JudikaturVwGH

Ra 2024/01/0222 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. September 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Rieder, über die Revision der M S, vertreten durch Mag. Jürgen Greilberger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 27/IV, gegen das am 12. Februar 2024 mündlich verkündete und mit diesem Datum schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 001/048/9321/2023 28, betreffend Übertretungen des Versammlungsgesetzes 1953 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruches über den der Revisionswerberin zu Spruchpunkt 1. des vor dem Verwaltungsgericht Wien bekämpften Straferkenntnisses zur Last gelegten Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 sowie der damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Aussprüche über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens sowie über die unterbleibende Anrechnung der Vorhaft wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

1 Mit Straferkenntnis vom 5. Juni 2023 legte die belangte Behörde der Revisionswerberin zur Last, sie habe es am 15. Mai 2023, um 8.20 Uhr, in 1020 Wien, Lassallestraße 42, Reichsbrücke, unterlassen 1. „als Veranstalter der öffentlich zugänglichen Versammlung zum Thema ‚Klimaaktionismus‘, welche am 15.05.2023 von 08:01 Uhr bis 08:16 Uhr in 1020 Wien, Lassalleestraße 42/Reichsbrücke (auf der Fahrbahn) veranstaltet wurde, ... diese Veranstaltung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen“, und 2. „als Teilnehmer [der genannten Versammlung] ... diese Versammlung sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen, nachdem diese Versammlung vom Behördenvertreter um 08:16 Uhr (stadteinwärts) und 08:17 Uhr (stadtauswärts) für aufgelöst erklärt worden war, da Sie bis zumindest 08:25 Uhr am Versammlungsort verblieben sind“.

2 Über die Revisionswerberin wurde zu 1. wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) sowie zu 2. wegen Übertretung des § 14 Abs. 1 VersG gemäß § 19 VersG jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von € 500, (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils: vier Tage und vier Stunden) verhängt und gemäß § 19a Abs. 1 Z 1 VStG eine näher bezeichnete Vorhaft auf die zu 1. verhängte Geldstrafe angerechnet.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde als unbegründet ab und bestätigte das Straferkenntnis der belangten Behörde (Spruchpunkt I.), verpflichtete die Revisionswerberin gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von € 200, (Spruchpunkt II.), sprach aus, dass die Anrechnung der Vorhaft zu Unrecht erfolgt sei und zu unterbleiben habe (Spruchpunkt III.) und erklärte die Revision für unzulässig (Spruchpunkt IV.).

4 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung nachfolgende als nicht bestritten bezeichnete Sachverhaltsfeststellungen zugrunde:

Die Revisionswerberin habe am 15. Mai 2023, um 8.20 Uhr, in 1020 Wien, Lassallestraße 42, Reichsbrücke, an einer Versammlung zum genannten Thema teilgenommen und sich mit Kleber auf die Straße geklebt. Nachdem der Behördenvertreter um 8.16 Uhr (stadteinwärts) und um 8.17 Uhr (stadtauswärts) die Versammlung für aufgelöst erklärt habe, sei die Revisionswerberin zumindest von 8.20 Uhr bis 8.25 Uhr am Versammlungsort verblieben.

Als Veranstalter sei keine Person aufgetreten; die Revisionswerberin habe auf Befragen keine Person angegeben. Sie habe sich im kleinen Kreis zu der Klebeaktion verabredet und entsprechende Utensilien mitgenommen. An der Versammlung seien elf Personen beteiligt gewesen, die sich auf die Straße geklebt hätten. Einige Personen seien herumgestanden.

Disloziert im Rahmen seiner rechtlichen Erwägungen traf das Verwaltungsgericht ergänzende Sachverhaltsfeststellungen, wonach sich die Revisionswerberin „mit einigen (wenigen) anderen Teilnehmern hinsichtlich Zeit und Ort entsprechend abgestimmt und sich mit einer Hand auf den Boden geklebt“ habe. Die Revisionswerberin habe „sich für die gegenständliche Veranstaltung organisatorisch planend verabredet“.

5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Revisionswerberin gemäß näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „eine führende Rolle in der Versammlung eingenommen“ habe. Da sich die Revisionswerberin „für die gegenständliche Versammlung organisatorisch-planend verabredet“ habe, liege keine Spontanveranstaltung vor.

Die Revisionswerberin habe nach Auflösung der Versammlung den Versammlungsort nicht verlassen. Ob die Versammlung unberechtigter Weise aufgelöst worden sei, sei nicht im gegenständlichen Verfahren zu klären.

Nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lägen weder ein rechtfertigender noch ein entschuldigender Notstand iSd § 6 VStG sowie ein Rechtsirrtum iSd § 5 Abs. 2 VStG vor.

6 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst mit dem Nichtvorliegen einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Das von der Revisionswerberin bekämpfte Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, zwei verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin zwei voneinander unabhängige Spruchpunkte. Mit der Abweisung der Beschwerde der Revisionswerberin übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des mit der Beschwerde bekämpften Straferkenntnisses. Durch die Übernahme dieser Spruchpunkte traf auch das Verwaltungsgericht getrennte Absprüche.

Liegen somit wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu prüfen (vgl. etwa VwGH 15.3.2024, Ra 2022/02/0085, Rn. 6 und 7, jeweils mwN).

