JudikaturJustiz10ObS150/03m

10ObS150/03m – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Dietmar Strimitzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Josef H*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Klaus Jürgen Karner, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Anfechtung über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2003, GZ 7 Rs 1/03a 18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 14. Juni 2002, GZ 31 Cgs 118/02f 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Der Kläger bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Pensionsleistung, die ab 1. 1. 2002 eine monatliche Höhe von EUR 680,64 brutto hatte.

Laut vollstreckbarem Rückstandsausweis vom 13. 2. 2002 schuldet der Kläger der Kärntner Gebietskrankenkasse EUR 25.899,93 (= S 356.390,81) an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen, Nebengebühren, Zuschlägen, Zinsen und Verwaltungskostenersätzen.

Mit Bescheid vom 12. 3. 2002 sprach die beklagte Partei aus, dass diese offene Forderung der Kärntner Gebietskrankenkasse in Höhe von EUR 25.899,93 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. 3. 2002 auf die Pension des Klägers aufgerechnet werde. Der Kläger schulde diesen Betrag aufgrund des vollstreckbaren Rückstandsausweises der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 13. 2. 2002. Die Aufrechnung sei gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung und auch zugunsten der Forderungen eines anderen Versicherungsträgers zulässig. Die Aufrechnung erfolgte in der Zeit vom 1. 3. bis 30. 4. 2002 mit dem Betrag von EUR 43 monatlich. Seit 1. 5. 2002 wird ein Betrag von EUR 10 monatlich im Wege der Aufrechnung einbehalten.

Dagegen erhob der Kläger Klage mit dem erkennbaren Begehren, diese Aufrechnung für unzulässig zu erklären. Die von der Kärntner Gebietskrankenkasse geforderten Sozialversicherungsbeiträge seien mittels unwidersprochener Zahlungsabtretung bezahlt; verpflichtet seien Hans D***** sowie dessen in Konkurs befindliche Baufirma "I***** B***** GesmbH", wobei zu einer Begleichung der Verbindlichkeit genügend Konkursmasse vorhanden sei. Unrichtig sei auch, dass die Kärntner Gebietskrankenkasse die Abtretung nicht anerkannt oder mitgeteilt habe, dass die Zession als gegenstandslos zu betrachten sei. Vielmehr habe die Kärntner Gebietskrankenkasse im Konkurs des genannten Unternehmens zur Hereinbringung der Forderung nichts unternommen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte ihrerseits das Begehren, den Kläger zu verpflichten, die offene Forderung der Kärntner Gebietskrankenkasse an Beiträgen zur Sozialversicherung einschließlich Verzugszinsen in der Höhe von EUR 25.899,93 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. 3. 2002 durch Aufrechnung auf seine Pension in monatlichen Ratenbeträgen ab 1. 3. 2002 in Höhe von EUR 43 und ab 1. 5. 2002 in Höhe von EUR 10 zurückzubezahlen. Auf eine allfällige Abtretung von Ansprüchen des Klägers oder eine Zahlungsverpflichtung einer anderen Person sei solange nicht einzugehen, als die Kärntner Gebietskrankenkasse die erteilte Aufforderung zur Hereinbringung der offenen Forderung nicht zurücknehme. Trotz der Möglichkeit, die monatliche Abzugsrate mit EUR 340,32 festzusetzen, sei die Rate aus sozialen Gründen lediglich mit EUR 43 und aufgrund des Ersuchens des Klägers ab 1. 5. 2002 mit EUR 10 festgesetzt worden.

