Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. NEUMANN als Einzelrichterin über den Antrag auf internationalen Schutz vom 31.05.2023 der XXXX , geboren am XXXX , syrische Staatsangehörige, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.06.2025, zu Recht:
A)
XXXX , geboren am XXXX , wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die Beschwerdeführerin (BF) stellte nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet am 31.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (AsylG).
Ein Eurodac-Abgleich der Fingerabdruckdaten erzielte keinen Treffer.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 31.05.2023 gab die BF an, volljährig, ledig und syrische Staatsangehörige zu sein. Sie bekenne sich zum Islam und fühle sich der Volksgruppe der Kurden zugehörig. Als Identitätsnachweis könne sie Bilder ihres Personalausweises auf dem Handy vorweisen.
Sie habe Syrien bereits im Dezember 2015 verlassen und sei anschließend bis 17.05.2023 in der Türkei aufhältig gewesen. Sie sei sodann schlepperunterstützt in das Gebiet der Mitgliedsstaaten eingereist, habe sich für etwa zwei Wochen zuerst in Griechenland aufgehalten und sei dann über Italien nach Österreich gekommen.
In Syrien habe sie zuletzt im Stadtteil XXXX in XXXX gelebt. Sie habe das Land aufgrund des Krieges verlassen, auch ihr Haus sei zerstört worden. Die allgemeine Lage wäre dort insgesamt sehr schlecht. Persönlich sei sie zwar nicht verfolgt worden, sie fürchte sich allerdings vor dem Krieg.
Zu ihren Verwandtschaftsverhältnissen gab sie an, dass ihre Mutter sowie fünf ihrer sechs Schwestern noch in der Türkei lebten. Eine Schwester sowie ein Bruder seien in Deutschland aufhältig. Ihr Vater sei bereits verstorben.
I.3. Am 11.03.2025 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Folgenden als belangte Behörde bzw BFA bezeichnet, eine Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Absatz 1 Z 3 B-VG ein.
I.4. Mit Schriftsatz vom 12.03.2025, eingelangt am 18.03.2025, legte die belangte Behörde die Säumnisbeschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
I.5. Am 11.06.2025 langte beim BVwG eine Stellungnahme der BF zu den aktuellen Länderinformationen der Staatendokumentation in Syrien ein. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass sich Syrien seit dem Sturz des Assad-Regimes in einer tiefgreifenden politischen Umbruchsphase befinde. Die politische Macht liege allerdings weiterhin bei HTS-nahen Akteuren. Es fehle an einer funktionierenden Verwaltung und staatlicher Präsenz. Die Sicherheitslage sei äußerst angespannt und regional sehr unterschiedlich, die Lage insgesamt weiterhin volatil. Explosive Überreste in ganz Syrien stellten ein gravierendes Sicherheitsrisiko dar, die Grundversorgung sei massiv eingeschränkt, ganze Wohnviertel unbewohnbar und die Infrastruktur in zahlreichen Regionen vollständig zusammengebrochen. Die Lage der Frauen sei überdies von Unsicherheit, struktureller Benachteiligung und ambivalenten Entwicklungen geprägt, in weiten Teilen des Landes drohe diesen alltägliche Gewalt und wirtschaftliche Not. Die Lage in XXXX sei äußerst kritisch und von erheblichen humanitären Herausforderungen geprägt. Insgesamt sei der BF eine Rückkehr nach Syrien derzeit nicht zumutbar, da die reale Gefahr für Leib, Leben und psychische Unversehrtheit bestünde.
I.6. Am 12.06.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch, in der die BF befragt und die Situation in Syrien aufgrund der gravierenden Änderung der Lage und aktueller Berichte erörtert wurde.
Sie gab an, dass sie in Syrien die Schule abgeschlossen habe, aufgrund des Krieges jedoch weder studieren noch eine Ausbildung machen konnte. In der Türkei habe sie als Hilfsarbeiterin gearbeitet. Sie spreche Kurdisch, Arabisch und ein wenig Türkisch.
Ende 2015 sei sie von Syrien in die Türkei gereist und habe bis 2023 dort gelebt. In Syrien habe sie keine Verwandten mehr und im Land herrsche nach wie vor Krieg. Das Regime würde Frauen ihre Rechte vorenthalten und sie dazu zwingen, volle Körperbedeckung bis auf die Augen zu tragen. Sie würden auch missbraucht und gegen ihren Willen verschiedenen Aktionen ausgesetzt werden. Dies habe sie sowohl über die Nachrichten als auch von Menschen aus Syrien erfahren.
Ihre Mutter lebe derzeit mit fünf ihrer Geschwister in der Türkei, wobei diesen dort lediglich ein Flüchtlingsausweis zukomme. Ihr eigener Flüchtlingsausweis sei bei einer nach ihrer Ausreise durchgeführten Hausdurchsuchung mitgenommen und anschließend vernichtet worden. Eine derartige Aktion der türkischen Behörden würde regelmäßig bei Asylwerbern vorkommen. Eine ihrer Schwestern sowie ein Bruder lebten in Deutschland. Mit ihrer Mutter bestehe auch weiterhin telefonischer Kontakt.
In Syrien sei sie insofern bedroht worden, als die kurdischen Kämpfer ankündigten, sie rekrutieren zu wollen, weil sie groß sei. Dieser Vorfall habe sich im Jahr 2015 ereignet. Dies habe sie bei der Erstbefragung nicht angegeben, da sie nicht gefragt worden sei, ob sie persönlich bedroht worden wäre.
Zu dem ebenfalls an ihrer Wohnanschrift gemeldeten XXXX , befragt, gab sie an, dass es sich dabei um einen Freund handle, sie sich aber lieben würden. Sie hoffe, ihn irgendwann auch heiraten zu können.
Der Vertreter der BF verwies abschließend auf die schriftliche Stellungnahme vom 11.06.2025.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin
Die BF ist syrische Staatsangehörige, ledig und am XXXX in XXXX , Syrien geboren. Sie spricht Kurdisch und Arabisch als Muttersprache, fühlt sich der Volksgruppe der Kurden zugehörig und bekennt sich zum Islam. Ihre Identität steht fest.
Die BF hat die Grund- und Mittelschule abgeschlossen, einen Beruf hat sie nicht erlernt. Zuletzt war sie in der Türkei in einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum zwischen Dezember 2015 und 17.05.2023 als Hilfsarbeiterin in einer Schneiderei tätig.
Es konnten keine schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen gesundheitlichen Einschränkungen oder psychischen Erkrankungen festgestellt werden. Die BF ist arbeitsfähig.
Die BF hat bis Dezember 2015 im Stadtteil XXXX in XXXX in Syrien gewohnt. Dann verließ sie Syrien und reiste in die Türkei aus, wo sie sich bis zum 17.05.2023 aufgehalten hat. Sie kam anschließend schlepperorganisiert über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedsstaaten, durchreiste Italien, überschritt spätestens am 31.05.2023 die österreichische Grenze und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Vater der BF ist bereits verstorben. Die Mutter der BF, XXXX , lebt in der Türkei. Die BF hat insgesamt sechs Schwestern, wobei XXXX sowie XXXX , in der Türkei wohnhaft sind und XXXX , in Deutschland aufhältig ist. Die BF hat einen Bruder, XXXX , welcher sich seit einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt, zumindest aber seit zwei Jahren, in Deutschland aufhält. Weitere Familienangehörige in Syrien sind nicht vorhanden.
Mit der Mutter besteht regelmäßig telefonischer Kontakt.
Der Aufenthaltsstatus des Bruders der BF im Gebiet der Mitgliedsstaaten kann nicht festgestellt werden. Die BF hat zu diesem seit einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt keinen Kontakt mehr. Es besteht kein Grund zur Annahme, dass zwischen der BF und ihrem Bruder eine nähere Bindung besteht oder dass diesem eventuell eine Rückkehr zusammen mit der BF nach Syrien zumutbar ist.
Die Geschwister oder die Mutter der BF könne diese bei einer Rückkehr nach Syrien nicht physisch oder psychisch unterstützen.
Weitere Familienangehörige in Österreich oder im Gebiet der Mitgliedsstaaten sind nicht vorhanden.
Besonders intensive private oder berufliche Bindungen der BF im österreichischen Bundesgebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat bestehen nicht. Es ist kein besonderer Grad an Integration gegeben.
Die BF bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Sie geht bis dato keiner sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nach.
Die BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen
Die BF läuft bei einer Rückkehr nach Syrien nicht Gefahr, von kurdischen Kämpfern rekrutiert zu werden.
