Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, den Hofrat Mag. Straßegger und die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan gegen das am 15. Oktober 2024 mündlich verkündete und am 18. Oktober 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten, KLVwG 915/5/2024, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: B in V, vertreten durch die Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1230 Wien, Dr. Neumann Gasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis revisionswerbenden Behörde vom 17. April 2024 wurde dem Mitbeteiligten vorgeworfen, er habe als Lenker eines näher bezeichneten KFZ zur Tatzeit am Tatort die auf Freilandstraßen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 59 km/h überschritten, wobei die Messtoleranz bereits zu seinen Gunsten abgezogen worden sei. Wegen der Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO wurden über ihn gemäß § 99 Abs. 2e StVO eine Geldstrafe von € 900, sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgeschrieben.
2Das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) gab der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein. Weiters sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. Das Erkenntnis wurde in der mündlichen Verhandlung am 15. Oktober 2024 verkündet und über rechtzeitigen Antrag der revisionswerbenden Behörde schriftlich ausgefertigt.
3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Mitbeteiligte am Tatort zur Tatzeit das näher konkretisierte Kraftfahrzeug gelenkt habe. Der Polizeibeamte T. habe zum angelasteten Tatzeitpunkt am angelasteten Tatort Geschwindigkeitsmessungen mit dem gültig geeichten Geschwindigkeitsmessgerät der Marke TruSpeed LTI 20.20 durchgeführt, worauf er geschult sei. Dabei habe der Beamte entsprechend den Bedienungsvorschriften für dieses Geschwindigkeitsmessgerät vor Beginn der Messung eine Kalibrierungsmessung (sogenannte Nullmessung) durchgeführt, bei der kein Fehler aufgetreten sei. Im Weiteren habe der Beamte die Geschwindigkeit des vom Mitbeteiligten gelenkten Kraftfahrzeuges gemessen. Dabei habe er die Stoßstange oder Windschutzscheibe des Kraftfahrzeuges anvisiert. Das zur Durchführung der Geschwindigkeitsmessung herangezogene Geschwindigkeitsmessgerät der Marke TruSpeed LTI sei ein zur Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen geeignetes Geschwindigkeitsmessgerät. Es könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Anvisierfehler (mögliches Anvisieren der Windschutzscheibe) gekommen sei, weshalb die gemessene Geschwindigkeit von 159 km/h nach Abzug der Messtoleranz nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne.
4 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus dem Verwaltungsakt der revisionswerbenden Behörde sowie aus dem Ergebnis des abgeführten Beweisverfahrens in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Der Mitbeteiligte verantworte sich damit, die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nicht überschritten und den Tempomaten auf 100 km/h eingestellt gehabt zu haben. Der Zeuge habe zwar ausschließen können, dass er ein anderes Fahrzeug als jenes des Mitbeteiligten gemessen habe, hinsichtlich des Messvorgangs habe er jedoch angegeben, entweder die Stoßstange oder die Windschutzscheibe des vom Mitbeteiligten gelenkten Kraftfahrzeuges anvisiert zu haben. Da nicht ausgeschlossen sei, dass der die Messung durchführende Beamte die Windschutzscheibe des Fahrzeuges des Mitbeteiligten anvisiert habe, könne ein Anvisierfehler und daraus resultierend ein falsches Messergebnis nicht ausgeschlossen werden. Die Feststellung, dass das Geschwindigkeitsmessgerät der Marke TruSpeed LTI 20.20 ein geeignetes Messgerät zur Durchführung von Geschwindigkeitsmessungen sei, habe der Mitbeteiligte auch durch Vorlage einer Presseaussendung nicht in Zweifel ziehen können. Es liege eine gültige Eichung des verwendeten Gerätes durch das Bundesamt für Eich und Vermessungswesen vor.
