Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des A B, vertreten durch Mag. Michael Scheibner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2/12, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. November 2024, I406 2299397 1/2E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes als verspätet (Spruchpunkt A.I.) sowie Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist (Spruchpunkt A.II.) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Beschlusses wendet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Beschlusses wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein ägyptischer Staatsangehöriger, stellte am 11. Mai 2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der erfolglos blieb, wobei gegen ihn unter einem eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen wurde.
2 Ungeachtet seiner deshalb bestehenden Ausreiseverpflichtung hielt sich der Revisionswerber weiterhin im Bundesgebiet auf und stellte mittlerweile an einer Kontaktstelle als obdachlos iSd § 19a MeldeG gemeldet am 25. April 2024 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Am 16. Mai 2024 wurde dem Revisionswerber von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ein Informationsblatt ausgehändigt, demzufolge er gemäß § 15a Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG 2005 verpflichtet sei, sich jeden zweiten Tag bei einer näher genannten Polizeiinspektion zu melden.
3 Mit Bescheid vom 29. Juli 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Asylfolgeantrag sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.), es sprach aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Ägypten zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ferner stellte das BFA gemäß § 55 Abs. 1a FPG fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), und erließ gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4 Am 30. Juli 2024 ersuchte das BFA die bereits erwähnte Polizeiinspektion, dem Revisionswerber den Bescheid vom 29. Juli 2024 persönlich auszufolgen. Mit Kurzbrief der Polizeiinspektion vom 14. August 2024 wurde dem BFA mitgeteilt, dass der Bescheid am 30. Juli 2024 bei der Polizeiinspektion hinterlegt und bis 13. August 2024 zur Abholung bereitgehalten worden sei. Eine Verständigung über die Hinterlegung und Bereithaltung des Bescheides sei noch am 30. Juli 2024 an der Kontaktstelle hinterlassen worden, sei jedoch unbeachtet geblieben. Dem Zustellersuchen habe somit „nicht entsprochen“ werden können.
5 Nachdem das BFA der Rechtsvertretung des Revisionswerbers über deren Ersuchen den Bescheid vom 29. Juli 2024 am 26. August 2024 übermittelt hatte, langte am 6. September 2024 beim BFA ein Schriftsatz des Revisionswerbers ein, mit dem er gegen die Spruchpunkte IV. bis VII. dieses Bescheides Beschwerde erhob. Unter einem wurde auch in eventu (erkennbar für den Fall der Fristversäumnis) ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist gestellt. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung brachte der Revisionswerber vor, dass er seiner periodischen Meldeverpflichtung mangels entsprechender Aufforderung dazu „weder in der Vergangenheit noch aktuell“, somit „nie“, nachgekommen sei und dies dem BFA habe bekannt sein müssen, sodass die Bescheidzustellung nicht durch Hinterlegung nach § 11 Abs. 6 BFA VG hätte vorgenommen werden dürfen. Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründete er mit einer zehntägigen Erkrankung ab dem 12. August 2024.
6 Die Beschwerde legte das BFA am 9. September 2024 dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Entscheidung vor.
7 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. November 2024 wies das BVwG einerseits die Beschwerde als verspätet zurück (Spruchpunkt A.I.) und andererseits den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab (Spruchpunkt A.II.). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG (gemeint: jeweils) nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
8 Über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG und Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet erwogen:
9 Im Hinblick auf die mit Spruchpunkt A.I. des angefochtenen Beschlusses erfolgte Zurückweisung der Beschwerde macht die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend, weil es die Zustellung des Bescheides am 30. Juli 2024 durch Hinterlegung bei der zur Kontaktstelle nächstgelegenen Polizeiinspektion als rechtswirksam erachtet habe. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0144) könne die Zustellwirkung der Hinterlegung jedoch frühestens am Tag nach der Verletzung der Meldepflicht eintreten, wenn dem BFA wie im vorliegenden Fall vor der Zustellung die Verletzung der Meldeverpflichtung nicht bekannt gewesen sei. In Verkennung dieser Rechtsprechung habe das BVwG keine notwendigen Feststellungen zum Meldeverhalten des Revisionswerbers bei der Polizeiinspektion getroffen, um beurteilen zu können, ob der Revisionswerber im relevanten Zeitraum seine Meldeverpflichtung bei der Polizeiinspektion schon vor dem Zustellversuch regelmäßig eingehalten habe und ab wann er sich nach der letzten Meldung wieder bei der Polizeiinspektion hätte melden müssen.