Der BF droht in ihrem Heimatland Syrien eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne männliche Familienangehörige. Sie ist einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe ausgesetzt bzw. sind die staatlichen Organe nicht in der Lage, diese vor psychischer und/oder physischer Gewalt durch nichtstaatliche Akteure zu schützen. Als Frau, welche über keine männliche Unterstützung verfügt, wäre die BF in Syrien dem realen Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Konkret liefe sie Gefahr, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel sowie Inhaftierung zu werden.
Da diese geschlechtsspezifische Verfolgung landesweit und durch sämtliche staatliche wie nichtstaatliche Akteure erfolgt, ist keine innerstatliche Fluchtalternative gegeben.
1.3. Zur Lage in Syrien
1.3.1. Machtverhältnisse:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). Dies entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt, in dem neben dem syrischen Assad-Regime und den oppositionellen Milizen – wie der islamistischen Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), der Syrischen Nationalen Armee (SNA [auch als Freie Syrische Armee – FSA bezeichnet]) und den kurdischen Kampfverbänden der Demokratischen Kräfte Syrien (Syrian Democratic Forces [SDF]) – auch die libanesische Schiitenmiliz Hizbollah, der Iran, Russland, die Türkei, Israel und die Vereinigten Staaten verwickelt waren und im syrischen Kampfgebiet einen Stellvertreterkrieg führten.
Am 27.11.2024 starteten die militante islamistische Gruppe HTS, deren Kontrolle zuvor auf Teile der Gouvernements Idlib und Aleppo beschränkt war, mit ihren verbündeten oppositionellen Gruppierungen eine Großoffensive im Nordwesten Syriens. Der HTS und den mit ihnen verbündeten oppositionellen Gruppierungen gelang es ab 27.11.2024 schnell und ohne große Gegenwehr im Zuge ihrer aktuellen Offensive zunächst die zweitgrößte syrische Stadt Aleppo, danach, am 05.12.2024 Hama, zwei Tage später Homs einzunehmen. In weiterer Folge gelang es den Rebellen, auch in den Süden Syriens vorzustoßen und die Stadt Daraa, welche 2011 eine zentrale Rolle bei den Aufständen gespielt hatte, einzunehmen. In Al Suwayda übernahmen drusische Fraktionen die Verwaltung der Region und konsolidierten die oppositionellen Strukturen im Süden des Landes. Diese Gruppen bildeten den "Southern Operations Room", um den Aufstand zu konsolidieren und waren die ersten, die in Damaskus ankamen. Zugleich zog sich das syrische Militär aus den Gebieten im Süden zurück. Nachdem die Kräfte der HTS in der Hauptstadt ankamen, zogen sich diese Gruppen nach Daraa zurück. Am 08.12.2024 verkündeten die HTS und ihre Koalitionäre am 08.12.2024 in Damaskus den Sieg und den Sturz des Assad-Regimes sowie die Befreiung Syriens.
Syriens Präsident Bashar al-Assad floh mit seiner Familie aus Syrien und traf in Moskau ein, wo er Asyl aus "humanitären Gründen" erhielt. Zwischenzeitig stellte Frankreich wegen des Verdachts der Mitschuld an Kriegsverbrechen gegen Bashar al-Assad einen Haftbefehl aus.
Neben der Operation der HTS verkündeten die von der Türkei unterstützten Rebellen der Syrian National Army (SNA) am 30.11.2024 den Start einer Operation im Nordosten der Stadt Aleppo. Sie drangen in den Ort Tal Rifaat vor und übernahmen die Kontrolle der Stadt, ebenso am 09.12.2024 die Stadt Manbidj, die zuvor von der kurdischen Miliz bzw. von den Syrian Democratic Forces (SDF) kontrolliert wurden. Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 06.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren, zudem auch einen wichtigen Grenzübergang zum Irak.
Gegenwärtig gestalten sich die Machtverhältnisse in Syrien wie folgt:
Die HTS und ihre Koalition beherrscht die Gouvernements Latakia, Tartus, Rif Dmashq Homs, Damaskus, Teile von Idlib, Aleppo und Deir ez Zor sowie von Daraa. Nicht von der HTS und ihrer Koalition beherrscht wird das Gouvernements AS Suwayda. Dieses Gouvernement steht unter Kontrolle der lokalen Machthaber. Die Gouvernements Al Hasakah, Deir ez-Zor und Ar-Raqqa stehen teilweise unter der Kontrolle kurdischer Kräfte, im Norden zur türkischen Grenze hin kontrollieren türkische Kräfte und ihre Verbündeten Gebiete um Afrin, in den (Sub-)Distrikten Akhtarin, al-Bab, Ghandoura und Jarbulus sowie in den Subdistrikten Tell-Abyad, Ras Al-Ayn. Im Südwesten zu den Golan Höhen hin, kontrolliert Israel einen Landstreifen.
1.3.2. Sicherheitslage
Syrien befand sich seit 2011 bis zum Sturz des Machthabers Bashar al-Assad am 08.12.2024 in einem Bürgerkrieg. Vor dem Sturz von Bashar al-Assad dauerten Kämpfe vor allem in Nordsyrien an, mit sporadischem Beschuss und Luftangriffen durch die Truppen der syrischen Armee, ihrer russischen Verbündeten und iranischer Milizen auf der einen Seite und den Demokratischen Kräften Syriens (SDF) auf der anderen. Als Reaktion auf die zunehmenden Angriffe startete Hay'at Tahrir al-Sham die Operation "Abschreckung der Aggression" und rückte von Idlib über Aleppo, Hama, Homs und Damaskus vor und stürzte das Assad-Regime innerhalb von 11 Tagen. Syrien war am Ende der ersten Dezemberwoche von der Herrschaft Assads befreit. In Südsyrien dauerte der Konflikt in Daraa zwischen dem zusammenbrechenden Regime und lokalen Gruppen an, von denen sich einige mit dem Regime abfanden, während andere weiterhin Widerstand leisteten.
Durch den Machtwechsel kam es zu keiner Destabilisierung der Lage im Land, es kommt aber weiterhin in Syrien zu zahlreichen sicherheitsrelevanten Vorfällen, aktuell insbesondere im Nordosten an der Grenze zur Türkei, wo türkische Kräfte PKK-Ziele in Nord Raqqa bekämpft oder im ländlichen Damaskus durch Luftangriffe Israels und durch militärische Aktivitäten Israels im Bereich nördlich von Quneitra und im Bereich der Gouvernementsgrenzen zwischen Daraa und Quneitra.
1.3.3. Neueste Entwicklungen:
1.3.3.1. Politische Entwicklungen
Mohammed Al-Baschir, der bis zum Sturz Baschar Al-Assads die mit Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) verbundenen Syrischen Heilsregierung im Nordwesten Syriens geleitet hatte, wurde am 10.12.2024 als Interimspremierminister mit der Leitung der Übergangsregierung des Landes bis zum 01.03.2025 beauftragt. Die Minister der Syrischen Heilsregierung übernahmen vorerst die nationalen Ministerposten. Laut dem Congressional Research Service (CRS) seien einige Regierungsbeamte und Staatsangestellte der ehemaligen Regierung weiterhin im Regierungsapparat beschäftigt. Am 21.12.2024 ernannte die Übergangregierung Asaad Hassan Al-Schibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister. Beide seien Verbündete des HTS-Anführers Ahmed Al-Scharaa. Am 29.12.2024 legte Al-Scharaa in einem Interview mit dem saudischen Fernsehsender Al-Arabiyya dar, dass es bis zu vier Jahren dauern könne, bis Wahlen stattfinden werden, da die verschiedenen Kräfte Syrien einen politischen Dialog führen und eine neue Verfassung schreiben müssten.
Am 29.01.2025 wurde Ahmed Al-Scharaa, der seit dem Sturz von Baschar Al-Assad faktisch das Land geleitet hatte, zum Übergangspräsidenten in Syrien ernannt. Gleichzeitig wurde die Verfassung von 2012 und das alte Parlament außer Kraft gesetzt.
Bereits am 17.12.2024 erklärte Al-Scharaa, dass alle Rebellenfraktionen aufgelöst und in die Reihen des Verteidigungsministeriums integriert würden. Am 29.12.2024 teilte Al-Scharaa in einem Interview mit, dass das syrische Verteidigungsministerium plant, auch die kurdischen Streitkräfte in seine Reihen aufzunehmen. Es gebe Gespräche mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zur Lösung der Probleme im Nordosten Syriens. Am 10.01.2025 bestätigte der Kommandeur der SDF, Mazloum Abdi, dass sich seine Streitkräfte in ein umstrukturiertes syrisches Militär integrieren würden. Der Vorschlag der Integration ins Militär als eigener Militärblock wurde jedoch vom syrischen Verteidigungsminister abgelehnt. Laut dem Minister sei die Übergangsregierung weiter für Gespräche mit der SDF über deren Integration in die nationale Armee offen, sei jedoch auch bereit Gewalt anzuwenden, sollten die Verhandlungen scheitern. AFP berichtete am 08.01.2025, dass laut einem Sprecher des Southern Operations Room auch die Kämpfer Südsyriens nicht mit einer Auflösung ihrer Gruppen einverstanden seien. Sie könnten sich jedoch eine Integration in das Verteidigungsministerium in ihrer momentanen Form vorstellen.
