JudikaturJustiz10Ob57/17f

10Ob57/17f – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Z***** GmbH, *****, vertreten durch Mayer Herrmann Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1. Nichtigkeit eines Mietvertrags und 2. Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Juli 2017, GZ 38 R 126/17m 17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. April 2017, GZ 49 C 220/16s 13, teils aufgehoben und teils mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Beklagte ist seit vielen Jahren Hälfteeigentümer einer Liegenschaft und seit 1987 aufgrund eines schriftlichen Mietvertrags zusätzlich Hauptmieter einer Wohnung. Die klagende GmbH erwarb ihren Hälfteanteil an der Liegenschaft im Jahr 2016.

Die Klägerin begehrt 1. die Aufhebung des „zwischen der Hausinhabung ... und der klagenden Partei einerseits und der beklagten Partei andererseits“ geschlossenen Mietvertrags und 2. Räumung des Mietobjekts wegen angeblich titelloser Benützung. Der Beklagte habe den Mietvertrag ohne Zustimmung des zweiten (damaligen) Hälfteeigentümers geschlossen. Ein lediglich von einem Hälfteeigentümer geschlossener Mietvertrag binde die übrigen Miteigentümer nur, wenn diese der Begründung des Rechtsverhältnisses zumindest konkludent zugestimmt hätten. Dies sei hier nicht der Fall. Der Vertrag sei nach § 879 ABGB nichtig, weil er wegen des besonders niedrigen Mietzinses und sonstiger vertraglicher Bestimmungen zu Lasten des anderen Miteigentümers geschlossen worden sei.

Der Beklagte wendet insbesondere ein, die Auflösung eines Bestandvertrags mit einem Miteigentümer bedürfe als wichtige Veränderung der Zustimmung sämtlicher Miteigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter. Weder Zustimmung noch Genehmigung lägen vor.

Das Erstgericht folgte dem Standpunkt des Beklagten und wies beide Begehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge, hob das angefochtene Urteil in Ansehung des Räumungsbegehrens ohne Zulassung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und bestätigte die Abweisung des Aufhebungsbegehrens als Teilurteil. In der rechtlichen Beurteilung verwies es auf die ständige Rechtsprechung, zufolge der sowohl die Aufkündigung eines Bestandvertrags mit einem Miteigentümer als auch die Einbringung einer Mietzins- und Räumungsklage gegen einen Miteigentümer zur außerordentlichen Verwaltung zählten, weshalb die fehlende Zustimmung des betroffenen Miteigentümers durch den Außerstreitrichter ersetzt werden müsse. Die dem Räumungsbegehren zugrundeliegende Negatorienklage (§ 523 ABGB) könne hingegen jeder Miteigentümer zur Abwehr eigenmächtiger Eingriffe in das gemeinsame Eigentum erheben.

Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen das Teilurteil zu, weil keine Rechtsprechung zu der Frage vorliege, ob eine derartige Anfechtungsklage nur mit Zustimmung des in Anspruch genommenen Miteigentümers oder Genehmigung des Außerstreitrichters erhoben werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Maßgebend für die Auslegung eines Klagebegehrens dahin, ob dieses ein Feststellungsbegehren oder ein Rechtsgestaltungsbegehren enthält, ist der im Zusammenhang mit dem Sachvorbringen zu beurteilende Sinngehalt (RIS-Justiz RS0014803 [T1]).

1.1. Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Mietvertrags wegen Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 zweiter Fall ABGB. Diese sieht sie in der Benachteiligung des damaligen Hälfteeigentümers und Vertragspartners des Beklagten insbesondere durch den auffallend niedrigen Hauptmietzins, ohne sich dabei in ihrem Tatsachenvorbringen auf den Wuchertatbestand des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB zu berufen.

1.2 Eine solche relative Nichtigkeit eines Vertrags wegen Sittenwidrigkeit ist im Sinn der herrschenden Ansicht nicht mit Rechtsgestaltungs-, sondern mit Feststellungsklage geltend zu machen (5 Ob 184/10k; 9 ObA 100/13s; RIS-Justiz RS0014650 [T1]; vgl RS0025029).

1.3 Zwar wird im Zusammenhang mit Wucher (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) von der herrschenden Ansicht (RIS Justiz RS0016879) vertreten, dass das Rechtsgeschäft anfechtbar und eine gegen alle (übrigen) Beteiligten zu richtende Rechtsgestaltungsklage notwendig ist (RIS Justiz RS0083003). Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema erübrigt sich hier schon deshalb, weil sich aus dem Tatsachenvorbringen der Klägerin kein subjektives Element auf Seiten des damaligen Vertragspartners ergibt, das auf eine gestörte Willensbildung deuten könnte.

1.4 Das im Revisionsverfahren allein strittige Begehren der Klägerin auf Aufhebung des Mietvertrags ist somit inhaltlich als Feststellungsbegehren anzusehen.

1.5 Bei sogenannten materiell-rechtlichen Feststellungsklagen, wie jenen, die auf die Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit eines zwischen den Streitteilen geschlossenen Vertrags gerichtet sind, verlangt der Oberste Gerichtshof an sich keinen Nachweis eines rechtlichen Interesses (2 Ob 52/16k; vgl RIS-Justiz RS0014650). Das (Nicht-)Vorliegen eines rechtlichen Interesses muss hier allerdings nicht weiter erörtert werden. Entscheidend ist die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin.

