Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart Mutzl, Dr. in Sembacher und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27. Februar 2024, 1. VGW 107/092/15972/2023 10, 2. VGW 107/V/092/15973/2023 und 3. VGW 107/V/092/15974/2023, betreffend Kosten einer Ersatzvornahme (mitbeteiligte Parteien: 1. R G, 2. U G und 3. B G, alle vertreten durch Rafael Gilkarov, LL.M., Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 11. Oktober 2010 erteilte der Magistrat der Stadt Wien (der nunmehrige Amtsrevisionswerber) der damaligen Eigentümerin eines Gründerzeitgebäudes in der Schutzzone H in Wien einen auf § 129 Abs. 2, 4 und 10 der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) gestützten baupolizeilichen Auftrag, der die Behebung von Baugebrechen sowie konsens und bauordnungsgemäße Herstellungen vorschriftswidriger Zustände und baulicher Veränderungen zum Inhalt hatte.
2Mit Bescheid vom 10. November 2011 ordnete der Amtsrevisionswerber gemäß § 4 Abs. 1 VVG die zwangsweise Durchführung des behördlichen Auftrags durch Ersatzvornahme an (Vollstreckungsverfügung).
3 Zwischen dem 29. Dezember 2017 und dem 30. Jänner 2019 war beim Amtsrevisionswerber ein Bewilligungsverfahren zum Abbruch des verfahrensgegenständlichen Gebäudes anhängig.
4 Am 11. Mai 2018 beauftragte der Amtsrevisionswerber einen Ziviltechniker zur Erstellung der Arbeitsgrundlagen für die Ersatzvornahme. Dieser erbrachte bis zum 31. Oktober 2018 Leistungen, für die er € 32.339,72 in Rechnung stellte.
5 Am 8. September 2022 stellte der Amtsrevisionswerber das Ersatzvornahmeverfahren wegen des Baufortschritts nach Änderungsgenehmigung ein.
6 Mit Bescheid vom 15. Mai 2023 schrieb der Amtsrevisionswerber den mitbeteiligten Parteien als Eigentümern der Liegenschaft im Zeitraum der Durchführung der Ersatzvornahme gemäß § 11 Abs. 1 und 3 VVG die mit € 32.339,72 bestimmten Kosten für die teilweise Durchführung der mit Vollstreckungsverfügung vom 10. November 2011 angeordneten Ersatzvornahme vor.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde statt und hob den bekämpften Bescheid ersatzlos auf. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für zulässig.
8 Begründend führte es zusammengefasst aus, die Vollstreckung eines Abtragungsauftrags sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unzulässig, wenn ein über Antrag eingeleitetes Baubewilligungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Lege man diese Judikatur auf den vorliegenden Fall um, könne nicht zweifelhaft sein, dass keine Vollstreckungshandlungen hätten gesetzt werden dürfen, solange das Verfahren zur Bewilligung des Abbruchs, welches nicht von vornherein aussichtlos gewesen sei, noch nicht rechtskräftig beendet gewesen sei. Somit sei jede Vollstreckungsmaßnahme unzulässig gewesen und der Kostenersatzbescheid, der akzessorisch zur Vollstreckung sei, ersatzlos zu beheben.
9 Die Revision sei zulässig. Die maßgebliche Rechtsfrage, ob die Anhängigkeit eines Abbruchverfahrens das Setzen von Maßnahmen der Vollstreckung eines Instandsetzungsauftrages hindere, sei in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bislang nicht eindeutig beantwortet worden.
10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit zwar zunächst auf den betreffenden Ausspruch des Verwaltungsgerichts Bezug nimmt, aber darüber hinaus ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend macht. Das Verwaltungsgericht habe Judikatur, die zu „Schwarzbauten“ ergangen sei, herangezogen. Davon sei jedoch der vorliegende Fall von Baugebrechen (Instandsetzungsauftrag) zu unterscheiden. Dies ergebe sich etwa deutlich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 2017, Fe 2016/05/0001.
11 Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, der Revision kostenpflichtig nicht stattzugeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12 Die Revision ist im Sinn der vom Amtsrevisionswerber geltend gemachten Zulässigkeitsbegründung zulässig. Sie ist auch begründet.
13 Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991VVG, BGBl. Nr. 53/1991 idF BGBl. I Nr. 14/2022, lauten:
„ Erzwingung anderer Leistungen und Unterlassungen
a) Ersatzvornahme
§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.
(2) Die Vollstreckungsbehörde kann in einem solchen Fall dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung auftragen. Der Auftrag zur Vorauszahlung ist vollstreckbar.
[...]
Verfahren
§ 10.
(1) Auf das Vollstreckungsverfahren sind, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. Teil, hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61, der 2. und 3. Abschnitt des IV. Teiles und die §§ 80 und 80a des AVG sinngemäß anzuwenden.
