Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Mag. Brandl sowie Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das am 9. November 2023 mündlich verkündete und am 18. Dezember 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, Zl. VGW 001/010/8794/2023 10, betreffend Übertretung des Versammlungsgesetzes 1953 (mitbeteiligte Partei: A S P in W, vertreten durch Mag. Ralf Niederhammer und Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Hahngasse 25/5), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es den Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion Wien vom 9. Mai 2023 betrifft, einschließlich des Ausspruchs gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis vom 9. Mai 2023 legte die Landespolizeidirektion Wien (Amtsrevisionswerberin) der Mitbeteiligten zur Last, sie habe es am 10. Jänner 2023, um 8.24 Uhr, an näher genannter Örtlichkeit in Wien unterlassen, 1. als Teilnehmerin der Versammlung zum Thema Klimaaktivismus die Versammlung sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen, nachdem die Versammlung vom Behördenvertreter um 8.24 Uhr für aufgelöst erklärt worden sei, weil sie bis zumindest 8.26 Uhr am Versammlungsort verblieben sei, und 2. als Veranstalterin dieser Versammlung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung diese Versammlung der zuständigen Behörde schriftlich anzuzeigen.
2 Über die Mitbeteiligte wurde zu 1. wegen Übertretung des § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 (VersG) sowie zu 2. wegen Übertretung des § 2 Abs. 1 VersG gemäß § 19 VersG jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,(Ersatzfreiheitsstrafe jeweils: 4 Tage und vier Stunden) unter Anrechnung einer näher bezeichneten Vorhaft verhängt und die Mitbeteiligte gemäß § 64 VStG zur Bezahlung eines Beitrags zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von € 100, verpflichtet.
3Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge, behob das Straferkenntnis gemäß § 50 Abs. 1 VwGVG, stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein (Spruchpunkt I.), sprach aus, dass die Mitbeteiligte gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Spruchpunkt II.) und erklärte die Revision für unzulässig (Spruchpunkt III.).
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht, soweit im Revisionsverfahren wesentlich, aus, es habe mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Sicherheit nicht festgestellt werden können, ob die Auflösung der Versammlung rechtens und zum angestrebten Ziel auch verhältnismäßig gewesen sei. Dies sei jedoch eine Voraussetzung für eine rechtmäßige Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG. Der Beschwerde sei daher (auch) in Bezug auf diese Bestrafung Folge zu geben, das Straferkenntnis in diesem Punkt aufzuheben und das diesbezügliche Strafverfahren einzustellen gewesen.
5 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass die hier aufgeworfenen Rechtsfragen sich aus den diesbezüglich eindeutigen, heranzuziehenden Bestimmungen lösen ließen und es im Wesentlichen nur um Fragen der Beweiswürdigung gehe.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Amtsrevisionswerberin ausschließlich soweit, als mit dem angefochtenen Erkenntnis das Straferkenntnis der Amtsrevisionswerberin im Umfang der Bestrafung der Mitbeteiligten nach § 14 Abs. 1 VersG aufgehoben wurde.
7 Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstatteten Revisionsbeantwortung die Revision zurück , in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die Amtsrevision ist zu der im Zulässigkeitsvorbringen dargelegten Rechtsfrage, das Erkenntnis weiche im angefochtenen Umfang von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach die Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG nicht die Rechtmäßigkeit der Auflösung einer Versammlung voraussetze, zulässig. Sie ist auch berechtigt.
9 Vorweg ist festzuhalten, dass entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Übertretung des § 14 Abs. 1 VersG als eine Angelegenheit außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit anzusehen ist, die nicht gemäß Art. 133 Abs. 5 BVG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist (vgl. etwa VwGH 18.10.2022, Ra 2022/01/0276, Rn. 27, mwN).
10Die Rechtsfrage, ob eine Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung voraussetzt, hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 18. Oktober 2022, Ra 2022/01/0276, verneint und dies in dessen Rn. 30, 31, 34 und 35 wie folgt begründet:
„30 Nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 VersG ist für das tatbildmäßige Verhalten dreierlei vorausgesetzt:
1. Die Versammlung wurde für aufgelöst erklärt.
2. Der Täter ist in diesem Zeitpunkt ein ‚Anwesender‘.
3. Er unterlässt es, den Versammlungsort sogleich zu verlassen und/oder ‚geht nicht auseinander‘ (vgl. bereits VwGH 18.5.2009, 2009/17/0047).
