMag. Dr. Karl P***** (I./B./1./ 3./, C./, D./, E./ und F./1./), Dr. Helmut S***** (I./C./, II./A./2./, B./1./ und C./) und Mag. Christian T***** (I./B./3./) des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Der Erst und der Zweitangeklagte haben sich (erfolglos: ON 482 S 4 ff, ON 522 S 61, ON 565 S 7 ff; US 221 ff) während des Hauptverfahrens gegen die Bestellung (ON 475 S 4 ff) und die Tätigkeit (ON 564 S 2 ff) des vom Gericht wie bereits von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren (ON 1 S 5, 10; ON 63; schriftliches Gutachten ON 145) bestellten Sachverständigen DDr. Gerhard A***** gewandt und einerseits eine Verletzung der Waffengleichheit (Art 6 MRK), andererseits eine Befangenheit des teilweise auch als nicht ausreichend sachkundig angesehenen Gutachters behauptet.

Gegen die Abweisung ihrer Anträge richten sich die (rechtzeitigen) Verfahrensrügen der genannten Angeklagten (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO; ON 835 S 9 ff, ON 834 S 4 ff), in denen sie unter anderem die Verfassungswidrigkeit von § 126 Abs 4 dritter Satz StPO monieren.

4. Präjudizialität der genannten Bestimmungen :

Der Oberste Gerichtshof hätte aufgrund der den formellen Anfechtungskriterien des § 281 Abs 1 Z 4 StPO entsprechenden Einwände die angefochtene Bestimmung des § 126 Abs 4 dritter Satz StPO idF BGBl I 2004/19 (auf den bereits das Erstgericht die Abweisung der genannten Anträge gestützt hat) anzuwenden.

Darüber hinaus umfasst der Kreis der präjudiziellen Bestimmungen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auch solche, die im Anlassfall weder angewendet wurden noch anzuwenden waren, aber eine Voraussetzung für die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs bilden (VfSlg 9.751/1983; vgl Öhlinger/Eberhard , Verfassungsrecht 10 Rz 1014 mwN).

Wie noch ausführlich darzulegen sein wird (unten 5.), liegt der Kern der verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 126 Abs 4 dritter Satz StPO im Verstoß gegen Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK, also einer Verletzung der Waffengleichheit durch die ohne entsprechendes Antragsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung (in der Regel) der Staatsanwaltschaft eingeräumte Möglichkeit, im Ermittlungsverfahren den Sachverständigen zu bestellen.

Daher stehen diejenigen Bestimmungen der Strafprozessordnung, die dies statuieren, in einem untrennbaren Zusammenhang mit der von den Angeklagten relevierten Norm, namentlich § 126 Abs 3 StPO idF BGBl I 2009/52, weiters der zweite Satz des § 126 Abs 4 StPO idF BGBl I 2004/19 und schließlich § 128 Abs 2a StPO idF BGBl I 2009/40.

Ein solcher Zusammenhang besteht auch hinsichtlich des § 126 Abs 2c StPO idF BGBl I 2010/111, soweit er die diskretionäre Gewalt des Vorsitzenden des Schöffengerichts (§§ 232 Abs 1, Abs 2; 254 StPO) bei der Herbeiführung eines Ausgleichs der Verletzung der Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Angeklagten durch Bestellung eines weiteren Sachverständigen einschränkt.

5. Darlegung der Bedenken im Sinne des § 62 Abs 1 VfGG :

Im System der Strafprozessordnung in der seit dem StrafprozessreformG (BGBl I 2004/19) geltenden Fassung leitet die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren und bestellt in diesem Verfahrensabschnitt mit Ausnahme des Sonderfalls gerichtlicher Ermittlungen (§§ 104 f StPO) auch Sachverständige (§ 126 Abs 3 erster Halbsatz StPO).