Das Erstgericht wies das erkennbar auf Unzulässigerklärung der Aufrechnung gerichtete Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger zur Rückzahlung des Betrages von EUR 25.899,93 zuzüglich Verzugszinsen ab 1. 3. 2002 durch Aufrechnung im Betrag von EUR 43 ab 1. 3. 2002 und von EUR 10 ab 1. 5. 2002. Es traf noch folgende Feststellungen:

Die Firma "I***** B***** GesmbH" schuldet der Gattin des Klägers, Ruth H*****, aus einem vor dem Landesgericht Klagenfurt am 22. 4. 1998 zur AZ 23 Cg 183/97 geschlossenen Vergleich einen Betrag von S 150.000, der in zwei Teilbeträgen à S 75.000 am 1. 8. 1998 und am 31. 12. 1998 zu bezahlen gewesen wäre. Diesen Anspruch hat Ruth H***** an den Kläger abgetreten. Mit Schreiben vom 14. 5. 1998 teilte der Kläger der Kärntner Gebietskrankenkasse Nachstehendes mit:

"Ing. Josef H***** übergibt der Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte, in 9020 Klagenfurt, an Zahlung Statt, die Forderung in Höhe von S 150.000 gegen die Firma "I***** B*****" B*****, A***** für das Beitragskonto L 231/8946, für offene Forderungen, welche die Firma B***** auslöste."

Die Kärntner Gebietskrankenkasse richtete daraufhin am 3. 6. 1998 an die Firma "I***** B*****" ein Schreiben, in dem sie unter anderem die genannte Abtretungserklärung des Klägers beilegte und um Bestätigung derselben sowie um Überweisung der Beträge an die Gebietskrankenkasse ersuchte. Da die Firma "I***** B*****" diesem Ersuchen nicht nachkam, richtete die Kärntner Gebietskrankenkasse am 10. 6. 1998 ein weiteres Schreiben an den Kläger, in welchem sie ihn darüber informierte, dass eine Bestätigung über die Anerkennung der "Zessionskette" und eine Erklärung über die Zahlbarkeit noch ausstehen. Sie wies ihn weiters darauf hin, dass der aus diesen Abtretungen allenfalls zu erlangende Betrag für die Abdeckung des Beitragsrückstandes (von zu diesem Zeitpunkt S 216.093,89) nicht ausreiche und ersuchte ihn um umgehende Bezahlung der Beiträge für April 1998 und der Beitragsrückstände. Letztlich wies sie noch auf Folgendes hin:

"Die Zessionskette, ausgehend von der Abtretung der Forderung Ihrer Gattin gegenüber der Firma I***** B***** B***** GmbH, wird vorerst an Sie und weiter an die Kärntner Gebietskrankenkasse mit der Nichtanerkennung durch die I***** B***** B***** GmbH insofern abgebrochen, als die Zession von Ihnen an die Kärntner Gebietskrankenkasse gegenstandslos ist".

Eine Abtretung von allfälligen Forderungen gegenüber dem Geschäftsführer der Firma "I***** B*****", Hans D*****, an die Kärntner Gebietskrankenkasse erfolgte nicht.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass mangels Annahme durch die Firma "I***** B*****" die vom Kläger vorgenommene Abtretung der Forderung von S 150.000 an die Kärntner Gebietskrankenkasse nicht wirksam erfolgt sei. Überdies würde dieser Betrag nur einen Teil der offenen Rückstände des Klägers abdecken. Die durch die Beklagte vorgenommene Aufrechnung sei gemäß § 103 ASVG auch zugunsten der Forderungen eines anderen Sozialversicherungsträgers zulässig und es werde mit einem Betrag von EUR 10 auch die gesetzlich zulässige Höhe bei weitem nicht ausgeschöpft.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Es verneinte die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens und hielt den Rechtsausführungen des Berufungswerbers entgegen, dass nach ständiger Rechtsprechung dem Gericht eine Prüfung der materiellen Richtigkeit eines Rückstandsausweises verwehrt sei. Der von der Kärntner Gebietskrankenkasse erlassene Rückstandsausweis sei schon nach dem Wortlaut des § 64 Abs 2 ASVG Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO und weise auch die geforderten Voraussetzungen auf. Einwendungen gegen den Rückstandsausweis wären gemäß § 410 ASVG beim Sozialversicherungsträger einzubringen, der sie auch inhaltlich zu prüfen habe. Der Einwand der Verjährung, der teilweisen Tilgung und Ähnliches betreffe jedenfalls die Höhe der Forderung und damit die materielle Richtigkeit des Rückstandsausweises, welche jedoch vom Gericht nicht zu prüfen sei. Das mit dem Rückstandsausweis vom 13. 2. 2002 ausgeübte Recht auf Einforderung fälliger Beiträge sei jedenfalls nicht als verjährt anzusehen. Im Übrigen stamme die nur einen Teil der Forderung der Kärntner Gebietskrankenkasse betreffende "Abtretungserklärung" des Klägers vom 14. 5. 1998, während der einer inhaltlichen Kontrolle durch die Gerichte entzogene Rückstandsausweis der Kärntner Gebietskrankenkasse am 13. 2. 2002 erlassen worden sei, demnach auch den "abgetretenen" Teil mitumfasse und keinem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug unterliege. Schließlich sei ungeachtet des Wortlauts der vom Kläger verfassten Abtretungserklärung die Abtretung nicht an Zahlungs Statt, sondern nur zahlungshalber erfolgt. Die Kärntner Gebietskrankenkasse, die sich vergeblich bemüht habe, die zedierte Forderung einzutreiben, könne daher weiterhin ihre ursprüngliche Forderung gegen den Kläger geltend machen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil brachte der Kläger einen an das Berufungsgericht gerichteten Antrag auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruches dahin, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde, verbunden mit einer (ordentlichen) Revision ein. In diesem Rechtsmittel, welches auf die Revisionsgründe der Nichtigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt ist, begehrt der Kläger die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung als nichtig, in eventu ihre Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, keinen Gebrauch gemacht.