Die neue Führung hatte sich seit ihrer Machtübernahme verpflichtet, die Rechte der Minderheiten zu wahren. Anfang Jänner kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung auf seiner Facebook-Seite einen neuen Lehrplan für alle Altersgruppen an, der eine stärker islamische Perspektive widerspiegelt und alle Bezüge zur Assad-Ära aus allen Fächern entfernt. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehörte unter anderem die Streichung der Evolutionstheorie und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht. AktivistInnen zeigten sich besorgt über die Reformen.
Al-Scharaa kündigte weiters Pläne für eine Nationale Dialogkonferenz an, die darauf abzielen sollte, Versöhnung und Inklusion zu fördern. Die ursprünglich für Anfang Jänner 2025 angesetzte Konferenz wurde jedoch verschoben, um ein erweitertes Vorbereitungskomitee einzurichten, das eine umfassende Repräsentation aller gesellschaftlichen Gruppen in Syrien gewährleisten soll. Diese Konferenz wurde am 25.02.2025 in Damaskus unter Teilnahme von 600 Personen abgehalten. Das Abschlussdokument fokussierte auf die territoriale Integrität des Landes und seiner Souveränität, verurteilte die Einfälle Israels und forderte dessen Rückzug. Die Stellungnahme zeigte auch die Erlassung einer einstweiligen Verfassung auf, die ein interimistisches Gesetzgebungsorgan vorsieht und den Entwurf einer permanenten Verfassung, welche Freiheit und Menschenrechte verspricht. Außerdem wird die Bedeutung der Menschenrechte hervorgehoben, die Förderung der Teilhabe von Frauen in allen Sektoren, der friedlichen Koexistenz aller Bestandteile der syrischen Gesellschaft und die Pflege einer Kultur des Dialogs innerhalb der syrischen Gesellschaft bei der folgenden nationalen Diskussion.
1.3.3.2. Kontrolle der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)
Die von der Türkei unterstütze Syrische Nationalarmee (SNA) führte ihre Offensive gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und das Gebiet der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) fort. Mit 10. Dezember griffen SNA-Kämpfer den strategisch wichtigen Tischreen-Staudamm unter kurdischer Kontrolle in der Provinz Aleppo an, und rückten auf die Stadt Kobane vor. Am 11. Dezember kam es nach Vermittlungen der US-Behörden zu einem Waffenstillstand in der Stadt Manbidij. Das Abkommen sieht den Abzug der (mit den SDF verbundenen) "Manbij Military Council Forces" vor. Am 17.12.2024 wurde dieser Waffenstillstand bis zum Ende derselben Woche verlängert. Am 18.12.2024 trat ein Waffenstillstandsabkommen in der Region Ain Al-Arab (auch Kobani) in Kraft. Die SDF warfen der Türkei und ihren Verbündeten vor, sich nicht an das Waffenstillstandsabkommen zu halten und ihre Angriffe südlich von Kobani fortzusetzen. Zur gleichen Zeit gingen EinwohnerInnen der nordostsyrischen Stadt Qamischli auf die Straße, um den Widerstand der SDF gegen die Angriffe protürkischer Kämpfer in der Region zu unterstützen. Am 21.12.2024 wurden laut SDF fünf ihrer Kämpfer bei Angriffen durch von der Türkei unterstützte Streitkräfte auf die Stadt Manbidij getötet. Das Pentagon erklärte am 30.12.2024, dass der Waffenstillstand zwischen der Türkei und den von den USA unterstützten SDF rund um die Stadt Manbidij anhält. Am selben Tag behauptete die SDF, dass die Türkei zwei Militärstützpunkte in der Nähe von Manbidij aufbaut und mehrere Militärfahrzeuge und Radarsystem von den SDF zerstört wurden. Zur gleichen Zeit kam es zu erneuten Schusswechseln zwischen von der Türkei unterstützen Streitkräften und den SDF. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) griffen türkische Streitkräfte und mit ihnen verbündete bewaffnete Gruppen das Dorf al-Terwaziyah südlich von Slouk im ländlichen Raqqa mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren an, was anschließend zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Spezialeinheiten der SDF drangen in Stellungen von durch die Türkei unterstützen Fraktionen im Dorf Al-Reyhaniyah in der Nähe von Tel Tamer in der Provinz Hasaka ein. Anfang Jänner kamen bei Zusammenstößen in mehreren Dörfern rund um die Stadt Manbidsch über hundert Menschen ums Leben. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von heftigen Kämpfen in der Region von Manbidij zwischen der SNA und der SDF und steigenden Opferzahlen.
Aleppo steht derzeit bereits überwiegend unter der Kontrolle der neuen Zentralregierung bzw. der Gruppe HTS. Es besteht ein Abkommen zwischen der von den Kurden geführten DAANES und der neuen Zentralregierung, wonach die SDF nun auch aus den restlichen Stadtvierteln, insbesondere aus Sheikh Maqsoud und Ashrafieh, in Aleppo abgezogen werden sollen. Der Abzug ist teilweise bereits erfolgt, in einzelnen Teilen der Stadt sind noch Teile der SDF stationiert. Es kommt insbesondere in den Vierteln Sheikh Maqsoud und Ashrafieh nach wie vor zu Konflikten zwischen regierungsnahen Gruppierungen sowie den SDF bzw. anderen militärischen Einheiten der SDF.
1.3.3.3. Politische Lage in den Gebieten unter der Kontrolle der kurdisch dominierten SDF
Der politische Flügel der SDF, der Syrische Demokratische Rat (Syrian Democratic Council - SDC), beglückwünschte das syrische Volk am 8.12.2024 zum Ende des Assad-Regimes und versprach, mit verschiedenen Gruppen im Land zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung heißt es: Wir werden mit allen nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Kräften Syriens zusammenarbeiten, indem wir uns am nationalen Dialog beteiligen und unsere Verantwortung wahrnehmen, um ein neues Syrien zu schaffen, das alle seine Bürger einschließt. Nach dem Sturz al-Assads hissten die SDF als Geste gegenüber der neuen Regierung in Damaskus die Revolutions- und Unabhängigkeitsflagge der Rebellengruppen auf ihren Einrichtungen, was von Washington begrüßt wurde. Am 29.12.2024 erklärte ash-Shara’ gegenüber dem Fernsehsender Al Arabiya, dass die SDF in die neue nationale Armee integriert werden sollten. Laut dem Vizepräsidenten des Middle East Media Research Institutes zeigen sich die Kurden pragmatisch und werden versuchen, eine Vereinbarung mit den Machthabern zu treffen, die ein gewisses Maß an lokaler Autonomie bewahrt. Seit Dezember 2024 verhandelt die SDF mit der Übergangsregierung in Damaskus über ein mögliches Abkommen, das ihre Eingliederung in ein geeintes Syrien vorsieht.
Am 10.3.2025 unterzeichneten der Anführer der kurdisch dominierten SDF Mazloum ’Abdi und Übergangspräsident Ahmad ash-Shara’ ein Abkommen über die Integration der SDF in die staatlichen Institutionen Syriens. Das Abkommen sieht die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Vertretung und Beteiligung, einen Waffenstillstand in allen syrischen Gebieten und die Integration aller zivilen und militärischen Institutionen im Nordosten Syriens vor. Das Abkommen sieht auch vor, dass die SDF den syrischen Staat bei der Bekämpfung von Assads Überbleibseln und Drohungen unterstützen und Aufrufe zur Teilung, Hassreden und Versuche, Zwietracht zu säen, zurückweisen werden. Das Abkommen macht keine Angaben darüber, wie die militärischen Einheiten der SDF in das syrische Verteidigungsministerium integriert werden sollen, was bisher ein wesentlicher Knackpunkt in den Gesprächen war. Die Vereinbarung bezieht sich weder auf die Übergabe von Waffen noch auf die Auflösung der von der YPG dominierten militärischen Formation. Die Vereinbarung enthält die Bestätigung, dass das kurdische Volk ein integraler Bestandteil Syriens ist und ein Recht auf Staatsbürgerschaft und garantierte verfassungsmäßige Rechte hat, einschließlich der Verwendung und des Unterrichts ihrer Sprache, die unter Assad jahrzehntelang verboten waren. Die Vereinbarung beinhaltet die Gewährleistung der Rechte aller Syrer auf Repräsentation und Beteiligung am politischen Prozess und an allen staatlichen Institutionen, unabhängig von ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit.
