JudikaturBVwG

W603 2177716-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
14. Oktober 2024

Spruch

W603 2177708-2/10E

W603 2177713-2/10E

W603 2177716-2/11E

W603 2177717-2/10E

W603 2177710-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MIKULA, MBA in den Beschwerdesachen der XXXX (Erstbeschwerdeführerin), geboren am XXXX , des XXXX (Zweitbeschwerdeführer), geboren am XXXX , des XXXX (Drittbeschwerdeführer), geboren am XXXX , des XXXX (Viertbeschwerdeführer), geboren am XXXX , und der XXXX (Fünftbeschwerdeführerin), geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Russische Föderation, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch XXXX , Rechtsanwältin in XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2023, Zahlen XXXX XXXX XXXX XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX .2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Asylverfahren

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Eltern des mj. Drittbeschwerdeführers, des mj. Viertbeschwerdeführers und der mj. Fünftbeschwerdeführerin. Sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation.

Die Beschwerdeführer reisten am XXXX .2017 mit dem Flugzeug aus XXXX kommend am Flughafen Wien Schwechat ein. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stellten für sich und ihre drei minderjährigen Kinder Anträge auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer wurden in der Transitzone des Flughafens untergebracht und die Erstaufnahmestelle am Flughaften führte das Zulassungsverfahren durch.

Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2017 gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er die Russische Föderation mit seiner Familie Mitte August 2017 verlassen habe und dass sie von Moskau nach Montenegro geflogen seien. Nach einem ca. dreiwöchigen Aufenthalt in Montenegro seien sie am XXXX .2017 nach Österreich geflogen. Im Jahr 2013 habe der Zweitbeschwerdeführer bereits in Deutschland und in Polen um Asyl angesucht. Er habe damals nicht in Polen bleiben wollen und sei weiter nach Deutschland gereist und habe ca. sechs Monate in Deutschland gelebt und sie seien dann freiwillig wieder nach Russland zurückgekehrt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er wegen der Probleme seiner Frau aus Tschetschenien geflüchtet sei. Seine Frau sei von einem anderen, sehr reichen und einflussreichen Mann begehrt und daher verfolgt worden. Dieser Mann habe gedroht, dass der Zweitbeschwerdeführer durch einen Unfall sterben könnte. Von der Polizei seien sein russischer Inlandsreisepass, sein russischer Führerschein und seine tschetschenische Heiratsurkunde sichergestellt worden.

Am selben Tag wurde die Erstbeschwerdeführerin erstbefragt und gab dabei an, dass ein sehr reicher und einflussreicher bzw. hochstehender tschetschenischer Mann in Regierungskreisen sie begehrt habe. Dieser Mann habe ca. 50 Frauen und habe auch die Erstbeschwerdeführerin heiraten wollen. Er habe ihren Mann und ihre Kinder bedroht bzw. angedeutet, dass es möglich sei, dass diese einen Unfall haben und getötet werden können. Ihr Cousin habe sie auch bedroht, weil dieser gedacht habe, dass die Erstbeschwerdeführerin ein Verhältnis mit diesem einflussreichen Mann habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe deshalb Angst um ihr Leben. Sie legte ihren russischen Inlandsreisepass und drei tschetschenische Geburtsurkunden vor. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer seien auch mit ihren russischen Auslandsreisepässen gereist, die der Zweitbeschwerdeführer am Flughafen Schwechat vernichtet habe.

Am XXXX .2017 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) im Beisein eines Rechtsberaters niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Zweitbeschwerdeführer zu Protokoll, dass er immer in XXXX gelebt habe und sein Elternhaus letztmals am XXXX .2017 verlassen habe. Seine Eltern und zwei Geschwister sowie Onkeln und Tanten seien ebenfalls dort noch aufhältig. Zur Ehe führte der Zweitbeschwerdeführer aus, dass seine Frau nicht trinken, rauchen, mit fremden Männern reden dürfe und zu tun habe, was er als ihr Mann sage. Wenn jemand anderer sehe, wie sie mit einem Fremden redet, dann sei das eine Schande für den Zweitbeschwerdeführer. Es sei nicht vorgekommen, dass seine Ehefrau beim Reden mit jemanden gesehen worden sei, aber sie habe von einer Drohung erzählt, dass sie angeblich mit jemanden gesprochen haben soll. Ein Mann, über den er nichts Näheres wisse bzw. auch nichts wissen wolle, habe indirekte Drohungen gegen den Zweitbeschwerdeführer ausgesprochen. Es sei ein religiös tätiger, einflussreicher Mann in Tschetschenien, der seine Frau heiraten wolle. Im Jahr 2013 habe er in Polen und Deutschland Asylanträge gestellt, weil er Probleme mit den Behörden gehabt habe und einmal in der Nacht mitgenommen, geschlagen und in einem Keller vier Tage festgehalten worden sei. Nach seiner freiwilligen Heimkehr habe sich Derartiges nicht wiederholt und er habe keine Probleme mehr gehabt.

Die Erstbeschwerdeführerin brachte ebenfalls zusammengefasst vor, dass sie in XXXX geboren sei und bis zur Heirat gelebt habe, danach habe sie bei ihrem Mann in XXXX gewohnt. Ihre Mutter und drei Geschwister würden in XXXX in einem Einfamilienhaus leben. Die Erstbeschwerdeführerin sei gelernte Krankenschwester, aber nach der Geburt ihres dritten Kindes habe sie aufgehört zu arbeiten. Im Jahr 2013 habe sie einen Asylantrag in Polen und Deutschland gestellt, weil ihr Ehemann ein Problem gehabt habe, welches jetzt nicht mehr bestehe. Ihr Mann sei damals entführt und zusammengeschlagen worden. Sie seien dann freiwillig aus Deutschland in die Heimat zurückgekehrt. Ihre Verwandten und die Verwandten ihres Gatten verstehen sich gut und es gebe keine Probleme. Die Kinder haben in Tschetschenien die Schule bzw. den Kindergarten besucht und ihr Gatte habe als Langstrecken-Lkw-Fahrer im Familienbetrieb gearbeitet. Ihre Kinder haben keine eigenen Fluchtgründe. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, dass ihre Schwester krank gewesen sei, und sie mit ihr ein religiöses Institut besucht habe, um die Schwester behandeln zu lassen. Dort habe sie diesen Mann namens XXXX kennen gelernt und es sei zu einem normalen Gespräch gekommen. Die Erstbeschwerdeführerin sei viermal auch alleine dort gewesen, weil ihr von XXXX eine Anstellung als Krankenschwester zugesagt worden sei. Dieser Mann habe sie aber viel über Privates ausgefragt und es sei weniger um die Anstellung gegangen. Nachdem die Erstbeschwerdeführerin die Anstellung dann schließlich abgelehnt habe, sei ihr der Mann einen Monat später weiterhin gefolgt und habe ihr angeraten sich scheiden zu lassen. Daraufhin habe sie einen Nervenzusammenbruch gehabt und sei für einen Monat zu ihrer Mutter gezogen. Es seien wieder Monate vergangen und die Erstbeschwerdeführerin sei möglichst zu Hause geblieben und nicht hinaus gegangen. Als sie zum Elternabend in die Schule gegangen sei, sei sie aufgefordert worden in ein Auto zu steigen und sei ins Haus von XXXX gebracht worden. XXXX habe ihr geraten, sie solle tun, was er sage und sie könne bei ihm wie eine Königin leben. Sie werde es sonst bereuen und müsse beschmutzt weiterleben. Die Erstbeschwerdeführerin habe um Bedenkzeit gebeten und sei nach diesem Vorfall weiterhin beobachtet worden. Dieser Mann habe sie immer wieder eingeladen und sie habe es bei einem vorletzten Gespräch versucht, es endgültig zu beenden. Dieses Gespräch habe dann ihr Cousin beobachtet und bedrohte dann die Erstbeschwerdeführerin als „billiges, schmutziges Flittchen, dass nicht lange überleben werde“. Sie habe noch ein letztes Gespräch angeregt, weil sie die Angst vor XXXX , vor ihrem Mann und vor der Verwandtschaft sattgehabt habe und sie den Gerüchten ein Ende setzten habe wollen. XXXX habe ihr gedroht und gemeint, ihrer Familie könne etwas passieren. Danach habe sie alles ihrer Schwiegermutter erzählt, damit diese es ihrem Mann erzähle. Ihr Mann sei ein reizbarer Mensch, aber tue niemanden etwas. Er habe den anderen Mann auch nicht belangen können, weil dieser zu großen Einfluss gehabt habe. Die Erstbeschwerdeführerin kleide sich traditionell und dann rede niemand mit ihr. Würde sie von jemand in Österreich angesprochen werden, dann würde sie sagen, dass sie verheiratet sei, sonst gäbe es die Polizei. Ihr Mann würde sich sicher kränken, aber niemanden töten; ganz ausschließen könne sie das im Falle einer Gewaltanwendung nicht, aber wenn sie selbst schuld wäre, dann hätte ihr Gatte sie entweder ihren Brüdern und Cousins übergeben oder das mit ihr geklärt. Sie wisse jedenfalls nicht, was genau ihr Gatte über die ganze Sache mit XXXX wisse, weil sie nur mit ihrer Schwiegermutter darüber gesprochen habe, ihr Gatte alles mit der Ausreise entschieden habe und es ihn ekle, danach zu fragen. Hinsichtlich des Problems mit ihrem Cousin gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihr Cousin drogensüchtig sei und seine Schwester halb tot geprügelt habe, weil er mit ihrer Heirat nicht einverstanden gewesen sei. Über die Situation der Erstbeschwerdeführerin haben schon manche Leute gesprochen und ihre Ehre habe schon einen Schaden genommen.

Mit Schriftsatz vom XXXX .2017 ersuchte das Bundesamt UNHCR Österreich gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Zustimmung zur Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer.

UNHCR Österreich teilte mit Schreiben vom XXXX 2017 dem Bundesamt mit, dass im vorliegenden Fall die Zustimmung nicht erteilt werde. Der Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin haben im Zuge der Erstbefragung als auch im Rahmen der Einvernahmen vor dem Bundesamt im Kern übereinstimmend angegeben, dass sie Verfolgung durch einen einflussreichen Mann in Tschetschenien befürchten. Dieser Mann habe ungeachtet des Umstandes, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine verheiratete Frau handle, um ihre Hand geworben und sie zur Scheidung gedrängt. Nachdem ihn die Erstbeschwerdeführerin zurückgewiesen habe, habe er der gesamten Familie gegenüber Gewalt angedroht. Es solle sich um den Kadyrow nahestehenden XXXX handeln. Außerdem befürchte die Erstbeschwerdeführerin einen Ehrenmord durch ihren drogensüchtigen und gewalttätigen Cousin, weil dieser sie mit dem einflussreichen Mann beobachtet habe und folglich bei ihrer Mutter mit der Tötung gedroht habe. Im vorliegenden Fall liegen keine Hinweise vor, dass die Beschwerdeführer über ihre Herkunft oder Identität täuschen und ihre Asylanträge deshalb als eindeutig missbräuchlich eingestuft werden können. Außerdem werde die Offensichtlichkeit bzw. die geforderte Eindeutigkeit betreffend offensichtlich unbegründete Asylanträge so verstanden, dass nur Fälle „qualifizierter Unglaubwürdigkeit erfasst werden und eine ‚schlichte Unglaubwürdigkeit‘ des Asylwerbers nicht zur Anwendung dieses Tatbestandes führe. Auf Grund der vorhandenen Informationen zum Einzelfall und insbesondere vor dem Hintergrund der Herkunftsländerinformationen könne somit nach Ansicht von UNHCR nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit ausgeschlossen werden, dass die gesamte Familie im Fall einer Rückkehr in ihr Herkunftsland einer Verfolgung aufgrund der (zugeschriebenen) Verletzung religiöser Normen und Bräuche sowie aufgrund der Zugehörigkeit von der Zweitbeschwerdeführerin zur sozialen Gruppe der tschetschenischen Frauen, der wegen Missachtung der Wertvorstellungen ihrer Familie als weibliches Mitglied die Ermordung drohe, ausgesetzt sein können. UNHCR vertrat die Auffassung, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht in einem beschleunigten Verfahren als offensichtlich unbegründet eingestuft werden sollte.

