JudikaturJustiz10ObS380/02h

10ObS380/02h – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Dezember 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johannes Denk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sava P*****, vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufrechnung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 2002, GZ 9 Rs 183/02a-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9. Jänner 2002, GZ 20 Cgs 161/01i-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 55,52 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht ist zutreffend, sodass gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf deren Richtigkeit verwiesen werden kann.

Den Revisionsausführungen ist noch folgendes entgegenzuhalten:

Für die Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge an die Sozialversicherungsträger gewährt § 64 Abs 1 ASVG die ausdrückliche Möglichkeit der Einbringung im Verwaltungsweg (politische Exekution). Wahlweise steht es dem Sozialversicherungsträger offen, entweder direkte Eintreibung bei Gericht zu beantragen oder über die Vollstreckungsbehörde die Eintreibung der zuständigen Beiträge zu veranlassen. Vom Sozialversicherungsträger ausgefertigte Rückstandsausweise sind Exekutionstitel im Sinn des § 1 EO. Darüber hinaus besteht für die Sozialversicherungsträger auch die Möglichkeit der Aufrechnung der geschuldeten Beiträge auf die von ihnen einem anspruchsberechtigten Versicherten zu erbringenden Geldleistungen, wobei seit dem In-Kraft-Treten des Steuerreformgesetzes 2000, BGBl I 1999/106, mit 1. 10. 1999 eine Aufrechnung auch "trägerübergreifend" (also nicht nur zB Pensions- und Krankenversicherungsträger, sondern auch Versicherungsträger nach dem ASVG und dem GSVG, BSVG usw) zulässig ist (10 ObS 199/01z = SSV-NF 15/75 [in Druck] uva; RIS-Justiz RS0115709; zuletzt: 10 ObS 10/02x).

Solche Aufrechnungsbestimmungen enthalten insbesondere die §§ 103 Abs 1 Z 1 ASVG, 71 Abs 1 Z 1 GSVG , 67 Abs 1 Z 1 BSVG und 44 Abs 1 Z 1 B-KUVG, wobei der hier anzuwendende § 103 Abs 1 Z 1 ASVG folgenden

Wortlaut hat:

"Die Versicherungsträger dürfen auf die von ihnen zu erbringenden

Geldleistungen aufrechnen:

1. vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz geschuldete Beiträge (§ 58 Abs 6), soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist;"

Eine Aufrechnung nach diesen Bestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates nur gegenüber einem Beitragsschuldner zulässig, der nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zur Beitragszahlung verpflichtet ist, nicht aber gegenüber Personen, die sich einem Versicherungsträger privatrechtlich (zB als Bürge) zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet haben SSV-NF 4/162, 7/100, 12/103 ua; RIS-Justiz RS0084116 [T1]; zuletzt: 10 ObS 10/02x).

Die hier gegenständlichen Beiträge zur Pflichtversicherung (für den Zeitraum 1. 2. 1980 bis 3. 9. 1987 und 1. 10. 1987 bis 4. 11. 1990 im Betrag von S 540.127), welche im angefochtenen Bescheid auf die zu erbringende Geldleistung (Alterspension) aufgerechnet werden, sind vom Dienstgeber des Klägers nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge, die - nachdem sie von der beklagten Pensionsversicherung (nach Ablauf von 5 Jahren seit ihrer Fälligkeit) überwiesen worden waren - mit Bescheid des Bundesministeriums für Soziale Sicherheit und Generationen vom 11. 6. 2001 als (für die oa Zeiträume [128 Monate]) wirksam entrichtet anerkannt wurden (infolge Vorliegens eines Härtefalles nach § 225 Abs 3 ASVG), sodass dem Kläger eine Alterspension gewährt werden konnte.

Dass der Kläger als Arbeitnehmer vom Sozialversicherungsträger nicht unmittelbar auf Zahlung dieser - wie bereits das Berufungsgericht festhält - vom Dienstgeber geschuldeten Beiträge (§ 58 Abs 2 ASVG) in Anspruch genommen werden kann (RIS-Justiz RS0030861), zieht die Revision offenbar nicht in Zweifel. Sie macht jedoch geltend, § 103 Abs 1 Z 1 ASVG habe den Zweck sicherzustellen, dass insbesondere die ausständigen Zahlungen, die letztlich zu einem Pensionsanspruch führten (also fällige Beiträge) auf die entsprechenden Leistungen, aufgerechnet werden können, sowie darüber hinaus - nach der geltenden Rechtslage - sogar geschuldete Beiträge, die nicht nach dem ASVG sondern nach einem anderen Bundesgesetz zu leisten seien (Seite 4/5 der Revision).

