JudikaturBFG

RV/7103364/2019 – BFG Entscheidung

Entscheidung
29. September 2025

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pagitsch in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über deren Beschwerde vom 18. Dezember 2018 gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Österreich (vormals Finanzamtes Baden Mödling) vom 27. November 2018 betreffend aushaftender Abgabenschuldigkeiten der ***Firma1***, Steuernummer ***Nr1***, zu Recht erkannt:

I.) Die Beschwerde wird gem § 279 Abs 1 BAO als unbegründet abgewiesen und der Spruch des bekämpften Bescheides insofern präzisiert, dass die Beschwerdeführerin für Lohnsteuer 1-12/2015 iHv € 1.834,18 und Dienstgeberbeitrag 1-12/2015 iHv € 816,80, insgesamt somit iHv € 2.650,98, gem § 9 BAO zur Haftung herangezogen wird.

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II.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz ( B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Vorhalt der belangten Behörde vom 14.6.2018 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert zur möglichen Haftungsinanspruchnahme bestimmter bei der ***Firma1*** aushaftender Abgabenschuldigkeiten Stellung zu nehmen und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse darzulegen.

Dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 5.9.2018 nach, in welchem sie im Wesentlichen ausführte, dass die Lohnsteuernachzahlung betreffend 1-12/2015 im Jahr 2018 aufgrund des sehr kleines Zeitfensters akzeptiert worden sei und sie vor Übergabe der Gesellschaft im April 2016 den offenen Rückstand persönlich beglichen habe, sodass keine Beträge beim Finanzamt aushaften würden.

Mit Haftungsbescheid vom 27.11.2018 wurde die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der ***Firma1*** für Lohnsteuer 2015 iHv € 1.834,18 und Dienstgeberbeitrag 2015 iHv € 816,80, insgesamt somit iHv € 2.650,98 gem § 9 BAO zur Haftung herangezogen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 18.12.2018 Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen damit, dass sie im April 2016 die Gesellschaft veräußert und die Geschäftsführung zurückgelegt habe, ihre Klagen bezüglich offener Forderungen abgewiesen worden seien, anlässlich der Konkurseröffnung im Frühjahr 2018 eine Lohnsteuerprüfung durchgeführt worden sei, die festgestellten Lohnsteuernachzahlungen aus zeitlichen Gründen von ihr akzeptiert worden seien, sämtliche Abgabenschulden vor Übergabe der Gesellschaft von ihr beglichen worden seien, sie sich als Geschäftsführerin auf den Steuerberater verlassen dürfe, sie nicht für Abgabenschulden haften könne, welche nach ihrer Geschäftsführertätigkeit festgesetzt worden seien, ihr daher kein Verschulden treffe und sie daher keine Pflichten verletzt habe.

In der Beschwerdevorentscheidung vom 28.3.2019 wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab, da - im Wesentlichen - die Beschwerdeführerin kein konkretes Vorbringen erstattet habe, dass sie schuldlos an der Erfüllung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft gehindert gewesen sei.

Am 5.6.2019 brachte die Beschwerdeführerin einen Vorlageantrag ein und führte zusammenfassend aus, dass die belangte Behörde unrichtigerweise davon ausgegangen sei, dass die Mittel der Gesellschaft nicht anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet worden seien, zumal der Abgabenrückstand erst nachträglich aufgrund einer Finanzamtsprüfung anlässlich des Konkurses entstanden sei, zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Mittel zur Begleichung mehr vorhanden gewesen seien, die Beschwerdeführerin nicht mehr Geschäftsführerin der Gesellschaft gewesen sei und sie keine Kenntnis gehabt habe, dass mit dem vom Steuerberater erstellten Lohnabrechnungen nicht sämtliche Lohnsteuern berücksichtigt worden seien.

Mit Vorlagebericht vom 18.6.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt wesentlicher Aktenteile dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Auf Anfrage teilte die belangte Behörde am 25.8.2025 mit, dass am 23.2.2023 eine Überrechnung des strittigen Haftungsbetrages vom Abgabenkonto der Beschwerdeführerin erfolgt sei und daher das Abgabenkonto der ***Firma1*** keinen Rückstand mehr aufweise, es sich aber bei der Überrechnung um keine freiwillige Zahlung der Beschwerdeführerin gehandelt habe.

