Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das am 12. Dezember 2023 mündlich verkündete und am 26. Februar 2024 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 102/076/8187/202315, betreffend Maßnahmenbeschwerde nach dem SPG (mitbeteiligte Partei: J K S in L, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I.a. des angefochtenen Erkenntnisses richtet.
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt I.b. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes und in seinem Spruchpunkt II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde aufgrund einer Maßnahmenbeschwerde der Mitbeteiligten die am 11. Mai 2023 im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände (PAZ) erfolgte Durchsetzung der Personendurchsuchung der Mitbeteiligten in Form des Abtastens ihres Intimbereichs („durch ihre Unterhose“) für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.a.). Weiters wurde das ebenso am 11. Mai 2023 im PAZ erfolgte Öffnen der Türe zu dem Raum, in dem sich die Mitbeteiligte (nach Abschluss des Abtastens) gerade ankleidete, wodurch andere Personen die Möglichkeit gehabt hätten, sie in nicht vollständig bekleidetem Zustand zu sehen, für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt I.b.). Unter einem wurde der Bund zum Aufwandersatz verpflichtet (Spruchpunkt II.) sowie eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig erklärt (Spruchpunkt III.).
2 Die vorliegende Amtsrevision richtet sich gegen das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien (Verwaltungsgericht).
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zur durchgeführten Personendurchsuchung aus, die Mitbeteiligte sei im Zuge einer Versammlung wegen Nichtverlassens der aufgelösten Versammlunggemäß § 35 Z 3 VStG iVm § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) festgenommen und in das PAZ verbracht worden. Dort sei sie von Frau Inspektor H (im Folgenden: Beamtin) visitiert und dabei aufgefordert worden, (nach erfolgtem Ablegen ihrer übrigen Kleidung) auch ihre Unterhose auszuziehen. Dieser Aufforderung sei die Mitbeteiligte nicht nachgekommen, weshalb sie von der Beamtin „durch die Unterhose“ abgetastet worden sei. Dies sei nach Angaben der Beamtin erforderlich gewesen, weil die Mitbeteiligte gefährliche Gegenstände, wie etwa eine „Rasierklinge“, bei sich hätte haben können. Konkrete Anhaltspunkte dafür so das Verwaltungsgericht weiter , dass die Mitbeteiligte sicherheitsgefährdende oder fluchtbegünstigende Gegenstände am Körper befestigt habe, seien nicht festgestellt worden.
4 Weiters führte das Verwaltungsgericht begründend aus, dass die Beamtin der Mitbeteiligten mitgeteilt hätte, sich wieder anziehen zu dürfen, nachdem sie das Abtasten beendet hatte. Unmittelbar nach dieser Aufforderung habe die Beamtin die Türe des Visitierraumes geöffnet, den Raum verlassen und die Türe „komplett geöffnet“ hinterlassen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Mitbeteiligte noch nicht wieder angezogen gewesen, sodass Personen die Möglichkeit gehabt hätten, die nicht vollständig bekleidete Mitbeteiligte zu sehen, bis sie sich in eine nicht einsichtige Ecke des Raumes zurückzog, wodurch sie sich sehr gedemütigt gefühlt hätte. Die Beamtin habe in dieser Situation „kein positives Tun“ gesetzt, um die Intimsphäre der Mitbeteiligten zu schützen.
5 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht betreffend die Personendurchsuchung aus, der gegenständlich erteilte Befehl respektive der ausgeübte Zwang erforderten eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im vorliegenden Fall sei die Intensität der (auf der Grundlage des § 40 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz erfolgten) Durchsuchung der Mitbeteiligten mit näherer Begründung über den Zweck der Personendurchsuchung hinausgegangen.
6Das Offenhalten des Visitierraums behandelte das Verwaltungsgericht als mit Maßnahmenbeschwerde selbständig anfechtbares „Fehlverhalten“, weil dieses „zwar im Zuge der Personendurchsuchung bzw. unmittelbar anschließend“ erfolgt sei, aber weder „rechtlich noch tatsächlich damit verbunden“ gewesen sei, weil sich nicht sagen lasse, dass dieses Verhalten zur faktischen Umsetzung bzw. Effektuierung der Personendurchsuchung gedient habe (Hinweis auf VwGH 29.6.2006, 2005/01/0032). Im Hinterlassen der Türe des Visitierraums in vollständig geöffnetem Zustand erblickte das Verwaltungsgericht eine Verletzung des der Mitbeteiligten nach Art. 8 EMRK zukommenden Rechts auf Achtung des Privatlebens, weil dadurch anderen Personen die Möglichkeit eröffnet worden sei, sie in nicht vollständig bekleidetem Zustand zu sehen, wodurch unzulässig in ihre Intimsphäre eingegriffen worden sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Revision beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Liegen wie im angefochtenen Erkenntnis, worin das Verwaltungsgericht neben der Durchsuchung der Mitbeteiligten auch das Öffnen und Offenlassen der Türe zum Visitierraum für rechtswidrig erklärttrennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu prüfen (vgl. etwa VwGH 19.9.2024, Ra 2024/01/0222, mwN).