Mit Schreiben vom XXXX .2017 teilte das Bundesamt mit, dass die Zurückweisung oder die Abweisung der Anträge der Beschwerdeführer im Flughafenverfahren nicht mehr wahrscheinlich sei, gestattete die Einreise in das Bundesgebiet und ließ das Verfahren zu.

Am XXXX .2017 wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er bei der letzten Einvernahme die Fluchtgründe vollständig anführen habe können. Neu sei, dass seine Schwägerin ebenfalls im Heimatland Probleme habe und von Leuten verschleppt worden sei, die auch ihm und seiner Familie Probleme bereiten. Seine Schwägerin sei nach seiner Frau befragt worden. Er wisse aktuell nicht mehr über die Fluchtgründe, als in der letzten Einvernahme und wolle das auch nicht wissen. Er sei seiner Frau nicht böse. In Österreich leben eine Cousine und ein Cousin sowie ein Cousin seines Vaters. Zu den ersten beiden Verwandten bestehe Kontakt und sie seien zu Besuch gekommen. Wenn der Zweitbeschwerdeführer ins Heimatland zurückkehre, könnte er spurlos verschwinden, weil es gebe kein Gesetz in Tschetschenien und so was passiere wöchentlich.

Die Erstbeschwerdeführerin führte aus, dass es für ihren Gatten schwierig sei, sich an die hiesigen Regeln zu gewöhnen. Er höre nicht auf die Erstbeschwerdeführerin und in Tschetschenien wäre es nicht möglich, dass ein Mann die Tochter in den Kindergarten bringe. Ihr Mann schlafe schlecht und sage immer, dass die Erstbeschwerdeführerin schuld daran sei, dass er herkommen haben müssen. Ihr Gatte versuche, sich an die örtlichen Gebräuche anzupassen, und wolle sich von der besten Seite zeigen. In Österreich gehen ihre Söhne in die Volksschule und ihre Tochter besuche den Kindergarten. Sie halte von Österreich aus insbesondere Kontakt mit ihrer Mutter und Schwester in Tschetschenien. Ihre Schwester sei in Grosny festgenommen worden und sei von der Behörde nach dem Aufenthaltsort der Erstbeschwerdeführerin befragt worden. Im Bundesgebiet habe die Erstbeschwerdeführerin keine Verwandten. Zudem habe ihre Schwester mit dem Vater ihres Cousins gestritten, weil er gemeint habe, dass die Mädchen (gemeint Erstbeschwerdeführerin und Schwester) eine Schande für die Ehre seien. Seit ihrer letzten Einvernahme sei sonst nichts Neues dazugekommen und sie habe alles gesagt und halte ihre Gründe aufrecht. In ihrem Heimatland habe sie drei Alternativen gehabt. Die Schlechteste sei eine Scheidung von ihrem Mann gewesen, weil sie dann von XXXX geehelicht worden wäre und dieser sich sicher wieder scheiden hätte lassen, weil er die Erstbeschwerdeführerin nur als Art Trophäe betrachte. Dann wäre sie von einem Cousin getötet worden. Ihre Schwiegermutter habe alles vorausgesehen und hätte ihr Mann etwas versucht zu unternehmen, weil er sehr impulsiv und aufbrausend sei, hätte das nichts gebracht, weil XXXX sehr hoch gestellt sei. Dann hätte man sich bei ihrer ganzen Familie gerächt. Also sei nur die dritte Alternative, die Ausreise und Flucht geblieben.

Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom XXXX (alle zugestellt am XXXX .2017) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es räumte ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ein (Spruchpunkt IV.).

Das Bundesamt führte begründend u.a. aus, dass die Beschwerdeführer nicht zu befürchten haben, in der Russische Föderation wegen einer einflussreichen Person namens XXXX verfolgt zu werden, weil dieser von der Erstbeschwerdeführerin verlangt habe sich scheiden zu lassen, und dass sie aktuell keiner relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt seien. Ebenso sei eine Bedrohung durch den Cousin der Erstbeschwerdeführerin, weil dieser sie in der Öffentlichkeit einmal mit dem fremden Mann gesehen habe, absolut unglaubwürdig. Es habe auch sonst keine asylrechtlich relevanten Gründe feststellen können. Die von der Erstbeschwerdeführerin in den Einvernahmen hervorgekommene Wertehaltung sei mit den angeblich gesetzten Handlungen nicht zu vereinbaren. Aufgrund des kulturellen Hintergrundes und Ehrverständnisses des Zweitbeschwerdeführers und der Erstbeschwerdeführerin sei keinesfalls nachvollziehbar, dass die Erstbeschwerdeführerin entgegen dem Willen des Zweitbeschwerdeführers eine Arbeit für sich gesucht habe und deshalb gesamt viermal zu XXXX ins XXXX gefahren sei, ebenso wenig sei nachvollziehbar, dass sich überhaupt jemals mit einem Mann in der Öffentlichkeit gezeigt hätte oder sogar aus eigenem Antrieb verabredet hätte. Nicht nur grundlegende Unlogik an dem Fluchtvorbringen verdeutlichen dessen Tatsachenwidrigkeit, sondern sei es auch zu eklatanten Widersprüchen zwischen den Ausführungen des Zweitbeschwerdeführers und der Erstbeschwerdeführerin, sowie innerhalb ihrer eigenen Schilderungen gekommen. Des Weiteren sei es nicht plausibel, dass der beschriebene sehr einflussreiche Mann nicht mitbekommen habe, dass für den Zweitbeschwerdeführer und die Erstbeschwerdeführerin Auslandspässe beantragt worden seien und die Beschwerdeführer die Russische Föderation legal per Flugzeug verlassen haben können. Auch die Bedrohung durch den Cousin der Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund von Widersprüchen nicht glaubhaft und es liege den Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin zu den Treffen mit XXXX ein wesentlicher Zeitwiderspruch zugrunde. Schließlich sei auf das einsilbige und vage Aussageverhalten des Zweitbeschwerdeführers und der Erstbeschwerdeführerin hinzuweisen, sodass zahlreiche Nachfragen notwendig gewesen seien, was auch auf konstruierte Antworten hinweise.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom XXXX .2017 (eingebracht am selben Tag) fristgerecht Beschwerde. Die Bescheide wurden wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit ihres Inhalts bekämpft.

Begründend führten die Beschwerdeführer aus, dass den Beschwerdeführern seitens der tschetschenischen Sicherheitsbehörden eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und sie im Falle einer Rückkehr harte Repressalien zu erwarten haben. Grund dafür sei, dass die Erstbeschwerdeführerin mehrmalige Avancen des Stellvertreters des XXXX XXXX ignoriert und sich dagegen gewehrt habe. Da die Erstbeschwerdeführerin dem Willen des einflussreichen Mannes nicht entsprochen habe, seien ihr und auch ihrer Familie Repressalien angedroht worden, sollte sie sich nicht dem Willen von XXXX beugen. Im Fall einer Rückkehr würden die Beschwerdeführer von den Sicherheitsbehörden, die unter XXXX Schutz stehen, schikaniert, verhaften oder gefoltert oder sogar ermordet werden. Es zeigen sich dahingehend schon Tendenzen: Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin sei während des Aufenthalts der Beschwerdeführer in Österreich in Grosny festgenommen und nach dem Aufenthaltsort der Erstbeschwerdeführerin befragt worden. Außerdem habe der Zweitbeschwerdeführer vor kurzem eine Ladung zur Einvernahme als Zeuge in einer Strafsache bekommen, was nur als Vorwand herangezogen worden sei, um die Beschwerdeführer weiter unter Druck zu setzen. Somit sei es nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführer von den tschetschenischen Sicherheitsbehörden aufgrund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung gesucht werden und ihnen im Falle einer Rückkehr eine Gefährdung drohe.

Die Beschwerden und die bezughabenden Verwaltungsakten langten am XXXX 2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Eingabe vom XXXX .2017 übermittelten die Beschwerdeführer neue Beweismittel: zwei russische Vorladungen für den Zweitbeschwerdeführer für eine Zeugenbefragung, sowie Fotos, die dem Vorbringen zufolge einen Cousin des Zweitbeschwerdeführer, der in XXXX mit dem Auto verschleppt worden sei und über den Aufenthaltsort der Beschwerdeführer ausgefragt sowie körperlich misshandelt worden sei, zeigen.

Mit Eingabe vom XXXX .2018 ergänzten die Beschwerdeführer ihre Beschwerde und brachten zusammengefasst vor, dass die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides in weiten Teilen nicht plausibel sei und der Vorwurf, die Ausführungen der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes seien unglaubwürdig, seien nicht nachvollziehbar. XXXX sei XXXX der Tschetschenischen Republik sowie XXXX , welches im Jahr XXXX von Präsident Kadyrow eröffnet worden sei. Dort seien schon XXXX worden, weshalb auch die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer zum damaligen Zeitpunkt kranken Schwester in dieses Zentrum gegangen sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei ausgebildete Krankenschwester und habe vom XXXX eine Arbeitsstelle angeboten bekommen. Die weiteren Handlungen von Hr. XXXX seien von der Erstbeschwerdeführerin nicht voraussehbar gewesen. Die Verbindungen zwischen Hr. XXXX und dem tschetschenischen Präsidenten Kadyrow seien offensichtlich; die beiden stehen sich auch freundschaftlich nahe. Diese enge Verbindung bringe alle Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in eine lebensgefährliche Situation. Kadyrows Position und die Macht seiner Vertrauten seien für Frauen in Tschetschenien, wie unterschiedliche Berichte bezeugen, ein großes Problem. Wenn ein Vertrauter Kadyrows an einer Frau Interesse gezeigt habe, so wie XXXX an der Erstbeschwerdeführerin, dann sei die persönliche Situation der Frau so wie ihre Meinung irrelevant und in so einer Situation können viele Frauen aus Angst um ihre Angehörigen nicht Nein sagen, denn es sei nicht möglich, sich dem Willen dieser Person zu widersetzen. Da die Erstbeschwerdeführerin mehrfach deutlich gemacht habe, nicht an Hr. XXXX interessiert zu sein, befürchte die Erstbeschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr seiner Rache ausgesetzt zu sein. Auch die Befürchtung der Erstbeschwerdeführerin, Opfer eines Ehrenmordes zu werden, sei alles andere als unbegründet. Laut Frauenorganisationen seien alle einhellig der Meinung, dass es heute mehr Ehrenmorde gebe, als noch vor 10 oder 15 Jahren. Ehrenmorde seien in Tschetschenien keine Seltenheit und werden auch von offizieller Seite regelmäßig mit Verweis auf Traditionen oder religiöse Vorschriften gerechtfertigt. Bei derartigen Ehrvorstellung gehe es nicht oft um Tatsachen, schon Gerüchte können eine Frau in eine lebensgefährliche Situation bringen. Die staatlichen Behörden seien in Tschetschenien nicht in der Lage, die Erstbeschwerdeführerin und ihre Familie vor einem Ehrenmord zu schützen, weil Kadyrow auch kein Interesse daran habe, Ehrenmorde zu verhindern, zumal er sie öffentlich rechtfertige. Die von der belangten Behörde angeführten Widersprüche zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer seien vor allem dadurch zu erklären, dass die vorgebrachte Situation für die Ehegatten ein Tabuthema darstelle. Die Gespräche darüber seien schwierig, weshalb auch die Mutter des Zweitbeschwerdeführers mit einbezogen worden sei. Das Unwissen des Zweitbeschwerdeführers beruhe auch auf seinem mehrfach kommunizierten Ehrgefühl und der gesellschaftlichen Schande die mit einem (angeblichen) Ehebruch einhergehen. Als Reaktion auf das Gespräch mit seiner Mutter habe der Zweitbeschwerdeführer die notwendigen Schritte gesetzt, um die Familie zu schützen. Die Fluchtvorbringen seien auch mit den Länderberichten der Russischen Föderation vereinbar. Kadyrow und seine Getreuen haben ein Herrschaftssystem errichtet, in dem der Islam als auch das tschetschenische Gewohnheitsrecht eine spezielle frauenfeindliche und patriarchale Auslegung erfahren haben und letztlich werde in dessen Rahmen erwartet, dass eine Frau, die ein Herrschaftsträger begehrt, diesem gehörig zu sein habe, widrigenfalls Konsequenzen drohen. Die Ablehnung der Erstbeschwerdeführerin, sich entsprechendem Vorgehen zu widersetzen, müsse somit als ein Akt des Widerstandes gegen eben dieses System verstanden werden, weshalb von einer Verfolgung aus politischen Gründen zu sprechen sei und eine Abschiebung der Beschwerdeführer nach Tschetschenien im Ergebnis unzumutbar wäre.