Zwar werden Staatsanwälte von Art 90a B-VG als Organe der Gerichtsbarkeit bezeichnet und sind gemäß § 3 Abs 2 StPO zur Objektivität verpflichtet. In der Hauptverhandlung sind sie als Anklagevertreter jedoch Beteiligte des Verfahrens (§ 210 Abs 2 zweiter Satz StPO) und nehmen strukturell eine Gegenposition zum Angeklagten ein. Aufgrund dieses Rollenwechsels ist auch der von der Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren) bestellte und geführte Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf dessen Expertise stützt und ihn das Gericht für das Hauptverfahren neuerlich bestellt (§ 126 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO), als „Zeuge der Anklage“ im Sinn eines nach dem gebotenen strengen Maßstab von einer Verfahrenspartei nicht unabhängigen Sachverständigen zu sehen; auch die spätere gerichtliche Bestellung ändert an dem bereits entstandenen Anschein eines Naheverhältnisses zur Gegenpartei des Angeklagten nichts mehr (vgl Grabenwarter in Korinek/Holoubek , Österreichisches Bundes verfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99 mwN; EGMR 4. 4. 2013, Nr 30465/06, C. B. gg Österreich Z 42; EGMR 25. 7. 2013, Nr 11082/06 und 13772/05, Khodorkovskiy und Lebedev gg Russland Z 729-735).

Dass es unter dem Aspekt der Fairness des Verfahrens und des Anspruchs auf ein unparteiisches Gericht (und von diesem beigezogene Hilfspersonen) nicht um die gesetzlich angeordnete Objektivität geht (die übrigens gleichermaßen für kriminalpolizeiliche Organe gilt), sondern um spezifische, im Verfahren ausgeübte Rollen, zeigt auch § 43 Abs 2 StPO (vgl § 68 Abs 2 StPO aF), der Ausgeschlossenheit von bestimmten (selbstredend zur Objektivität verpflichteten) Richtern im Hauptverfahren anordnet.

Jedenfalls kommt beim von der Staatsanwaltschaft eingeholten Sachverständigenbeweis im Ermittlungsverfahren ein strukturelles Ungleichgewicht zum Nachteil des Beschuldigten zum Tragen: Für die Staatsanwaltschaft ist nämlich (vgl die in § 2 Abs 1 StPO verankerte Verpflichtung zu amtswegiger Wahrheitsforschung) Erkundungsbeweisführung statthaft (vgl AB 406 BlgNR 22. GP 9), in deren Rahmen sie ohne Bindung an Begründungserfordernisse auch Sachverständige mit Ermittlungen beauftragen kann (vgl § 103 Abs 2 StPO). Beschuldigte hingegen haben gemäß § 55 Abs 1 dritter Satz StPO nicht anders als im Hauptverfahren (vgl EBRV 25 BlgNR 22. GP 80; RIS-Justiz RS0118444, RS0118123; zum umfassenden Anwendungsbereich dieser Vorschrift Schmoller , WK-StPO § 55 Rz 4 f) in ihrem Antrag zu begründen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme (durch den Sachverständigen) geeignet sei, das (erhebliche) Beweisthema zu klären, widrigenfalls diese gemäß § 55 Abs 2 Z 2 StPO unterbleiben darf. Die entstandene Schieflage kann im Hauptverfahren nicht mehr ausgeglichen werden, weil insoweit Erkundungsbeweisführung für sämtliche Parteien ausscheidet ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 330).

Hat der Sachverständige Befund und Gutachten (im Rahmen dieser verfahrensrechtlichen Vorgaben) erstattet, kann der Beschuldigte (im Hauptverfahren: Angeklagte) nur dann mit Erfolg die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen beantragen, wenn es ihm gelingt, formale Mängel aufzuzeigen, die sich durch Befragung des (bisherigen) Sachverständigen nicht beseitigen lassen (§ 127 Abs 3 StPO; RIS-Justiz RS0117263, RS0102833). Das von der Prozessordnung dem Angeklagten eingeräumte Recht allenfalls unterstützt durch eine „Person mit besonderem Fachwissen“ (§ 249 Abs 3 StPO) Fragen an den Sachverständigen zu stellen, um solcherart (unabhängig vom Vorliegen formaler Mängel) die materielle Überzeugungskraft des Gutachtens zu erschüttern (vgl 14 Os 129/05k), deckt bloß den ersten Fall des in Art 6 Abs 3 lit d MRK normierten Grundrechts ab (vgl Wess , Glosse zu 13 Os 141/11a, JBl 2013, 64 ff [66]).

Die dargestellte Rechtslage ist daher im Hinblick auf den Grundsatz der Waffengleichheit in Art 6 Abs 1 MRK sowie Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK durch die Bestellung ein und desselben Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und das Gericht im Hauptverfahren bedenklich.

