Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des J J (alias M S alias J J alias J), vertreten durch Mag. Sandra Mauthner, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 2025, I425 23082241/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Gambias, stellte erstmals am 11. Jänner 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er zum Christentum konvertiert sei und seine muslimischen Eltern ihm deswegen gedroht hätten.
2 Mit Schreiben vom 7. Mai 2021 setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die italienische Behörde davon in Kenntnis, dass Italien für die Führung des Asylverfahrens gemäß Art. 22 Abs. 7 der Dublin III VO zuständig sei. In weiterer Folge tauchte der Revisionswerber unter. Eine Überstellung nach Italien erfolgte nicht.
3 Am 5. Dezember 2024 stellte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen erneut mit der Konversion zum Christentum und der Angst vor seinen Eltern begründete.
4Mit Bescheid vom 6. Februar 2025 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gambia zulässig sei (Spruchpunkt V.), und legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.). Unter einem wurde einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.).
5 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung hinsichtlich des Spruchpunktes VII. statt und behob diesen ersatzlos. Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides zu lauten habe: „Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“ Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
6 Dagegen erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattetin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
7 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht trotz Antrages keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
8 Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und berechtigt.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFAVG ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018; sowie rezent etwa VwGH 8.5.2025, Ra 2024/19/0255, mwN).
10 Diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entsprochen:
11 Das Bundesverwaltungsgericht teilte zwar die beweiswürdigenden Ausführungen des BFA, wonach der Revisionswerber widersprüchliche Aussagen zum Zeitpunkt seiner Konversion zum Christentum sowie seiner Ausreise getätigt habe. Das Bundesverwaltungsgericht führte darüber hinaus ins Treffen, der Revisionswerber habe keinen Versuch unternommen, sich im Hinblick auf die Gefahr einer Verfolgung durch Privatpersonen hilfesuchend an die gambischen Behörden zu wenden, weswegen dem gambischen Staat nicht schon deswegen mangelnde Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit unterstellt werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich auch über die Ausführungen des BFA hinaus mit den Umständen der Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat und seiner Ansiedelung in einem anderen Landesteil Gambias auseinander.
12Eine solche (ergänzende) Beweiswürdigung hat regelmäßig erst nach einer mündlichen Verhandlung, in der auch ein persönlicher Eindruck von der betroffenen Person gewonnen werden kann, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.4.2024, Ra 2023/19/0311, mwN). Schon vor diesem Hintergrund lag kein Fall im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG vor, der ein Absehen von der beantragen Verhandlung ermöglichte.
13Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in seiner Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht des Bundesverwaltungsgerichts in Asylsachen auch, dass die Aktualisierung der Länderfeststellungen durch das Verwaltungsgericht, die eine zusätzliche Beweiswürdigung erfordert, grundsätzlich nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erfolgen darf (vgl. VwGH 6.10.2023, Ra 2023/19/0279, mwN).
14 Das Bundesverwaltungsgericht legte dem angefochtenen Erkenntnis das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) zu Gambia vom 21. November 2023 zu Grunde; die Feststellungen des BFA basierten hingegen noch auf einer Version des LIB aus dem Jahr 2020. Das Bundesverwaltungsgericht nahm damit auch eine Aktualisierung der Länderfeststellungen vor.
15 Die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Durchführung einer Verhandlung lagen somit nicht vor.
16Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des - wie hier gegeben - Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 7.12.2021, Ra 2021/19/0136, mwN).
17Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18Von der Durchführung der beantragen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
19Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die ebenfalls geltend gemachte Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist (vgl. VwGH 12.6.2025, Ra 2024/21/0223, mwN). Der Revisionswerber ist zudem infolge der Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung der verfahrensgegenständlichen außerordentlichen Revision mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. April 2025, Ra 2025/19/0066, von der Entrichtung der Eingabengebühr befreit.
Wien, am 27. August 2025