Der an das Berufungsgericht gerichtete Antrag des Klägers auf Abänderung des Unzulässigkeitsausspruches dahin, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde, war verfehlt, weil in Streitigkeiten in Arbeits und Sozialrechtssachen (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO in der hier bereits anzuwendenden Fassung der ZVN 2002, BGBl I Nr 76/2002) gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Einer Abänderung des Ausspruches für die Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht bedarf es in diesem Fall nicht (10 ObS 159/03k mwN ua; RIS Justiz RS0110049). Die Regelung des § 502 Abs 5 Z 4 ZPO bezweckt nämlich, Entscheidungen im arbeits und sozialgerichtlichen Verfahren im Hinblick auf die soziale Bedeutung der in diesem Verfahren zu regelnden Streitigkeiten den bestandrechtlichen Streitigkeiten nach § 49 Abs 2 Z 5 JN über eine Kündigung, Räumung oder das Bestehen des Vertrags über unbewegliche Sachen (§ 502 Abs 5 Z 2 ZPO) sowie den im § 49 Abs 2 Z 1, 2a, 2b und 2c JN bezeichneten familienrechtlichen Streitigkeiten (§ 502 Abs 5 Z 1 ZPO) in Ansehung der Revisionszulässigkeit gleichzustellen (vgl RV 962 BlgNR XXI. GP 45). Die Zulässigkeit der Revision ist daher vom Obersten Gerichtshof ohne Bindung an den angeführten Beschluss des Berufungsgerichtes ausschließlich nach § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen (10 ObS 159/03k mwN ua).

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, und im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt.

Der Revisionsgrund der Nichtigkeit nach § 503 Z 1 ZPO liegt nicht vor. Zu Unrecht meint der Revisionswerber, die Entscheidung des Berufungsgerichtes wäre nichtig, weil das Berufungsgericht in seiner Entscheidung die "Pensionsversicherungsanstalt für den Bereich der Landesstelle Steiermark, Graz, Bahnhofgürtel 79" als beklagte Partei angeführt habe, ein Verfahren zwischen dem Revisionswerber und dieser beklagten Partei jedoch zu keinem Zeitpunkt anhängig gewesen sei. Dabei wird allerdings vom Revisionswerber verkannt, dass die beklagte Partei dieses Verfahrens zunächst nur die "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" mit dem Sitz in Wien als Trägerin der Pensionsversicherung der Angestellten nach dem ASVG für das gesamte Bundesgebiet sein konnte (§ 25 Abs 1 Z 2 lit a ASVG), und zwar als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Rechtspersönlichkeit (§ 32 Abs 1 ASVG). Bei der Hauptstelle und den Landesstellen handelt es sich, wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (SSV NF 1/71; 4/136; 5/33; 5/44 mwN ua), nur um Einrichtungen des Versicherungsträgers, die seine Verwaltung zu führen haben (§ 418 ASVG), aber keine Rechtspersönlichkeit besitzen. Die angefochtene Entscheidung ist daher nicht nichtig (SSV NF 4/136; 5/33 ua). Da jedoch mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete "Pensionsversicherungsanstalt" als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG Nov BGBl I Nr 1/2002), war die Bezeichnung der beklagten Partei amtswegig von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen.