(2) Die Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Vollstreckungsverfügung hat keine aufschiebende Wirkung.“
14 Voranzustellen ist, dass das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung die Sachund Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zugrunde zu legen hatte und es sich bei der Anordnung der Ersatzvornahme um eine Vollstreckungsverfügung im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG handelt (vgl. zum unveränderten§ 10 Abs. 2 VVG idF BGBl. I Nr. 33/2013 VwGH 1.2.2022, Ra 2019/05/0116, Rn. 28 und Rn. 30, mit Hinweis u.a. auf VwGH 26.9.2017, Fe 2016/05/0001).
15Während nach der bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 33, geltenden Rechtslage die Gründe für eine Berufung gegen eine Vollstreckungsverfügung auf den Rahmen des § 10 Abs. 2 VVG idF vor Inkrafttreten dieser Novelle (in der Folge: § 10 Abs. 2 VVG aF) beschränkt waren (vgl. etwa VwGH 25.3.2004, 2003/07/0062, mwN), ist im VVG in der vorliegend anzuwendenden, oben angeführten Fassung in Bezug auf Vollstreckungsverfügungen keine Beschränkung der Beschwerdegründe normiert. Soweit sich eine gegen die bescheidmäßige Anordnung der Ersatzvornahme erhobene Beschwerde auf Gründe stützt, die inhaltlich Berufungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG aF darstellen, kann auf die zu dieser Gesetzesbestimmung ergangene hg. Judikatur zurückgegriffen werden. Danach ist die Vollstreckung etwa unzulässig (§ 10 Abs. 2 Z 1 VVG aF), wenn kein entsprechender Titelbescheid vorliegt, wenn ein solcher dem Verpflichteten gegenüber nicht wirksam ist oder wenn der Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist oder doch bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens bereits entsprochen wurde.
Auch eine nach der Erlassung des Titelbescheides eingetretene wesentliche Änderung des Sachverhaltes ist gegebenenfalls geeignet, die Vollstreckung im Sinne des § 10 Abs. 2 Z 1 VVG aF unzulässig zu machen, wobei eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes nur dann vorliegt, wenn bei Vorliegen des neuen Sachverhaltes nicht mehr ein im Spruch gleichlautender Titelbescheid erlassen werden könnte (vgl. zu allem erneut VwGH 1.2.2022, Ra 2019/05/0116, Rn. 31 ff, mwN).
16 Der gegenständlichen Vollstreckungsverfügung liegt ein baupolizeilicher Auftrag zu diversen Baugebrechen und Bauordnungswidrigkeiten zu Grunde; sie bezieht sich nicht auf ein an sich konsenslos errichtetes Bauwerk. Im relevanten Zeitraum der Leistungserbringung im Zuge der Ersatzvornahme des Vollstreckungsverfahrens war ein Abbruchansuchen anhängig; das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass das anhängige Bewilligungsverfahren zum Abbruch jenes Gebäudes, für das rechtskräftige Instandsetzungsaufträge vorlagen, die begonnene Vollstreckung des Titelbescheides unzulässig gemacht habe.
17 Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist die Vollstreckung eines Titelbescheides unter anderem unzulässig, wenn sich nach der Entstehung des Exekutionstitels die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse in einem wesentlichen Punkt geändert haben und damit die objektiven Grenzen der Bescheidwirkungen andere geworden sind, wenn der Bescheid somit (auf Grund einer wesentlichen Änderung der Sach und Rechtslage) nicht mehr in derselben Form ergehen dürfte.
So wird ein Abtragungsauftrag gegenstandslos, wenn die erforderliche Baubewilligung für das ohne Baubewilligung errichtete, abzutragende Gebäude nachträglich rechtskräftig erteilt wird. Um die Vollstreckung eines solchen Auftrages zu hindern, muss die nachträgliche Bewilligung jenes Bauwerk zum Gegenstand haben, dessen Vorschriftswidrigkeit im Titelverfahren festgestellt wurde. Diese Judikatur bezieht sich auf Fälle („Schwarzbauten“), in denen Bauwerke ohne den hiefür erforderlichen baurechtlichen Konsens ausgeführt wurden. In diesen Fällen ist, weil der Abtragungsauftrag mit der Erteilung dieser Baubewilligung wegen der Änderung des Sachverhaltes keine Rechtswirkungen mehr entfaltet, der auf dem Abtragungsbescheid fußende Vollstreckungsbescheid aufgrund eines dagegen erhobenen Rechtsmittels gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu beheben.
Ist der Gegenstand eines baupolizeilichen Auftrages wie im vorliegenden Fall ein Bauwerk, an dem hier im Sinn des § 129 BOBaugebrechen festgestellt wurden, deren Beseitigung angeordnet wurde, stellt eine etwa erteilte Baubewilligung für den Umbau dieses vorschriftswidrigen Bauwerkes keine Änderung des für die Erlassung des baupolizeilichen Auftrages maßgeblichen Sachverhaltes dar. Im Unterschied zu einem errichteten Schwarzbau, der nachträglich bewilligt wird, kommt für ein Gebäude mit festgestellten Baugebrechen die Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung und damit seine nachträgliche Legalisierung in dieser Form nicht in Betracht. Die Behörde kann daher einen solchen Titelbescheid solange vollstrecken, als das Baugebrechen tatsächlich vorliegt (vgl. zu allem VwGH 26.9.2017, Fe 2016/05/0001, Rn. 44 ff zu § 48 Abs. 1 Oö. BO, mwN und Hinweis auf Moritz , BauO Wien 5 , zu § 129 Abs. 4 BO, 355, und die dort angeführte Judikatur).