Tritt aber der Sachverständige nach dem Vorgesagten als „Zeuge der Anklage“, mithin als Belastungszeuge auf, hat das Gesetz um der Garantie des Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK zu entsprechen dem Angeklagten das Recht einzuräumen, die Ladung und Vernehmung eines „Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen“, also die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu erwirken, der entweder nicht in einem vergleichbaren Naheverhältnis zur Anklagebehörde steht oder gleichsam compensando das Vertrauen der Verteidigung genießt ( Grabenwarter in Korinek/Holoubek , Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99, 101 mwN; vgl erneut EGMR 4. 4. 2013, Nr 30465/06, C. B. gg Österreich, mit welchem Urteil die gerichtliche Bestellung nach dem System der Strafprozessordnung in der Fassung vor dem StrafprozessreformG als konventionskonform beurteilt wurde insbesondere Z 42, wo sich der ausdrückliche Hinweis findet, dass der Sachverständige nicht von der Staatsanwaltschaft bestellt wurde).

Dies ist nach der dargestellten Rechtslage nicht der Fall. Die Berücksichtigung von sogenannten „Privatgutachten“ ist nach ständiger vom Gesetzgeber anlässlich der Einführung des § 249 Abs 3 StPO mit BGBl I 2007/93 ausdrücklich gebilligter (vgl EBRV 231 BlgNR 23. GP 13 f) oberstgerichtlicher Recht sprechung dem österreichischen Strafverfahren fremd (RIS Justiz RS0118421, RS0115646, RS0097292; allgemein zur [eingeschränkten] Bedeutung von „Privatgutachtern“ Hinterhofer , WK-StPO § 125 Rz 18 ff). Die der (nicht adversatorisch aufgebauten) Prozessordnung besser entsprechende (vgl Ratz , Zur Reform der Hauptverhandlung und des Rechtsmittelverfahrens, ÖJZ 2010, 387 f; vgl nunmehr auch § 126 Abs 5 erster Satz StPO in der Fassung des StrafprozessrechtsänderungsG 2014) Beiziehung eines unabhängigen also vom Gericht bestellten Sachverständigen, konnte der Angeklagte nach der hier in Rede stehenden Rechtslage aus folgenden Gründen hingegen nicht erfolgversprechend beantragen:

Die für das Hauptverfahren dem Gericht (formal) eingeräumte Entscheidungskompetenz (§ 126 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO) ist nämlich in zweierlei Hinsicht beschränkt. Der Stattgebung eines nur mit dem dargestellten strukturellen Ungleichgewicht und der daraus abgeleiteten Parteilichkeit (im Sinn des Art 6 MRK) des Sachverständigen begründeten Antrags auf dessen Austausch steht gerade § 126 Abs 4 dritter Satz StPO entgegen. Der Versuch einer „verfassungskonformen“ einschränkenden Auslegung (zum Begriff und den Grenzen: Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer , Bundesverfassungsrecht 10 Rz 135; Öhlinger/Eberhard , Verfassungsrecht 10 Rz 36 f) oder gar teleologischen Reduktion dieser Bestimmung scheitert jedoch bereits an deren klarem Wortlaut und der eindeutigen Intention des Gesetzgebers (EBRV 25 BlgNR 22. GP 177; vgl VfSlg 19.705; RIS-Justiz RS0106113; vgl weiters Öhlinger/Eberhard , Verfassungsrecht 10 Rz 37; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer , Bundesverfassungsrecht 10 Rz 135).

Davon abgesehen ist das Auswahlermessen des Gerichts (bei der Sachverständigenbestellung im Rahmen diskretionärer Gewalt) durch die Vorschrift des § 126 Abs 2c StPO eingeschränkt, demzufolge bei der Wahl von Sachverständigen (oder Dolmetschern) und der Bestimmung des Umfangs ihres Auftrags nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit vorzugehen ist. Hat der Sachverständige demnach im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein mängelfreies (vgl § 127 Abs 3 StPO) Gutachten erstattet, lässt das Gesetz dem Gericht (das überdies die Verfahrensdauer im Auge zu haben hat Art 6 Abs 1 erster Satz MRK, § 9 Abs 1 StPO) keinen Spielraum, dem Hauptverfahren einen anderen Sachverständigen beizuziehen.