In der Sache selbst wendet sich der Revisionswerber vor allem gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, den Sozialgerichten sei im Verfahren über die Aufrechnung mit offenen Beitragsverbindlichkeiten die Überprüfung der materiellen Richtigkeit von Rückstandsausweisen des Versicherungsträgers verwehrt. Im vorliegenden Fall sei erst mit dem klagsgegenständlichen Aufrechnungsbescheid der beklagten Partei vom 12. 3. 2002 die Beitragsschuld des Klägers bescheidmäßig festgesetzt worden. Dem Kläger müsse gegen diese Festsetzung der Beitragsschuld ein Rechtsmittel an die ordentlichen Gerichte möglich sein. Bei einer inhaltlichen Überprüfung hätten die Vorinstanzen zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass das Recht auf Einforderung der Beitragsrückstände infolge der erst im Jahr 2002 bescheidmäßig erfolgten Geltendmachung erloschen sei und demgemäß eine Aufrechnung auch nicht zulässig sei. Darüber hinaus habe die Kärntner Gebietskrankenkasse die ihr vom Kläger ausdrücklich an Zahlungs Statt angebotene Forderungsabtretung angenommen, weshalb es im Umfang der abgetretenen Forderung zur Tilgung der Beitragsschulden des Klägers bei der Kärntner Gebietskrankenkasse gekommen sei. Der genaue betragsmäßige Umfang dieser Tilgung müsse erst noch festgestellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

Nach § 103 Abs 1 Z 1 ASVG idF des Steuerreformgesetzes 2000 (BGBl I 1999/106) dürfen die Versicherungsträger auf die von ihnen zu erbringenden Geldleistungen vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz geschuldete fällige Beiträge (einschließlich Verzugszinsen, sonstiger Nebengebühren, Gerichts und Justizverwaltungsgebühren), soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist, aufrechnen. Diese Bestimmung ist gemäß § 582 Abs 1 ASVG mit 1. 10. 1999 in Kraft getreten.

Es wird vom Revisionswerber zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass diese durch das Steuerreformgesetz 2000 geschaffene Möglichkeit einer "trägerübergreifenden" Aufrechnung auch dann zulässig ist, wenn die Beitragsschulden vor der Gesetzesänderung entstanden sind (SSV NF 15/75 mwN).

Die Beitragsgrundlage, die Höhe und Fälligkeit der Beiträge sowie die Frage, wer die Beiträge schuldet, sind im Abschnitt V 1. Unterabschnitt des Ersten Teiles des ASVG geregelt. Nach § 62 Abs 1 ASVG hat der Versicherungsträger, an den die Beiträge einzuzahlen sind, dem Dienstgeber auf Verlangen schriftlich mitzuteilen, ob und in welcher Höhe Rückstände an Beiträgen samt Zuschlägen und Nebengebühren aushaften. § 64 ASVG regelt das Verfahren zur Eintreibung der Beiträge. Gemäß § 64 Abs 1 ASVG ist den Versicherungsträgern zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt (§ 3 Abs 3 VVG). Sie können daher nach der in der Klammer zitierten Bestimmung die Eintreibung einer Geldleistung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragen. Nach § 64 Abs 2 ASVG hat der Versicherungsträger, der nach § 58 Abs 6 berufen ist, die Beitragsforderung rechtlich geltend zu machen, zur Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge einen Rückstandsausweis auszufertigen. Dieser Ausweis hat unter anderem den Vermerk des Versicherungsträgers zu enthalten, dass der Rückstandsausweis einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegt. Der Rückstandsausweis ist Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO. Vor Ausstellung eines Rückstandsausweises ist der rückständige Betrag einzumahnen. Die Mahnung wird durch Zustellung eines Mahnschreibens (Postauftrages) vollzogen, in dem der Beitragsschuldner unter Hinweis auf die eingetretene Vollstreckbarkeit aufgefordert wird, den Beitragsrückstand binnen zwei Wochen, von der Zustellung an gerechnet, zu bezahlen (§ 64 Abs 3 ASVG).