Mit Beschluss vom 1.9.2025 forderte das Bundesfinanzgericht die Beschwerdeführerin auf, eine monatliche Aufgliederung des Dienstgeberbeitrages 1-12/2015 iHv € 816,80 samt Nachweisen vorzulegen, andernfalls seitens des Gerichtes eine aliquote Aufteilung vorzunehmen sein wird, den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung bezüglich des Dienstgeberbeitrages 1-12/2015 zu erbringen und näher auszuführen und mit entsprechenden Unterlagen zu belegen, warum ihr kein schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei, zumal der bloße Verweis "auf das Verlassen auf den Steuerberater" wohl nicht ausreichend sein wird.

Der Beschluss wurde trotz aufrechter Zustelladresse in ***Bf1-Adr*** von der Beschwerdeführerin nicht behoben, sodass eine Beantwortung unterblieb.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen

Festgestellter Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin war vom ***Datum1*** bis ***Datum2*** alleinige Geschäftsführerin der ***Firma1***. Im April 2016 verkaufte sie als Alleingesellschafterin die Gesellschaft. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom ***Datum3*** wurde über das Vermögen der ***Firma1*** der Konkurs eröffnet. Mit Beschluss vom ***Datum5*** wurde nach Verteilung an die Massegläubiger der Konkurs aufgehoben und die Firma infolge Vermögenslosigkeit am ***Datum4*** gelöscht.

Mit Haftungsbescheid vom 27.11.2018 wurde die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der ***Firma1*** für Lohnsteuer 2015 iHv € 1.834,18 und Dienstgeberbeitrag 2015 iHv € 816,80, insgesamt somit iHv € 2.650,98 gem § 9 BAO zur Haftung herangezogen.

Die Lohnsteuer und der Dienstgeberbeitrag 2015 beziehen sich aliquot auf sämtliche Monate des Jahres 2015, sodass sich die jeweiligen Fälligkeiten von 16.2.2015 (für Jänner 2015) bis 15.1.2016 (für Dezember 2015) erstrecken.

Die strittigen Haftungsbeträge resultieren aus einer im Zuge der Konkurseröffnung durchgeführten Lohnsteuerprüfung, bei welcher für die Monate 1-12/2015 aufgrund eines Abgleiches der vorliegenden Jahreslohnzettel und der Sozialversicherung-Dienstnehmerauskunft Abfuhrdifferenzen festgestellt wurden. Die Abfuhrdifferenzen wurden von der Beschwerdeführerin akzeptiert, da die Beischaffung der Lohnkonten längere Zeit gedauert hätte. Die Primärschuldnerin verfügte von 15.2.2015 bis zumindest Februar 2018 über liquide Mittel.

Mit dem Haftungsbescheid wurden der Beschwerdeführerin die zugrundeliegenden Abgabenbescheide zur Kenntnis gebracht.

Am 23.2.2023 erfolgte ausschließlich auf Veranlassung der belangten Behörde eine Überrechnung des strittigen Haftungsbetrages vom Abgabenkonto der Beschwerdeführerin auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

Seit 12.9.2025 hat die Beschwerdeführerin eine weitere Zustelladresse und zwar ***Adr1***

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde, insbesondere aus dem Haftungsbescheid vom 27.11.2018, den Informationen aus dem Abgabenkonto der ***Firma1***, dem Firmenbuchauszug zu FN ***Zahl1*** und dem Schreiben der belangten Behörde vom 25.8.2025. Aus diesen Unterlagen geht auch hervor, dass die Gesellschaft vom 15.2.2015 bis zumindest Februar 2018 über liquide Mittel verfügte, zumal das Abgabenkonto in diesem Zeitraum durchwegs ein Guthaben auswies. Zudem ist aus diesen Urkunden zu entnehmen, dass das Konkursverfahren ohne Befriedigung der Gläubiger beendet wurde und daher die streitgegenständlichen Haftungsbeträge bei der ***Firma1*** uneinbringlich sind. Zudem geht aus einem Amtsvermerk hervor, dass die belangte Behörde im Zuge der Haftungsinanspruchnahme die zugrundeliegenden Bescheide betreffend Lohnsteuer und Dienstgeberabgabe 2015 der Beschwerdeführerin mit dem Haftungsbescheid mitübermittelt hat.