5 Nach Darstellung der Rechtslage führte das Verwaltungsgericht rechtlich aus, entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stelle ein Laser-Geschwindigkeitsmessgerät der Bauart TruSpeed LTI 20.20 grundsätzlich ein taugliches Mittel zur Feststellung der Geschwindigkeit eines Fahrzeuges dar. Jedoch liege ein einwandfreies Anvisieren eines Fahrzeuges nur dann vor, wenn auf dessen Front- bzw. Heckpartie, keinesfalls aber auf Fensterflächen gezielt werde (Hinweis auf Pürstl, StVO ON16, § 20 Rz E 210, Stand 15.09.2023, rdb.at und die dort zitierte Judikatur des VwGH). Es könne ein Anvisierfehler daher nicht ausgeschlossen werden, wodurch auch ein Messfehler im Hinblick auf die gemessene Geschwindigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Aus diesem Grund sei mangels Möglichkeit, mit der im Verwaltungsstrafverfahren gebotenen Sicherheit festzustellen, dass der Mitbeteiligte die ihm angelastete Verwaltungsübertretung zu verantworten habe, der Beschwerde Folge zu geben und das gegen den Mitbeteiligten geführte Verwaltungsstrafverfahren nach dem Grundsatz in dubio pro reo einzustellen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der revisionswerbenden Behörde.
7 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück , in eventu die Abweisung der Revision. Mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Behörde werde keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt; das Verwaltungsgericht habe erkannt, dass die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Kriterien für eine korrekte Durchführung der Geschwindigkeitsmessung mit Laser Geschwindigkeitsmessgeräten auch für den vorliegenden Fall gelten. In Deutschland seien diese Geräte „aus dem Verkehr gezogen“ worden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
9Gemäß der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gelten im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteivorbringen und anträgender wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist (vgl. VwGH 25.5.2021, Ra 2021/02/0055, mwN).
10 Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeutet dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirklicht das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit, welches es verbietet, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zugrunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne sind alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können; die Sachverhaltsermittlungen sind ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen. Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das Verwaltungsgericht nicht seiner aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst soweit das möglich istfür die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl. VwGH 27.3.2024, Ra 2024/02/0007, mwN).
11Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. VwGH 25.3.2020, Ra 2020/02/0033, mwN).
12Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. VwGH 24.3.2022, Ra 2021/02/0242, mwN).
13 Im vorliegenden Verfahren führt das Verwaltungsgericht in der Begründung seines Erkenntnisses aus, es könne nicht ausschließen, dass es bei der zu beurteilenden Geschwindigkeitsmessung zu einem Anvisierfehler gekommen sei und daher ein Messfehler vorliege. Woraus das Verwaltungsgericht diese Schlussfolgerung zieht, ist jedoch nicht nachvollziehbar begründet: Das Geschwindigkeitsmessgerät hat nach den Feststellungen keine Fehlermeldung, sondern einen gemessenen Wert angezeigt. Darüber hinaus betrifft die vom Verwaltungsgericht zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein in den 1990er Jahren verwendetes Geschwindigkeitsmessgerät der Bauart LTI 20.20 TS/KM, für die in der Zulassung des Bundesamts für Eich und Vermessungswesen vom 16. März 1992 ausdrücklich vorgesehen war, dass beim Anvisieren eines Fahrzeuges auf dessen Front bzw. Heckpartie, keinesfalls aber auf Fensterflächen zu zielen sei (vgl. VwGH 16.4.1997, 96/03/0306). Nur auf dieses Gerät bezieht sich auch Pürstl in der vom Verwaltungsgericht zitierten Stelle seines Kommentars zur StVO16, § 20 E 210. Gegenständlich wurde nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts aber ein anderes Geschwindigkeitsmessgerät der Bauart TruSpeed LTI 20.20 eingesetzt. Weitere Ermittlungen und darauf anschließend aufbauende Feststellungen zu den Anwendungsbedingungen dieses Messgerätes, insbesondere, ob das Messgerät bei Anvisieren einer Fensterfläche überhaupt einen Messwert angezeigt hätte, hat das Verwaltungsgericht jedoch unterlassen. Die Revision bringt vor, dass sich in der Zulassung für dieses Gerät vom 27. Mai 2009 keine Einschränkung dahingehend findet, es dürfe beim Anvisieren nicht auf eine Fensterfläche gezielt werden. Auch in der Betriebsanleitung des Gerätes werde mit keinem Wort erwähnt, dass ein Anvisieren gegen die Windschutzscheibe fehlerbehaftet sei. Damit zeigt die Revision hinreichend auf, dass die dargestellten Ermittlungs und Begründungsmängel des Verwaltungsgerichts relevant sein können.
14Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit; es war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 27. Jänner 2025