Zum Zwecke der Eintreibung nicht rechtzeitig entrichteter Beiträge ist somit aufgrund der dargestellten Rechtslage von dem Versicherungsträger, der berufen ist, die Beitragsforderung rechtlich geltend zu machen, zunächst der rückständige Beitrag einzumahnen. Für den Fall, dass der Beitragsschuldner trotz Mahnung und Ablauf der in der Mahnklausel angegebenen zweiwöchigen Zahlungsfrist die Beitragsschuld nicht beglichen hat, ist über die nicht rechtzeitig entrichteten Beiträge ein Rückstandsausweis auszufertigen. Der Rückstandsausweis bildet die Grundlage für die zwangsweise Eintreibung der Beitragsforderung. Eine Zustellung des Rückstandsausweises an den Beitragsschuldner ist nicht vorgesehen und auch nicht erforderlich, weil dem Beitragsschuldner die Höhe der Forderung schon durch die Mahnung bekannt ist und ein Rechtsmittel gegen den Rückstandsausweis nicht ergriffen werden kann (vgl Teschner/Widlar , MGA, ASVG 76. ErgLfg Anm 1 zu § 64). Rückstandsausweise stellen nämlich nach herrschender Lehre und Rechtsprechung keine Bescheide dar. Es handelt sich dabei vielmehr um "Auszüge aus den Rechnungsbehelfen", mit denen die Behörde "Zahlungsverbindlichkeiten" bekannt gibt, die sich bereits aus dem Gesetz oder aus früher erlassenen Bescheiden ergeben (8 Ob 632/92 = ecolex 1993, 305 ua; RIS Justiz RS0053380). So wie die Mitteilung der Beitragsrückstände über Verlangen des Dienstgebers (§ 62 Abs 1 ASVG) und die Einmahnung rückständiger Beiträge (§ 64 Abs 3 ASVG) stellen daher auch die Rückstandsausweise eines Versicherungsträgers keine anfechtbaren Bescheide dar. Bei den Rückstandsausweisen handelt es sich vielmehr um Aufstellungen über den Stand der offenen Zahlungsverbindlichkeiten eines Beitragsschuldners (SSV NF 7/100; SV Slg 32.489 ua; Oberndorfer in Tomandl , SV System 12. ErgLfg 680/1; Krejci/Marhold in Tomandl aaO 13. ErgLfg 101 ua). Über Einwendungen gegen den Rückstandsausweis hat der Sozialversicherungsträger gemäß den §§ 64, 355 Z 3, 409, 410 ASVG bescheidmäßig zu entscheiden; dagegen kann gemäß § 412 Abs 1 ASVG Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann erhoben werden (SZ 39/50; VwSlg 13.398 A/1991 mwN ua). Einwendungen gegen die Vollstreckung oder ein Antrag auf Feststellung der Beitragspflicht gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG verpflichten somit den Versicherungsträger, über die Beitragsschuld bescheidmäßig abzusprechen. Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber sind keine Leistungssachen, sondern Verwaltungssachen nach § 355 Z 3 ASVG, sodass hiefür der Rechtsweg unzulässig ist (SSV NF 7/100 mwN ua).