Dem Standpunkt der Revisionswerberin, dass auch dann eine (dem § 103 Abs 1 Z 1 ASVG zu unterstellende) Verpflichtung zur Leistung "nach einem Bundesgesetz" bestehe, wenn sich der Kläger (vertraglich) verpflichtet habe, offene Sozialversicherungsbeiträge zu leisten (Seite 5 der Revision), vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen. Abgesehen davon, dass die Revisionswerberin hier bereits den Unterschied zwischen vertraglichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen verkennt (Koziol/Welser II12, 11 f), wird dabei nämlich übersehen, dass die (in § 103 ASVG normierte) Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit der Sicherung von Leistungsanprüchen dient (Tomandl, Grundriss5 Rz 141 und 144), sodass auch die Pensionsansprüche des Klägers im vorliegenden sozialversicherungsrechtlichen Schuldverhältnis geschützt sind:

Der Gesetzgeber wollte sicherstellen, dass die Sozialversicherungsleistungen dem Anspruchsberechtigten auch tatsächlich zugute kommen; zu diesem Zweck beschränkte er die Aufrechnungsmöglichkeit des Trägers der Sozialversicherung ua darauf, dass auf die von ihm zu erbringenden Leistungen nur mit fälligen Beitragsschulden aufgerechnet werden darf (Tomandl aaO). Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass in § 103 Abs 1 Z 1 ASVG nur sozialversicherungsrechtliche Vorschriften gemeint sind, wenn dort von "einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Gesetz geschuldeten fälligen Beiträgen" die Rede ist, also von der bereits erwähnten Zulässigkeit einer trägerübergreifenden Aufrechnung (RIS-Justiz RS0115709; Teschner/Widlar ASVG 77. Erg-Lfg 596, Anm 2 Abs 4 zu § 103 ASVG); dies bringst auch der Verweis auf § 58 Abs 6 ASVG in § 103 Abs 1 Z 1 ASVG deutlich zum Ausdruck. Nichts anderes ergibt eine teleologische Interpretation leg cit, die sich freilich nicht an dem in Revision angestrebten, sondern am bereits dargestellten Zweck (Sicherung von Leistungsansprüchen des Versicherten) zu orientieren hat.

Selbst wenn der Kläger sich privatrechtlich zur Zahlung der gegenständlichen Sozialversicherungsbeiträge verpflichtet hätte, wäre somit für den Standpunkt der beklagten Partei nichts gewonnen, weil der Kläger die nach der dargestellten Rechtslage erforderliche Qualifikation eines Beitragsschuldners, der nach sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften zur Beitragszahlung verpflichtet ist (iSd § 103 Abs 1 Z 1 ASVG), jedenfalls nicht erfüllt. Ob er sich - wie die Revision meint - "ausdrücklich verpflichtet" hat, die ausständigen (von der beklagten Partei angeblich nur vorausgeleisteten) Beiträge zu bezahlen, ist demnach nicht entscheidungswesentlich. Die in der Revision aufgeworfene Frage, ob tatsächlich von einer derartigen privatrechtlichen Zahlungsverpflichtung auszugehen ist, muss demnach unerörtert bleiben. Dass der beklagte Versicherungsträger einen daraus abgeleiteten Anspruch jedenfalls nur vor den ordentlichen Gerichten aufgrund eines gerichtlichen Exekutionstitels (also nicht im Verwaltungsweg) unter Wahrung der Pfändungsbeschränkungen der Exekutionsordnung eintreiben könnte (SSV-NF 4/162; RIS-Justiz RS0084037; Krejci-Marhold in Tomandl, System 13. Erg-Lfg 101, Punkt 1.2.5.3.3.; Teschner/Widlar aaO 53. Erg-Lfg 428, Anm 1a zu § 64 ASVG), sei aber noch erwähnt.

Aus diesen Gründen käme auch eine Aufrechnung nach § 103 Abs 1 Z 3 ASVG, der "von Versicherungsträgern gewährte Vorschüsse (§§ 104 Abs 1 letzter Satz, 368 Abs 2 ASVG)" erfasst, aufgrund der (vom Kläger angeblich gewünschten) "Bevorschussung der Beitragsentrichtung" (Seite 6 der Revision) nicht in Betracht; wobei eine - an den Kläger geleistete - "Vorauszahlung", also ein nach leg cit aufrechnungsfähiger Vorschuss iSd §§ 104 Abs 1 letzter Satz bzw 368 Abs 2 ASVG (vgl dazu Teschner/Widlar aaO 77. Erg-Lfg 597 f, Anm 3 zu § 103 ASVG), ohnehin nicht zu erkennen ist. Die Feststellungen bieten nämlich keine Grundlage für die Annahme, dass dem Kläger ein Vorschuss iSd § 368 Abs 2 ASVG gewährt worden wäre und die beklagte Partei hat solches im Verfahren auch gar nicht vorgebracht, sondern eine durch die beklagte Anstalt "vorerfüllte Beitragspflicht", die letztlich durch den Kläger zu tragen sei, behauptet (AS 9). Schon deshalb fehlt die Voraussetzung für eine Aufrechnung gemäß § 103 Abs 1 Z 3 ASVG.

Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a, Abs 2 ASGG.