Zur teilweisen Zurückweisung:
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12Der vorliegende Revisionsfall gleicht, soweit sich die Revision gegen Spruchpunkt I.a. des angefochtenen Erkenntnisses wendet, in seinen entscheidungswesentlichen Punkten der mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 2024, Ra 2023/01/0304, entschiedenen Rechtssache. Aus den dort in Rn. 6 bis Rn. 24 genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 iVm Abs. 9 VwGG verwiesen wird, werden auch in der gegenständlichen Amtsrevision keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
13 Insbesondere hat das Verwaltungsgericht auch im vorliegenden Revisionsfall im Ergebnis die Intensität der Durchsuchung der Mitbeteiligten nicht für notwendig erachtet; es hat das angeordnete vollständige Entkleiden (bzw. das Abtasten des Intimbereichs der Mitbeteiligten „durch die Unterhose“) vor dem Hintergrund der von der einschreitenden Beamtin befürchteten Sicherheitsgefährdung bzw. des individuellen Gefährdungspotenzials im konkreten Fall als unverhältnismäßig angesehen. Dabei handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, die nicht als unvertretbar zu erkennen ist.
14Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I.a. des angefochtenen Erkenntnisses richtet.
Zur teilweisen Aufhebung:
15 Hinsichtlich Spruchpunkt I.b., womit das Verwaltungsgericht das Öffnen der Türe zu dem Visitierraum, in dem sich die Mitbeteiligte noch nicht wieder vollständig angekleidet hatte, für rechtswidrig erklärte, sowie hinsichtlich Spruchpunkt II. über den durch den Bund zu leistenden Kostenersatz begründet die Amtsrevision ihre Zulässigkeit mit einer Abweichung des Verwaltungsgerichts von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, unter welchen Voraussetzungen selbständig anfechtbare Maßnahmen vorliegen. Demnach hätte das Verwaltungsgericht das Öffnen der Türe des Visitierraums nicht als selbständig bekämpfbare Maßnahme qualifizieren dürfen.
16 Die Revision ist in diesem Punkt zulässig und berechtigt.
17 Zunächst ist auf folgende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen: Eine Beschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt kann sich nicht (nur) gegen die Maßnahme als solche, sondern auch gegen deren Modalitäten richten. Wird durch das Gesetz bezüglich der Ausübung von Befugnissen eine besondere Anordnung getroffen und wird dieser Anordnung nicht entsprochen, so wird die Befugnisausübung selbst weil nicht in der gebotenen Art vorgenommenrechtswidrig. Mithin handelt es sich bei einem solchen Thema um eine bloße Modalität der zu Grunde liegenden „Maßnahme“, weshalb dieser Punkt im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme (so sich diese nicht schon aus anderen Gründen als rechtswidrig erweist) zu beurteilen ist (vgl. zu allem VwGH 10.11.2021, Ra 2021/01/0211, mwN; vgl. zur Modalität einer Maßnahme auch VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0214, Rn. 23, mwN).
18Bei der Ermittlung der Anzahl der Verwaltungsakte kann nicht allein darauf abgestellt werden, wie die zu Grunde liegende Beschwerde strukturiert ist und wie viele Einzelakte sie im Rahmen des bekämpften Amtshandelns zu erkennen vermeint. Wesentlich sind vielmehr die behördlichen Feststellungen über das angefochtene Verwaltungsgeschehen, anhand derer zu beurteilen ist, wie viele sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbare Akte, die einer isolierten Betrachtung zugänglich sind, vorliegen, wobei für diese Beurteilung auch der jeweils verfolgte Zweck der Amtshandlung(en) und die in Frage kommenden Rechtsverletzungen eine Rolle spielen (vgl. etwa VwGH 29.3.2023, Ra 2022/01/0002, mwN).
19 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts erfolgte das inkrimierte Öffnen und Offenlassen der Türe des Visitierraums sofort nach dem durch dieselbe Beamtin durchgeführten eigentlichen Untersuchungsvorgang; dies ereignete sich also im Zuge der Beendigung der Personendurchsuchung. Folglich waren diese Handlungen derselben Beamtin eine Modalität der Maßnahme „Personendurchsuchung“ (welche das Verwaltungsgericht schon aus anderen Gründen für rechtswidrig erklärte) und nicht selbständig als Maßnahme anfechtbar. Soweit das Verwaltungsgericht für seine Ansicht auf das Erkenntnis VwGH 29.6.2006, 2005/01/0032, verweist, ist dieses auf die fallbezogen vorliegende Konstellation nicht übertragbar, weil der Verwaltungsgerichtshof darin rassistische Beschimpfungen gerade deswegen als selbständig anfechtbar qualifiziert, weil sie mit der dort ebenso fallgegenständlichen Festnahme „weder rechtlich noch tatsächlich“ verbunden gewesen seien.
20 Aus diesen Erwägungen ist das Verwaltungsgericht in Bezug auf das Öffnung und Offenlassen der Türe zu Unrecht von einer einer (weiteren) Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 BVG iVm § 88 Abs. 1 SPG zugänglichen Maßnahme ausgegangen und hat dadurch sein Erkenntnis insoweit (betreffend Spruchpunkt I.b.) mit Rechtswidrigkeit infolge seiner Unzuständigkeit belastet.
21 Diese Rechtswidrigkeit schlägt auf den (auf Spruchpunkt I.b. aufbauenden) Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses über den Kostenersatz, dessen Bemessung das Verwaltungsgericht ebenso die erfolgreiche Anfechtung zweier Maßnahmen zugrunde legt, durch, sodass das Erkenntnis insoweit mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet ist.
22Das angefochtene Erkenntnis war daher in seinem Spruchpunkt I.b. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG und in seinem Spruchpunkt II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 5. November 2024