31 In diesem Zusammenhang stellt der klare Wortlaut der ersten Voraussetzung des § 14 Abs. 1 VersG tatbestandlich darauf ab, ob eine Versammlung aufgelöst wurde (arg.: ‚Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist‘; vgl. zum Vorrang des Gesetzeswortlautes und zur tatbestandlichen Anknüpfung VwGH 30.9.2019, Ra 2019/01/0312 0313, mwN). Dabei ist gleichgültig, ob die Auflösung der Versammlung durch die Versammlungsbehörde gemäß § 13 VersG oder vom Leiter der Versammlung nach § 11 VersG ausgesprochen wurde (vgl. so Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht4 [2019] 152 Anm. 2.1. zu § 14 VersG). Gleichermaßen wird die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung vom Wortlaut des ersten Halbsatzes nicht verlangt und ist daher entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes auch nicht als Vorfrage zu prüfen. Die Rechtmäßigkeit der Auflösung einer Versammlung kann vom Betroffenen vielmehr mit dem Rechtschutzinstrument der Maßnahmenbeschwerde gesondert bekämpft werden (vgl. zu einer solchen Maßnahmenbeschwerde und deren Gegenstand etwa VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0216, mwN).
...
34 Dem Verwaltungsgerichtshof ist es verwehrt, eine Prüfung einer Verletzung im Recht auf Versammlungsfreiheit vorzunehmen. Nach seiner ständigen Rechtsprechung sind Fragen des Eingriffs in den Kernbereich der Grundrechte auf Versammlungs und Vereinsfreiheit gemäß Art. 133 Abs. 5 BVG von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen, auch wenn diese Fragen im Wege einer Amtsrevision an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen wurden. Die Auflösung der Versammlung selbst zählt zum Kernbereich der Versammlungsfreiheit (vgl. ausführlich VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0181, mwN der Rechtsprechung des VwGH und des VfGH; vgl. auch VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0214, und VwGH 29.9.2021, Ra 2021/01/0216).
35 Wie angeführt ist eine solche Prüfung nach dem Wortlaut der ersten Voraussetzung des § 14 Abs. 1 VersG nicht normiert und daher im Rahmen der einfachgesetzlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG nicht geboten.“
11 Unter Hinweis auf diesen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes hat der Verfassungsgerichtshof jüngst im Ablehnungsbeschluss vom 10. Juni 2024, E 3352/2023 11, u.a., über eine Beschwerde gegen die verwaltungsgerichtliche Bestätigung einer Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG ausgeführt, dass nicht zu prüfen ist, ob die Auflösung der Versammlung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise erfolgte.
12 Indem das Verwaltungsgericht entgegen dieser Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung als Vorfrage für die Bestrafung nach § 14 Abs. 1 VersG geprüft und unter der Annahme der Unrechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung die Rechtmäßigkeit der Bestrafung verneint hat, hat es das bekämpfte Erkenntnis im angefochtenen Umfang mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
13Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind dem Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben worden ist. Allerdings führt der Erfolg einer Beschwerde hinsichtlich einer von mehreren in einem Straferkenntnis geahndeten Verwaltungsübertretungen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Anwendung des § 52 Abs. 8 VwGVG auch hinsichtlich der übrigen Verwaltungsübertretungen (vgl. VwGH 25.4.2022, Ra 2021/11/0018, Rn. 16, mwN). Richtet sich eine Amtsrevision wie vorliegendausschließlich gegen die Aufhebung des Straferkenntnisses im Umfang der Bestrafung wegen einer von mehreren Verwaltungsübertretungen, ist neben der insofern nur teilweise bekämpften Aufhebung des Straferkenntnisses auch der damit untrennbar verbundene einheitliche Ausspruch nach § 52 Abs. 8 VwGVG (vgl. zur untrennbaren Verbundenheit der Entscheidung über den Beitrag des Bestraften zu den Kosten des Strafverfahrens mit der Hauptsache des Verwaltungsstrafverfahrens VwGH 9.11.2022, Ra 2021/02/0228, Rn. 7) von der Anfechtung durch die Amtsrevision umfasst.
14Insofern war das angefochtene Erkenntnis sowohl hinsichtlich der Aufhebung des Strafausspruches wegen Übertretung von § 14 Abs. 1 VersG als auch des daran anknüpfenden Ausspruchs nach § 52 Abs. 8 VwGVG gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. November 2024