Mit Eingabe vom XXXX .2018 übermittelte der Zweitbeschwerdeführer eingelöste Dienstleistungsschecks. Am XXXX .2018 legte der Zweitbeschwerdeführer das ÖSD Zertifikat A1 vor. Mit Eingabe vom XXXX 2018 übermittelte die Erstbeschwerdeführerin eingelöste Dienstleistungsschecks. Am XXXX .2019, XXXX .2019 und am XXXX .2021 legten die Beschwerdeführer verschiedene Empfehlungsschreiben vor.

Mit Eingabe vom XXXX .2020 reichten die Beschwerdeführer ärztliche bzw. psychologische Befunde der Fünftbeschwerdeführerin nach; diese leide an einer Entwicklungsstörung und benötigte logopädische, ergotherapeutische und psychologische Behandlung.

Mit Eingabe vom XXXX .2021 übermittelte die Bezirkshauptmannschaft XXXX eine Abschrift des Verfahrensaktes über die Umschreibung des Führerscheins des Zweitbeschwerdeführers.

Mit Eingabe vom XXXX .2021 wurden weitere Unterlagen zur Integration der Beschwerdeführer vorgelegt.

Am XXXX .2021 langte die Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Informationen zu XXXX : Position, Ämter, Einfluss (Beziehung zu R. Kadyrow), Familienstand, Rolle im XXXX vom 25.01.2021 von ACCORD ein.

Mit Eingabe vom XXXX .2021 wurde eine Stellungnahme zur Fünftbeschwerdeführerin übermittelt, die nach einer Diagnostik seit Sommer XXXX im XXXX psychotherapeutisch betreut werde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX 2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführer und ihre Rechtsberaterin als gewillkürte Vertreterin teilnahmen; die belangte Behörde nahm nicht an der Verhandlung teil. Die Beschwerdeführer legten im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Konvolut an Unterlagen zur Integration vor, verschiedene Empfehlungsschreiben sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Russische Föderation zum Thema Intelligenzminderung, Betreuungseinrichtungen, IOM, Tschetschenien, vom 11.02.2021.

Am XXXX .2021 langte eine Protokollrüge der Beschwerdeführer ein. Sie ergänzte, dass die Fünftbeschwerdeführerin derzeit die zweite Klasse besuche, der Viertbeschwerdeführer zwei Jahre lang die erste Klasse Volksschule besucht habe und derzeit die dritte Klasse besuche und der Drittbeschwerdeführer die erste bis dritte Klasse Volksschule in Österreich besucht habe und derzeit in die vierte Klasse gehe.

Mit Eingabe vom XXXX .2021 übermittelten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten Länderberichten und erstatteten ein ergänzendes Vorbringen: Die Erstbeschwerdeführerin sei bis zum Beginn der Covid-19-Pandemie ungefähr alle zwei Wochen als Haushaltshilfe mit Dienstleistungsscheck tätig gewesen. Die Abrechnung sei jedoch über den Ehemann erfolgt, den Zweitbeschwerdeführer, weil die Erstbeschwerdeführerin über kein eigenes Konto verfüge und deshalb erscheinen im Sozialversicherungsauszug der Erstbeschwerdeführerin keine Einträge auf. Der Großteil der Dienstleistungsschecks seien aber der Erstbeschwerdeführerin zuzurechnen. Außerdem würde eine Rückkehr der Familie in das Kindeswohl der Fünftbeschwerdeführerin eingreifen, welches jedenfalls in der Interessenabwägung besonders zu berücksichtigen sei, weil sich aus den eingebrachten Länderberichten ergebe, dass die Fünftbeschwerdeführerin die für ihre Entwicklung nötige schulische Förderung in Tschetschenien oder auch in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht erhalten könne. Es gebe keine adäquate Unterstützung für Personen mit Intelligenzminderung in Tschetschenien und sei davon auszugehen, dass sich die Lage von Kindern mit speziellen Bedürfnissen in Hinblick auf deren schulische Förderung in Tschetschenien noch wesentlich dramatischer darstelle. Entgegen dem gesetzlichen Auftrag werden Kinder mit besonderen Förderbedarf von den Behörden im Allgemeinen aus dem Regelbetrieb ausgeschieden, sodass sie nur sehr dürftige Ausbildung in Sonderschulen erhalten und oft werden Kinder bereits im jungen Alter von den zuständigen Kommissionen als „dumm“ oder „Idiot“ eingestuft, wobei es fast unmöglich sei diese Entscheidung revidieren zu lassen.

Am XXXX .2021 stellte das Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage an die Staatendokumentation zur Verfügbarkeit von Logopädie und sonderpädagogischer Förderung in der Russischen Föderation und in Tschetschenien. Am XXXX .2021 langte die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ein. Zusammengefasst wurde angeführt, dass den zitierten Quellen zu entnehmen sei, dass in Tschetschenien, bzw. in Grosny, eine stationäre Behandlung durch einen Sprachtherapeuten inklusive Folgebehandlungen zur Verfügung stehen. Zudem seien Behandlungen durch einen Kinderpsychiater, einen Kinderpsychologen und einen Kinderarzt in Grosny verfügbar. Weiters sei eine kinderärztliche Betreuung in der Förderschule, SPECIAL SCHOOL FOR CHILDREN WITH DEVELOPMENT PROBLEMS, in Grosny verfügbar, zusätzliche pädagogische Unterstützung gebe es im REPUBLICAN LOGOPEDIC CORRECTIVE CENTER.

Mit Verfahrensanordnungen vom XXXX 2021 informierte das Bundesamt die Beschwerdeführer über ihre Wohnsitzbeschränkung gemäß § 15c AsylG 2005.

Am XXXX .2021 erstatte die Fünftbeschwerdeführerin eine Stellungnahme und kritisierte, dass in den übermittelten Dokumenten keine Aussage darüber getroffen werde, ob eine Versorgung auch tatsächlich effektiv zur Verfügung stehe und wie die Zustände in den Betreuungseinrichtungen seien. Es werde auf die Stellungnahme vom XXXX .2021 verwiesen, wonach gemäß dem dort zitierten Bericht des USDOS: 2020 Country Report on Human Rights Practices: Russia, vom 30.03.2021, Fördermöglichkeiten de facto nicht vorhanden seien und Kinder mit Defiziten aufgrund systemischer Mängel ihr Leben lang diskriminiert werden.

Mit Eingabe vom XXXX .2021 übermittelten die Beschwerdeführer Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten zum Nachweis der erfolgreichen Integration der Beschwerdeführer in Österreich sowie das Zeugnis Deutsch Niveau B1 der Erstbeschwerdeführerin.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2021, Zahlen: W112 2177713-1/58E, W112 2177708-1/43E, W112 2177716-1/29E, W112 2177717-1/29E und W112 2177716-1/10E, wurden die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 50, 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, es habe keine Fluchtgründe der Beschwerdeführer feststellen können, weil die Beschwerdeführer eine Verfolgung im Herkunftsland nicht glaubhaft haben machen können.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer seien weder einer individuellen Verfolgung oder Gefährdung aufgrund von stattgefundenen oder angeblichen Treffen der Erstbeschwerdeführerin mit XXXX der Republik Tschetschenien und XXXX , ausgesetzt gewesen, noch ist eine solche im Falle der Rückkehr zu befürchten. Es habe nicht festgestellt werden können, die Erstbeschwerdeführerin sei mit ihrer Schwester XXXX gewesen, um XXXX Weiters habe nicht festgestellt werden können, die Erstbeschwerdeführerin habe XXXX mehrfach alleine in XXXX getroffen und habe dieser die Erstbeschwerdeführerin heiraten und ihre Scheidung vom Zweitbeschwerdeführer erzwingen wollen. Der Zweitbeschwerdeführer sei nach seiner Ausreise zu einer Einvernahme nicht als Zeuge von den tschetschenischen Behörden geladen worden, um die Beschwerdeführer unter Druck zu setzen. Der Drittbeschwerdeführer, Vierbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin seien ebenso wenig einer individuellen Verfolgung oder Gefährdung durch XXXX ausgesetzt gewesen. Ihnen drohe auch im Falle der Rückkehr keine Gefährdung aus diesen Gründen.

Sowohl die Familie des Zweitbeschwerdeführers, als auch die Familie der Erstbeschwerdeführerin würden weiterhin in der Russischem Föderation, Teilrepublik Tschetschenien leben; sie seien auch keiner Gefährdung wegen der Erstbeschwerdeführerin ausgesetzt gewesen. Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin und der Cousin des Zweitbeschwerdeführers seien nicht in Tschetschenien von der Behörde festgenommen und misshandelt wurden, um Auskünfte zum Aufenthalt der Erstbeschwerdeführerin zu erlangen. Keiner der Beschwerdeführer sei regimekritisch, exilpolitisch oder journalistisch tätig gewesen. Der Zweitbeschwerdeführer sei im Jahr 2013 weder von den tschetschenischen Behörden entführt worden, um ihn zur Spionage zu zwingen, noch von Rebellen, um ihn zu zwingen, für sie zu kämpfen, noch von Privatpersonen, damit er ihnen Geld zahle; ihm drohe auch im Fall der Rückkehr keine Gefährdung aus diesen Gründen.

Die Erstbeschwerdeführerin sei weder nach der Eheschließung von einem gewissen XXXX entführt worden, um Kämpfer zu verarzten, noch versuchte XXXX , sie während ihrer ersten Schwangerschaft zur Scheidung und Heirat mit ihm zu zwingen oder habe er den Zweitbeschwerdeführer entführen lassen. Den Beschwerdeführern drohe auch im Fall der Rückkehr keine Gefährdung aus diesen Gründen. Keiner der Beschwerdeführer sei im Herkunftsstaat politisch tätig gewesen, Kämpfer oder Unterstützer von Kämpfern im ersten Tschetschenienkrieg. Der Erstbeschwerdeführerin drohe in der Russischen Föderation weder eine Zwangsheirat noch eine Verfolgung wegen ihrer Eigenschaft als Frau noch wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „westlich-orientierten“ Frauen. Ebenso wenig drohe der Erstbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation Ehrenmord oder eine Verfolgung durch ihre Familie oder durch die Familie des Zweitbeschwerdeführers.

Die Beschwerdeführer seien vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat keiner Verfolgung wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen.