Zur teilweisen Zurückweisung der Revision:

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, die Ortsbeschreibung „1020 Wien, Lassallestraße 42, Reichsbrücke“ stelle einen Widerspruch in sich dar. Die Reichsbrücke beginne etwa 100 m nordöstlich des Hauses Lassallestraße 42. Dazwischen würden noch die Häuser Lassallestraße 44, 46 und 48 sowie ein Teil des Mexikoplatzes liegen. Der Tatort werde daher entgegen näher dargelegter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 44a Z 1 VStG in einer nicht nachvollziehbaren Weise beschrieben, indem anstelle einer klar definierten Örtlichkeit ein Straßenbereich von zumindest 100 m angeführt werde. Die Revisionswerberin sei insofern der Gefahr der Doppelbestrafung ausgesetzt.

13 Gemäß § 44a Z 1 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat dabei die Umschreibung der Tat so präzise zu sein, dass der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte wahren kann und er nicht der Gefahr einer Doppelbestrafung ausgesetzt ist; sie darf keinen Zweifel daran bestehen lassen, wofür der Täter bestraft worden ist. Ungenauigkeiten bei der Konkretisierung der Tat haben nur dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Strafbescheides, wenn dadurch keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beschuldigten und keine Gefahr der Doppelbestrafung bewirkt wird.

Der Vorschrift des § 44a Z 1 VStG ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes also dann entsprochen, wenn im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen, und der Spruch selbst geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.

Ausgehend von dieser Zielrichtung des Konkretisierungsgebotes des § 44a Z 1 VStG sind die an die Tatumschreibung zu stellenden Erfordernisse vom betreffenden Tatbestand des zur Anwendung gelangenden Materiengesetzes und den jeweiligen Begleitumständen abhängig. Dabei handelt es sich um eine fallbezogene Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. zu alldem etwa VwGH 21.7.2022, Ra 2022/04/0018, Rn. 9 bis 11, mwN).

14 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen ist mit der Beschreibung des Tatorts im Straferkenntnis „1020 Wien, Lassalleestraße 42/Reichsbrücke (auf der Fahrbahn)“ zweifelsfrei die Fahrbahn auf Höhe der Lassallestraße 42 in Fahrtrichtung Reichsbrücke zu verstehen. Insofern entspricht die Umschreibung des Tatorts bezogen auf die zur Last gelegten Verstöße gegen das VersG den Erfordernissen des § 44a Z 1 VStG.

15 Die Revision zeigt somit in Bezug auf den der Revisionswerberin gemäß Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses zur Last gelegten Verstoß gegen § 14 Abs. 1 VersG keine grundsätzliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG auf. Die Revision war daher in diesem Umfang zurückzuweisen.

Zur Aufhebung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften:

16 Im Übrigen bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit in Bezug auf die der Revisionswerberin zu Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses zur Last gelegten Übertretung des § 2 Abs. 1 VersG zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe zur Frage der Veranstaltereigenschaft Sachverhaltsfeststellungen und rechtliche Beurteilung auf unzulässige Weise vermengt. Den Sachverhaltsfeststellungen mangle es an einer Beweiswürdigung bzw. seien diese aktenwidrig. Das Verwaltungsgericht sei damit von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen reichten insbesondere nicht, um der Revisionswerberin die für eine Bestrafung nach § 2 iVm § 19 VersG erforderliche Eigenschaft als Veranstalterin der Versammlung zuzumessen; das Verwaltungsgericht sei insofern auch von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum versammlungsrechtlichen „Veranstalterbegriff“ abgewichen.

17 Ausgehend davon erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 4.6.2021, Ra 2021/01/0008, Rn. 11, mwN).

19 Vorliegend begründete das Verwaltungsgericht die Feststellungen zur Veranstaltereigenschaft (vgl. dazu etwa VwGH 8.4.2024, Ro 2024/01/0001, Rn. 19, mit Hinweis auf VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, mwN) der Revisionswerberin aktenwidrig damit, dass diese Feststellungen nicht bestritten worden wären. Tatsächlich hat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde vorgebracht, bloß Teilnehmerin an der Versammlung gewesen zu sein. Das Vorliegen von „Sachverhaltselementen, aus denen man auf eine Veranstaltereigenschaft schließen könnte“, wurde ausdrücklich bestritten.

20 Zudem finden die im Rahmen der rechtlichen Erwägungen disloziert zur Veranstaltereigenschaft der Revisionswerberin ergänzend getroffenen Feststellungen, wonach sich die Revisionswerberin mit anderen Teilnehmern hinsichtlich Ort und Zeit der Versammlung entsprechend abgestimmt bzw. „organisatorisch planend verabredet und damit eine führende Rolle in der Versammlung“ habe, im Akt keine Deckung. In der mündlichen Verhandlung wurde diese Frage seitens des erkennenden Richters nicht erörtert bzw. ergeben sich aus den zu Protokoll genommenen Angaben der Revisionswerberin keine diesbezüglichen Anhaltspunkte. Inwiefern daher wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt „das Beweisverfahren ergeben“ hätte, dass der Revisionswerberin eine Veranstaltereigenschaft zukomme, bleibt im Dunkeln; beweiswürdigende Erwägungen zu den genannten Feststellungen enthält das angefochtene Erkenntnis gerade nicht.

21 Ebenso begründungslos blieb der Ausspruch in Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses, dass die Anrechnung der Vorhaft zu Unrecht erfolgt sei und zu unterbleiben habe.

22 Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht die ihm obliegende Begründungspflicht verletzt.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher im erwähnten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a und c VwGG aufzuheben.

24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. September 2024

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