Es ist daher dem Berufungsgericht zwar darin beizupflichten, dass der Rückstandsausweis eines Versicherungsträgers gemäß § 64 Abs 2 ASVG einen Exekutionstitel im Sinn des § 1 EO bildet und nach ständiger Rechtsprechung bei der Bewilligung der Exekution aufgrund eines Rückstandsausweises dessen Gesetzmäßigkeit und Richtigkeit vom Exekutionsgericht nicht zu prüfen ist (vgl RIS Justiz RS0000082; RS0000192 ua). Rückstandsausweise stellen aber keine Bescheide dar; sie sind daher nicht der Rechtskraft fähig und können jederzeit zurückgenommen werden. Wegen des fehlenden Bescheidcharakters kommt auch eine Bindung der Gerichte in dem Sinn, dass endgültig und bindend über eine Vorfrage abgesprochen wird, nicht in Frage (8 Ob 632/92 = ecolex 1993, 305 ua; RIS Justiz RS0037038). Während somit dem Rückstandsausweis selbst ein Bescheidcharakter und eine Rechtskraftwirkung nicht zukommt, gilt dies jedoch für den dem Rückstandsausweis allenfalls zugrunde liegenden Bescheid oder für die Entscheidung der Behörde über die Berechtigung von Einwendungen gegen die im Rückstandsausweis ausgewiesene Beitragsforderung (AnwBl 1989/3306, 758 mwN).

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Versicherungsträger, der den Rückstandsausweis über offene Beitragsverbindlichkeiten erließ, gemäß den §§ 409 und 355 Z 3 ASVG über Einwendungen gegen die Richtigkeit von Rückstandsausweisen mit Bescheid zu erkennen hat. Der vom Versicherungsträger erlassene Bescheid kann durch einen Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann (§ 412 ASVG) angefochten werden. Da es sich bei diesen Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber um Verwaltungssachen nach § 355 Z 3 ASVG handelt, ist der Rechtsweg hiefür unzulässig. Aus diesem Grund kann nach herrschender Ansicht vom Arbeits und Sozialgericht auch über die Aufrechnung von geschuldeten Beiträgen auf die vom Versicherungsträger zu erbringenden Leistungen gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG nur dann entschieden werden, wenn die Beitragsschuld entweder unbestritten ist oder rechtskräftig festgestellt wurde (SSV NF 13/33 mwN; Fink , Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen 111 mwN; vgl in diesem Sinne auch den Hinweis in der Entscheidung SSV 5/54, wonach die Entscheidung über eine Forderung, die ausschließlich im Verwaltungsverfahren mit Rechtskraftwirkung getroffen werden könne, im Zivilprozess ausgeschlossen sei und eine Aufrechnung daher nur dann zulässig sei, wenn der Gegenanspruch von der zuständigen Behörde bereits rechtskräftig festgestellt worden sei). Eine Beitragsschuld ist dann rechtskräftig festgestellt, wenn die der Rechtskraft fähige Entscheidung im administrativen Instanzenzug unanfechtbar ist. Wenn über vom Versicherten geschuldete Beiträge bereits ein rechtskräftiger Verwaltungsbescheid vorliegt, sind die Gerichte daran gebunden (SSV NF 13/33 mwN). Beiträge werden aber nicht nur infolge von Bescheiden, sondern auch aufgrund von Rückstandsausweisen geschuldet, welche, wie bereits dargelegt, der Rechtskraft jedoch nicht fähig sind.

Im vorliegenden Fall kann schon deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass die Beitragsschuld unbestritten ist, weil dem Vorbringen des in erster Instanz nicht vertreten gewesenen Klägers jedenfalls der Prozessstandpunkt zu entnehmen ist, dass die Beitragsforderungen der Kärntner Gebietskrankenkasse durch eine wirksame Zession erloschen seien. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann aber im Sinne der dargelegten Erwägungen auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis der Kärntner Gebietskrankenkasse vom 13. 2. 2002 mit Rechtskraftwirkung über Bestand und Höhe der Beitragsschulden des Klägers abgesprochen worden sei. Es wird daher mit den Parteien im fortzusetzenden Verfahren zu erörtern sein, ob und gegebenenfalls in welcher betragsmäßigen Höhe diesem Rückstandsausweis rechtskräftige (Beitrags )Bescheide der Kärntner Gebietskrankenkasse zugrunde liegen. Erst nach ergänzender Beweisaufnahme und nach Vorliegen entsprechender Feststellungen wird die Frage beurteilt werden können, ob die Beitragsschuld des Klägers im Sinne der dargelegten Ausführungen "rechtskräftig festgestellt" ist.