2.1 Die Einbringung einer Feststellungsklage eines Miteigentümers, mit der die Feststellung des Nichtbestehens eines Bestandverhältnisses (sei es mit einem Dritten oder einem anderen Miteigentümer) begehrt wird, ist als Maßnahme der Verwaltung anzusehen (zum WEG 5 Ob 159/01h; vgl Perner , Miteigentümer im Zivilprozess, ÖJZ 2010/2, 5 [8]). Die ständige Rechtsprechung differenziert in der Abgrenzung von ordentlicher zu außerordentlicher Verwaltung (schlichtes Miteigentum) bei der Auflösung eines Mietvertrags danach, ob der Mieter ein Dritter oder ein Miteigentümer ist. Im zweiten Fall soll es sich um eine Maßnahme der außerordentlichen Verwaltung handeln, die fehlende Zustimmung des betroffenen Miteigentümers müsse vom Außerstreitrichter ersetzt werden (RIS-Justiz RS0013436; RS0013680 ua).

2.2 Diese im Schrifttum kritisierte ( Hoyer , Aufkündigung von Bestandverhältnissen bei Miteigentum wobl 1991, 152 f; diesem folgend Sailer in KBB 5 § 834 Rz 6; Pesek in Schwimann/Kodek , ABGB 4 , § 1116 ABGB Rz 23; Lovrek in Rummel/Lukas , ABGB 4 , § 1116 ABGB Rz 31; Tanczos/Eliskases in Rummel/Lukas , ABGB 4 § 834 ABGB Rz 2) Abgrenzung spielt im vorliegenden Fall, in dem sich zwei Hälfteeigentümer als Vertrags- und Prozessparteien gegenüberstehen, keine Rolle: Auch im Rahmen der ordentlichen Verwaltung ist bei Stimmengleichheit immer die Entscheidung des Außerstreitrichters notwendig (RIS-Justiz RS0013734).

Die Klägerin ist deshalb nicht berechtigt, ohne Genehmigung des Außerstreitrichters gegen den anderen Hälfteeigentümer und Mieter, eine Klage auf Feststellung einzubringen, dass das Mietverhältnis nach § 879 Abs 1 2. Fall ABGB nichtig ist und deshalb nicht besteht. Dieses Ergebnis lässt sich bereits mit der Bestimmung des § 835 ABGB und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung erzielen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Rechtssätze
6
  • RS0014803OGH Rechtssatz

    23. Januar 2018·3 Entscheidungen

    Maßgebend dafür, ob ein Feststellungsbegehren oder ein Rechtsgestaltungsbegehren vorliegt, ist, welchen Ausspruch des Gerichtes der Kläger im Zusammenhalt mit seinem Sachvorbringen nach dessen Sinngehalt verlangt. Demgemäß hat die neuere Rechtsprechung des OGH bei Geltendmachung von Willensmängeln (§§ 870 ff ABGB) zwar überwiegend die rechtsgestaltende Natur dieser Ansprüche betont (so etwa in SZ 42/25; 5 Ob 299/70; 3 Ob 57/72; 6 Ob 85/72; 8 Ob 15/72), dennoch aber auch Klagebegehren, die auf "Feststellung der Nichtigkeit" oder "Feststellung der Unwirksamkeit" des jeweiligen Vertrages gerichtet waren, entweder überhaupt nicht beanstandet (so 5 Ob 299/70; 1 Ob 270/71; 3 Ob 57/72) oder aber sie von Amts wegen modifiziert (so SZ 42/25; 8 Ob 15/72). Die gleichen Grundsätze müssen aber auch für die Vertragsaufhebung wegen laesio enormis gelten. Auch wenn dieser Klagegrund richtigerweise mit einem Begehren auf rechtsgestaltende Aufhebung des Vertrages durch das Gericht geltend zu machen ist, bestehen doch keine Bedenken, ein unter Berufung auf § 934 ABGB erhobenes Feststellungsbegehren nicht seinem Wortlaut, sondern seinem Inhalt nach als Rechtsgestaltungsbegehren aufzufassen und es gegebenenfalls von Amts wegen - auch noch in höherer Instanz (vgl dazu ÖBl 1972,152 ua) - entsprechen neu zu formulieren. Dass der Kläger - zum Unterschied von den genannten Beispielen - nicht die Feststellung der Nichtigkeit, der Unwirksamkeit oder der Ungültigkeit des Vertrages begehrt, sondern auf Feststellung des Nichtzustandekommens einer solchen Vereinbarung geklagt hat, kann ihm nicht schaden, wenn aus seinem Klagevorbringen deutlich hervorgeht, dass es ihm für den Fall der Annahme des Zustandekommens der Kaufvereinbarung durch das Gericht auch hier allein auf den Ausspruch der Unverbindlichkeit dieser Abmachung und damit auf die rückwirkende Beseitigung ihrer schon eingetreten Rechtsfolgen ankommt.