Das Abkommen hat bis Ende März nicht zu einer Beruhigung der Fronten geführt, obwohl eine Waffenruhe vorgesehen wäre. Am 1.4.2025 erklärten die SDF, sich aus zwei historisch kurdischen Stadtvierteln in Aleppo zurückzuziehen.
Die SDF kontrollieren nun 20 % des syrischen Territoriums. Am 6.2.2025 sind Streitkräfte des syrischen Ministeriums für Allgemeine Sicherheit in die nordwestsyrische Stadt ’Afrin einmarschiert. ’Afrin wird seit 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppierungen der von der Türkei unterstützten SNA besetzt gehalten. Mit dem Einmarsch in ’Afrin setzt die neue syrische Regierung ihre Kontrolle über Teile des Landes durch. ’Afrin ist ein historisch kurdisches Gebiet in Syrien, und der Machtwechsel wurde von den kurdischen Medien aufmerksam verfolgt.
Anfang März 2025 kam es zeitgleich mit den Massakern an der Küste im Westen Syriens, insbesondere in Deir ez-Zour zu Demonstrationen gegen die SDF. Es wurde einerseits dazu aufgerufen, die Verantwortlichen für die Angriffe in den Küstengebieten zur Rechenschaft zu ziehen, andererseits aber auch gegen die SDF skandiert. Mindestens 25 arabische Stämme haben seit dem 14.4.2025 die SDF verurteilt, wahrscheinlich als Reaktion auf die anhaltenden Forderungen der SDF nach einer Dezentralisierung der Kontrolle Damaskus’ im Nordosten Syriens. Die Stämme lehnten das, was sie als „separatistisches Projekt“ bezeichneten, das den mehrheitlich arabischen Gebieten aufgezwungen werde, ab. „Separatistisches Projekt“ ist eine häufig verwendete Bezeichnung für die Bemühungen der SDF, unter der Übergangsregierung die Dezentralisierung und Föderalisierung im Nordosten Syriens zu erreichen. Unbekannte arabische Stammesführer trafen sich kürzlich in der Provinz ar-Raqqa mit den SDF, um deren Aufruf zur Unterstützung nachzukommen. Andere arabische Stammesführer verurteilten diese Treffen und stellten klar, dass die beteiligten Personen nicht die offizielle Position ihrer Stämme vertreten. Stattdessen bekundeten die Stammesführer ihre Unterstützung für die Übergangsregierung in Damaskus. Einige arabische politische Gruppierungen kündigten am 15.4.2025 die Bildung eines neuen Rates an, um sich der Kontrolle der SDF im Nordosten Syriens zu widersetzen und eine einheitliche Front für Verhandlungen mit Damaskus zu bilden.
1.3.4. Akteure:
1.3.4.1. Hayat Tahrir al-Scham (HTS)
Die mächtigste Gruppe in Syrien, die den Vormarsch der Rebellen anführte, ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Sie begann als offizieller al-Qaida-Ableger in Syrien unter dem Namen al-Nusra-Front und verübte bereits zu Beginn des Aufstands gegen Assad Angriffe in Damaskus. Die Gruppe durchlief mehrere Namensänderungen und gründete schließlich als die HTS im Jahr 2017 eine zivile Regierung in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens. In Idlib festigte die HTS ihre Autorität, indem sie eine Form von Stabilität bot und gleichzeitig Gewalt einsetzte, um Rivalen und sogar ehemalige Verbündete auszurotten oder zu kooptieren. Die HTS entfernte sich von der ausgeprägten Dschihadistischen Rhetorik, dem Kampf für Religion und der Etablierung einer islamischen Herrschaft in Syrien als Teil eines umfassenden, vernetzten globalen Projekts. Stattdessen übernahm sie ein eher "revolutionäres" und nationalistisches Narrativ und konzentrierte sie sich auf den Sturz des Präsidenten Bashar al-Assad und die "Befreiung" Syriens. Die USA, Türkei und andere stuften die HTS und ihren Anführer, Ahmed al-Scharaa (auch Abu Mohammed al-Dscholani genannt), als Terroristen ein.
1.3.4.2. Syrische Nationalarmee (SNA)
Die Syrische Nationalarmee (SNA) ist eine zersplitterte Koalition unterschiedlicher bewaffneter Gruppen, die mit direkter türkischer Militärunterstützung einen Gebietsabschnitt entlang der syrisch-türkischen Grenze halten. Trotz interner Spaltungen pflegen viele SNA-Fraktionen enge Bindungen zur Türkei, wie die Sultan-Suleiman-Schah-Brigade, die al-Hamza-Division und die Sultan-Murad-Brigade. Andere Fraktionen der Gruppe versuchen trotz ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei ihre eigenen Prioritäten durchzusetzen. Als die HTS und verbündete Gruppen aus dem Nordwesten Anfang Dezember auf von Assads Regierung kontrolliertes Gebiet vorrückten, schloss sich ihnen auch die SNA an und kämpfte im Nordosten gegen Regierungstruppen wie auch kurdisch geführte Kräfte.
1.3.4.3. Syrische Demokratische Kräfte (SDF)
Die Syrian Democratic Forces (SDF) sind ein am 10. Oktober 2015 gebildetes Militärbündnis zur Verteidigung des kurdischen Autonomiegebietes in Nord- und Ostsyrien, das von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wird. Es besteht aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), Dchabhat al-Akrād, der kurdisch-turkmenischen Einheit Katiā’ib Schams Asch-Schimāl, der sunnitisch-Arabischen Armee der Revolutionäre (Dschaisch aht-Thuwwar), der sunnitisch-arabischen Schammar-Stammesmiliz Qwat as-Sanadid und der sunnitischen Rebellenbrigade ar-Raqqa (Liwa Thuwar Ar-Raqqa), den Al-Schasira-Brigaden und den Lîwai 99 Muşat sowie dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye (MFS).
Die SDF kontrollieren den größten Teil Syriens östlich des Euphrat, sowie einige Gebiete westlich des Flusses. Mit der aktuellen Offensive kam es auch zu Kämpfen zwischen den SDF und der SNA. Aufgrund eines Abkommens zwischen der syrischen Übergangsregierung und der kurdischen Führung im Nordosten des Landes soll die SDF in der syrischen Armee aufgehen. Diese Vereinbarung soll bis Ende des Jahres umgesetzt werden. Im Gegenzug sollen die Kurden bestimmte Rechte, wie die offizielle Nutzung der eigenen Sprache, erhalten. Das Abkommen umfasst zudem weitere Punkte, wie die politische Teilhabe aller Syrer unabhängig von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit und die Anerkennung der kurdischen Gemeinschaft als Bevölkerungsgruppe mit vollen Staatsbürgerrechten. Zudem wurde eine sichere Rückkehr aller Vertriebenen vereinbart.
1.3.4.4. Sonstige Gruppierungen
Neben den genannten Gruppen gibt es in Syrien eine Vielzahl lokaler Gruppierungen, die sich gegen al-Assad gestellt haben. Diese vertreten ein breites Spektrum islamistischer und nationalistischer Ideologien. Im Norden schlossen sich einige von ihnen dem Militäroperationskommando der HTS an. Im Süden dominierende Gruppen erhoben sich in der aktuellen Situation und nahmen den Südwesten Syriens ein. Die in den südlichen Provinzen aktiven Gruppen gründeten zu diesem Zweck die Koalition "Southern Operations Room".
1.3.5. Versorgungslage, humanitäre Lage
Im Jahr 2024 lebten über 90 Prozent der Syrerinnen und Syrer unter der Armutsgrenze. Etwa 12,9 Millionen Menschen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung – hatten Schwierigkeiten, Zugang zu ausreichend hochwertigen Nahrungsmitteln zu erhalten, und mindestens 16,7 Millionen Syrer benötigten humanitäre Hilfe, was einem Anstieg von neun Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Dennoch ist die humanitäre Hilfe für Syrien auf den niedrigsten Stand der letzten Jahre gesunken.
Mehr als 12 Jahre Krieg haben die zivile Infrastruktur und Dienstleistungen Syriens dezimiert und den Zugang zu Unterkünften, Gesundheitsversorgung, Elektrizität, Bildung, öffentlichen Verkehrsmitteln, Wasser und sanitären Einrichtungen stark beeinträchtigt. Die Menschen im ganzen Land waren aufgrund der schweren Treibstoffknappheit und der steigenden Lebensmittelpreise in Not geraten. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten hat sich die Situation durch die von der Regierung oft willkürlich vorgenommenen Kürzungen bei der Sozialversicherung verschärft.