10 Mit diesen Ausführungen wird in der Revision jedoch außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber in der Beschwerde selbst einräumte, seiner periodischen Meldeverpflichtung überhaupt nicht nachgekommen zu sein. Folglich ist die im Übrigen nicht näher durch ein Vorbringen, zu welchen Zeitpunkten der Revisionswerber der Meldeverpflichtung vor dem 30. Juli 2024 doch entsprochen habe, dargelegte Relevanz des geltend gemachten Begründungsmangels auch nicht ersichtlich. Vielmehr war es in Anbetracht dieses Beschwerdevorbringens dem BVwG nicht verwehrt anzunehmen, dass bereits im Zeitpunkt des Einlangens des Zustellersuchens des BFA bei der ersuchten Polizeiinspektion am 30. Juli 2024 eine Verletzung der gemäß § 15a Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 AsylG 2005 bestehenden Meldeverpflichtung des Revisionswerbers vorlag und dass daher sofort mit einer Hinterlegung des zuzustellenden Bescheides iSd § 11 Abs. 6 BFA VG vorgegangen werden durfte (vgl. dazu VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0144, Rn. 29, am Ende). Das BVwG ist daher zu Recht von der Wirksamkeit der Hinterlegung des Bescheides am 30. Juli 2024 sowie ferner davon ausgegangen, dass entsprechend dem Verweis in § 11 Abs. 6 BFA VG auf die sinngemäße Geltung von § 17 Abs. 3 erster bis dritter Satz ZustG der Lauf der zweiwöchigen Frist zur Abholung des hinterlegten Bescheides mit 30. Juli 2024 begann, der Bescheid mit diesem Tag als zugestellt galt und mit Ablauf des 13. August 2024 in Rechtskraft erwuchs (vgl. zu alledem noch näher VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0144, Rn. 23 ff.).
11 Die Zurückweisung der am 6. September 2024 erhobenen Beschwerde als verspätet ist daher nicht zu beanstanden. Insofern zeigt die Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG auf, weshalb sie in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen war.
12 Soweit sich die Revision mit ihrem weiteren Zulässigkeitsvorbringen gegen die mit Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Beschlusses vorgenommene Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags richtet, erweist sie sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt.
13 Das BVwG hatte den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen, weil den Revisionswerber nach Ansicht des BVwG wegen der Verletzung der periodischen Meldeverpflichtung trotz Aushändigung eines entsprechenden Informationsblattes ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung der Beschwerdefrist treffe.
14 Wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision zutreffend ausgeführt wird, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 33 Abs. 4 VwGVG die Behörde, bei der ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht wurde, durch Vorlage dieses Antrages keinen Übergang der Entscheidungspflicht auf das Verwaltungsgericht herbeiführen. Maßgeblich für die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, ob dieser Antrag vor Vorlage der Beschwerde gestellt wurde oder erst danach. Für einen vor Vorlage der Beschwerde gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt die belangte Behörde auch nach Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht weiterhin zuständig, zumal es andernfalls vom bloßen Willen der belangten Behörde abhängen würde, sich der sie gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG treffenden Entscheidungspflicht zu entledigen und dem Antragsteller mit dieser Vorgehensweise zugleich eine Rechtsmittelinstanz zu entziehen (vgl. etwa VwGH 26.9.2018, Ra 2017/17/0015, Rn. 16, mit Hinweis auf VwGH 28.9.2016, Ro 2016/16/0013).
15 Über den gegenständlichen, unter einem mit der Beschwerde gestellten und beim BFA eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist hätte daher trotz Vorlage der Beschwerde an das BVwG das BFA zu entscheiden gehabt. Indem dessen ungeachtet das BVwG über diesen Wiedereinsetzungsantrag entschied, hat es eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm nicht zukam.
16 Demnach war Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Beschlusses gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat aufzuheben.
17 Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere auch auf § 50 VwGG, in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die ebenfalls geltend gemachte Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthalten ist (vgl. VwGH 18.1.2024, Ra 2023/21/0169, Rn. 12).
18 Von der in der Revision beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 bzw. Z 2 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 12. Juni 2025