JudikaturVwGH

Ra 2023/22/0051 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des B S, vertreten durch Mag. Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 2022, L508 2256728 1/3E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1Mit Bescheid vom 3. Juni 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) den Revisionswerber, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) unter Gewährung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubs (§ 70 Abs. 3 FPG) aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

2 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 27. September 2022 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

3 Zusammengefasst stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe am 24. November 2015 in Zypern eine rumänische Staatsangehörige die in der Folge ihr Recht auf Freizügigkeit (vorübergehend) in Österreich ausübte geheiratet, sei gegen Ende Dezember 2015 in das österreichische Bundesgebiet eingereist und halte sich seither in Österreich auf. Aufgrund seiner Ehe sei dem Revisionsweber eine Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR Bürgerin mit Gültigkeit bis März 2021 ausgestellt worden. Die Ehe des Revisionswerbers sei im Oktober 2019 von einem zypriotischen Gericht rechtskräftig geschieden worden, nachdem die Ehefrau bereits im Februar 2017 wieder dauerhaft nach Rumänien zurückgekehrt sei. Der Revisionswerber sei unbescholten, gesund und arbeitsfähig. Er spreche Urdu, Englisch und Deutsch. In Österreich habe er keine Verwandten oder sonstige nahe Angehörige. Weiters traf das Verwaltungsgericht Feststellungen zu den Beschäftigungszeiten des Revisionswerbers im Bundesgebiet. Demnach war der Revisionswerber mit einigen Unterbrechungen fast durchgehend bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt. Er verfüge über einen Krankenversicherungsschutz und bewohne eine Wohnung mit drei Mitbewohnern in L.

4In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass das von seiner ehemaligen Ehefrau abgeleitete Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers mit ihrem Wegzug aus Österreich im Februar 2017 erloschen sei. Er könne sich auf keinen der Tatbestände des § 54 Abs. 5 NAG zur Fortdauer seines Aufenthaltsrechts als begünstigter Drittstaatsangehöriger berufen. Die belangte Behörde habe daher zutreffend den Ausweisungstatbestand des § 66 Abs. 1 erster Satzteil FPG herangezogen, wonach begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden können, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukomme.

5Das Verwaltungsgericht führte eine Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK durch und berücksichtigte dabei den Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet seit etwa sechseinhalb Jahren, seine Deutschkenntnisse und seine berufliche Integration. Dem hielt das Verwaltungsgericht entgegen, dass sich der Revisionswerber seit Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft seines unsicheren Aufenthalts jedenfalls aber mit Einbringung der Scheidungsklage im Oktober 2019habe bewusst sein müssen. Die Ehe, die ausschlaggebend für die Ausstellung des Aufenthaltstitels gewesen sei, habe der Revisionswerber seit Februar 2017 nicht mehr geführt. Insofern falle seine Erwerbstätigkeit nicht besonders stark ins Gewicht. Zudem habe der Revisionswerber keine besondere Ausbildung in Österreich absolviert. Es sei zwar zu berücksichtigen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers aufgrund der für ihn ausgestellten Aufenthaltskarte bis März 2021 in Zusammenschau mit dem am 3. März 2021 rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag rechtmäßig gewesen sei, allerdings sei der Revisionswerber seiner Verpflichtung gemäß § 54 Abs. 6 NAG nicht nachgekommen. Er habe weder den Wegzug seiner früheren Ehefrau unverzüglich (sondern erst nach etwa vier Jahren), noch seine Scheidung bekannt gegeben. Dadurch sei eine Befassung der belangten Behörde hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung verzögert worden und er habe seinen Aufenthalt im Bundesgebiet verlängert.

6 Zu Pakistan, wo seine Mutter, eine Schwester und mehrere Brüder im familieneigenen Haus lebten, verfüge der Revisionswerber nach wie vor über starke Bindungen. Der Revisionswerber sei in Pakistan aufgewachsen, im Alter von dreiundzwanzig Jahren nach Österreich gereist und habe Pakistan während seines Aufenthalts in Österreich besucht. Die Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sei dem Revisionswerber zumutbar.

7 Die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts des Revisionswerbers, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremden- und aufenthaltsrechtlicher Vorschriften manifestierten, wögen im vorliegenden Fall schwerer als die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich.

8Die belangte Behörde sei somit zu Recht davon ausgegangen, dass die Ausweisung des Revisionswerbers gemäß § 66 Abs. 1 erster Satzteil FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG zulässig sei.

9 Zum Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine.

10 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 28. Februar 2023, E 2858/2022 11, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

11 Die vorliegende außerordentliche Revision zu der nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

14Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Der Revisionswerber stellt nicht in Frage, dass das ihm aufgrund der Ehe mit einer EWRBürgerin zugekommene Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 1 NAG schon im Hinblick auf die Scheidung dieser Ehe nach einer Dauer von weniger als drei Jahren grundsätzlich nicht mehr besteht (vgl. § 54 Abs. 5 Z 1 NAG) und daher der Ausweisungstatbestand nach § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verwirklicht ist (vgl. dazu etwa VwGH 26.7.2022, Ra 2021/21/0361, Rn. 13, mwN).

16 Die Revision führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit aus, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht weil kein „eindeutiger Fall“ vorliege keine mündliche Verhandlung durchgeführt und sich vom Revisionswerber keinen persönlichen Eindruck verschafft.

17 § 21 Abs. 7 BFAVG erlaubt aber das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig war; das ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann aber auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 19.10.2021, Ra 2021/22/0174, Rn. 14, mwN).

18 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht ohnehin alle von der Revision ins Treffen geführten Umstände, nämlich insbesondere die Deutschkenntnisse des Revisionswerbers und seine berufliche Integration wobei sich am Grad der Integration dadurch, dass der Revisionswerber „im Rahmen seiner Arbeit bei der Fa. McDonalds zahlreiche Ausbildungen und Seminare“ besucht und absolviert habe, nichts maßgeblich ändert berücksichtigt. Dabei durfte das Verwaltungsgericht auch zugrunde legen, dass die weitere Integration des Revisionswerbers in Österreich nach dem Wegzug seiner ExFrau nach Rumänien Anfang 2017 und der Ehescheidung im Oktober 2019 wegen der evidenten Nichterfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG für das ausnahmsweise Erhaltenbleiben des von seiner bisherigen Ehefrau abgeleiteten Aufenthaltsrechts während unsicheren Aufenthalts im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFAVG erfolgte und deshalb entscheidend relativiert ist (vgl. in einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 26.7.2022, Ra 2021/21/0361, Rn. 16, mwN). Außerdem verwies das Verwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA VG auch zu Recht auf die bestehenden Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Heimatstaat.

19 Es erweist sich demnach nicht als unvertretbar, wenn das Verwaltungsgericht im Sinn des § 21 Abs. 7 BFAVG von einem aufgrund der Aktenlage geklärten Sachverhalt und in Bezug auf die Interessenabwägung vom Vorliegen eines insgesamt eindeutigen Falles ausging, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (vgl. dazu etwa VwGH 19.10.2021, Ra 2021/22/0174, Rn. 14).

20In der in der Begründung der Zulässigkeit der Revision wird weiters vorgebracht, das Scheidungsverfahren sei nach dem Wegzug der Ehefrau des Revisionswerbers eingeleitet worden, sodass er die Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 Z 1 NAG nicht geltend machen könne. Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht werde demnach schlechter behandelt als das nationale Aufenthaltsrecht, weil der Revisionswerber im Falle einer Scheidung von einer österreichischen Staatsbürgerin das Aufenthaltsrecht gemäß § 27 Abs. 1 NAG behielte.

21Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich des § 27 NAG auf die Fälle der in Abs. 1 dieser Bestimmung taxativ aufgezählten Aufenthaltstitel beschränkt und dass (in Bezug auf das hier verfahrensgegenständliche, aus dem Unionsrecht abgeleitete Aufenthaltsrecht) nur die für (ehemalige) Angehörige eines EWRBürgers geltende Sondernorm des § 54 Abs. 5 NAG zur Anwendung kommen könne (vgl. VwGH 12.7.2021, Ra 2019/21/0328, Rn. 12; VwGH 18.2.2021, Ra 2020/21/0495, 0496; VwGH 25.1.2018, Ra 2017/21/0247, Rn. 10, jeweils mwN), ohne dass die behauptete Unionsrechtswidrigkeit vorläge (zum unionsrechtlichen Bezug dieser Bestimmung vgl. etwa VwGH 5.4.2022, Ra 2021/21/0151, Rn. 23).

22 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 12. Dezember 2024