Da den Lohnsteuerprüfungsunterlagen keine monatliche Aufgliederung der Lohnsteuer und Dienstgeberabgabe 2015 zu entnehmen ist, wurde vom Bundesfinanzgericht mangels anderer Anhaltspunkte eine aliquote monatliche Aufteilung vorgenommen, welcher die Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten ist.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gem § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gem § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesem zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach den § 9 und §§ 80 ff BAO ist eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Da die Beschwerdeführerin vom ***Datum1*** bis ***Datum2*** alleinige Geschäftsführerin der ***Firma1*** war, ist diese eine Vertreterin iSd des § 9 BAO. Ihr oblag es daher die abgabenrechtlichen Pflichten der Primärschuldnerin in diesem Zeitraum wahrzunehmen.

Die Haftung erstreckt sich darüber hinaus nur auf Abgaben, deren Zahlungstermin (zB Fälligkeitszeitpunkt) in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt. Hingegen ist die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass für die Haftungsinanspruchnahme der Zeitpunkt der Abgabenfestsetzung maßgebend sei, unrichtig. Da die jeweiligen Fälligkeiten der strittigen Abgaben von 16.2.2015 bis 15.1.2016 in die Zeit der Geschäftsführertätigkeit der Beschwerdeführerin gefallen sind, ist auch diese Voraussetzung gegeben.

Die Haftung nach § 9 Abs 1 BAO ist eine Ausfallshaftung (VwGH 24.2.1997, 96/17/0066). Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (VwGH 3.7.1996, 96/13/0025). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (VwGH 26.5.2004, 99/14/0218). Gegenständlich steht die objektive Uneinbringlichkeit der in Haftung gezogenen Abgaben bei der Primärschuldnerin fest, da das Konkursverfahren ohne Befriedigung der Gläubiger beendet wurde. Wenn das Abgabenkonto der Primärschuldnerin derzeit keinen Rückstand aufweist, so ist dies auf den Umstand zurückzuführen, dass bereits eine Überrechnung des strittigen Haftungsbetrages vom Abgabenkonto der Beschwerdeführerin auf das Abgabenkonto der Primärschuldnerin erfolgt ist.

Darüber hinaus ist für die Haftung nach § 9 BAO die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten erforderlich (zB VwGH 18.10.1995, 91/13/0037; VwGH 2.7.2002, 96/14/0076). Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehören vor allem die Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet, die Führung gesetzmäßiger Aufzeichnungen, die zeitgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen und die Offenlegungs- und Wahrheitspflicht.

Gem § 80 Abs 1 letzter Satz BAO hat der Vertreter insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben entrichtet werden. Ob den Vertreter ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trifft, ist für die Haftung nach § 9 BAO hingegen ohne Bedeutung (zB VwGH 18.11.1991, 90/15/0176; VwGH 22.2.2008, 2007/17/0214). Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären (vgl VwGH 31.10.2000, 95/15/0137; VwGH 25.11.2009, 2007/15/0277). Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (vgl VwGH 16.9.2003, 2000/14/0106; VwGH 22.4.2015, 2013/16/0208); maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, somit unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird (zB VwGH 25.1.1999, 94/17/0229; VwGH 23.1.2003, 2001/16/0291). Keine Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Abgabe nicht entrichtet wird, weil der Vertretene überhaupt keine liquiden Mittel hatte (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 9 Rz 10). Dies war aber gegenständlich nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin als Vertreterin hat somit nicht für die Entrichtung der Abgaben zu den jeweiligen Fälligkeitstagen gesorgt. Darin liegt eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten vor (VwGH 5.10.2023, Ra 2023/13/0060). Zudem geht aus der Aktenlage hervor, dass die Lohnabgaben 1-12/2015 von der Beschwerdeführerin als für die steuerlichen Belange der Gesellschaft verantwortlicher Geschäftsführerin nicht in der richtigen Höhe gemeldet wurden, sodass eine weitere abgabenrechtliche Pflicht durch die Beschwerdeführerin verletzt wurde.

Nur schuldhafte Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen zur Haftungsinanspruchnahme. Eine bestimmte Schuldform ist nicht gefordert, daher genügt auch leichte Fahrlässigkeit (vgl VwGH 18.10.1995, 91/13/0037, 91/13/0038; VwGH 31.10.2000, 95/15/0137). Wenn die Beschwerdeführerin dahingehend ausführt, sie dürfe sich auf ihren Steuerberater verlassen, so ist ihr entgegenzuhalten, dass es zur Exkulpierung der Geschäftsführerin einer Gesellschaft nicht genügt, sich durch einen Steuerberater in steuerlichen Belangen schlechthin vertreten zu lassen (VwGH 9.6.1986, 85/15/0069), zumal ihr Auswahl- oder Überwachungspflichten treffen (VwGH 16.12.1991, 90/15/0114; VwGH 10.11.1993, 91/13/0181, VwGH 29.6.1999, 98/14/0172) und gegenständlich seitens der Beschwerdeführerin eine regelmäßige Kontrolle und Überwachung hinsichtlich der ordnungsgemäßen Abfuhr der Lohnabgaben 1-12/2015 nicht nachgewiesen wurde.