Vor ihrem Zusammenbruch im Dezember hatte die syrische Regierung weiterhin strenge Beschränkungen für die Lieferung humanitärer Hilfe in den von der Regierung gehaltenen Gebieten Syriens und anderswo im Land verhängt und Hilfsgüter umgeleitet, um ehemalige Oppositionsgebiete zu bestrafen. Das Fehlen ausreichender Sicherheitsvorkehrungen bei der Auftragsvergabe durch UN-Organisationen, die Hilfe in Syrien leisten, hat zu einem ernsthaften Risiko der Finanzierung missbräuchlicher Einrichtungen geführt.
Komplexe und weitreichende Sanktionen, die von den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, der Europäischen Union und anderen gegen die syrische Regierung, Beamte und verwandte Einrichtungen verhängt wurden, haben die prinzipientreue und unparteiische Bereitstellung humanitärer Hilfe für bedürftige Gemeinden und den Wiederaufbau kritischer Infrastrukturen wie Gesundheits- und Sanitäreinrichtungen behindert.
Laut einer Aussage des Nothilfekoordinators Fletcher im Sicherheitsrat in New York, sei die humanitäre Hilfe für Millionen Menschen wieder aufgenommen worden. Es sei jedoch die Einfuhr weiterer Hilfsgüter nötig. Fast 13 Millionen Menschen hätten nicht ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, und noch mehr benötigten medizinische Hilfe.
1.3.6. Grenzübergänge:
Nach dem 08.12.2024 wurden zahlreiche Grenzübergänge von der Türkei nach Syrien, aber auch vom Libanon nach Syrien für Rückkehrer geöffnet. Auch vom Irak kann, etwa über den Grenzübergang von Semalka/Fishkhabur [Anm.: auch Faysh Khabour, Peshkhabour], der politisch wie wirtschaftlich zentral für das Überleben des Selbstverwaltungsgebiets Nord- und Ostsyrien [DAANES] ist, Syrien erreicht werden. Der internationale Flugbetrieb von und nach Syrien wurde auch wieder aufgenommen.
Es bestehen keine aktuellen Berichte, dass Personen an Grenzübergängen rekrutiert würden.
1.3.7. Frauen
Der anhaltende Konflikt in Syrien hat zu erheblichen demografischen Verschiebungen geführt: Unzählige Männer wurden getötet, vertrieben oder durch militärische Einberufung, wirtschaftliche Not oder Beteiligung an Kämpfen ins Exil gezwungen. Infolgedessen tragen Frauen nun eine große Verantwortung für die Versorgung der Haushalte, die Arbeit in verschiedenen Sektoren und die Bewältigung der täglichen wirtschaftlichen. Der Konflikt in Syrien hat die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern verschärft und Frauen und Mädchen verstärkt Gewalt, Vertreibung und diskriminierenden Gesetzen ausgesetzt, die ihre Rechte einschränken. Viele weibliche Haushaltsvorstände haben Schwierigkeiten, die Geburt ihrer Kinder zu registrieren, was das Risiko der Staatenlosigkeit erhöht und den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung einschränkt. Vertriebene Frauen sind ständig der Gefahr sexueller Übergriffe und anderer Formen von Missbrauch ausgesetzt, insbesondere wenn sie Kontrollpunkte passieren, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Frauen die versuchen das Land mit Hilfe von Schmugglern zu verlassen, sind auch der Gefahr der Ausbeutung ausgesetzt, in einigen Fällen sogar dem sexuellen Menschenhandel. In Syrien gibt es auch Hinweise darauf, dass sexuelle Gewalt in den Hafteinrichtungen der ehemaligen Regierung bewusst eingesetzt wurde, um Frauen einzuschüchtern und zu bestrafen, die direkt oder indirekt mit der Opposition in Verbindung gebracht wurden. Frauen, die in der Haft vergewaltigt wurden oder bei denen eine Vergewaltigung vermutet wird, laufen Gefahr, von ihren Familienmitgliedern verstoßen zu werden oder nach ihrer Entlassung sogar einem Ehrenmord zum Opfer zu fallen, da sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt kulturell stigmatisiert sind. Eine vom Central Bureau of Statistics (CBS), einer staatlichen Einrichtung, in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen durchgeführte Mehrzweck-Demografieerhebung ergab, dass 518.000 Frauen ihre Ehemänner während des Krieges verloren haben. Aus einem internationalen Bericht des UNHCR geht hervor, dass mehr als 145.000 syrische Flüchtlingsfamilien im Libanon, in Jordanien, im Irak und in Ägypten sowie Zehntausende in der Türkei von Frauen geführt werden, die allein um ihr Überleben kämpfen, was etwa 22 % der Gesamtzahl syrischer Familien entspricht. Familien, die von verwitweten Frauen geführt werden, leiden oft unter fehlenden Ressourcen, hohen Schulden, fehlendem Zugang zu angemessenen Nahrungsmitteln, ein Großteil ihrer Kinder ist gezwungen, in der Schattenwirtschaft zu arbeiten, und einige von ihnen sind in unterschiedlichem Maße verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt. Die Armutsquote von Frauen ist mit der zunehmenden Zahl von Witwen in der Gesellschaft auf ein noch nie da gewesenes Ausmaß angestiegen.
Frauen haben unverhältnismäßig selten Rechtssicherheit. Dies hängt mit der Armut von Frauen, ihrer Anfälligkeit für Gewalt, diskriminierenden Praktiken lokaler Gemeinschaften, die oft durch Traditionen und eine enge Auslegung der Religion hervorgerufen werden, und anderen Faktoren zusammen, die zur allgemeinen Ungleichheit von Frauen beitragen. Einige Gruppen von Frauen werden auch aufgrund ihrer Klasse, ethnischen Zugehörigkeit, sexuellen Orientierung, ihres Alters, Einkommens, Familienstandes oder anderer Faktoren diskriminiert. Die Zahl der Frauen, die Wohneigentum besitzen, wird auf nur 2–5 % geschätzt. Darüber hinaus sind Frauen mit Behinderungen zusätzlichen Risiken ausgesetzt, wodurch ihr Recht auf angemessenen Wohnraum noch weiter in die Ferne rückt.
Frauen berichteten auch von Problemen mit Kämpfern der Rebellen. Beispielsweise gaben Richterinnen an, dass Kämpfer ihnen gesagt hätten, dass sie nicht mehr dienen dürften. Dabei dürfte es sich um Einzelpersonen handeln. Internationale Medien, die berichtet hatten, dass es zukünftig keine Richterinnen mehr geben würde, korrigierten eine entsprechende Meldung später. Eine Erklärung von Ali al-Maghraby, dem ersten Inspektor des Justizministeriums in der von der HTS geführten Syrischen Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG), schien auf das Treffen im Justizpalast in Homs einzugehen, dementierte aber Gerüchte, dass Frauen aus dem Justizwesen entfernt werden könnten, und sagte, dass die "Herrschaft der Richterinnen intakt" sei, aber andere Details wurden weder dementiert noch bestätigt. Der Sprecher der HTS fiel außerdem mit Äußerungen über die zukünftige Rolle der Frau in der syrischen Justiz auf. In einem Interview mit einem libanesischen Fernsehsender soll er es in Zweifel gezogen haben, ob Frauen richterliche Befugnisse übernehmen sollten. Die aktuelle Situation ist für Richterinnen im ganzen Land zunehmend prekär geworden. Zwar hat das Übergangskabinett Syriens keine formellen Anweisungen zur Entlassung von Richterinnen herausgegeben, doch Quellen aus dem Justizpalast des Gouvernements Homs berichten, dass sie mündliche Anweisungen erhalten haben, Frauen aus Justizpositionen zu entfernen. Weiters soll die HTS ein Verbot erlassen haben, sich hinsichtlich der Kleidung von Frauen einzumischen oder Forderungen in Bezug auf ihre Kleidung oder ihr Aussehen zu machen, einschließlich der Forderung nach Bescheidenheit. Aleppo Today zitierte jedoch Mohammad al-Asmar, den Kommunikationsbeauftragten des Informationsministeriums der SSG der bestritt, dass diese Erklärungen von einer offiziellen Stelle abgegeben wurden, und darauf hinwies, dass die Quelle dieser Behauptungen Medienseiten waren, die bekanntermaßen pro-Assad sind. An Laternenpfählen wurden Aushänge angebracht, die Frauen befehlen, den Schleier zu tragen. Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, fragen ihre Mütter, warum sie nicht verhüllt sind. Ash-Shara' hat eine Frau zur Leiterin der Zentralbank ernannt, aber in einigen Regierungsbüros müssen Frauen und Männer jetzt durch getrennte Eingänge gehen. Die deutsche Bundesaußenministerin will Hilfen für Syrien von der Achtung von Frauenrechten abhängig machen.
