Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Rieder, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. September 2023, Zl. VGW 102/067/4439/2023 23, betreffend Maßnahmenbeschwerde nach dem SPG (mitbeteiligte Partei: V B, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Bruno Marek Allee 5/8), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde aufgrund einer Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten die am 20. Februar 2023 im Polizeianhaltezentrum R (PAZ) erfolgte Durchsuchung des unbekleideten Körpers des Mitbeteiligten für rechtswidrig erklärt (1.), der Bund zum Aufwandersatz verpflichtet (2.) sowie eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG für unzulässig erklärt (3.).
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) aus, der Mitbeteiligte sei nach Auflösung einer Versammlung (Straßenblockade durch „Klimakleber“), an der er teilgenommen habe, wegen Verharrens in einer Verwaltungsübertretung (Nichtverlassen der aufgelösten Versammlung nach § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953) gemäß § 35 Z 3 VStG zwecks Vorführung vor die Behörde festgenommen und ins PAZ verbracht worden. Dort sei er von Gruppeninspektor T (im Folgenden: Beamter) visitiert worden. Der Mitbeteiligte sei dabei aufgefordert worden, seine Unterhose bis zu den Knien herunter zu ziehen. Dies sei nach Angaben des Beamten erfolgt, um Nachschau nach verborgenen Gegenständen zu halten, weil beim Mitbeteiligten ein „Superkleber in der Unterwäsche hätte sein können“ und es nicht erwünscht sei, dass sich jemand im PAZ ankleben könnte. Konkrete Anhaltspunkte dafür so das Verwaltungsgericht weiter , dass der Mitbeteiligte sicherheitsgefährdende oder fluchtbegünstigende Gegenstände am Körper befestigt habe, seien dem Beamten nicht vorgelegen.
3 Der Mitbeteiligte habe nach längerer Diskussion schließlich seine Unterhose bis zu den Knien heruntergezogen, weil er angenommen habe, dass dies allenfalls auch mit Gewalt geschehe. Der Beamte sei ca. ein bis zwei Sekunden frontal vor dem Mitbeteiligten gestanden, dessen Intimbereich einsichtig gewesen sei. Gegenstände seien beim Mitbeteiligten nicht gefunden worden.
4 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - soweit im Revisionsfall von Bedeutung - aus, grundsätzlich hätten sich Durchsuchungen nach § 40 Abs. 1 iVm 4 SPG auf die Durchsuchung der Kleidung und eine Besichtigung des Körpers zu beschränken. Die Durchsuchung von Menschen sei nicht Selbstzweck. Liege ein entsprechendes Gefährdungspotenzial bei der festgenommenen Person vor, könne das auch ein vollständiges Entkleiden rechtfertigen. Mit abnehmendem Gefährdungspotenzial werde jedoch eine mit der Personendurchsuchung einhergehende Entkleidung unverhältnismäßig. Ein auf vollständiges Entkleiden gerichtetes Verlangen erfordere demnach eine konkrete Gefährlichkeitsprognose im jeweiligen Einzelfall bzw. eine einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung der Erforderlichkeit des erteilten Befehls. Dies sei im vorliegenden Fall aber nicht hervorgekommen, zumal der Beamte keine den Mitbeteiligten betreffende konkrete Gefährdungsprognose vorgenommen habe. Mit der allgemein gehaltenen Vermutung, der Mitbeteiligte könnte „Superkleber“ in der Unterwäsche haben (und deshalb ein „Ankleben im PAZ“ befürchtet werde), werde eine Sicherheitsgefährdung nicht konkret aufgezeigt. Eine Sicherheitsgefährdung durch Klebstoff könne nicht generell vermutet werden; eine konkrete Sicherheitsgefährdung durch „Superkleber“ sei im vorliegenden Fall letztlich auch nicht hervorgekommen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung, in der er die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Revision beantragte.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Amtsrevision bringt zur Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei, indem es für die Durchsuchung in Form einer vollständigen Entkleidung eine konkrete Gefährdungsprognose verlangt habe, von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen; das Vorliegen „bestimmter Tatsachen“ sei nur im Anwendungsbereich des § 40 Abs. 2 SPG erforderlich.Zudem wäre der der Durchsuchung ebenfalls beigezogene Vorgesetzte des Beamten einzuvernehmen gewesen.