Verfügt der Vertretene über (wenn auch nicht ausreichende) Mittel, so darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden (vgl VwGH 17.10.2001, 2000/16/0575; VwGH 15.12.2009, 2005/13/0040). Es kann aber nicht verlangt werden, der Vertreter müsse den Abgabengläubiger vor allen übrigen Gläubigern befriedigen (vgl VwGH 29.4.1994, 93/17/0395; VwGH 24.2.2004, 99/14/0278). Er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Ausnahmen von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz gelten für Abfuhrabgaben, insbesondere für Lohnsteuer (zB VwGH 21.1.2004, 2002/13/0218; VwGH 5.4.2011, 2009/16/0106) und Kapitalertragsteuer. Nach § 78 Abs 3 EStG 1988 hat nämlich der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten. Sie besteht nicht für Dienstgeberbeiträge (zB VwGH 25.1.2000, 96/14/0080; VwGH 19.4.2007, 2005/15/0129).

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (vgl VwGH 28.2.2013, 2012/16/0029; VwGH 19.5.2015, 2013/16/0016). Nur der Vertreter wird nämlich idR jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht (vgl VwGH 19.11.1998, 98/15/0159; VwGH 5.4.2011, 2009/16/0106). Daher hat er für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens vorzusorgen (zB VwGH 7.9.1990, 89/14/0132), etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken (zB VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027). Dem Vertreter obliegt dabei kein negativer Beweis, sondern die konkrete (schlüssige) Darstellung der Gründe, die zB der gebotenen rechtzeitigen Abgabenentrichtung entgegenstanden (vgl VwGH 4.4.1990, 89/13/0212; VwGH 27.10.2008, 2005/17/0259). Die pauschale Behauptung einer Gleichbehandlung aller Gläubiger reicht nicht (VwGH 22.9.1999, 96/15/0049).

Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt somit dem Vertreter. Auf diesem, nicht aber auf der Behörde, lastet auch die Verpflichtung zur Errechnung einer entsprechenden Quote. Vermag der Vertreter nachzuweisen, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, so haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und der tatsächlich erfolgten Zahlung. Wird dieser Nachweis nicht angetreten, kann dem Vertreter die uneinbringliche Abgabe zur Gänze vorgeschrieben werden (VwGH 28.5.2008, 2006/15/0322 mwN). Eine Haftung zur Gänze kommt daher in Betracht, wenn der Vertreter seiner qualifizierten Mitwirkungspflicht hinsichtlich des teilweisen Fehlens liquider Mittel und der anteiligen Verwendung dieser Mittel nicht nachkommt (vgl zB VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601; VwGH 30.10.2001, 98/14/0082) und sich auch aus dem Akteninhalt keine deutlichen Anhaltspunkte für das Fehlen der Mittel zur (anteiligen) Abgabenentrichtung ergeben (vgl VwGH 17.12.2002, 98/17/0250; VwGH 30.9.2004, 2003/16/0080).

Dies ist gegenständlich der Fall. Die Beschwerdeführerin konnte bezüglich des Dienstgeberbeiträge trotz Aufforderung weder einen Nachweis einer Gläubigergleichbehandlung noch den Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote erbringen. Dazu wäre es erforderlich gewesen, eine Gegenüberstellung aller liquiden Mittel und fälligen Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag der haftungsgegenständlichen Abgaben vorzulegen, um feststellen zu können, wie die vorhandenen Mittel tatsächlich verwendet wurden. Zudem konnte die Beschwerdeführerin auch nicht darlegen, dass die den Lohnabgaben zu Grunde liegenden Löhne nicht zur Gänze ausbezahlt wurden und sind den vorgelegten Akten keine Anhaltspunkte zu entnehmen, welche auf das Fehlen der Mittel zur (anteiligen) Abgabenentrichtung schließen würden. Solche Unterlagen wären bereits bei Entstehung der Zahlungspflicht und nicht vollständiger Entrichtung zu sichern gewesen (vgl VwGH 28.2.2014, 2012/16/0001). Ein Verschulden der Beschwerdeführerin bezüglich ihrer abgabenrechtlichen Pflichten, insbesondere an der Nichtentrichtung der im Spruch genannten Abgaben, ist daher evident.