In städtischen Zentren und ländlichen Gebieten sind Frauen aktiv im öffentlichen Raum präsent. Es wurden keine weitverbreiteten Versuche unternommen, restriktive Kleidervorschriften einzuführen oder die Mobilität von Frauen einzuschränken, was in krassem Gegensatz zu den Befürchtungen steht, die viele hegten, als HTS erstmals an Bedeutung gewann. Frauen nehmen in Städten und Dörfern frei an öffentlichen Feiern teil, was die relative Leichtigkeit unterstreicht, mit der sie sich unter der neuen Führung im öffentlichen Raum bewegen können. HTS-Chef Ahmed ash-Shara', der derzeit an der Spitze Syriens steht, versprach, dass Syrien nicht zu einem „zweiten Afghanistan“ werden würde, und verwies dabei auf die Bilanz der Provinz Idlib unter der HTS-Herrschaft, wo fast 60 % der Hochschulabsolventen Frauen sind.
Zwar sind Frauen in der Übergangsregierung in mittleren Verwaltungsfunktionen sichtbar, doch es wurden noch keine Anstrengungen unternommen, sie in Führungspositionen oder Ministerien zu berufen. Dies spiegelt einen breiteren Trend in konservativen Regierungsstrukturen wider, in denen die Beteiligung von Frauen oft auf symbolische Rollen beschränkt ist. Das Versäumnis der neuen Regierung, Frauen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, birgt die Gefahr, einen kritischen Teil der Bevölkerung zu entfremden und ihren Anspruch auf Inklusivität zu untergraben. Die einzige Frau in der Interimsregierung ist 'Aisha ad-Dabis, eine Menschen- und Frauenrechtsaktivistin, die in den letzten Jahren an humanitären Projekten in Flüchtlingslagern gearbeitet hat, wie lokale Medien berichten. Ihre Ernennung zur Direktorin des Büros für Frauenangelegenheiten erfolgte, nachdem der Sprecher der neuen Regierung, eine Kontroverse ausgelöst hatte, mit seiner Aussage, dass die Ernennung von Frauen in Minister- und Parlamentsämter verfrüht sei, weil die „biologische und psychologische Natur“ von Frauen sie daran hindere, bestimmte Rollen zu erfüllen. Ad-Dabis selbst erklärte öffentlich, die Übergangsregierung habe ihr eigenes Modell für Frauen entworfen und wolle es umsetzen. Dieses Modell beschränkt Frauen im Wesentlichen auf den privaten Bereich und stützt sich auf die Scharia. Gleichzeitig versprach sie, syrische Frauen in soziale, kulturelle und politische Institutionen einzubinden, und kündigte eine umfassende Initiative an, die sich mit den Bedürfnissen weiblicher Gefangener befasst, die unter dem vorherigen Regime gelitten haben. Der Außenminister zeigte sich als Reaktion auf Empörung in der Öffentlichkeit zuversichtlich, was die aktive Rolle der Frauen in der Gesellschaft angeht, und erklärte: „Wir glauben an die aktive Rolle der Frauen in der Gesellschaft und vertrauen auf ihre Fähigkeiten“. Die von Islamisten dominierte Übergangsregierung hat zwei Frauen in Ämter gehoben, die bisher Männern vorbehalten waren: Maysaa' Sabrin ist geschäftsführende Direktorin der syrischen Zentralbank und Muhsina al-Mahithawi die erste Gouverneurin in Syrien. Sie wurde zur Gouverneurin von Suweida ernannt. Die Drusin leitet damit ihre Heimatprovinz.
Geschlechtsspezifische Gewalt gab es in Syrien bereits zwar schon vor 2011, doch der Bürgerkrieg hat Berichten zufolge zu einer Zunahme ihrer Häufigkeit geführt, ihre Natur verändert, ihren Umfang vergrößert und die Zahl der Täter vervielfacht. Frauen und Mädchen waren verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, die einer Verfolgung gleichkommen, darunter physische, psychische, emotionale, sexuelle und häusliche Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Sexhandel sowie Zwangsheirat oder Frühehen, Verweigerung wirtschaftlicher Ressourcen oder Bildung, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Ausbeutung, willkürliche Verhaftungen, Folter, Verschleppungen und Vertreibungen sowie außergerichtliche Tötungen und Hinrichtungen. Auch wenn die mit dem Assad-Regime verbundenen Risiken verschwunden sind, sind andere Akteure der Verfolgung wie die Syrische Nationale Armee (SNA), die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), der Islamische Staat im Irak und in der Levante (ISIL) und andere nichtstaatliche Akteure nach wie vor präsent und aktiv. Darüber hinaus sind auch Familienangehörige, die Gemeinschaft und die Gesellschaft insgesamt Täter von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. HTS hat Frauen und Mädchen wegen Verstößen gegen die strenge Kleiderordnung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit willkürlich inhaftiert. Die Strafen reichten von körperlichen Züchtigungen wie Auspeitschungen bis hin zur Hinrichtung. Auch Morde und Verschleppungen wurden gemeldet. Während die Haltung der Übergangsregierung in Bezug auf die Rechte und Vertretung von Frauen noch unklar ist, gibt es weiterhin Berichte über Morde und andere Menschenrechtsverletzungen, darunter sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt durch verschiedene nichtstaatliche Akteure sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich. Da fast jede dritte syrische Familie von einer Frau geführt wird, sind geschiedene und verwitwete Frauen von Zwangsheirat bedroht und sehen sich gesellschaftlichen Einschränkungen und Diskriminierung ausgesetzt. Berichten zufolge haben Zwangsheirat und Kinderheirat während des Konflikts als negativer Bewältigungsmechanismus zugenommen.
1.3.8. Kurden
Kurden sind die größte ethnische Minderheit in Syrien. Es gibt keine offiziellen Statistiken über die Zahl der Kurden in Syrien, aber die meisten Schätzungen gehen davon aus, dass es sich um zwei bis drei Millionen Menschen handelt, die sich in den Gebieten al-Hasaka, Qamishli, ’Ain al-’Arab, ’Afrin und in den Vierteln von Damaskus und Aleppo aufhalten, so das Jusoor Centre for Studies. Die aufeinanderfolgenden Regierungen haben die kurdische Identität nicht anerkannt, und der Staat hat sie daran gehindert, die kurdische Sprache in ihren Schulen oder in Zeitungen und Büchern zu verwenden. Etwa 300.000 Kurden haben seit den 1960er-Jahren nicht die syrische Staatsbürgerschaft erhalten, kurdisches Land wurde konfisziert und an Araber verteilt, um die kurdischen Gebiete zu „arabisieren“. Die Mehrheit der Kurden sind sunnitische Muslime, mit einer kleinen Anzahl von Christen und Jesiden. In den letzten Jahren ist im Nordwesten Syriens eine autonome kurdische Region entstanden, die jedoch von der syrischen Regierung nicht anerkannt wird. Im Norden verteidigten syrische Kurden, unterstützt von anderen Minderheiten, ihre autonome Enklave, die auf Kurdisch Rojava genannt wird und 2012 gegründet wurde. Die autonome Verwaltung führte positive Praktiken ein, die die Rechte sprachlicher und religiöser Minderheiten respektierten, und verwendete drei offizielle Sprachen (Kurdisch, Arabisch und Aramäisch). Es gab jedoch Berichte über kurdische bewaffnete Gruppen, die arabische und turkmenische Häuser in der Region zerstörten und ihre Bewohner vertrieben. Übergangspräsident ash-Shara’ unterscheidet zwischen der kurdischen Gemeinschaft und der Kurdischen Arbeiterpartei (Partiya Karkerên Kurdistanê - PKK), zu der er auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) zählt, weil sie ebenfalls Gruppierungen mit Verbindungen zum militärischen Arm der PKK umfassen. Die Kurden sieht er als Teil des Heimatlandes an und verspricht ein friedliches Zusammenleben ohne Unterdrückung der Kurden. Bei einem Treffen zwischen ash-Shara’ und einer Delegation der kurdisch dominierten SDF erklärten sich die Kurden nur bereit, den neuen syrischen Sicherheitskräften als unabhängige Einheit beizutreten, forderten den größten Anteil an den Öleinnahmen und beantragten die Selbstverwaltung in Gebieten mit kurdischer Mehrheit als Teil einer syrischen Föderation. Ash-Shara’ stimmte einer gewissen Dezentralisierung der Verwaltung, einer proportionalen Verteilung der Öleinnahmen auf die von den Kurden kontrollierten Gebiete und der Anerkennung der kulturellen Rechte der Kurden, einschließlich des Kurdischunterrichts an Schulen, zu. Regierungsvertreter bestanden jedoch darauf, dass die militärische Integration individuell unter dem Verteidigungsministerium erfolgen würde. SDF-Kommandant ’Abdi reicht die Zusicherung ash-Shara’s, den Kurden kulturelle Rechte in der neuen Verfassung zuzusprechen, nicht aus. Er verlangt politische Rechte, wie die Verwaltung von Städten durch Kurden. Außerdem sollen kurdische Kommandanten und Anführer bei einer Integration in eine neue syrische Armee nach denselben Standards in Führungspositionen gebracht werden, wie es mit HTS-Kommandanten erfolgt ist.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt, insbesondere in die Niederschrift der Erstbefragung vom 31.05.2023, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2025 sowie in die im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörterten ergänzenden Berichte. Daneben wurden Auszüge aus dem Zentralen Fremdenregister, der Grundversorgung, der Sozialversicherung und dem Strafregister amtswegig eingeholt.