10 Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulässigkeit der Revision.
11 Gemäß § 40 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, Menschen, die festgenommen worden sind, zu durchsuchen, um sicherzustellen, dass diese während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die anderer gefährden und nicht flüchten.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außerdem ermächtigt, Menschen zu durchsuchen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, diese stünden mit einem gegen Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum gerichteten gefährlichen Angriff in Zusammenhang und hätten einen Gegenstand bei sich, von dem Gefahr ausgeht.
Gemäß Abs. 4 leg. cit. haben sich die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Durchsuchungen gemäß Abs. 1 und 2 auf eine Durchsuchung der Kleidung und eine Besichtigung des Körpers zu beschränken, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, der Betroffene habe einen Gegenstand in seinem Körper versteckt; in solchen Fällen ist mit der Durchsuchung ein Arzt zu betrauen.
12 § 40 SPG ermächtigt die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (§ 5 SPG) zur Personendurchsuchung im Dienste der allgemeinen Sicherheitspolizei. Die Durchsuchung nach § 40 SPG stellt einen Verwaltungsakt dar, der in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gesetzt wird. Eine Personendurchsuchung greift in der Regel in die Grundrechte nach Art. 3 und 8 EMRK ein.
Die „Durchsuchung von Menschen“ nach § 40 Abs. 1 SPG ist nicht Selbstzweck. Sie ist final darauf gerichtet, sicherzustellen, dass die untersuchte Person während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die anderer Personen gefährdet bzw. dass sie nicht flüchtet.
Nach der (jüngeren) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Durchsuchungsbefugnis (festgenommener Personen) nach § 40 Abs. 1 SPG anders als die nicht auf festgenommene Personen beschränkte Regelung nach Abs. 2 nicht das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraus, aufgrund derer zu vermuten sei, der in einem Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff stehende Betreffende hätte „einen Gegenstand bei sich, von dem Gefahr ausgeht“. Sie ist vielmehr in jedem Fall einer Festnahme zulässig, allerdings ausschließlich zu dem Zweck sicherzustellen, dass die festgenommene Person während ihrer Anhaltung weder ihre eigene körperliche Sicherheit noch die von anderen gefährdet und dass sie nicht flüchten kann. An diesem Zweck ist die Intensität der Durchsuchung zu messen, was unter Umständen wenn etwa zu vermuten wäre, die zu durchsuchende Person habe unmittelbar an ihrem Körper sicherheitsgefährdende oder fluchtbegünstigende Gegenstände befestigt auch ein völliges Entkleiden der festgenommenen Person rechtfertigen kann (vgl. zum Ganzen VwGH 14.12.2022, Ra 2021/01/0410, mwH auf Vorjudikatur und Literatur).
13 § 40 Abs. 4 SPG unterscheidet für die Personendurchsuchung zwischen der Durchsuchung der Kleidung und der Besichtigung des Körpers von Menschen und darüber hinaus der Durchsuchung des Inneren dieses Körpers; vgl. VwGH 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, mwN). Grundsätzlich haben sich gemäß § 40 Abs. 4 erster Halbsatz SPG außer bei Vorliegen der in Abs. 4 zweiter Halbsatz genannten Voraussetzungen - Durchsuchungen nach § 40 SPG auf die Durchsuchung der Kleidung und eine Besichtigung des Körpers zu beschränken (vgl. VwGH 30.3.2017, Ra 2015/03/0076).
14 Für die Qualifizierung einer Handlung als Durchsuchung des Körpers ist eine körperliche Berührung (etwa durch „Abtasten“) nicht unbedingt erforderlich. Auch die nicht mit körperlicher Berührung verbundene Inaugenscheinnahme des bloßen, unbekleideten Körpers eines Menschen kann eine Personendurchsuchung sein, insbesondere dann, wenn bestimmte Mitwirkungshandlungen des Betroffenen verlangt werden (vgl. VwGH 7.10.2003, 2001/01/0311; 5.12.2017, Ra 2017/01/0373, Rn. 30, mwN; vgl. auch Huber Lintner in Thanner/Vogl [Hrsg], SPG Sicherheitspolizeigesetz 2 [2013] 357).
