JudikaturVwGH

Ra 2024/09/0064 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
17. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalt Stellvertreters beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, vertreten durch Dr. Daniela Altendorfer Eberl, Rechtsanwältin in 1040 Wien, Brucknerstraße 4/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 1. August 2024, LVwG AV 2740/001 2023, betreffend Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Niederösterreich; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: Dr. A B in C, vertreten durch die Beneder Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 27/DG/9), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag auf Kostenersatz wird abgewiesen.

1 Mit Beschluss vom 23. März 2022 leitete der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer Disziplinarkommission für Niederösterreich (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde) über Antrag des DisziplinaranwaltStellvertreters beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer (nunmehr: revisionswerbende Partei) gemäß § 154 Abs. 2 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) gegen den Mitbeteiligten, einen D Facharzt, ein Disziplinarverfahren ein. Diesem lag der Vorwurf zugrunde, der Mitbeteiligte stehe im Verdacht, einer seiner Patientinnen das Medikament Ivermectin 3mg in einer Packung zu 60 Stück und ohne Anwendungshinweis verschrieben zu haben, obwohl diese Packungsgröße nach dem Austria Codex für den Einsatz in der Humanmedizin in Österreich nicht zugelassen ist (sondern nur als „Scabioral Tabletten 3mg“ in einer Handelspackung zu vier Stück) und dieses Medikament zur Behandlung des Corona Virus, für das es nicht zugelassen ist, eingesetzt zu haben.

2 Der Mitbeteiligte habe sich zu dem Vorwurf so führte die belangte Behörde begründend aus dahingehend geäußert, diese Patientin habe große Angst vor Corona gehabt und sie habe ihre gesamte Familie versorgen wollen. Die Einnahmeempfehlung sei auf einem Handzettel ausgefolgt worden, eine Überdosierung könne somit nicht erfolgt sein. Damit habe er die Anwendung von Ivermectin zur Behandlung gegen das Corona Virus nicht bestritten.

3 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung verkündeten und anschließend schriftlich ausgefertigten Disziplinarerkenntnis vom 14. Dezember 2022 sprach die belangte Behörde den Mitbeteiligten schuldig, er habe am 14.12.2021 einer seiner Patientinnen das Medikament Ivermectin 3mg in einer Packung zu 60 Stück und ohne Anwendungshinweis verschrieben, obwohl diese Packungsgröße nach dem Austria Codex für den Einsatz in der Humanmedizin in Österreich nicht zugelassen ist (sondern nur als „Scabioral Tabletten 3mg“ in einer Handelspackung zu 4 Stück) und dieses Medikament zur Behandlung des CoronaVirus, für das es nicht zugelassen ist, eingesetzt. Der Mitbeteiligte habe dadurch das Disziplinarvergehen gemäß § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 begangen und wurde über ihn hiefür gemäß § 139 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 eine Geldstrafe von 4.000 Euro verhängt. Ferner wurde er nach § 136 Abs. 1 ÄrzteG 1998 zum Ersatz der mit 1.000 Euro bestimmten Verfahrenskosten verpflichtet.

4 Die belangte Behörde stellte dazu begründend zusammengefasst fest, dass im Dezember 2021 eine Patientin dem Mitbeteiligten telefonisch mitgeteilt habe, dass inklusive ihr vier erwachsene Personen in einem Haushalt erkrankt seien. Wegen der damaligen Ausgangsbeschränkungen habe die Patientin den Mitbeteiligten nicht in seiner Ordination aufgesucht. Aufgrund der Angaben der Patientin im Telefonat habe ihr der Mitbeteiligte am 14. Dezember 2021 das Medikament „Ivermectin 3 mg; 60 Stück; IND Fadenwürmer“ verschrieben. Er habe ihr mitgeteilt, dass jede erwachsene Person für einen Zeitraum von drei bis vier Tagen jeweils vier Kapseln pro Tag einnehmen solle. Der Mitbeteiligte habe deshalb als Indikation „Fadenwürmer“ verschrieben, damit die Patientin bei der Abholung der Medikamente in einer Apotheke keine Probleme bekomme. Tatsächlich habe er es aber zur Behandlung der Corona Erkrankung verschrieben.