Am 12.06.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Wien eine mündliche Verhandlung statt, in der Beweis durch Befragung der BF im Beisein ihrer Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache aufgenommen, die Lage im Herkunftsstaat erörtert wurde und die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme und ergänzender Beweisaufnahme durch Einbeziehung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation für Syrien eingeräumt wurde.
2.2. Zur Person der Antragstellerin
Die Feststellungen zum Familienstand, zur Volksgruppen- und zur Glaubenszugehörigkeit sowie zu den Sprachkenntnissen der BF basieren auf ihren stringenten Angaben (Erstbefragung vom 31.05.2023, AS 7; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.06.2025, S 5). Zumal ihr syrischer Personalausweis durch Mitarbeiter des Zollamtes im Original eingescannt und in Kopie an das BFA übermittelt wurde, steht ihre Identität fest (E-Mail-Verkehr sowie Scan des originalen Personalausweises, AS 23-31; AS 47-48).
Ihren Geburts- und Herkunftsort sowie den Ort des letzten Aufenthaltes in Syrien legte die BF nachvollziehbar dar (Protokoll vom 31.05.2023, AS 5, 7; Protokoll vom 12.06.2025, AS 55). Ihre Angaben zum Besuch und Abschluss der Grund- und Mittelschule sowie der fehlenden Ausbildung (Protokoll vom 31.05.2023, AS 5; Protokoll vom 12.06.2025, S 4-5) rufen keine Bedenken hervor. Die vorgebrachte Tätigkeit als Hilfsarbeiterin in einer Schneiderei in der Türkei ist glaubhaft (Protokoll vom 31.05.2023, AS 5; Protokoll vom 12.06.2025, S 5).
Die BF führte keinerlei gesundheitliche Beschwerden an. Schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankungen bzw. psychische Beeinträchtigungen wurden weder behauptet noch hätten sich irgendwelche Hinweise darauf ergeben, demnach war auch ihre Arbeitsfähigkeit festzustellen.
Hinsichtlich ihrer übereinstimmenden Angaben, 2015 Syrien verlassen zu haben und in die Türkei gereist zu sein, wo sie bis zum 17.05.2023 aufhältig gewesen sei, anschließend schlepperunterstützt in das Gebiet der Mitgliedsstaaten über Griechenland eingereist zu sein, sich dort etwa zwei Wochen lang aufgehalten zu haben und schließlich über Italien nach Österreich gekommen zu sein (Protokoll vom 31.05.2023, AS 11; Protokoll vom 12.06.2025, S 5), haben sich keine Bedenken ergeben und ist in Anbetracht der Reiseroute und der zeitlichen Angaben durchaus nachvollziehbar. Die Feststellung, dass die BF vorher in keinem anderen Mitgliedsstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der BF selbst (Protokoll vom 31.05.2023, AS 11) in Verbindung mit dem negativen Eurodac-Trefferergebnis (AS 13).
Die Feststellungen zur Familiensituation und zum Aufenthalt der Angehörigen der BF ergeben sich aus deren übereinstimmenden Angaben in der Erstbefragung (Protokoll vom 31.05.2023, AS 7) sowie in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 12.06.2025, S 5). Die Feststellung, dass zu der in der Türkei wohnhaften Mutter telefonischer Kontakt besteht, ergibt sich aus den eigenen Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung (Protokoll vom 12.06.2025, AS 5). Auf die Frage, ob die BF noch Kontakt mit ihren Familienmitgliedern pflegt, gab sie an, dass sie mit ihrer Mutter telefoniere (Protokoll vom 12.06.2025, S 5), woraus sich ergibt, dass zu den anderen Familienmitgliedern, insbesondere zum Bruder, derzeit kein Kontakt besteht. Vor diesem Hintergrund konnte auch eine (finanzielle) Unterstützung der BF durch ihre Familienangehörigen bei einer Rückkehr nach Syrien nicht festgestellt werden und wäre dies im Fall der mittlerweile 66 Jahre alten Mutter auch nicht zumutbar. Die negative Feststellung zum Aufenthaltstitel des in Deutschland ansässigen Bruders ergibt sich aus den Angaben der BF (Protokoll vom 31.05.2023, AS 7), wobei auch glaubhaft ist, dass die BF nicht über die Art des Aufenthaltstitels sämtlicher ihrer Verwandten Bescheid weiß, zumal lediglich mit der Mutter regelmäßiger Kontakt besteht. Dass sich der Bruder seit zumindest zwei Jahren in Deutschland aufhält, ergibt sich daraus, dass die BF bereits in der Erstbefragung am 31.05.2025 Deutschland als dessen Aufenthaltsort angegeben hat (AS 7).
Die Feststellung, dass kein besonderer Grad an Integration gegeben ist, ergibt sich einerseits aus dem gänzlichen Fehlen derartiger Hinweise, andererseits aus der vergleichsweise kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet von etwa zwei Jahren; überdies wurde das Vorliegen einer derartigen Integration auch nicht behauptet. Die Beziehung mit XXXX reicht mangels gegenteiliger Hinweise nicht aus, eine besondere private Bindung zu begründen, zumal die Beziehung auch erst seit dem Aufenthalt der BF in Österreich und sohin maximal etwas über zwei Jahre besteht (Protokoll vom 12.06.2025, S 6). Eine berufliche Bindung der BF konnte nicht festgestellt werden, da die BF bis dato keiner Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen ist (Sozialversicherungsdatenauszug).
Im Auszug aus der staatlichen Grundversorgung ist ersichtlich, dass die BF nach wie vor Grundversorgungsleistungen bezieht. Dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug lässt sich entnehmen, dass die BF strafgerichtlich unbescholten ist.
Die Säumnisbeschwerde der BF vom 11.03.2025 (AS 53), die Stellungnahme vom 11.06.2025 sowie die Beschwerdevorlage vom 12.03.2025 (AS 79) sind aktenkundig.
2.3. Zu den Fluchtgründen
2.3.1. Allgemein
Die Feststellungen über die Kontrolle insbesondere in der Stadt XXXX bzw. zum Stadtviertel XXXX ergeben sich aus der Einsicht in die interaktiv verfügbare historische Karte Syriens des Carter Centers (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria. html, Zugriff am 24.07.2025) und in die Syria Live Map (https://syria.liveuamap.com/, Zugriff am 24.07.2025) sowie aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien des BFA hinsichtlich Sheikh Maqsoud, Aleppo, Kurden und Konvertiten vom 30.05.2025. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen erfolgten durch Einsicht in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Syrien, Version 12, vom 08.05.2025, der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien des BFA hinsichtlich Sheikh Maqsoud, Aleppo, Kurden und Konvertiten vom 30.05.2025, der Anfragebeantwortung zu Syrien: Rekrutierungspraxis der Übergangsregierung, Rekrutierungen durch andere bewaffnete Gruppen (z.B. Yekîneyên Parastina Gel, YPG) vom 21.03.2025 (https://www.ecoi.net/de/dokument/2123131.html), in den Interim Country Guidance: Syria der EUAA vom 20.06.2025 sowie der jeweiligen darin zitierten Quellen.
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss. Die Verantwortung eines Antragstellers hat jedoch darin zu bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.
Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z.B. VwGH 24.06.1999, 98/20/0435; VwGH 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).
2.3.2. Zur Rekrutierung durch kurdische Kämpfer
Die BF gab in der Erstbefragung unter Beiziehung eines Dolmetschers für Arabisch an, persönlich nicht verfolgt worden zu sein und Syrien aufgrund des Krieges verlassen zu haben (Protokoll vom 31.05.2023, AS 13). In der mündlichen Verhandlung hingegen brachte sie vor, insoweit persönlich bedroht worden zu sein, als die kurdischen Kämpfer gewollt haben, dass sie sich ihnen aufgrund ihrer Körpergröße anschließe (S 6) und ihr Vater sie aus diesem Grund in die Türkei geschickt habe. Über den Widerspruch belehrt, gab sie an, dass sie nicht gefragt worden sei, ob sie persönlich bedroht wurde.