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflichtverletzung und Abgabenausfall voraus. Die Pflichtverletzung muss daher zur Uneinbringlichkeit geführt haben. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027). Im Hinblick auf die festgestellte schuldhafte Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist daher die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit gegeben.

Aus dem einem Haftungspflichtigen eingeräumten Beschwerderecht ergibt sich allerdings, dass ihm anlässlich der Erlassung des Haftungsbescheides von der Behörde über den haftungsgegenständlichen Abgabenanspruch Kenntnis zu verschaffen ist (VwGH 18.3.1994, 92/17/0003), und zwar vor allem über Grund und Höhe des feststehenden Abgabenanspruches (vgl VwGH 25.7.1990, 88/17/0235; VwGH 19.3.2015, 2011/16/0188). Eine solche Bekanntmachung hat durch Zusendung einer Ausfertigung (Ablichtung) des maßgeblichen Bescheides über den Abgabenanspruch, allenfalls durch Mitteilung des Bescheidinhalts zu erfolgen (vgl zB Ellinger/Wetzel, BAO, 194). Das Unterbleiben einer solchen Bekanntmachung macht den Haftungsbescheid rechtswidrig (VwGH 28.5.1993, 93/17/0049). Gegenständlich wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin sämtliche zu Grunde liegenden Abgabenbescheide im Zuge der Haftungsinanspruchnahme zur Kenntnis gebracht wurden, sodass auch diese Voraussetzung erfüllt ist.

Die Haftungsinanspruchnahme liegt im Ermessen (§ 20) der Abgabenbehörde (zB VwGH 28.1.2005, 2002/15/0157; VwGH 8.9.2020, Ra 2020/13/0029). Dieses Ermessen umfasst auch das Ausmaß der Heranziehung zur Haftung (zB VwGH 25.3.2010, 2009/16/0104). Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung iSd § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist (VwGH 25.6.1990, 89/15/0067). Die im Spruch angeführte Abgabenschuld ist bei der Primärschuldnerin nicht einbringlich. Daher dient die Geltendmachung der Haftung dem öffentlichen Interesse an der Sicherung und Einbringung der Abgabenschulden. Demnach ist die Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführerin zweckmäßig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (zB VwGH 3.9.2008, 2006/13/0159; VwGH 16.10.2014, Ro 2014/16/0066) ist dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit im Rahmen der behördlichen Ermessensübung besondere Bedeutung beizumessen. Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab (zB VwGH 2.12.2020, Ra 2020/13/0095; VwGH 19.5.2021, Ra 2019/13/0046; BFG 30.6.2021, RV/7105704/2018).

Der Verwaltungsgerichtshof hat einen Zeitraum von rund vier Jahren zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld und der Haftungsinanspruchnahme nicht als einen im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigenden langen Zeitabstand beurteilt (vgl VwGH 15.6.2023, Ra 2021/13/0156; VwGH 28.6.2016, 2013/17/0829). Dahingehend ist festzustellen, dass unter Verweis auf diese Judikatur im gegenständlichen Fall ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld (es sind Abgaben mit Fälligkeiten im Jahr 2015 betroffen) oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit (***Datum3***) einerseits und der Erlassung des Haftungsbescheides (14.6.2018) andererseits nicht vorliegt.

Von der Beschwerdeführerin wurden darüber hinaus keine Gründe vorgebracht, die bei Abwägung von Zweckmäßigkeit und Billigkeit eine andere Ermessensübung bewirken hätten können.

Im Ergebnis erfolgte daher aufgrund der oben ausgeführten Erwägungen die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige für die im Spruch angeführten Abgabenschuldigkeiten der ***Firma1*** zu Recht.

Festgehalten wird, dass der Haftungsbetrag aufgrund der am 23.2.2023 erfolgten Überrechnung vom Abgabenkonto der Beschwerdeführerin bereits entrichtet ist.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis behandelt keine Rechtsfragen, denen im Hinblick auf die zitierte Judikatur grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof war daher nicht zuzulassen.

Wien, am 29. September 2025