Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des M Y, vertreten durch Dr. Maximilian Ludvik, LLM, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Rainergasse 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2024, L504 2289929 1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 16. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, er habe Angst, in der Türkei verhaftet zu werden. Sein Vater sei verhaftet worden, weil er Bücher von Abdulah Öcalan zu Hause gehabt habe. Außerdem befürchte der Revisionswerber, zum Militär eingezogen zu werden und gegen Kurden kämpfen zu müssen.
2 Mit Bescheid vom 21. März 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen diesen Bescheid die aufschiebende Wirkung ab, legte keine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.
3 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung des Vorverfahrens Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5 In der Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit unter anderem vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trotz Antrags keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
6 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet worden sein, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 13.12.2022, Ra 2021/19/0431, mwN).
7 Diese Voraussetzungen lagen fallbezogen schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber in seiner Beschwerde das Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dem angefochtenen Erkenntnis nicht bloß unsubstantiiert bestritten hat. Der Revisionswerber brachte in seiner Beschwerde mit Bezug auf seine beim BFA getätigten Aussagen vor, dass sein Vater aufgrund seines Einsatzes für die Rechte der Kurden jahrelang inhaftiert gewesen sei und dem Revisionswerber aufgrund des Einsatzes seines Vaters für die Rechte der Kurden in der Türkei Verfolgung drohe. Der Revisionswerber erstattete in der Beschwerde zu diesem Vorbringen mehrere Beweisangebote, insbesondere beantragte er die Einvernahme seines in Österreich lebenden Zwillingsbruders und seiner in Österreich lebenden Schwester, sowie die Einholung eines länderkundlichen Sachverständigengutachtens. Mit diesem Vorbringen setzte sich das Bundesverwaltungsgericht in dem angefochtenen Erkenntnis auch nicht auseinander.
8 Demnach lagen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Die Verhandlungspflicht führt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des (wie hier gegebenen) Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. VwGH 8.8.2024, Ra 2024/19/0049, mwN).
9 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
10 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 8. Mai 2025