Verfassungsrechtliche Bedenken an diesem System der Sachverständigenbestellung hat bereits die Vollversammlung des Obersten Gerichtshofs in ihren Tätigkeitsberichten (www.ogh.gv.at/de/taetigkeitsberichte) 2011 (S 45 f) und 2012 (S 28) geäußert.

Sie werden überdies von zahlreichen Stimmen im Schrifttum geteilt (vgl etwa Ratz , Der Oberste Gerichtshof in Österreich als Grundrechtsgericht, AnwBl 2013, 274 ff [277]; Hinterhofer , WK-StPO § 125 Rz 5 f; Mayer/Haidenhofer , Der Sachverständige als Gehilfe des Staatsanwalts im Strafprozess AnwBl 2014, 100 ff; Schmoller , Glosse zu 12 Os 90/13x JBl 2014, 340 f; Todor-Kostic , Sachverständigenbeweis und Sachverständigenauswahl Problembereiche im Lichte des § 126 StPO neu; AnwBl 2011, 132 ff) und haben mittlerweile den Gesetzgeber zur Novellierung im Rahmen des StrafprozessrechtsänderungsG 2014 veranlasst (vgl EBRV 181 BlgNR 25. GP 8 ff und AB 203 BlgNR 25. GP 3).

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen vermag sich daher der erkennende Senat (vgl schon 17 Os 25/14a) der in anderen oberstgerichtlichen Entscheidungen geäußerten Ansicht (13 Os 141/11a, 160/11w; 14 Os 2/12v; 13 Os 131/12g; 12 Os 90/13x; 11 Os 51/13d; 13 Os 55/13g, 56/13d), gegen das System der Sachverständigenbestellung in Ermittlungs- und Hauptverfahren bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken, nicht anzuschließen.

Es waren daher die aus dem Spruch ersichtlichen Anträge zu stellen (Art 89 Abs 2, 140 Abs 1 Z 1 lit a B VG).

Das Erfordernis, mit dem Rechtsmittelverfahren bis zur Verkündung oder Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innezuhalten, ergibt sich aus § 62 Abs 3 VfGG.

Rechtssätze
12
  • RS0129608OGH Rechtssatz

    25. November 2014·3 Entscheidungen

    Wenn auch die Staatsanwaltschaft zur Objektivität verpflichtet ist, kommt beim von ihr eingeholten Sachverständigenbeweis im Ermittlungsverfahren ein strukturelles Ungleichgewicht zum Nachteil des Beschuldigten (§ 48 Abs 2 StPO) zum Tragen: Für die Staatsanwaltschaft ist nämlich (vgl die in § 2 Abs 1 StPO verankerte Verpflichtung zu amtswegiger Wahrheitsforschung) Erkundungsbeweisführung statthaft, in deren Rahmen sie ohne Bindung an Begründungserfordernisse auch Sachverständige mit Ermittlungen beauftragen kann (vgl § 103 Abs 2 StPO). Beschuldigte hingegen haben gemäß § 55 Abs 1 dritter Satz StPO – nicht anders als im Hauptverfahren – in ihrem Antrag zu begründen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme (durch den Sachverständigen) geeignet sei, das (erhebliche) Beweisthema zu klären, widrigenfalls diese gemäß § 55 Abs 2 Z 2 StPO unterbleiben darf. Die in 11 Os 51/13d unter Berufung auf eine Literaturstelle (Schmoller, WK-StPO § 55 Rz 35 ff) geäußerte Ansicht, dieses Ungleichgewicht werde relativiert, indem ein solcher Antrag auf Erkundungsbeweisführung „eine prozessuale Wirkung“ (als Antrag, „der Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsaufklärung in einem bestimmten Bereich nachzukommen“) entfalte, steht im Widerspruch zur – unter dem Aspekt der Subsidiarität der Aufklärungs- gegenüber der Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z5a und 4 StPO) entwickelten – ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Beweisantragsrecht (RIS-Justiz RS0115823, RS0114036) und wird vom erkennenden Senat nicht geteilt (vgl auch JAB 203 BlgNR 25. GP 3).