Sie seien vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat keiner Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen. Die Beschwerdeführer würden eine in Tschetschenien übliche Form des Islam leben, sie sind weder Dschihadisten noch Salafisten. Den Beschwerdeführern drohe daher auch im Falle der Rückkehr keine Verfolgung aus diesem Grund. Weder könne festgestellt werden, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers ein „tanzender Sufi“ (Derwisch) sei, noch, dass dieser oder seine Familie auf Grund seiner Religion (Sufismus) einer Verfolgung ausgesetzt wären oder seien.

Den Beschwerdeführern würden in der Russischen Föderation keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt drohen. Sie seien weder von staatlicher Seite, noch durch Privatpersonen auf Grund ihrer Rasse, ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit, politischer Tätigkeit oder Zugehörigkeit zu einer sonstigen Gruppe einer Verfolgung ausgesetzt gewesen und ihnen drohe eine solche auch nicht im Falle der Rückkehr. Die Beschwerdeführer seien nach Österreich ausgewandert, nachdem der in Österreich lebende Cousin des Zweitbeschwerdeführers sie anlässlich der Beerdigung seines Vaters in der Russischen Föderation besucht habe.

Die Erkenntnisse erwuchsen in Ermangelung der Erhebung eines Rechtsmittels in Rechtskraft.

Um einer Abschiebung zu entgehen, verzogen die Beschwerdeführer in die Bundesrepublik Deutschland. Von dort aus wurden die Beschwerdeführer am XXXX .2022 rücküberstellt.

2. Zweites (verfahrensgegenständliches) Asylverfahren

Nach Rücküberstellung der Beschwerdeführer stellten die Beschwerdeführer am XXXX .2022 für sich und die drei minderjährigen Kinder erneut Anträge auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag gab die Erstbeschwerdeführerin zu den Gründen für die neuerliche Antragstellung – im Hinblick darauf, was sich seit der Rechtskraft des bereits entschiedenen Asylverfahrens in Bezug auf eine Gefährdungslage in ihrem Herkunftsstaat im Wesentlichen geändert habe, im Wesentlichen an, ihre alten Fluchtgründe seien nach wie vor aufrecht. Sie habe von ihrem Ehemann erfahren, sowohl ihre Familie als auch die Familie ihres Ehemannes würden von den Behörden im Herkunftsstaat unterdrückt werden und könne ihre Mutter am Telefon nicht frei reden, aus Angst vor einer Überwachung via Telefon. Sollte die Mutter etwas Falsches sprechen, laufe sie Gefahr entführt zu werden. Von einer in Frankreich lebenden Cousine habe die Erstbeschwerdeführerin erfahren, ihr in Tschetschenien lebender Bruder sei von den Behörden im Herkunftsstaat gefoltert worden. Dies habe sich um Sommer 2020 zugetragen. Ihre Schwester habe daraufhin Anzeige erstattet, aber habe diese wieder zurückziehen müssen. Aufgrund dieser Vorfälle befürchte sie mitsamt ihrer Familie, ebenfalls Repressalien ausgesetzt zu sein. Ihre Fluchtgründe würden ebenfalls für die drei minderjährigen Kinder gelten. Bei einer Rückkehr in das Herkunftsland befürchte sie gefoltert und getötet zu werden (Aktenseite des Behördenaktes der Erstbeschwerdeführerin = AS 7 ff).

Der Zweitbeschwerdeführer wurde ebenfalls am XXXX .2022 niederschriftlichen vor Organen des Sicherheitsdiensts einvernommen und gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, seine alten Fluchtgründe würden aufrecht bleiben. Er habe während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland Dokumente erhalten, die seine Verfolgung beweisen könnten. Bei einer Rückkehr befürchte er entführt und getötet zu werden. Seit dem XXXX .2021 kenne der Beschwerdeführer nunmehr diese neuen Asylgründe.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde am XXXX .2023 im Beisein seiner gewillkürten Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die russische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Eingangs der Befragung legte der Zweitbeschwerdeführer seinen Inlandsreisepass, ausgestellt am XXXX .2009 von der Abteilung des föderalen Integrationsdienstes der Russischen Föderation der Russischen Föderation in der Tschetschenischen Republik, Bezirk XXXX , Kennzahl XXXX , Nr. XXXX , seine Heiratsurkunde (Eheschließung am XXXX .2009) und ein Schreiben vom Memorial vom XXXX .2021 samt Übersetzung vor. Befragt antwortete der Zweitbeschwerdeführer, er habe im Herkunftsland als Automechaniker gearbeitet, er sei gesund und benötige keine Medikamente. In der Bundesrepublik Deutschland habe er um Asyl angesucht, aber keines erhalten. In der Russischen Föderation würden sein Bruder, eine Schwester und seine Eltern leben. Ein bis zwei Mal im Monat habe er via Whatsapp Kontakt mit ihnen. Zu den eventuellen neuen Flucht- und Asylgründen nach dem 13.10.2021 führte der Zweitbeschwerdeführer aus, in seiner Zeit in Deutschland habe die Polizei in Tschetschenien in seinem Elternhaus nach ihm gesucht. Daraufhin hätten sich seine Eltern an die Organisation Memorial gewandt. Ein weiterer Grund sei die drohende Einberufung zum Militär beim Angriffskrieg gegen die Ukraine. Sonst habe er keine Gründe (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 101 ff). Der Grund warum nach ihm gesucht werde sei die Tatsache ihres Lebens in Österreich. Er habe keinen Einberufungsbefehl erhalten und den Militärdienst auch nicht geleistet. Vor seiner Ausreise aus dem Heimatland sei der Beschwerdeführer nicht bedroht oder verfolgt worden. Bei einer Rückkehr fürchte er in den Ukrainekrieg geschickt zu werden. Er wolle für Kadyrow und Putin seine Hände nicht schmutzig machen. Vom Einvernahmeleiter befragt, wann die Polizei bei seinen Eltern gewesen wäre, antwortete der Zweitbeschwerdeführer, es müsse im XXXX 2021 gewesen sein. Dies sei der einzige Besuch von Polizisten gewesen.

Am XXXX .2023 wurde die Erstbeschwerdeführerin ebenfalls im Beisein ihrer gewillkürten Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die russische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. In Einem legte die Erstbeschwerdeführerin ihren Inlandsreisepass der Russischen Föderation, Nr. XXXX ausgestellt am XXXX .2009, ein Diplom vom Tschetschenischen Basiskolleg für Medizin vom XXXX .2009, eine Bestätigung der Marktgemeinde XXXX über die Mithilfe bei der COVID 19 Teststraße vom XXXX .2021, Zeugnis von ÖIF vom XXXX .2021 über die bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau B1, Bescheid des Landes Steiermark betreffend Übungsfahrten für die Führerscheinprüfung sowie zwei Empfehlungsschreiben vom XXXX .2022 und vom XXXX .2023 vor.

Für den Zweitbeschwerdeführer legte die Erstbeschwerdeführerin eine Einstellungszusage vom XXXX .2023, ein AMS Parteiengehör vom XXXX .2022, ein Diplom über die berufliche Fortbildung vom XXXX .2022 über eine Ausbildung als „Kontrolleur des technischen Zustands von Verkehrsmitteln“ aus der Republik XXXX im Zeitraum vom XXXX .2022 bis XXXX .2022 im gesamtausmaß von 256 Stunden sowie für ihre Kinder drei Schulnachrichten vom Schuljahr XXXX , ein Zeugnis des Drittbeschwerdeführers, eine Auszeichnung des Viertbeschwerdeführers, vier Fotos vom Schulbesuch der Kinder und der schulischen Aktivitäten, die drei Geburtsurkunden der Kinder je in Kopie sowie einen Bescheid der Bildungsdirektion Niederösterreich vom XXXX .2020 über die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs der Fünftbeschwerdeführerin (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 47 ff) vor.

Die Erstbeschwerdeführerin führte eingangs der Befragung aus, ihre Kinder seien alle gesund und habe nur die Fünftbeschwerdeführerin einen sonderpädagogischen Förderbedarf für die Schule (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 55). Sie habe im Heimatland als Krankenschwester gearbeitet, sei gesund, nehme keine Medikamente und benötige keinen Arzt. Vor ihrer zweiten Asylantragstellung habe sie samt ihrer Familie rund fünf Monate in der Bundesrepublik Deutschland gelebt. Im Herkunftsland würden die Mutter, eine Schwester und ihr kranker Bruder leben, mit denen sie manchmal via Whatsapp kommuniziere. Befragt, ob die Erstbeschwerdeführerin seit der letzten Antragstellung in ihrem Heimatland Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt habe, antwortete sie, sie habe vor ihrer Ausreise und im XXXX 2021 Probleme mit den staatlichen Behörden gehabt. Ihr sei gesagt worden, es sei ein Gerichtsverfahren anhängig, den Grund kenne sie nicht. Ihr sei kein Schreiben ausgehändigt worden. Die Verwandten hätten kein Schreiben erhalten und auch nicht unterschrieben (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 57 ff). Sie sei im Heimatland weder festgenommen oder inhaftiert gewesen und auch kein Mitglied einer Partei, parteiähnlichen oder terroristischen Organisation gewesen.

Zu den neuen Flucht- und Asylgründen nach dem 13.10.2021 angesprochen, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie könne nicht in die Russische Föderation zurückkehren, weil die Polizei bei der Familie ihres Mannes regelmäßige eindringe. Diese Information habe sie von ihrem Ehemann und seiner Familie erhalten. Weiters bestehe der Krieg zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine. Es bestehe eine Gefahr für ihren Ehemann. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer würden in die Ukraine geschickt werden, weil ein großer Bedarf an ihnen bestünde (AS 59). Sie sei weiters von der russischen Staatsangehörigkeit müde und sie strebe die österreichische Staatsangehörigkeit an (AS 61). Sie habe versucht im Herkunftsland Arbeit zu finden und habe der Kadyrow nahestehende Leiter des islamischen Zentrums sie verfolgt. Sie habe immer ihre politische Gesinnung geheim gehalten, deswegen sei sie auch nicht in ihrem Herkunftsland verfolgt worden. Bei einer Rückkehr befürchte sie, „heiß“ empfangen zu werden und ihre Kinder, um Informationen zu erhalten, gefoltert werden würden. Frauen würde Gewalt von staatlichen Stellen angedroht werden, damit ihre Ehemänner in den Krieg ziehen würden. Dies habe die Erstbeschwerdeführerin aus den sozialen Medien erfahren (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 61).

Die Erstbeschwerdeführerin gab weiters an, sie sei als ausgebildete Krankenschwester militärpflichtig und würde sie als Rückkehrerin aus dem Ausland ebenfalls in den Ukrainekrieg entsendet werden.

Zu ihrer politischen Besinnung gefragt, antwortete die Erstbeschwerdeführerin, ihr Schwiegervater sei Sufist, sie lehne den Sufismus ab und auch die Staatsoberhäupter der Russischen Föderation und Tschetscheniens. Sie habe allerdings nie Probleme wegen ihrer politischen Gesinnung mit den Behörden des Herkunftsstaates gehabt, weil sie diese geheim gehalten habe. Sie lehne den Sufismus ab, ihr Ehemann sei aber kein Sufist und nicht sehr religiös (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 67).

