JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0205 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
19. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des M M, vertreten durch Dr. Klaus Gossi, Rechtsanwalt in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2023, W154 2280500 1/20E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Der im Jahr 1987 geborene Revisionswerber, ein marokkanischer Staatsangehöriger, stellte mehrmals erfolglos gebliebene Anträge auf internationalen Schutz und wurde erstmals am 14. Februar 2018 aus dem Bundesgebiet nach Marokko abgeschoben. Nachdem er neuerlich nach Österreich eingereist war, erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit rechtskräftigem Bescheid vom 10. Oktober 2022 gegen ihn unter anderem eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot.

2Mit Mandatsbescheid vom 30. August 2023 verhängte das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den Revisionswerber die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung. In der zuvor am selben Tag erfolgten niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der Revisionswerber zu seinem Gesundheitszustand befragt an, dass er vor drei Monaten eine Operation am Herzen gehabt habe, bei welcher ihm „ein Stent und ein Herzschrittmacher eingesetzt“ worden seien. „Jetzt im Moment“ verspüre er keine Schmerzen und fühle sich gut. Er habe Medikamente bekommen, welche er regelmäßig einnehmen müsse.

3 Am 19. September 2023 wurde der Revisionswerber wegen medizinischer Gründe aus der Schubhaft entlassen und in einem Landeskrankenhaus stationär aufgenommen. Er verließ das Krankenhaus zu einem unbekannten Zeitpunkt und tauchte im Bundesgebiet unter.

4 Am 6. Oktober 2023 wurde der Revisionswerber nach seinem Aufgriff durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf Basis eines auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA VG gestützten Festnahmeauftrages des BFA festgenommen. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 7. Oktober 2023 wurde über ihn ohne dass das BFA zuvor eine (neuerliche) niederschriftliche Einvernahme durchgeführt hattegemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung verhängt. In der Bescheidbegründung führte das BFA zu den gesundheitlichen Aspekten aus, dass aufgrund des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers davon auszugehen sei, dass „die subjektiven Haftbedingungen, wie [seine] Haftfähigkeit“, gegeben seien. Sollte der Revisionswerber ärztlicher Hilfe bedürfen, so könne eine solche auch im Stande der Schubhaft gewährt werden. Er sei „aktuell“ haft und abschiebefähig.

5 In der gegen diesen Schubhaftbescheid und die darauf gegründete Anhaltung in Schubhaft erhobenen Beschwerde vom 30. Oktober 2023 sowie seiner Replik zur Stellungnahme des BFA vom 3. November 2023 brachte der Revisionswerber insbesondere vor, dass er unter schweren gesundheitlichen Problemen leide. Er sei aufgrund einer erlittenen Thrombose operiert worden. Zudem sei ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt worden und leide er an Lungenproblemen. Er müsse regelmäßig eine Reihe verschiedener Medikamente einnehmen. Die Schubhaft sei unverhältnismäßig, insbesondere hätte Rücksicht auf den prekären Gesundheitszustand des Revisionswerbers genommen werden müssen. Der Replik vom 3. November 2023 legte der Revisionswerber medizinische Unterlagen betreffend die behaupteten gesundheitlichen Probleme bei.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 6. November 2023 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 22a Abs. 1 BFAVG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaftbeschwerde als unbegründet ab. Unter einem stellte es gemäß § 22a Abs. 3 BFAVG iVm § 76 Abs. 3 FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin vorlägen. Schließlich traf es diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:

8Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG aus folgenden in der Revision aufgezeigten Gründen als zulässig und auch als berechtigt.

9 Im Hinblick auf den Fortsetzungsausspruch gemäß § 22a Abs. 3 BFA VG berücksichtigte das BVwG in den Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft nicht den Gesundheitszustand des Revisionswerbers. Es traf hierzu weder konkrete Feststellungen, noch setzte es sich mit dem Gesundheitszustand fallbezogen unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft auseinander. So stellte es lediglich fest, dass der Revisionswerber „zwar gesundheitliche Probleme“ aufweise, er jedoch „haft und abschiebefähig“ sei, und verwies dazu auf ein amtsärztliches Gutachten. Die in der rechtlichen Beurteilung des Erkenntnisses ohne näherer Begründung sodann enthaltene Schlussfolgerung, der Gesundheitszustand des Revisionswerbers lasse die Anordnung der Schubhaft nicht unverhältnismäßig erscheinen, lässt sich hieraus jedoch ebenso wenig ableiten, wie aus dem amtsärztlichen Gutachten, auf welches das BVwG im Erkenntnis ohne inhaltliche Auseinandersetzung verwies. Die Einbeziehung des vom Revisionswerber unter anderem als Grund für die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft ins Treffen geführten Gesundheitszustandes des Revisionswerbers in die Verhältnismäßigkeitsprüfung unterblieb somit ebenso wie eine Auseinandersetzung mit den von ihm dazu vorgelegten Urkunden. Dies stellt einen wesentlichen Begründungsmangel dar, weil eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiertbei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Unzulässigkeit von Schubhaft führen kann (vgl. etwa VwGH 27.2.2025, Ra 2024/21/0172, Rn. 18, mwN).

10 Der aufgezeigte Mangel haftet allerdings auch dem Schubhaftbescheid vom 7. Oktober 2023 an, in dem sich das BFA mit den gesundheitlichen Problemen, die der Revisionswerber bereits in der niederschriftlichen Einvernahme vom 30. August 2023 vorgebracht hatte und die aufgrund der vorangegangenen Schubhaft aus welcher er aus medizinischen Gründen entlassen wurdeaktenkundig waren, ebenfalls nur im Lichte der Haftfähigkeit, nicht jedoch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung befasste (vgl. VwGH 30.3.2023, Ra 2020/21/0046, Rn. 10, mwN).

11Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deshalb zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf weitere, in der Revision gerügte Verfahrensmängel noch einzugehen war.

12 Von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

13Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 19. August 2025