Sollte demnach die Voraussetzung für die richterliche Entscheidungsbefugnis, dass die Beitragsschuld unbestritten oder im Verwaltungsverfahren bereits rechtskräftig festgestellt ist, nicht vorliegen, wird das Erstgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zur Klärung der Beitragsschuld des Klägers bei der Kärntner Gebietskrankenkasse zu unterbrechen haben ( Fink aaO 111). Bei der gegenständlichen Sozialrechtssache handelt es sich um eine solche nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (betreffend den Bestand und Umfang des Anspruches auf Versicherungsleistung vgl SSV NF 3/66; 5/70 ua). § 74 Abs 1 ASGG nennt unter anderem für derartige Rechtsstreitigkeiten in grundsätzlich taxativer, aber analogiefähiger Aufzählung fünf Arten von Vorfragen, und zwar jene, die in den bisherigen Leistungsstreitverfahren am häufigsten auftraten (vgl Kuderna , ASGG², Anm 2 zu § 74). Es sind dies die Fragen der Versicherungspflicht, Versicherungsberechtigung, des Beginnes oder des Endes der Versicherung (§ 355 Z 1 ASVG), der maßgeblichen Beitragsgrundlage und schließlich der Angehörigeneigenschaft (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG). Stellt sich eine der aufgezählten Vorfragen, so hat das Gericht - da hierüber als Verwaltungssache der zuständige Versicherungsträger (§ 409 ASVG) mit Bescheid zu entscheiden hat - sein Verfahren zu unterbrechen, bis im Verfahren der zuständigen Verwaltungsbehörde (einschließlich jenem des Verwaltungsgerichtshofes) über diese Frage als Hauptfrage abgesprochen ist. Voraussetzung ist, dass die Entscheidung über die Klage ganz oder zum Teil von der Beurteilung einer solchen Vorfrage abhängt und dass die betreffende Vorfrage zwischen den Prozessparteien strittig ist (SSV NF 10/82 mwN ua). Sollte eine andere, im § 74 Abs 1 ASGG nicht genannte, jedoch gleichartige Vorfrage bestehen, sind zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Gewährleistung einer verfassungskonformen Auslegung die Bestimmungen des § 74 ASGG analog anzuwenden ( Kuderna aaO mwN).

Fink aaO 111 und 437 vertritt dazu die Auffassung, dass eine analoge Anwendung des § 74 Abs 1 ASGG auf wenige Ausnahmefälle beschränkt sei. Bei der Aufrechnung gemäß § 103 Abs 1 Z 1 ASVG habe aber das Arbeits und Sozialgericht sein Verfahren in analoger Anwendung des § 74 ASGG zu unterbrechen, sofern die Beitragsschuld nicht unbestritten oder rechtskräftig festgestellt ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass Angelegenheiten der Beiträge der Versicherten und ihrer Dienstgeber Verwaltungssachen nach § 355 Z 3 ASVG sind, hierüber der zuständige Versicherungsträger (§ 409 ASVG) mit Bescheid zu entscheiden hat und hiefür der Rechtsweg unzulässig ist. Über Einwendungen gegen die Richtigkeit von Rückstandsausweisen hat der Versicherungsträger, der den Rückstandsausweis erließ, gemäß den §§ 409 und 355 Z 3 ASVG mit Bescheid zu entscheiden. Auch ein Antrag des Versicherten auf Feststellung der Beitragspflicht gemäß § 410 Abs 1 Z 7 ASVG verpflichtet den Versicherungsträger, über die Beitragsschuld bescheidmäßig abzusprechen. Die Prüfung der Frage der Beitragsschuld ist daher als Verwaltungssache den Gerichten auch im Vorfragenbereich entzogen und es ist hierüber die Entscheidung im Verwaltungsverfahren abzuwarten bzw zu veranlassen und deren Ergebnis dem gerichtlichen Verfahren zugrundezulegen. Die Gerichte sind an die Entscheidung der Verwaltungsbehörde gebunden (vgl SSV NF 3/31 ua).

Da es somit offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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