Mit Schreiben vom XXXX 2023 nahmen die Beschwerdeführer zu den am 27.06.2023 ausgefolgten Länderberichten Stellung und gaben im Wesentlichen an, die erwachsenen Beschwerdeführer würden bei einer Rückkehr in das Herkunftsland Gefahr laufen, in den Ukrainekrieg eingezogen zu werden. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer würden am Angriffskrieg nicht teilnehmen wollen, weil dort Kinder getötet würden und Kriegsverbrechen begangen würden. Durch ihre Weigerung am Krieg teilzunehmen seien sie asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Auch seien die minderjährigen Kinder durch ihren sechsjährigen Aufenthalt in Österreich sozialisiert und hätten Freunde gefunden. Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer befänden sich nicht mehr im anpassungsfähigen Alter und auch bei der Fünftbeschwerdeführerin könne aufgrund ihrer Entwicklungsstörung nicht davon ausgegangen werden, sie könne ihr stabiles Umfeld verlassen. Sowohl das Kindswohl als auch die Intensität des Privat- und Familienlebens würden einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen und werde in eventu beantragt, eine Rückkehrentscheidung für die unbescholtenen Beschwerdeführer für dauerhaft unzulässig zu erklären und werde ihnen ein Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG zu erteilen sein (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 119 ff).

Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit Bescheiden vom XXXX .2023, alle ausweislich des im Akt befindlichen Rückscheins am XXXX .2023 zugestellt (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 239), sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es räumte ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ein (Spruchpunkt VI.) (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 127 ff).

Die belangte Behörde stützte sich bei dieser Entscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen darauf, dass die von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachten Gründe der Verfolgung durch eine einflussreiche Person unter Verweis auf das rechtskräftige Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2021, GZ W112 2177798-1/43E, nicht glaubhaft seien. Auch das von der Organisation Memorial vorgelegte Schreiben betreffend eine Verfolgung von tschetschenischen Strafverfolgungsbehörden sei nicht glaubhaft. Weiters sei die Ablehnung zum Salafismus nicht glaubhaft und hätten keine asylrelevanten Gründe festgestellt werden können. Es habe nicht festgestellt werden können, sie habe im Heimatland eine Verfolgungshandlung zu befürchten oder solche in der Zukunft zu befürchten.

Das Vorbringen der Beschwerdeführer sei vage, nicht plausibel oder nachvollziehbar gewesen, teils widersprüchlich, durch keinerlei Beweismittel gestützt, definitiv nicht schlüssig und deshalb nicht glaubhaft gewesen.

Die belangte Behörde stützte im Bescheid des Zweitbeschwerdeführers ihre Entscheidung um Wesentlichen darauf, abgesehen von den nicht glaubhaft gemachten Fluchtgründen seiner Ehefrau, auf welche sich die gesamte Familie im Asylverfahren stützte, erstatteten der Zweitbeschwerdeführer in der Folgeantragstellung ein individuelles Fluchtvorbringen für seine Person. Die laut dem vorgelegten Schreiben von der Organisation Memorial behauptete Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörde der Tschetschenen sei ebenfalls nicht glaubhaft.

Es hätten auch sonst keine asylrechtlich relevanten Gründe festgestellt werden können. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er im Heimatland Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen wäre, oder solche in Zukunft zu befürchten hätten.

Auch in den Bescheiden der minderjährigen Kinder begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung im Wesentlichen, die gesetzliche Vertretung habe für sie keine eignen Fluchtgründe vorgebracht. E hätten auch sonst keine asylrechtlich relevanten Gründe festgestellt werden können.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerde im Heimatland Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren, oder solche in Zukunft zu befürchten hätten.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom XXXX .2023 fristgerecht Beschwerden. Die Bescheide wurden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in vollem Umfang bekämpft (Behördenakt Erstbeschwerdeführerin AS 241 ff).

Die Beschwerdeführer monierten im Wesentlichen, sie würden eine Zwangsrekrutierung in den Ukrainekrieg zu befürchten haben, zumal der Zweitbeschwerdeführer besonders betroffen sei, weil er bereits in den Fokus der Behörden geraten sei. Dies decke sich mit den Länderberichten. Auch handle es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine ausgebildete Krankenschwester und sei sie deswegen von einer Zwangsrekrutierung bedroht. Auch die Weigerung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers an einem Krieg teilzunehmen, stelle einen Asylgrund dar, weil sie durch die Kriegsverweigerung bei einer Rückkehr einer Verfolgung ausgesetzt wären. Im Weiteren habe sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit den vorgelegten Beweismitteln auseinandergesetzt, zumal die Erstbeschwerdeführerin nach dem vorgelegten Schreiben von Memorial vor 2017 einer Verfolgung durch den XXXX ausgesetzt gewesen sei. Auch habe die belangte Behörde das Kindswohl nicht ausreichend berücksichtigt und sei im Hinblick auf die Berücksichtigung des Kindswohls und unter Berücksichtigung der Interessen nach Art 8 EMRK eine Anpassungsfähigkeit der Kinder nicht mehr gegeben und sei die Fünftbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Entwicklungsverzögerung und der psychischen Probleme auf die intensive Betreuung im Rahmen einer sonderpädagogischen Förderung angewiesen.

Die Beschwerdevorlage der belangten Behörde langte am XXXX .2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde das Einlangen der belangten Behörde gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG am selben Tag bestätigt (OZ 1).

Am XXXX .2024 langte die Stellungnahme der Beschwerdeführer zu den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation, Version 14, vom 12.06.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein (OZ 6). Die Beschwerdeführer brachten im Wesentlichen vor, das Länderinformationsblatt verdeutliche die Gefährdung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers aufgrund des Umstandes, sie seien bereits in das Visier der Behörden geraden, zwangsrekrutiert zu werden. Die Länderinformationen würden über Frauen berichten, die als medizinisches Personal in die Ukraine entsandt würden. Die Erstbeschwerdeführerin habe nach dem Abschluss ihrer Ausbildung bis zur Geburt ihres fünften Kindes als diplomierte Krankenpflegerin gearbeitet und sei medizinisches Personal von einer Zwangsrekrutierung bedroht. Auch seien die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer aufgrund ihrer Gegnerschaft zum Kadyrow Regime und des Umstandes, sie seien bereits ins Visier der Behörden geraten, maßgeblicher Gefahr ausgesetzt, für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zwangsrekrutiert zu werden. Im Weiteren sei das Kindeswohl zu berücksichtigen.

Der Stellungnahme wurden Schulnachrichten der Kinder für das Jahr 2023/2024, Jahreszeugnisse für das Jahr 2023/2024, ergänzende differenzierende Leistungsbeschreibungen der Kinder, Bestätigung des Roten Kreuzes über den Erste-Hilfe-Führerscheinkurs der Erstbeschwerdeführerin, einen Bescheid betreffend Übungsfahrten der Erstbeschwerdeführerin und das Prüfungsprotokoll sowie die Prüfungsergebnisse der Führerscheinprüfung der Erstbeschwerdeführerin beigeschlossen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX .2024 eine mündliche Verhandlung im Beisein der Erst- und Zweitbeschwerdeführer, ihrer gewillkürten Rechtsvertreterin und einer Dolmetscherin für die russische Sprache durch, wobei von einer Einvernahme der minderjährigen Beschwerdeführer abgesehen wurde (OZ 5). Die belangte Behörde blieb den Verhandlungsterminen entschuldigt fern (OZ 4). Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung brachte die Erstbeschwerdeführerin die Kopie ihres Diploms vom XXXX .2009 als Krankenpflegerin in russischer Sprache samt beglaubigter Übersetzung in die deutsche Sprache vom XXXX .2022, eine Auflistung der Vorprüfungen und Abschlussprüfungen vom XXXX .2009 samt beglaubigter Übersetzung aus der russischen Sprache sowie ihrem Lebenslauf, erstellt von einer Caritas Betreuerin, in Vorlage.

Am XXXX 2024 legten die Beschwerdeführer eine Beschäftigungsbewilligung für den Drittbeschwerdeführer für eine berufliche Tätigkeit als Ferialpraktikant für die Zeit vom 12.08.2024 bis 30.08.2024 vor (W603 2177716-2/OZ 8). Mit Schreiben vom XXXX .2024 legten die Beschwerdeführer das Militärbuch des Erstbeschwerdeführers in Kopie vor (OZ 7). Die Beschwerdeführer wiesen darauf hin, dem Zweitbeschwerdeführer drohe eine Zwangsrekrutierung und eine erzwungene Teilnahme am Angriffskrieg und würde der Erstbeschwerdeführerin als Krankenschwester dies ebenfalls drohen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch:

Einsichtnahme in die vorgelegten Verfahrensakten der belangten Behörde des zweiten Asylverfahrens der Beschwerdeführer zu GZ XXXX (Erstbefragung; BFA-Einvernahme, Bescheide je vom XXXX .2023, Beschwerden vom XXXX .2023), inklusive der Akten der ersten Asylanträge

Gerichtsakten, Zahlen: W112 2177713-1, W112 2177708-1, W112 2177716-1, W112 2177717-1 und W112 2177716-1 (erste Asylverfahren), abgeschlossen am 11.10.2021

Gerichtsakten, Zahlen W603 2177713-2, W603 2177708-2, W603 2177716-2, W603 2177717-2 und W603 2177716-2: vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Auszüge aus ZMR, Strafregister und AJ-WEB (OZ 2), Stellungnahmen vom XXXX .2024 und vom XXXX .2024 samt Beilagen

Aktuelle Länderinformationen.

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennen sich zum muslimischen Glauben.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die obsorgeberechtigten Eltern des mj. Drittbeschwerdeführers, des mj. Viertbeschwerdeführers und der mj. Fünftbeschwerdeführerin.

Alle Beschwerdeführer sind mit der Kultur und mit der Lebensart in Tschetschenien und in der Russischen Föderation vertraut. Die volljährigen Beschwerdeführer unterhalten sich mit ihren Kindern in der deutschen und tschetschenischen Sprache (VP S. 12, 25) Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer leben auch in Österreich nach tschetschenischen Traditionen.

Am XXXX .2013 versuchten die Beschwerdeführer mit am XXXX .2013 ausgestellten russischen Auslandsreisepässen in die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern, wie der Bruder der Erstbeschwerdeführerin dies zuvor getan hatte. Sie stellten dort Anträge auf internationalen Schutz. Davor hatten sie auf der Durchreise auch in Polen Asylanträge gestellt. Mit Bescheiden vom XXXX 2013 wurden die Asylverfahren in Polen eingestellt. Nach Vorhalt der Asylantragstellung in Polen zogen die Beschwerdeführer die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland zurück und kehrten nach ca. sechs Monaten freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe wieder nach Tschetschenien zurück. Sie reisten legal unter Verwendung von Dokumenten und waren dabei keinen Problemen ausgesetzt (siehe erstes Asylverfahren; rechtskräftiges Erkenntnis W112 2177708-1/43E).

Die Beschwerdeführer sind keine begünstigten Drittstaatsangehörige und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet war nie geduldet. Sie waren weder Zeugen oder Opfer von strafbaren Handlungen noch sonst Opfer von Gewalt (VP. S 21, 33).

1.1.1.Die Erstbeschwerdeführerin

Die Erstbeschwerdeführerin heißt XXXX , wurde am XXXX in Grosny geboren und ist mit dem Zweitbeschwerdeführer verheiratet. Sie haben gemeinsam drei minderjährige Kinder.

Die Erstbeschwerdeführerin spricht Tschetschenisch als Muttersprache, Russisch, wenig Deutsch und Englisch (AS 7,8, 142, VP S. 8). Sie hat die Grundschule im XXXX besucht und im Anschluss das medizinische XXXX im Jahr 2009 mit Diplom in der Fachrichtung „Krankenpflege“ abgeschlossen. Nach ihrer Heirat mit dem Zweitbeschwerdeführer ist sie nach XXXX gezogen (AS 142, VP S. 11, siehe auch das vorgelegte Diplom).

Die Erstbeschwerdeführerin arbeitete bis längstens 2012 in einer Kinderpolyklinik im Herkunftsland, danach hat sie nicht mehr in einem medizinischen Beruf gearbeitet (VP S. 9).