Dem Vorbringen kann vor diesem Widerspruch nicht gefolgt werden; es ist auch nicht glaubhaft, dass sie bei der Erstbefragung nicht über eine etwaige persönliche Bedrohungssituation befragt worden sei. Aber selbst wenn diese Behauptung festgestellt worden wäre, wäre sie nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen, zumal die nunmehr über zehn Jahre zurückliegende Aufforderung zu einer Zeit erfolgt ist, in der der Bürgerkrieg das Land fest im Griff hatte und die einzelnen Gruppierungen, insbesondere die SDF bzw. die kurdischen Milizen, eine Vielzahl an Kämpfern und Kämpferinnen auch mit Gewalt zu rekrutieren versuchten. Aufgrund der gravierenden Änderung der Lage durch den Sturz des Assad-Regimes und die teils schon begonnene, mittels Abkommen vereinbarte schrittweise Eingliederung der SDF in die syrischen Sicherheitskräfte bestehen keine hinreichenden Hinweise, dass die BF einer (Zwangs-)Rekrutierung unterworfen werden würde. Einer der SDF nahestehenden Quelle zufolge würden nurmehr begrenzt Rekrutierungsoperationen durchgeführt, und zwar hauptsächlich im Gouvernement Hasaka, welches sich im Nordosten des Landes befindet. Die SDF sehe für jeden Mann, der das Alter von 18 Jahren erreicht habe und zwischen 1998 und 2006 geboren sei, eine einjährige Wehrpflicht vor. Andere Quellen berichten zwar auch von erzwungenen Rekrutierungen von Frauen, es handelt sich dabei in Anbetracht der Anzahl der Berichte um Einzelfälle, die insgesamt nicht die Intensität einer asylrelevanten Verfolgung erreichen. Im Fall der BF, welche zuletzt in XXXX , sohin weit entfernt von Hasaka im Nordwesten des Landes gelebt hat und zudem eine Frau ist, kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass bei einer Rückkehr die Gefahr einer Rekrutierung besteht.
2.3.3. Zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne männliche Familienangehörige in Syrien
Zum Vorbringen der Verfolgungsgefahr aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der BF um eine alleinstehende Frau ohne (männliche) Familienangehörige in Syrien handelt, ist stets eine individuelle Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl. VwGH 22.05.2025, Ra 2025/18/0031). Dabei zeigt auch die neuere Rechtsprechung des VwGH auf, dass es bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft einer syrischen Frau besonders auf das Vorliegen eines Netzwerkes männlicher Personen insbesondere im Herkunftsstaat ankommt.
Im gegenständlichen Fall ist kein derartiges Netzwerk gegeben, da sich der einzige nähere männliche Verwandte, der Bruder der BF, in Deutschland befindet und kein Kontakt zu diesem besteht. Zu berücksichtigen ist auch, dass kein Grund zu der Annahme hervorkam, dass diesem zugemutet werden könne, nach seinem mindestens zweijährigen Aufenthalt im deutschen Bundesgebiet sein dortiges Leben aufzugeben und mit der BF nach Syrien zurückzukehren, um sie folglich dort vor einer geschlechtsspezifischen Verfolgung schützen zu können; zumal nicht festgestellt werden konnte, ob ihm nicht selbst auch die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Eine derartige zumutbare Rückkehr zum Schutze der (Ehe-)Frau wurde vom VwGH zwar bereits zwischen einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebenden Ehemann und seiner syrischen Frau als vertretbar argumentiert (VwGH 26.06.2025, 2024/18/04216), kann zwischen einem Bruder und dessen Schwester aber jedenfalls nur bei Hinzutreten einer Vielzahl an Umständen, die eine derart enge, über das durchschnittliche Maß weit hinausgehende Bindung begründen, argumentiert werden, welche im vorliegenden Fall nicht einmal ansatzweise gegeben ist. Die BF wäre bei einer Rückkehr nach Syrien daher auf sich allein gestellt. Weiters ist zu berücksichtigen, dass die BF keine Ausbildung vorweisen kann und eine (finanzielle) Unterstützung durch ihre Verwandten nicht festgestellt werden konnte, diese in Syrien daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch in eine finanzielle Abhängigkeitssituation geraten wird, was sie einer zusätzlichen Gefahr der geschlechtsspezifischen Verfolgung aussetzt.
Darüber hinaus ist auch in Betracht zu ziehen, dass sich die BF der Volksgruppe der Kurden zugehörig fühlt und es insbesondere in Gegenden, die unter der Kontrolle der SNA stehen, immer wieder zur Verfolgungshandlungen kommt. Auch wenn im Falle der BF bereits die Zugehörigkeit zur Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne männliche Familienangehörige für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung ausreicht, so zeigt dies in Kombination mit der Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe eine überdurchschnittliche Schutzbedürftigkeit aufgrund der Zugehörigkeit zu gleich zwei vulnerablen sozialen Gruppen in Syrien auf.
Aus den festgestellten Berichten sowie den dort zitierten Quellen ergibt sich, dass diese soziale Gruppe im gesamten Land von staatlichen sowie nichtstaatlichen Akteuren einer Verfolgung ausgesetzt ist, wodurch auch keine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist.
2.3.4. Ergebnis
Letztlich ergibt sich in einer Gesamtschau der vorangegangenen Darlegungen, dass hinsichtlich der BF ein asylrechtlicher Schutzbedarf gegeben ist.
Auch die im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderrichtlinien der EUAA, denen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wie jenen des UNHCR - besondere Beachtung zu schenken ist („Indizwirkung“) und die gemäß Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2021/2303 bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz von den Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 25.6.2024, Ra 2024/18/0151, mwN), konstatieren die Zunahme (sexueller) Gewalt gegenüber Frauen seit März 2011. Auch wenn das ehemalige syrische Regime als Haupttäter von (sexueller) Gewalt angeführt wird, muss generell davon ausgegangen werden, dass die Verlagerung der Geschlechterrollen zu einem allgemeinen Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt beigetragen hat. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Situation zum Entscheidungszeitpunkt bereits derart stabilisiert hat, dass die BF als alleinstehende junge Frau ohne den Schutz männlicher Verwandter wie eines Ehemannes, Vaters oder Bruders nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer von (sexueller) Gewalt werden wird.
2.4. Zur Lage in Syrien
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Syrien, Version 12, vom 08.05.2025; den Berichten der EUAA, Interim Country Guidance: Syria vom 20.06.2025; dem COI Report Syria: Targeting of Individuals, September 2022; dem Bericht ecoi.net: Syrian Arab Republic – Information Collection on Developments Regarding the Fall of President Assad, Stand 29.01.2025; der Kurzinformation der Staatendokumentation: Syrien, Sicherheitslage, politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, vom 10.12.2024, der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Syrien des BFA hinsichtlich Sheikh Maqsoud, Aleppo, Kurden und Konvertiten vom 30.05.2025 sowie dem Bericht des Syrischen Menschenrechtskomitees für das Jahr 2024 vom 23.01.2025, samt den jeweils dort zitierten Quellen. Es bestehen keine Zweifel am Zutreffen dieser Quellen, sodass die entsprechenden Feststellungen getroffen werden konnten. Die Feststellungen zur aktuellen Machtverteilung in Syrien basieren insbesondere auf der Einsicht in die im Internet zugängliche Syria Live Map (https://syria.liveuamap.com) und der Syria Map betreffend die historische Kontrolle in Syrien des Carter Center (https://www.cartercenter.org/news/multimenia/ap/exploring-historical-control-in-syria.html), Zugriff jeweils am 29.07.2025.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gegenständlich wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom BFA innerhalb der gesetzlichen Frist nicht erledigt, wodurch aufgrund der eingebrachten Säumnisbeschwerde gemäß Art 130 Abs. 1 Z 3 B-VG die Zuständigkeit wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde auf das BVwG überging.
Zu A) Zur Zuerkennung von Asyl
3.1. Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG, die auf Art 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs 1 Z 1 AsylG alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen. Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 02.09.2019, Ro 2019/01/0009, mwN).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs 1 AsylG ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Gegenständlich hat die BF mit ihrem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung aufzeigen können, wie unter Punkt II. 2.3. im Detail erörtert wurde.
Die allgemeine Lage in Syrien ist zwar nicht dergestalt, dass automatisch jedem Antragsteller aus Syrien der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste. Bei der BF handelt es sich allerdings um eine Frau, die keinerlei männliche Familienangehörige oder Kontakte in Syrien besitzt. Nach der festgestellten Lage von Frauen in derselben Situation wie die BF liegt eine Verfolgung bereits aufgrund der Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit vor. Hinzu kommt die Zugehörigkeit der BF zur Volksgruppe der Kurden, welche unter Umständen ebenfalls eine Verfolgung begründen kann. Die BF vereint in ihrer Person sohin gleich zwei von in Syrien gefährdeten sozialen Gruppen, woraus sich ein überdurchschnittlicher Schutzbedarf derselben ergibt.
Dem Antrag war daher stattzugeben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.