18 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof konkret zu einem Antrag auf Abbruch bei Vorliegen eines Instandsetzungsauftrags im Erkenntnis vom 28. März 2000, 99/05/0269, zur NÖ Bauordnung 1996 ausgeführt:
„Dass die Baubehörden über den Antrag des Beschwerdeführers auf Genehmigung des Abbruches des vom Instandsetzungsauftrag betroffenen Gebäudes bislang nicht entschieden haben, vermag eine Rechtswidrigkeit des Instandsetzungsauftrages der Baubehörde und somit des angefochtenen Bescheides nicht zu begründen. Selbst eine bereits erteilte Abbruchbewilligung macht einen baupolizeilichen Auftrag nicht unwirksam. Besteht aufgrund des Gesetzes die Verpflichtung, Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen, dann bedeutet die Erwirkung einer Abbruchbewilligung keinesfalls, dass damit ein öffentliches Interesse an der Erhaltung eines Objektes nicht mehr vorliege. Inhaltlich bedeutet eine Abbruchbewilligung aus baurechtlicher Sicht nichts anderes, als dass der Rechtsträger dieser Bewilligung berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, das Gebäude abzutragen. Solange das Gebäude tatsächlich besteht, trifft den Eigentümer desselben auch die Verpflichtung, die nach dem Gesetz erforderlichen Instandsetzungsmaßnahmen durchzuführen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 14. April 1987, Zl. 86/05/0136, BauSlg. Nr. 902, sowie das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1976, Slg. Nr. 9.063/A).
[...]
Die Vollstreckung eines Instandsetzungsauftrages ist nach § 10 Abs. 2 Z 1 VVG dann unzulässig, wenn durch die Beseitigung des Gebäudes infolge einer zulässigen Abtragung ein neuer Sachverhalt geschaffen wurde [...].“
19Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Vergangenheit auch bereits ausdrücklich zur Bauordnung für Wien ausgesprochen, dass die Rechtsprechung, nach der die Vollstreckbarkeit eines Abbruchbescheides bei Einbringung eines entsprechenden Antrages auf Baubewilligung aufgeschoben werde, nicht ohne Weiteres auf den Instandsetzungsauftrag angewendet werden kann (vgl. VwGH 22.9.1992, 89/05/0236; zur Anwendbarkeit der zu § 10 Abs. 2 VVG aF ergangenen Judikatur s. oben).
20 Diese einschlägige Rechtsprechung wurde vom Verwaltungsgericht nur im Rahmen der Ausführungen zur Zulässigkeit der Revision erwähnt; sie wurde jedoch bei der inhaltlichen Entscheidung über die Beschwerde nicht ausreichend beachtet.
21 Das Verwaltungsgericht stützt seine Entscheidung primär auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, nach der die Vollstreckung eines Abtragungsauftrages unzulässig ist, wenn ein über Antrag eingeleitetes Baubewilligungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurde (VwGH 28.3.2000, 99/05/0254; 15.10.1987, 87/06/0053). Zutreffend zeigt die Amtsrevision auf, dass die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Fälle betrifft, in denen Bauwerke ohne den erforderlichen baurechtlichen Konsens bzw. abweichend von diesem ausgeführt wurden („Schwarzbauten“). Im Sinn der obigen Ausführungen ist die vom Verwaltungsgericht ins Treffen geführte Rechtsprechung somit nicht einschlägig.
22 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist auch das von ihm ebenfalls herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 1993, 93/05/0165, für die Lösung der vorliegenden Rechtsfrage nicht maßgeblich (ebensowenig jenes vom 24. Mai 1976, 0797/74). Es hat die Frage der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit bei Instandsetzungsaufträgen betreffend Gebäude außerhalb einer Schutzzone zum Inhalt.
23 Daraus folgt: Liegt einem Verwaltungsvollstreckungsverfahren ein Auftrag zur Beseitigung von Baugebrechen bzw. Konsenswidrigkeiten zu Grunde, ist dessen Vollstreckung auch während der Anhängigkeit eines Abbruchansuchens zulässig, weil die Bewilligung des Ansuchens den bauordnungswidrigen Zustand (anders als bei Schwarzbauten) nicht ohne weiteres Zutun beseitigen würde. Ein Verfahren zur Bewilligung eines Abbruchantrags, das nach Erlassung eines solchen Titelbescheides anhängig wird, bewirkt keine wesentliche Änderung der Sach und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren und somit keine Unzulässigkeit der Vollstreckung des Titelbescheides.
24 Da das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
25Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 27. August 2025