Die Erstbeschwerdeführerin hat die Russische Föderation zuletzt am XXXX .2017 mit ihrer Familie verlassen. Sie ist im russischen Familienverband aufgewachsen und ist mit den russischen und tschetschenischen Gepflogenheiten vertraut (AS 142, VP S. 9).

Ein Cousin der Erstbeschwerdeführerin lebt in XXXX , ein Cousin des Zweitbeschwerdeführers wohnt in XXXX (VP S. 12).

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über ihre Mutter in XXXX , einen Bruder, eine Schwester, eine Großmutter mütterlicherseits sowie weitere Onkeln und Tanten in der Russischen Föderation (AS 57; VP S. 12, 13, 14). Ein Bruder lebt in der Bundesrepublik Deutschland. Mit ihrer Schwester steht die Erstbeschwerdeführerin in Kontakt (AS 57; VP S. 14). Darüber hinaus wohnt die Familie ihres Ehegatten in XXXX .

Bis zu ihrer Ausreise aus dem Heimatland im Juni 2017 lebte die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern in XXXX im Elternhaus ihres Ehegatten (BFA-Vorverfahren AS 5, 7, VP S. 11).

Die Erstbeschwerdeführerin leidet nicht unter akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten und nimmt, außer Beruhigungsmitteln, keine Medikamente ein (AS 57; VP S. 5). Sie leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Die Erstbeschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.

Sie hat keinen Militärdienst im Herkunftsland geleistet (VP S. 19).

Die arbeitsfähige Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (OZ 2) und lebt von öffentlichen Sozialleistungen (VP S. 13, 16).

Die Erstbeschwerdeführerin hat die Integrationsprüfungen auf dem Niveau A2 am XXXX .2021 (Vorakt der Erstbeschwerdeführerin AS 349, 351) und B1 am XXXX .2021 abgeschlossen (AS 111) und macht den Führerschein für das Modul B (die theoretische Prüfung hat sie am XXXX .2023 bestanden). Sie ist zu Übungsfahrten auf Straßen mit öffentlichem Verkehr bis zum XXXX .2024 berechtigt (AS 113, Beilagen OZ 6, VP S. 17). Auch hat sie am XXXX .2024 an einem sechs stündigen Erste-Hilfe-Führerscheinkurs teilgenommen und einen EDV-Basiskurs für Anfänger an einer Volkshochschule teilgenommen (Beilagen OZ 6). Sie hat in Österreich naturgemäß Freundschaften geschlossen, sie pflegt soziale Kontakte, es bestehen aber keine Abhängigkeitsverhältnisse oder über herkömmliche Freundschaftsverhältnisse hinausgehende Bindungen.

1.1.2. Der Zweitbeschwerdeführer

Der Zweitbeschwerdeführer heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX in der Teilrepublik Tschetschenien geboren. Er hat im Herkunftsland neun Jahre die Grund- und Mittelschule besucht und hat als LKW-Fahrer bzw. Fernfahrer und einem Geschäft für Baumaterialien gearbeitet (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers Zahl: 1166471309/220553153 AS 107 ff, VP S. 22). In den Jahren 2015 bis zu seiner Ausreise aus der Russischen Föderation im Jahr 2017 hat er als Automechaniker gearbeitet (VP S. 23). Der Zweitbeschwerdeführer hat von XXXX .2022 bis XXXX .2022 einen Online-Kurs für die Ausbildung eines „Kontrollors des technischen Zustands von Verkehrsmitteln“ aus der Republik XXXX Gesamtausmaß von 256 Stunden besucht (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 171, VP S. 23).

Er spricht Tschetschenisch und Russisch auf muttersprachlichen Niveau sowie wenig Deutsch (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 5, VP S. 22).

Im Herkunftsland leben sein Bruder, seine Schwester, seine Onkel, Cousinen und Cousins sowie seine Eltern. Seine Eltern und Geschwister leben in XXXX . Er steht mit ihnen ein bis zwei Mal pro Monat in Kontakt (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 109, VP S. 25 ff).

Ein Cousin, eine Cousine und ein Onkel des Zweitbeschwerdeführers wohnen in Österreich (VP S. 24).

Der Zweitbeschwerdeführer verfügt über ein Militärbuch (VP S. 30, OZ 9). Er hat in der Russischen Föderation aber keinen Wehrdienst geleistet und wurde auch nicht einberufen (VP S. 28 ff).

Der arbeitsfähige Zweitbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (OZ 2) und lebt von Leistungen aus dem Sozialsystem (VP S. 25). Während seines knapp vierjährigen ersten Aufenthaltes im Bundesgebiet absolvierte er die Deutschprüfung auf dem Anfängerniveau A1. Sonstige Aus- und Weiterbildungen absolvierte er nicht und ist nicht Mitglied in einem Verein (VP S. 28). Er verrichtete mit Dienstleistungsschecks einfache Reparatur- und Gartenarbeiten, war und ist aber nicht selbsterhaltungsfähig und bestritt den Lebensunterhalt durchgehend durch die Grundversorgung (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 107, VP S. 28). Er hat mit Rechtswirksamkeit vom XXXX .2024 das freie Gewerbe „Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service), eingeschränkt auf Autoreinigung“ angemeldet (OZ 9).

Der Zweitbeschwerdeführer leidet nicht unter akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten und nimmt keine Medikamente (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 107, VP S. 5). Er leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Der Zweitbeschwerdeführer hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.

1.1.3. Der Drittbeschwerdeführer

Der Drittbeschwerdeführer heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX in der Teilrepublik Tschetschenien geboren. Er lebte gemeinsam mit seinen Eltern und den Geschwistern bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2017 im Haus der Großeltern im gemeinsamen Haushalt in XXXX .

Der Drittbeschwerdeführer besuchte in der Russischen Föderation einen Kindergarten und eine Schule (Gerichtsakt BVwG W112 2177717-1).

Er spricht Tschetschenisch, Russisch und Deutsch. In Österreich besucht er – ebenso wie sein Bruder - die zweite Klasse einer Mittelschule in XXXX (Beilage OZ 6, VP S. 11). Er leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Der Zweitbeschwerdeführer hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.). Er besucht regelmäßig eine Lernwerkstatt und ein Jugendzentrum und legte eine Beschäftigungsbewilligung als Ferialpraktikant für etwa zwei Wochen für August 2024 vor (OZ 6, OZ 8).

Der Drittbeschwerdeführer leidet nicht unter akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten und nimmt keine Medikamente (AS 55; VP S. 25). Er leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Der Drittbeschwerdeführer hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.

1.1.4. Der Viertbeschwerdeführer

Der Viertbeschwerdeführer heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX in der Teilrepublik Tschetschenien geboren. Er lebte gemeinsam mit seinen Eltern und den Geschwistern bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2017 im Haus der Großeltern im gemeinsamen Haushalt in XXXX .

Der Viertbeschwerdeführer besuchte in der Russischen Föderation einen Kindergarten und eine Schule (Gerichtsakt BVwG W112 2177717-1).

Er spricht Tschetschenisch, Russisch und Deutsch. In Österreich besucht er – ebenso wie sein Bruder - eine Mittelschule in XXXX (OZ 7, VP S. 11). Der Viertbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Sportclub und trainiert Boxen (VP S. 11).

Der Viertbeschwerdeführer leidet nicht unter akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten und nimmt keine Medikamente (AS 55, VP S. 25). Er leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Der Viertbeschwerdeführer hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.

1.1.5. Die Fünfbeschwerdeführerin

Die Fünfbeschwerdeführerin heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX in der Teilrepublik Tschetschenien geboren. Sie lebte gemeinsam mit ihren Eltern und den zwei Geschwistern bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2017 im gemeinsamen Haushalt im Haus der Großeltern in XXXX .

Die Fünftbeschwerdeführerin besuchte im Herkunftsstaat sowohl einen privaten, als auch einen staatlichen Kindergarten (VP S. 12).

Sie spricht Tschetschenisch, Russisch und Deutsch. In Österreich besuchte sie zuletzt die erste Klasse einer Mittelschule in XXXX (OZ 7, VP S. 11) und wird in den Unterrichtsfächern „Deutsch, Lebende Fremdsprache Englisch, Geschichte und Politische Bildung, Geographie und wirtschaftliche Bildung sowie Mathematik“ nach dem Lehrplan Allgemeine Sonderschule unterrichtet (Beilage OZ 6).

Die Fünftbeschwerdeführerin ist bis auf eine Entwicklungsverzögerung des Sprechens gesund, inzwischen kommt sie mit der deutschen Sprache zurecht (VP S. 13, 25). Sie wird sonderpädagogisch gefördert (VP S. 13, 15). Sie leidet nicht unter akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten und nimmt keine Medikamente (AS 55, VP S. 13, 25). Sie leidet an keinen lebensbedrohlichen und in der Russischen Föderation nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen. Die Fünftbeschwerdeführerin hat im Herkunftsstaat Zugang zu medizinischen und sonderpädagogischen Behandlungen und bedarf aktuell keiner Behandlung, die im Herkunftsstaat nicht verfügbar ist.

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die minderjährigen Dritt- bis Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin waren und sind keiner konkreten und individuell gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in der Russischen Föderation ausgesetzt, noch droht eine solche aktuell. Die Beschwerdeführer sind im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation nicht aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer politischen Gesinnung von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter von Verfolgung bedroht.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und waren dort nie inhaftiert. Sie sind nie oppositionell oder gegen PUTIN oder KADYROW aufgetreten, waren keine Mitglieder einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung. Sie haben sich nicht politisch oder journalistisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsstaat. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben die Russische Föderation gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweibeschwerdeführer laufen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, im Falle der Rückkehr zwangsweise im Angriffskrieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden.

Der Zweitbeschwerdeführer fällt nicht mehr in das grundwehrdienstfähige Alter. Er verfügt zwar über ein Militärbuch, hat aber keine militärische Ausbildung und hat nie einen Grundwehrdienst geleistet.

Die Erstbeschwerdeführerin hat eine Ausbildung als diplomierte Krankenpflegerin und hat in der Russischen Föderation in einer Kinderpolyklinik gearbeitet, allerdings ist sie seit dem Jahr 2012 nicht mehr im Gesundheitswesen tätig gewesen. Auch sie verfügt über keine militärische Ausbildung und hat keinen Wehrdienst geleistet.

Die Eltern des Zweitbeschwerdeführers werden nicht seit dem Jahr 2017 von tschetschenischen Strafverfolgungsbehörden illegal verfolgt. Sie werden nicht regelmäßig bedroht und es finden nicht in systematischen Abständen an ihrer Wohnadresse Hausdurchsuchungen durch die Strafverfolgungsbehörden des Herkunftsstaates statt.

Den minderjährigen Beschwerdeführern drohen in der Russischen Föderation auch keine Verfolgung oder Gefährdung wegen ihrer Eigenschaft als Kind oder sonstige kinderspezifische Gefahren.

Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht den Beschwerdeführern individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch russische Behörden oder durch andere Personen.

Ferner droht den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation wegen ihrer Anträge auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen ihres Aufenthalts außerhalb der Russische Föderation weder Verfolgung noch sonst psychische oder physische Gewalt.

1.3. Rückkehrsituation

Die Beschwerdeführer wären im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation, bzw. Tschetschenien, weder in ihrem Recht auf Leben gefährdet, noch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen, noch von der Todesstrafe bedroht.

Die Beschwerdeführer liefen im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation, bzw. Tschetschenien, nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind arbeitsfähig, gesund und nicht pflegebedürftig. Den Beschwerdeführern wäre es möglich, wie auch bereits vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsland, bei den Eltern väterlicherseits in XXXX wieder einen Wohnsitz zu nehmen. Überdies verfügen sie noch über die Familie der Erstbeschwerdeführerin in XXXX , die sie auch unterstützen könnte.