5 Eine erste Apotheke, die das Medikament nicht ausgefolgt habe, habe die Verschreibung am 17. Dezember 2021 der Ärztekammer mit dem Hinweis gemeldet, dass es laut Austria Codex nur eine einzige zugelassene und im Handel befindliche Humanarzneiform für die innerliche Anwendung gebe, nämlich das Präparat „Scaborial Tabletten 3mg“ in einer Handelspackung zu vier Stück, und dabei auf die potentiellen Folgen für die Patientin verwiesen, würde sie die Packung mit einer bis zu 15 fach möglichen Überdosierung bekommen. Eine weitere Apotheke habe der Patientin das Medikament ausgefolgt, das von den Personen mehrere Tage eingenommen worden sei. Nach ein paar Tagen seien die Symptome der Corona Erkrankung zurückgegangen. Nicht festgestellt werden könne, dass der Rückgang der Symptome in einem Zusammenhang mit dem Medikament Ivermectin stehe.

6 Bereits am 22. März 2021 habe die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) darauf hingewiesen, dass die Erkenntnisse aus Laborstudien, Beobachtungsstudien, klinischen Studien und Meta Analysen die Verwendung von Ivermectin zur Behandlung von COVID 19 außerhalb klinischer Studien nicht unterstütze. Das deutsche Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen habe am gleichen Tag die Empfehlung abgegeben, dass die Verwendung von Ivermectin derzeit (mit Ausnahme kontrollierter klinischer Studien) keinesfalls zu einer Vorbeugung oder Behandlung von COVID 19 empfohlen werden könne. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe am 31. März 2021 empfohlen, Ivermectin nur zur Behandlung von COVID 19 im Rahmen klinischer Studien einzusetzen. Im November 2021 habe sich der Hersteller des Medikaments im Einklang mit den gängigen medizinischen Empfehlungen klar gegen die Einnahme von Ivermectin bei COVID 19 ausgesprochen.

7 Rechtlich beurteilte die belangte Behörde diesen Sachverhalt im Wesentlichen dahingehend, dass der Mitbeteiligte dadurch, dass er trotz eindeutiger und klarer Warnungen der EMA, der WHO und des Herstellers einer Patientin das Medikament Ivermectin zur Behandlung einer aktuellen CoronaErkrankung verschrieben habe, dies zusätzlich in einer Dosis, die nicht für die Humanmedizin geeignet sei, die nach §§ 2, 49 ÄrzteG 1998 bestehende Berufspflicht, nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorzugehen, verletzt und damit das Disziplinarvergehen des § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 begangen habe.

8Der Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 1. August 2024 Folge, es hob das behördliche Disziplinarerkenntnis ersatzlos auf und sprach den Mitbeteiligten gemäß § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998 frei.

Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig.

9 Rechtlich begründete das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis soweit für das Revisionsverfahren relevant damit, dass es dem Einleitungsbeschluss nicht nur an Tatzeit und Tatort mangle, sondern aus diesem insbesondere nicht hervorgehe, welcher konkreten Patientin der Mitbeteiligte das Medikament ohne Anwendungshinweis verschrieben haben solle. Dadurch sei das dem Mitbeteiligten vorgeworfene Verhalten nicht dergestalt beschrieben, dass der konkrete, den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildende Vorgang unverwechselbar feststehe. Vor allem durch das Fehlen des Namens der Patientin lasse sich der Tatvorwurf nicht von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Mitbeteiligten angelastet werden könnten, genügend unterscheiden, bestehe doch die Möglichkeit, dass der Mitbeteiligte das fragliche Medikament auch noch anderen Patientinnen oder Patienten verschrieben habe. Insofern sei der Einleitungsbeschluss seiner Umgrenzungsfunktion nicht gerecht geworden. Bereits dadurch sei eine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Mitbeteiligten möglich gewesen, weshalb schon aus diesen Gründen das dem Einleitungsbeschluss folgende Disziplinarerkenntnis aufzuheben gewesen sei.

10 Das Disziplinarerkenntnis hingegen so begründete das Verwaltungsgericht weiter sei hinsichtlich des Tatorts durch die Feststellung des Orts der Ordinationsstätte des Mitbeteiligten nicht zu unbestimmt; ferner enthalte es in seiner schriftlichen Ausfertigung auch eine Angabe über die Tatzeit. Dennoch liege wegen des fehlenden Namens der konkreten Patientin keine ausreichend konkrete Umschreibung der Tat vor. So könnte der Mitbeteiligte das betreffende Medikament auch noch anderen Patientinnen und Patienten zur Behandlung einer Corona Erkrankung verschrieben haben. Die Umschreibung der Tat im behördlichen Disziplinarerkenntnis individualisiere das inkriminierte Verhalten damit nicht hinreichend und unverwechselbar. Dadurch werde der Mitbeteiligte aufgrund der nicht auszuschließenden Möglichkeit weiterer gleichartiger Handlungen der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt. Eine Ergänzung des Tatvorwurfs mit dem Namen der Patientin durch das Verwaltungsgericht würde eine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs bzw. einen Austausch der Tat bedeuten. Im Übrigen finde sich der Name der konkreten Patientin wegen der von der anzeigenden Apotheke vorgenommenen Schwärzung des Rezepts im gesamten Verwaltungsakt nicht.

11 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die Beurteilung der Tatumschreibung im Disziplinarerkenntnis über den Einzelfall nicht hinausgehe.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinaranwalts wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Mitbeteiligte erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung; die belangte Behörde verzichtete ausdrücklich auf die Erstattung einer solchen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 In der Revision wird zur Zulässigkeit und zur Begründetheit ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses bei der Lösung der Frage der Notwendigkeit der Konkretisierung der Tat im Disziplinarverfahren von näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs geltend gemacht. Im Hinblick darauf erweist sich die Revision als zulässig. Die Revision ist auch begründet:

14Vorweg ist zur Gestaltung des Spruchs des angefochtenen Erkenntnisses abermals darauf hinzuweisen, dass die abändernde Entscheidung eines Verwaltungsgerichts über die Sache des Verwaltungsverfahrens (hier: Entscheidung über die disziplinarrechtlichen Vorwürfe) an die Stelle des Bescheids der belangten Behörde tritt. Einer vorherigen Aufhebung (hier gar: ersatzlosen Behebung) des angefochtenen Bescheids bedarf es dazu nicht (siehe etwa VwGH 5.9.2024, Ra 2024/09/0037, u.a., Rn. 30, mwN).

15 Hingegen muss ein Schuld oder Freispruch immer auf bestimmte „Anschuldigungspunkte“ bezogen sein, sodass diese in den die Disziplinarsache erledigenden Spruch des Disziplinarerkenntnisses aufzunehmen sind (VwGH 4.4.2001, 98/09/0166, zum Landeslehrer Dienstrechtsgesetz 1984, mwN). Entsprechendes gilt für Freioder Schuldsprüche betreffend eines „zur Last gelegten Disziplinarvergehens“ im Sinn des § 161 Abs. 1 ÄrzteG 1998.

16 In der Sache selbst ist das Folgende auszuführen:

17Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits zu einem Einleitungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 ÄrzteG 1998 in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Disziplinarrecht der Beamten festgehalten, dass dieser die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen hat. Die dem Einleitungsbeschluss in einem Disziplinarverfahren zukommende rechtliche Bedeutung ist in erster Linie darin gelegen, dem wegen einer Dienstpflichtverletzung Beschuldigten innerhalb der Verjährungsfrist gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde. Er dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen kann, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluss begrenzt regelmäßig den Umfang des vor der Disziplinarkommission stattfindenden Verfahrens: Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluss in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens ist (vgl. VwGH 30.3.2023, Ra 2021/09/0001, mwN).

18Um dieser Umgrenzungsfunktion gerecht zu werden, muss das dem Disziplinarbeschuldigten als Dienstpflichtverletzung vorgeworfene Verhalten derart beschrieben werden, dass unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang den Gegenstand des Disziplinarverfahrens bildet. Die angelastete Tat muss daher nach Ort, Zeit und Tatumständen so gekennzeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welches dem Disziplinarbeschuldigten zur Last gelegte Verhalten auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses als Prozessgegenstand im anschließenden Disziplinarverfahren behandelt werden darf. Solcherart muss sich daher der Tatvorwurf von anderen gleichartigen Handlungen oder Unterlassungen, die dem Disziplinarbeschuldigten angelastet werden können, genügend unterscheiden lassen (vgl. zum Ganzen auch VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

19Der Spruch des Disziplinarerkenntnisses stellt eine weitere und die letzte im Disziplinarverfahren erfolgende Konkretisierung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe dar (siehe zum ÄrzteG 1998 etwa VwGH 7.9.2023, Ra 2022/09/0034, u.a., mwN).

20Die vom Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Erfordernisse der Bestimmtheit des Strafausspruches zu § 44a Z 1 VStG entwickelte Judikatur gilt somit auch in vergleichbaren Disziplinarverfahren. Der Bestimmung des § 44a Z 1 VStG wird aus Rechtschutzüberlegungen dann entsprochen, wenn dem Beschuldigten im Spruch des Strafbescheids bzw. der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen wird, dass er im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten und eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch geeignet ist, die beschuldigte Person rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Disziplinarerkenntnis sind daher, unter Zugrundelegung der im Anschuldigungspunkt enthaltenen, die Tat bestimmenden Sachverhaltselemente bei einem Schuldspruchim Ergebnis nicht anders als dies § 44a Z 1 VStG für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens anordnetdie vom Beschuldigten begangene Tat bestimmt zu umschreiben (siehe zum Ganzen abermals VwGH 7.9.2023, Ra 2022/09/0034, u.a., mwN).

21 Wie die Tatumschreibung beschaffen sein muss, um den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu genügen, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab.

22Wie der Verwaltungsgerichtshof zur Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat gemäß § 44a Z 1 VStG in ständiger Rechtsprechung erkennt (vgl. etwa VwGH [verstärkter Senat] 27.6.2022, Ra 2021/03/0328), hat eine Ungenauigkeit bei der Konkretisierung der Tat in Ansehung von Tatzeit und Tatort nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zu Disziplinarverfahren dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Strafbescheids, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird. Eine allfällig erforderliche lediglich präzisierende Ergänzung des Tatvorwurfs durch das Verwaltungsgericht würde in diesem Zusammenhang auch keine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs bedeuten (siehe auch dazu VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

23 Ein unzulässiger Austausch des Tatvorwurfs stellt hingegen im Sinn der oben dargestellten Umgrenzungsfunktion des Einleitungsbeschlusseseine im Beschwerdeverfahren durch das Verwaltungsgericht vorgenommene Erweiterung des Tatvorwurfs bzw. die Heranziehung eines anderen als des ursprünglich der Bestrafung zu Grunde gelegten Sachverhalts dar. Ergänzt das Verwaltungsgericht den Tatvorwurf lediglich präzisierend, liegt aber keine unzulässige Erweiterung des Tatvorwurfs bzw. des Tatzeitraums vor (vgl. VwGH 20.1.2021, Ra 2020/09/0055, mwN).

24 Das Verwaltungsgericht begründete den Freispruch zusammengefasst damit, dass es dem Einleitungsbeschluss in seinem Spruch an der Angabe des Tatorts und der Tatzeit mangle und insbesondere sowohl in diesem als auch im Spruch des Disziplinarerkenntnisses der Name der konkreten Patientin, der das in Rede stehende Medikament verschrieben wurde, nicht genannt worden sei.

25 Dazu ist zunächst auszuführen, dass wie das Verwaltungsgericht selbst rechtlich zutreffend festhieltdas Disziplinarerkenntnis nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die letzte im Disziplinarverfahren erfolgende Konkretisierung der gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe darstellt. Ohne Rechtsirrtum ging das Verwaltungsgericht ferner davon aus, dass die mündliche Verkündung und die schriftliche Ausfertigung des Disziplinarerkenntnisses insoweit eine Einheit bilden (vgl. VwGH 12.10.2020, Ro 2020/09/0009).

26 Da nun aber das behördliche Disziplinarerkenntnis hinsichtlich Tatort und Tatzeit ausreichend bestimmt war, damit die Gefahr einer Doppelbestrafung insoweit nicht gegeben war und selbst der Mitbeteiligte nicht geltend machte, durch den insoweit allenfalls zu unbestimmten Einleitungsbeschluss in seinen Verteidigungsrechten eingeschränkt gewesen zu sein, kann damit die Erforderlichkeit eines Freispruchs nicht begründet werden.

27 Es kommt entscheidungswesentlich daher darauf an, ob der Schuldspruch im gegebenen Zusammenhang den Namen der konkreten Patientin, der das Medikament verschrieben wurde, zu enthalten hat.

28Das Verwaltungsgericht stützte seine rechtliche Beurteilung, wonach der Tatvorwurf wegen der fehlenden Nennung des Namens der Patientin zu unbestimmt sei, auf das (bereits genannte) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Mai 2022, Ra 2021/09/0242. Dort sei die Behandlung von Kassenpatienten ganz allgemein verweigert worden, weshalb eine namentliche Nennung von Patienten für nicht erforderlich beurteilt worden sei. Hier werde jedoch vorgeworfen, dass einer bestimmten Patientin das Medikament verschrieben worden sei. Daraus folgerte das Verwaltungsgericht, dass diese durch die Nennung ihres Namens unverwechselbar zu individualisieren gewesen wäre.

29Dieser Umkehrschluss verfängt hier jedoch nicht, verkennt das Verwaltungsgericht damit auch im vorliegenden Fall (insoweit vergleichbar VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242) den gegen den Mitbeteiligten erhobenen Vorwurf:

30 Der gegen den Mitbeteiligten erhobene Vorwurf zielt nicht darauf ab, dass ein für eine bestimmte Patientin individuell unverträgliches Medikament verschrieben wurde. Im vorliegenden Fall lautet der maßgebliche Vorhalt dahin, dass der Mitbeteiligte einer Patientin und damit einem Menschen ein Medikament (nämlich Ivermectin 3mg; 60 Stück) verschrieben habe, obwohl dieses nach dem Austria Codex für den Einsatz in der Humanmedizin in Österreich nicht zugelassen ist. (Dies überdies ohne Anwendungshinweis und zur Behandlung des CoronaVirus, für die es überhaupt nicht zugelassen ist.) Ein solches Verhalten könnte ein Disziplinarvergehen nach § 136 Abs. 1 Z 2 ÄrzteG 1998 verwirklichen, gleich gegenüber welchem vom Mitbeteiligten in ärztliche Beratung oder Behandlung übernommenen Gesunden oder Kranken (siehe § 49 Abs. 1 ÄrzteG 1998) es gesetzt wurde. Auf die individualisierte Person der Patientin im Einzelfall kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sofern nur die Tat an sich festzustellen ist.

31 Im konkreten Fall kann ferner nicht mit Recht angenommen werden, dass die Verteidigungsrechte des Mitbeteiligten durch eine insoweit zu unkonkrete Tatumschreibung eingeschränkt gewesen wären. So hatte dieser offenkundig keine Zweifel, welche Handlung ihm disziplinär zur Last gelegt wird. Er äußerte sich im Disziplinarverfahren zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen inhaltlich. Für ihn war auch nicht unklar, um welche Patientin es sich handelte, schilderte er doch von sich aus deren gesundheitliche und familiäre Situation. Den (aktenkundigen) Umstand der Verordnung dieses Medikaments in der vorgeworfenen Dosierung mit der angegebenen Indikation stellte er auch nicht in Abrede. Sein Vorbringen, dass die Behandlung erfolgreich gewesen sei und keinen Schaden herbeigeführt habe, zeigt vielmehr, dass er niemals im Zweifel darüber war, welche Handlung ihm disziplinär vorgeworfen wurde. Er war daher in der rechtlichen Verteidigung seiner Position nicht beeinträchtigt.

32Auch die im angefochtenen Erkenntnis angesprochene Gefahr einer Doppelbestrafung liegt nicht vor. Die Präzisierung des Tatzeitpunkts auf einen bestimmten Tag schließt bereits aus, dass der Mitbeteiligte wegen eines allfälligen weiteren gleichartigen Verhaltens an diesem Tag nochmals disziplinär verfolgt werden darf (vgl. auch hiezu VwGH 7.9.2023, Ra 2022/09/0034, u.a.; 4.5.2022, Ra 2021/09/0242). Abgesehen davon, dass sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben haben, dass der Mitbeteiligte die vorgeworfene Handlung wiederholt vorgenommen hätte, ist die Individualisierung der Tat durch die Angabe der Tatzeit im Zusammenhalt mit der übrigen Tatumschreibung als ausreichend genau zu qualifizieren, um die Gefahr einer Doppelbestrafung zu vermeiden.

33 Vor diesem Hintergrund hat es das Verwaltungsgericht rechtsirrig unterlassen die erforderlichen Feststellungen zum angelasteten Tatvorwurf zu treffen und diese einer inhaltlichen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen.

34Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

35Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 47 Abs. 4 VwGG, wonach in einemhier gemäß § 141 ÄrzteG 1998 vorliegenden Fall des Art. 133 Abs. 8 BVG der Revisionswerber und der Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz haben (siehe auch VwGH 4.5.2022, Ra 2021/09/0242, mwN).

Wien, am 17. Dezember 2024