  • RS0129607OGH, AUSL EGMR Rechtssatz

    25. November 2014·3 Entscheidungen

    Zwar werden Staatsanwälte von Art 90a B-VG als Organe der Gerichtsbarkeit bezeichnet und sind gemäß § 3 Abs 2 StPO zur Objektivität verpflichtet. In der Hauptverhandlung sind sie als Anklagevertreter jedoch Beteiligte des Verfahrens (§ 210 Abs 2 zweiter Satz StPO) und nehmen strukturell eine Gegenposition zum Angeklagten ein. Aufgrund dieses Rollenwechsels ist auch der von der Staatsanwaltschaft (im Ermittlungsverfahren) bestellte und geführte Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf dessen Expertise stützt und ihn das Gericht für das Hauptverfahren neuerlich bestellt (§ 126 Abs 3 zweiter Halbsatz StPO), als „Zeuge der Anklage“ im Sinn eines – nach dem gebotenen strengen Maßstab – von einer Verfahrenspartei nicht unabhängigen Sachverständigen zu sehen. Tritt aber der Sachverständige als „Zeuge der Anklage“, mithin als Belastungszeuge auf, hat das Gesetz – um der Garantie des Art 6 Abs 3 lit d zweiter Fall MRK zu entsprechen – dem Angeklagten das Recht einzuräumen, die Ladung und Vernehmung eines „Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen“, also die Bestellung eines anderen Sachverständigen zu erwirken, der entweder nicht in einem vergleichbaren Naheverhältnis zur Anklagebehörde steht oder – gleichsam compensando – das Vertrauen der Verteidigung genießt (Grabenwarter in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 6 EMRK Rz 99, 101 mwN; vgl EGMR 4. 4. 2013, Nr 30456/06, C. B. gg Österreich, mit welchem Urteil die gerichtliche Bestellung nach dem System der Strafprozessordnung in der Fassung vor dem StrafprozessreformG als konventionskonform beurteilt wurde [insbesondere Z 42, wo sich der ausdrückliche Hinweis findet, dass der Sachverständige nicht von der Staatsanwaltschaft bestellt wurde]). Dies ist nach derzeitiger Rechtslage nicht der Fall.

  • RS0129286OGH Rechtssatz

    02. März 2017·3 Entscheidungen

    Wenn ein Sachverständiger bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Staatsanwaltschaft mit nicht weiter determinierten Erhebungen zu einer Straftat, insbesondere ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas beauftragt wird und das vorhandene, nicht ohne weiteres aussagekräftige Beweismaterial aufarbeitet und auf ein strafrechtliches Verdachtssubstrat hin untersucht, dann mutiert er von einem unabhängig agierenden Experten, der bei bestehender konkreter Verdachtslage zu einem Problemfeld mit Fachwissen Stellung nehmen soll, zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden und damit funktional zu einem Organ der Ermittlungsbehörde. Je unbestimmter daher der Anfangsverdacht, je unkonkreter der Auftrag der Staatsanwaltschaft an den beigezogenen Experten, also je weniger der Beweiserhebungsauftrag den Kriterien des § 55 StPO entspricht, desto eher muss die darauf aufbauende Befundaufnahme inhaltlich als Ermittlungstätigkeit des beauftragten Gutachters gewertet werden. Insoweit wäre der solcherart eingesetzte Sachverständige mit einem „Anzeigegutachter“ vergleichbar. Wer in derselben Strafsache als Kriminalbeamter tätig war, darf nicht später als Staatsanwalt agieren und umgekehrt. Wer daher inhaltlich als Ermittlungsorgan gewirkt hat, darf darauf folgend nicht als Sachverständiger einschreiten; vielmehr bewirkt eine solche funktional als Ermittlungsorgan erfolgte Vorbefassung als Befangenheitsgrund. Auf dieser Basis besteht für das erkennende Gericht eine Pflicht, das im Ermittlungsverfahren durch einen von der Staatsanwaltschaft bestellten, nicht an die Grundsätze des § 55 StPO gebundenen, einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt erst ermittelnden Experten hervorgerufene prozessuale Ungleichgewicht durch die Bestellung eines neuen Sachverständigen für das Hauptverfahren auszutarieren und damit ein faires Verfahren zu sichern. Solcherart bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO.