Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des M T A, vertreten durch Mag. Dr. Martin Enthofer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Promenade 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. November 2021, L508 2158349 2/3E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein 1987 geborener Staatsangehöriger Pakistans, beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 5. Juni 2014 die Gewährung von internationalem Schutz. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 25. April 2017, verbunden mit einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei, vollinhaltlich ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde zog der Revisionswerber mit Eingabe vom 6. März 2018 zurück.
2 Er hatte nämlich in Zypern am 7. Juni 2017 eine rumänische Staatsangehörige geheiratet, die in der Folge ihr Recht auf Freizügigkeit (vorübergehend) in Österreich ausübte und ab 6. November 2017 über eine Anmeldebescheinigung verfügte. Dem Revisionswerber wurde sodann eine vom 25. Jänner 2018 bis zum 25. Jänner 2023 gültige Aufenthaltskarte ausgestellt. Mit Beschluss eines zypriotischen Gerichtes vom 15. August 2019 wurde die Ehe wieder geschieden. Von diesem Umstand setzte der Revisionswerber die Behörde erst im Juli 2020 in Kenntnis. Der Ehe entstammt ein am 3. Juli 2018 geborener rumänischer Sohn, der seit seiner Geburt bei seiner (mütterlichen) Großmutter in Rumänien lebt.
3 Mit Bescheid vom 11. Mai 2021 wies das von der Niederlassungsbehörde befasste BFA den Revisionswerber gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. November 2021 ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Zur Begründung der im Revisionsverfahren strittigen Interessenabwägung bezog sich das BVwG auf seine Feststellungen zum im Wesentlichen nur durch mehrere urlaubsbedingte Reisen nach Pakistan, unter anderem im Zeitraum von August 2020 bis 2. Februar 2021, unterbrochenen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich seit Juni 2014. Es seien diesbezüglich aber die ursprüngliche Stellung eines unberechtigten Antrags auf internationalen Schutz und die entgegen § 54 Abs. 6 NAG um rund ein Jahr verspätete Bekanntgabe der Ehescheidung als relativierend zu berücksichtigen.
6 Nach dem Bezug von Grundversorgung von Juni 2014 bis Jänner 2016 sei der Revisionswerber neben Zeiten, in denen er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten habe, überwiegend berufstätig gewesen und verfüge über eine Wohnmöglichkeit. Er sei unbescholten, gesund und arbeitsfähig. Am 6. Dezember 2019 habe er die Integrationsprüfung, beinhaltend den Nachweis seiner Sprachkompetenz auf dem Niveau A2, bestanden. In Österreich habe der Revisionswerber einige Sozialkontakte aufgebaut, nach der Trennung von seiner rumänischen Ehefrau im Mai 2019, zu der kein Kontakt mehr bestehe, jedoch kein Familienleben geführt. Ebenso bestehe, abgesehen von einem einmaligen Videochat im November 2019, kein Kontakt zu seinem in Rumänien aufhältigen Kind.
7 In Pakistan lebten dagegen seine Eltern, eine Schwester und seine nunmehrige (pakistanische) Ehefrau, die er am 1. März 2020 in Pakistan nach islamischem Ritus geheiratet habe. Mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat, wo der Revisionswerber sozialisiert worden sei und mehr als drei Viertel seines Lebens verbrachtet habe, sei zu rechnen. Die Kontakte zu seinem in Österreich lebenden Bekanntenkreis könnten über diverse Kommunikationsmittel und durch wechselseitige Besuche aufrechterhalten werden.
8 Unter Hinweis auch darauf, dass der Revisionswerber jedenfalls ab dem von ihm selbst im Sommer 2019 eingereichten Scheidungsantrag nicht mehr ernsthaft damit habe rechnen können, dauerhaft im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, und die daraus folgende Relativierung der in der Folge erlangten Aspekte an Integration im Bundesgebiet, gelangte das BVwG zusammenfassend zum Ergebnis, die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthaltes überwögen die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich.
9 Von der Abhaltung der beantragten mündlichen Beschwerdeverhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG wegen geklärten Sachverhalts Abstand genommen werden können. Schon das BFA habe ein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und nach schlüssiger Beweiswürdigung Sachverhaltsfeststellungen getroffen. In der Beschwerde sei kein dem Ergebnis dieses Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt konkret und substantiiert behauptet worden. Überdies verwies das BVwG noch auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zum „erlaubten Absehen von der mündlichen Verhandlung bei eindeutigen Fällen“, von dessen Vorliegen es in der gegenständlichen Konstellation somit offenbar ausging.
10 Die dagegen erhobene außerordentliche Revision erweist sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig.
11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
13 Der Revisionswerber stellt nicht in Frage, dass das ihm aufgrund der Ehe mit einer EWR Bürgerin zugekommene Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG iVm § 52 Abs. 1 Z 1 NAG schon im Hinblick auf die Scheidung dieser Ehe nach einer Dauer von weniger als drei Jahren grundsätzlich nicht mehr besteht (vgl. § 54 Abs. 5 Z 1 NAG) und daher der Ausweisungstatbestand nach § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG verwirklicht ist (vgl. dazu etwa VwGH 11.3.2021, Ra 2020/21/0379, Rn. 11, mit Bezug auf VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002, Rn. 8 bis 12).
14 Allerdings wendet sich der Revisionswerber gegen die Interessenabwägung des BVwG und rügt, dass zu deren mängelfreier Vornahme die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung vor dem BVwG erforderlich gewesen wäre. Wäre eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden, hätte er darlegen können, „dass er tatsächlich in Österreich einen vollständigen Grad der erforderlichen Integration für die Erteilung eines Aufenthaltsrechtes aus Eigenem erreicht hat“.
15 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass das BVwG ohnehin alle wesentlichen im Beschwerdeverfahren zugunsten des Revisionswerbers ins Treffen geführten Umstände, auf die auch die Revision rekurriert, insbesondere den (teilweise unterbrochenen) Aufenthalt seit Juni 2014, seine Unbescholtenheit, die teilweise Erwerbstätigkeit sowie den Erwerb von Sprachkenntnissen und Sozialkontakten in seine Beurteilung einbezogen hat.
16 Dabei durfte das BVwG auch zugrunde legen, dass die weitere Integration in Österreich nach der von ihm im Sommer 2019 eingeleiteten Ehescheidung wegen der evidenten Nichterfüllung der Voraussetzungen nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG für das ausnahmsweise Erhaltenbleiben des von seiner bisherigen Ehefrau abgeleiteten Aufenthaltsrechts während unsicheren Aufenthalts iSd § 9 Abs. 2 Z 8 BFA VG erfolgte und deshalb entscheidend relativiert ist (vgl. in diesem Sinn jüngst VwGH 12.7.2022, Ra 2021/21/0349, Rn. 14). Das gilt im Übrigen auch für den Zeitraum des Verfahrens über den offenbar von vornherein unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz. Außerdem verwies das BVwG unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA VG auch zu Recht auf die bestehenden Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Heimatstaat, insbesondere zu seiner dort lebenden Ehefrau.
17 Vor diesem Hintergrund war es jedenfalls nicht unvertretbar, dass das BVwG in Bezug auf die Interessenabwägung vom Vorliegen eines insgesamt eindeutigen Falles ausging, der es ihm ausnahmsweise erlaubte, von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber abzusehen (vgl. dazu etwa VwGH 17.5.2021, Ra 2021/21/0147, Rn. 8).
18 Soweit der Revisionswerber eine Schlechterstellung gegenüber „jeder asylwerbenden Person, welche einen ‚Mindestzeitraum‘ von fünf Jahren (oder auch kürzer) in Österreich verbracht hat und entsprechende Integrationsnachweise erbringen kann“, unterstellt, bezieht er sich offenbar auf § 56 AsylG 2005. Er lässt dabei aber außer Acht, dass der nach dieser Bestimmung zu gewährende Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen, der im Übrigen nicht auf die Asylwerbereigenschaft des Antragstellers abstellt und neben weiteren Bedingungen einen zumindest fünfjährigen durchgängigen Aufenthalt in Österreich verlangt, nicht an die Voraussetzung anknüpft, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme aus Gründen des Art. 8 EMRK (auf Dauer) unzulässig ist. Das ist aber der hier zu beachtende (höhere) Maßstab (vgl. dazu etwa VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0133, Rn. 9).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgezeigt, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 26. Juli 2022