15 Prüft man die notwendige Intensität der Personendurchsuchung, so ist eine ex ante Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten geboten. In welcher Intensität eine Personendurchsuchung nach § 40 SPG notwendig ist, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. So sind Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 29 SPG gehalten, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Gemäß § 29 Abs. 1 SPG darf ein erforderlicher Eingriff in Rechte von Menschen nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlass und zum angestrebten Erfolg wahrt (vgl. abermals VwGH Ra 2017/01/0373, mwN).
16 Ob eine mit einer Personendurchsuchung einhergehende Entkleidung geboten ist oder nicht, ist in jedem Einzelfall zu prüfen, wobei mit abnehmendem Gefährdungspotenzial eine derartige Maßnahme unverhältnismäßig (§ 29 SPG) wird (vgl. VwGH 29.7.1998, 97/01/0102 0103).
17 Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag die Amtsrevision eine vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage nicht aufzuzeigen:
18 Zwar trifft es - wie von der Amtsrevision vorgebracht - zu, dass die Durchsuchungsbefugnis nach § 40 Abs. 1 SPG - anders als jene nach Abs. 2 leg. cit. (vgl. auch dazu VwGH Ra 2017/01/0373, Rn. 33) - nicht das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraussetzt, aufgrund derer zu vermuten ist, dass die Person mit einem gefährlichen Angriff in Zusammenhang steht und einen Gegenstand bei sich hat, von dem Gefahr ausgeht.
19 Das war im vorliegenden Fall aber nicht dafür ausschlaggebend, dass das Verwaltungsgericht die auf der Grundlage des § 40 Abs. 1 SPG erfolgte Durchsuchung des Mitbeteiligten für rechtswidrig erklärte (dass die Durchsuchung auf Abs. 2 leg. cit. gestützt worden wäre, ist nicht ersichtlich und wird von der Amtsrevision auch nicht behauptet).
20 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt vielmehr die Auffassung zu Grunde, dass mit der Vermutung (aus dem Blickwinkel des einschreitenden Beamten), der Mitbeteiligte könnte „Superkleber“ in der Unterwäsche haben, weshalb ein „Ankleben im PAZ“ befürchtet werde, ein das vollständige Entkleiden rechtfertigendes Gefährdungspotenzial des Mitbeteiligen nicht dargelegt worden sei.
21 Das Verwaltungsgericht hat fallbezogen - im Ergebnis - die Intensität der Dursuchung des Mitbeteiligten nicht für notwendig erachtet bzw. das angeordnete vollständige Entkleiden vor dem Hintergrund der vom einschreitenden Beamten befürchteten „Sicherheitsgefährdung“ bzw. des individuellen Gefährdungspotenzials im konkreten Fall als unverhältnismäßig angesehen.
22 Dabei handelt es sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung (vgl. oben Rn. 16), die im Revisionsfall - insbesondere vor dem Hintergrund, dass als potenzielle Sicherheitsgefährdung im Falle einer möglichen Verwendung von „Superkleber“ lediglich ein (bloß als „nicht erwünscht“ angesehenes) Festkleben des Mitbeteiligten im PAZ ins Treffen geführt wurde - nicht als unvertretbar zu erkennen ist.
23 Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt aber nur, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. für viele VwGH 25.6.2024, Ra 2024/01/0071, mwN).
24 Im vorliegenden Fall ist das Verwaltungsgericht von den erwähnten Leitlininen des Verwaltungsgerichtshofes zum Erfordernis der Verhältnismäßigkeit einer das vollständige Entkleiden umfassenden Personendurchsuchung nicht abgewichen; es hat seinen Anwendungsspielraum nicht überschritten.
25 Soweit die Revision weiters die unterbliebene Einvernahme des Vorgesetzten des einschreitenden Beamten moniert, wird im Zulässigkeitsvorbringen die Relevanz dieses Verfahrensmangels - weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Amtsrevisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können - nicht dargelegt (vgl. für viele VwGH 25.6.2024, Ra 2024/01/0213, mwN).
26 In der Amtsrevision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.
27 Die Amtsrevision war daher gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. September 2024