Die Fünftbeschwerdeführerin braucht aufgrund einer Entwicklungsstörung sonderpädagogische Förderung und Unterstützung beim Lernen. Ihre Unterstützung war auch vor der Ausreise in ihrer Heimat durch ihre Familie gewährleistet, wird in Österreich von ihrer Familie gewährleistet und kann im Falle der Rückkehr weiterhin von ihrer Familie und ihren Verwandten geleistet werden. Wie auch im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht festgestellt, sind auch eine sonderpädagogische Förderung sowie die psychotherapeutische und logopädische Betreuung ausweislich der Länderberichte (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Russischen vom 14.06.2021) in der Russischen Föderation, auch in Tschetschenien, verfügbar.

Die Beschwerdeführer liefen auch vor dem Hintergrund ihrer gesundheitlichen Situation im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr, ihren Alltag nicht bewältigen zu können und in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen würden, liegen nicht vor.

Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat sind die Beschwerdeführer als Zivilpersonen keiner ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Russische Föderation vom 12.06.2024 (Version 14)

Politische Lage

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Russland ist eine Präsidialrepublik mit föderativem Staatsaufbau (AA 22.3.2024). Das Regierungssystem Russlands wird als undemokratisch (autokratisch) bzw. autoritär eingestuft (BS 2024; vgl. EIU 2024, UNIG-VDI 3.2024, FH 11.4.2024, Russland-Analysen/Ennker 20.6.2022). Der Europarat bezeichnet Russland als eine De-facto-Diktatur (CoE 18.3.2024). Die in der Verfassung der Russischen Föderation vorgesehene Gewaltenteilung (Verfassung RUSS 6.10.2022; vgl. AA 6.10.2023) ist de facto stark eingeschränkt (AA 6.10.2023; vgl. BS 2024). Das politische System ist zentral auf den Präsidenten ausgerichtet (AA 28.9.2022; vgl. FH 2024, Russland-Analysen/Ennker 20.6.2022), was durch den Begriff der Machtvertikale ausgedrückt wird (SWP/Fischer 19.4.2022). Gemäß der Verfassung der Russischen Föderation ernennt der Staatspräsident (nach Bestätigung durch die Staatsduma) den Regierungsvorsitzenden und entlässt ihn. Der Präsident leitet den Sicherheitsrat der Russischen Föderation und schlägt dem Föderationsrat die neuen Mitglieder der Höchstgerichte vor. Laut der Verfassung werden der Generalstaatsanwalt sowie die Staatsanwälte der Subjekte der Russischen Föderation nach Beratungen mit dem Föderationsrat vom russischen Präsidenten ernannt und von diesem entlassen. Darüber hinaus ernennt und entlässt der Präsident die Vertreter im Föderationsrat, bringt Gesetzesentwürfe ein, löst die Staatsduma auf und ruft den Kriegszustand aus. Der Präsident bestimmt die grundlegende Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik (Verfassung RUSS 6.10.2022). Seit dem Jahr 2000 wird das Präsidentenamt (mit einer Unterbrechung von 2008 bis 2012) von Wladimir Putin bekleidet (BS 2024). Der Präsident der Russischen Föderation wird laut der Verfassung für eine Amtszeit von sechs Jahren von den Bürgern direkt gewählt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Die letzte Präsidentschaftswahl fand zwischen 15. und 17.3.2024 statt. Gemäß der Zentralen Wahlkommission ging Wladimir Putin mit 87,28 % der abgegebenen Stimmen als Sieger der Präsidentenwahl hervor. Die anderen drei Präsidentschaftskandidaten erzielten folgendes Wahlergebnis (RIA Nowosti 21.3.2024):

Nikolaj Charitonow: 4,31 %

Wladislaw Dawankow: 3,85 %

Leonid Sluzkij: 3,20 %

Nikolaj Charitonow gehört der Kommunistischen Partei an (KPRF o.D.), Wladislaw Dawankow der Partei Neue Leute (PNL o.D.), und Leonid Sluzkij ist Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei (Duma o.D.). Echte Oppositionskandidaten wurden nicht zugelassen (BAMF 18.3.2024). Zahlreiche Kandidaten wurden ausgeschlossen, darunter auch Personen, welche sich gegen den Ukraine-Krieg ausgesprochen hatten (Rat der EU 22.4.2024). Insgesamt hatten 15 Personen die Kandidatur beantragt (SWP/Fischer 6.3.2024). Die Wahlbeteiligung lag laut der Zentralen Wahlkommission bei 77,49 % (RIA Nowosti 21.3.2024). Für Wähler bestand die Möglichkeit einer elektronischen Stimmabgabe (NGE 19.3.2024) in mehreren Regionen, was zur Intransparenz beitrug (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024). Die 'Präsidentenwahl' fand auch im von Russland besetzten Teil der Ukraine statt (Rat der EU 22.4.2024; vgl. CoE 18.3.2024). Es kam zu massiven Wahlmanipulationen (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024; vgl. SWP/Fischer 6.3.2024, NGE 19.3.2024, KR 21.3.2024), Druck auf Wähler, Verletzungen des Wahlgeheimnisses (Golos 18.3.2024) sowie groß angelegten Fälschungen bei der Abgabe der Stimmen, deren Auszählung und Dokumentation (Russland-Analysen/Stykow 2.5.2024). Die Wahl, begleitet von zahlreichen Protestaktionen, war weder frei noch fair (BAMF 18.3.2024). Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde von Russland zur Beobachtung der Präsidentenwahl 2024 nicht eingeladen (OSCE/ODIHR 29.1.2024), wodurch eine unparteiische und unabhängige Beurteilung der Wahl verwehrt wurde (Rat der EU 22.4.2024).

Regierungsvorsitzender ist Michail Mischustin (Regierung RUSS o.D.a). Die Regierungsarbeit ist wenig transparent (FH 2024). Regierungskritiker sind Schikanierung und Festnahmen ausgesetzt (BS 2024). Die Verfassung der Russischen Föderation wurde per Referendum am 12.12.1993 angenommen. Am 1.7.2020 fand eine Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt (Verfassung RUSS 4.7.2020). Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65 % der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78 % für und mehr als 21 % gegen die Verfassungsänderungen (KAS/Kunze 7.2020; vgl. BPB 2.7.2020). Die Verfassungsänderungen ermöglichten Putin, für zwei weitere Amtsperioden als Präsident zu kandidieren. Diese Regelung gilt nur für Putin und nicht für andere zukünftige Präsidenten (FH 2024). Unter anderem erhält durch die Verfassungsreform (2020) das russische Recht Vorrang vor internationalem Recht. Weitere Verfassungsänderungen betreffen beispielsweise die Betonung traditioneller Familienwerte sowie die Definition Russlands als Sozialstaat. Dies verleiht der Verfassung einen sozial-konservativen Anstrich (KAS/Kunze 7.2020; vgl. Verfassung RUSS 4.7.2020). Die Verfassungsreform und der Verlauf der Volksabstimmung sorgten für Kritik (KAS/Kunze 7.2020).

Das Parlament (Föderalversammlung) besteht aus zwei Kammern, dem Föderationsrat und der Staatsduma. Die Mitglieder des Föderationsrates werden für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt (mit Ausnahme der auf Lebenszeit ernannten Mitglieder). Zu den Kompetenzen des Föderationsrats gehören laut der Verfassung die Bestätigung des präsidentiellen Erlasses über die Verhängung des Ausnahme- und Kriegszustands sowie die Amtsenthebung des Präsidenten. Die 450 Duma-Abgeordneten werden für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Es gibt eine Fünfprozenthürde (OSCE/ODIHR 25.6.2021; vgl. RIA Nowosti 6.10.2021). Die Hälfte der Duma-Mitglieder wird durch Verhältniswahlsystem (Parteilisten), die andere Hälfte durch Einerwahlkreise (Direktmandat) gewählt (FH 2023; vgl. Russland-Analysen/Tkacheva 1.10.2021, KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021). Die letzten Dumawahlen fanden im September 2021 statt und waren laut Wahlbeobachtern und unabhängigen Medien von zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet (FH 24.2.2022; vgl. Russland-Analysen/Tkacheva 1.10.2021, KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021), darunter Stimmenkauf, Druck auf Wähler (FH 24.2.2022), Fälschung von Wahlprotokollen und Einwerfen zusätzlicher Stimmzettel in die Wahlurnen (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021). Im Allgemeinen ist Wahlbetrug weitverbreitet (BS 2024). Die Wahlbeteiligung bei der letzten Dumawahl betrug 52 % (FH 2023; vgl. RIA Nowosti 6.10.2021). Mit großem Vorsprung gewann die Regierungspartei Einiges Russland die Wahl, so das offizielle Wahlergebnis (FH 24.2.2022). Die Partei Einiges Russland verfügt über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, welche erforderlich ist, um Verfassungsänderungen durchzusetzen. Vier weiteren Parteien gelang der Einzug ins Parlament, welche allesamt als Kreml-treue 'System-Opposition' bezeichnet werden (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021). Viele regimekritische Kandidaten waren von der Wahl ausgeschlossen worden (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021; vgl. Russland-Analysen/Tkacheva 1.10.2021). Anti-System-Oppositionsbewegungen wurden verboten bzw. zur Selbstauflösung gezwungen (KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021). Eine echte Opposition fehlt (FH 11.4.2024). Neue politische Parteien können in der Regel nur dann registriert werden, wenn sie die Unterstützung der Machthaber im Kreml genießen (AA 28.9.2022). Aktuell sieht die Sitzverteilung der Parteien in der Staatsduma folgendermaßen aus (Duma o.D.):

Einiges Russland (Edinaja Rossija): 324 Sitze (Parteivorsitzender Wladimir Wasilew)

Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF): 57 Sitze (Parteivorsitzender Gennadij Sjuganow)

sozialistische Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' (Sprawedliwaja Rossija - Patrioty - Sa Prawdu): 27 Sitze (Parteivorsitzender Sergej Mironow)

Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR): 23 Sitze (Parteivorsitzender Leonid Sluzkij)

Neue Leute (Nowye Ljudi): 15 Sitze (Parteivorsitzender Alexej Netschaew)

Zwei Duma-Abgeordnete gehören keiner Fraktion an.

Zwei Abgeordnetenmandate sind derzeit unbesetzt (Duma o.D.).

Die LDPR ist antiliberal-nationalistisch (SWP/Kluge/Schübel 14.10.2021) und rechtspopulistisch ausgerichtet. Die Partei Neue Leute wurde im Jahr 2020 gegründet und ist eine liberale Mitte-Rechts-Partei. Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' vertritt sozialpatriotische Inhalte (KAS/Kunze/Salvador 21.9.2021).

Die föderale (föderative) Struktur der Russischen Föderation ist in der Verfassung festgeschrieben. Laut der Verfassung kann der Status von Föderationssubjekten in beiderseitigem Einvernehmen zwischen der Russischen Föderation und dem betreffenden Föderationssubjekt im Einklang mit dem föderalen Verfassungsgesetz geändert werden (Verfassung RUSS 6.10.2022). Russland besteht aus 83 Föderationssubjekten. Föderationssubjekte verfügen über eine eigene Legislative und Exekutive, sind aber weitgehend vom föderalen Zentrum abhängig (AA 6.10.2023). Es besteht ein Trend der zunehmenden Zentralisierung des russischen Staates (ZOiS/Klimovich 3.11.2021; vgl. FH 24.5.2023). Moskau sichert sich die Unterstützung der regionalen Eliten durch gezielte Zugeständnisse (ZOiS/Klimovich 3.11.2021).

Die 2014 von Russland vorgenommene Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim und der Stadt Sewastopol ist völkerrechtswidrig und international nicht anerkannt (AA 6.10.2023). Im Februar 2022 begann Russland mit der Führung eines großflächigen Angriffskriegs gegen die Ukraine (CoE-PACE 22.6.2023; vgl. UNGA 18.3.2022). Im September 2022 fanden in den beiden ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie in den von Russland besetzten ukrainischen Regionen Cherson und Saporischschja 'Referenden' über eine Eingliederung in die Russische Föderation statt. Laut den offiziellen Wahlergebnissen stimmten in der 'Volksrepublik' Donezk 99,23 % der Wähler für einen Beitritt, in der 'Volksrepublik' Luhansk 98,42 %, in Cherson 87,05 % und in Saporischschja 93,11 % (Lenta 27.9.2022). Diese Scheinreferenden werden von den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig bezeichnet (UN News 27.9.2022a) und international nicht anerkannt (Standard 30.9.2022). Die Abstimmung fand nicht nur in Wahllokalen statt, sondern prorussische De-facto-Behörden gingen außerdem mit den Wahlurnen und in Begleitung von Soldaten von Tür zu Tür (UN News 27.9.2022a). Die 'Stimmabgabe' erfolgte unter Zwang und Zeitdruck (Rat der EU 28.9.2022). Demokratische Mindeststandards wurden nicht eingehalten (Standard 30.9.2022). Die 'Referenden' missachteten die ukrainische Verfassung sowie Gesetze und spiegeln nicht den Willen der Bevölkerung wider (UN News 27.9.2022a). Im Kreml in Moskau fand am 30.9.2022 die Unterzeichnung der Verträge zur Russland-Eingliederung der ukrainischen 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk sowie der Regionen Saporischschja und Cherson statt (Kreml 30.9.2022). International wird die Annexion dieser vier ukrainischen Gebiete nicht anerkannt (Standard 30.9.2022).

Der Krieg in der Ukraine verursacht massive Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht (OHCHR 12.12.2023). Von russischen Streitkräften werden willkürliche Angriffe verübt, welche Tod und Verwundung von Zivilisten zur Folge haben. Vertreter russischer Behörden verüben Kriegsverbrechen - vorsätzliche Tötungen, Folter, sexuelle Gewaltverbrechen (wie Vergewaltigung) sowie Deportation von Kindern in die Russische Föderation. Folter ist weitverbreitet und wird von russischen Behörden systematisch angewandt (UIUKU 20.10.2023). Die massive Zerstörung aufgrund des Kriegs beeinträchtigt die Bereitstellung essenzieller Dienstleistungen, darunter Zugang zu Bildung, Gesundheitsleistungen und Wasserversorgung (UNOCHA 11.10.2023). Am 17.3.2023 erließ der Internationale Strafgerichtshof Haftbefehle gegen den russischen Präsidenten Putin sowie die Kinderrechtsbeauftragte Russlands Marija Lwowa-Belowa. Ihnen wird das Kriegsverbrechen der rechtswidrigen Deportation von Kindern aus der Ukraine in die Russische Föderation zur Last gelegt (IStGH 17.3.2023). Die UN Human Rights Monitoring Mission gibt an, dass seit Februar 2022 in der Ukraine in etwa 10.000 Zivilisten getötet und 20.000 verletzt wurden. Die Dunkelziffer dürfte um einiges höher sein (OHCHR 22.2.2024). Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und die rechtswidrige Annexion mehrerer ukrainischer Regionen hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, darunter Wirtschaftssanktionen sowie individuelle Sanktionen gegen unter anderem Wladimir Putin, den Außenminister Sergej Lawrow und Mitglieder der Staatsduma sowie des Nationalen Sicherheitsrats. Außerdem wurde das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt (Rat der EU 18.4.2024). Auch die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt haben umfassende Sanktionen gegen Russland eingeführt (WKO 4.2024).

Tschetschenien

Tschetschenien

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Die Bevölkerungszahl Tschetscheniens beträgt gemäß offiziellen Zahlen ca. 1,5 Millionen (Föderationsrat o.D.a). Laut Aussage des Republikoberhaupts Ramsan Kadyrow leben rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland (ÖB Moskau 30.6.2021). Kadyrow ist seit dem Jahr 2007 in Tschetschenien an der Macht. Er kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) aufseiten der Unabhängigkeitsbefürworter. Im zweiten Tschetschenienkrieg (1999-2009) wechselte Kadyrow die Seiten (ORF 30.3.2022). In Tschetschenien gilt Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität (ÖB Moskau 30.6.2023). Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. RFE/RL 3.2.2022), das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. NGE 24.4.2024, KK 29.4.2024a) und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. HRW 9.2.2022). Fraglich bleibt die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt (ÖB Moskau 30.6.2023). Kadyrow bekundet jedoch immer wieder seine absolute Treue gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. SZ 3.3.2022). Beobachter stufen Tschetschenien zunehmend als Staat im Staat ein, in welchem das Moskauer Gewaltmonopol vielfach unwirksam ist (Dekoder 10.2.2022; vgl. KR 23.3.2024, NGE 24.4.2024). Kadyrow besetzt hohe Posten in Tschetschenien mit Familienmitgliedern (KK 9.2.2024; vgl. KK 26.3.2024, KR 5.10.2022). Das tschetschenische Regierungssystem gründet auf verwandtschaftlichen und persönlichen Beziehungen. Im Laufe der Jahre hat Kadyrow einen Familienkult aufgebaut (KK 29.4.2024a). Das Republiksoberhaupt ist für die Regierungsbildung zuständig. Die Regierung ist dem Republikoberhaupt gegenüber rechenschaftspflichtig (Föderationsrat o.D.b). Regierungsvorsitzender Tschetscheniens ist Muslim Chutschiew (RIA Nowosti 1.3.2024). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig (ORF 30.3.2022) und zählt zu denjenigen russischen Republiken, welche die höchsten Subventionen erhalten (KR 8.12.2023).

Die Republik Tschetschenien verfügt über eine eigene Verfassung, welche im Jahr 2003 verabschiedet wurde (Föderationsrat o.D.a). Die Gesetzgebung wird vom Parlament Tschetscheniens ausgeübt. Das Parlament besteht aus 41 Abgeordneten, welche mittels Verhältniswahl für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt werden (Föderationsrat o.D.b). Bei der Dumawahl im September 2021 gewann die Partei Einiges Russland in Tschetschenien 96,13 % der Stimmen (Russland-Analysen 1.10.2021; vgl. RIA Nowosti 6.10.2021). Die Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' errang 0,93 %, die Kommunistische Partei (KPRF) 0,75 %, Neue Leute 0,24 %, und die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) gewann 0,11 % der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 94,42 % (RIA Nowosti 6.10.2021). Zeitgleich fand in Tschetschenien die Direktwahl des Republikoberhaupts statt (RIA Nowosti 21.9.2021). Dessen reguläre Amtszeit beträgt fünf Jahre (Föderationsrat o.D.b). Kadyrow, welcher die Partei Einiges Russland repräsentierte, gewann gemäß offiziellen Zahlen 99,7 % der Stimmen. Der Kandidat der Kommunistischen Partei errang 0,12 % und der Kandidat der Partei 'Gerechtes Russland - Patrioten - Für die Wahrheit' 0,15 % (RIA Nowosti 21.9.2021).

Um die Kontrolle über die Republik zu behalten (FH 2024), wendet Kadyrows Regime unterschiedliche Gewaltformen an, darunter Entführung, Folter und außergerichtliche Tötung (FH 2024; vgl. CoE-PACE 3.6.2022). Regimekritiker müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten sowie physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen (AA 28.9.2022). Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von Gegnern innerhalb und außerhalb Russlands angeordnet zu haben (FH 2024). Das Republiksoberhaupt Tschetscheniens wurde von der Schweiz, Kanada (KK 9.2.2024; vgl. KK 3.11.2023), der EU (KK 9.2.2024; vgl. KK 3.11.2023, EUCIR-RMU 25.7.2014) und den USA mit Sanktionen belegt (KK 9.2.2024; vgl. KK 3.11.2023, OFAC 5.3.2024).

Sicherheitslage

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Aufgrund der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine ist die Lage in Russland zunehmend unberechenbar (EDA 26.3.2024). Die allgemeine Sicherheitslage ist regional unterschiedlich (EAMFR 5.4.2024). In Russland gelten erhöhte Sicherheitsmaßnahmen, welche von lokalen Behörden getroffen werden und zu Einschränkungen der Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, Ausgangssperren und Beschlagnahmung von Privateigentum führen können (GOV.UK o.D.). Die Anzahl ukrainischer Drohnenangriffe auf russischem Territorium in verschiedenen russischen Regionen nimmt zu. Ziel dieser Drohnenangriffe ist die russische Öl- und Militärinfrastruktur (ACLED 9.5.2024). Von Drohnenangriffen ist auch Moskau betroffen (EDA 26.3.2024). Kurz vor der russischen Präsidentenwahl (März 2024) drangen russische freiwillige Kämpfer, welche aufseiten der Ukraine stehen, in die russischen Grenzregionen Belgorod und Kursk ein (ACLED 5.4.2024). In den russischen Grenzregionen steigt die Gewaltintensität. Innerrussische Widerstandsbewegungen (Partisanen) sind für mehrere Vorfälle wie Zugentgleisungen verantwortlich (ACLED 9.11.2023). Bislang wurde in Russland nicht das Kriegsrecht ausgerufen. Jedoch hat Russland das Kriegsrecht über die von ihm annektierten ostukrainischen Regionen verhängt (Lenta 25.10.2023; vgl. EPEK RUSS 19.10.2022, AA 26.3.2024). In Bezug auf den Ukraine-Krieg vermeidet Russland den Begriff Krieg und spricht stattdessen von einer 'militärischen Spezialoperation' (VMR RUSS 2.2.2024).

In der Russischen Föderation sind wiederholt Terrorakte verübt worden. Betroffen waren vor allem der Großraum des nördlichen Kaukasus und die Großstädte (EDA 26.3.2024). Am 22.3.2024 ereignete sich ein Terroranschlag in einer Konzerthalle in der Moskauer Region, welcher in etwa 150 Personen tötete und zahlreiche Personen verletzte. Zu diesem Terroranschlag bekannte sich der 'Islamische Staat der Provinz Khorasan' (ISKP), ein zentralasiatischer Ableger des 'Islamischen Staats'. Dennoch versuchten die russischen Behörden, der Ukraine eine Beteiligung an dem Anschlag zu unterstellen. Dutzende Verhaftungen in Russland und Tadschikistan folgten auf den Terroranschlag (ACLED 5.4.2024). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko weiterer Terrorakte nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 26.3.2024). Einige Flughäfen in Südrussland sind geschlossen (AA 26.3.2024).

Gemäß dem aktuellen Globalen Terrorismus-Index (2024), welcher die Einwirkung von Terrorismus je nach Land misst, belegt Russland den 35. von insgesamt 89 Rängen. Dies bedeutet, Russland befindet sich auf niedrigem Niveau, was den Einfluss von Terrorismus betrifft (IEP 2.2024).

Die folgende Karte stellt sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 17.5.2023-17.5.2024 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (gelb) und Explosionen/'remote violence' (rot). Die dunkelgrauen Punkte beinhalten sowohl Kämpfe als auch Explosionen/'remote violence'. Wie auf der Karte zu sehen ist, konzentrieren sich die sicherheitsrelevanten Ereignisse auf westliche Teile Russlands (ACLED o.D.):

Sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 17.5.2023-17.5.2024

Die Karte stellt sicherheitsrelevante Ereignisse innerhalb Russlands im Zeitraum 17.5.2023-17.5.2024 dar, wobei hier zwei Kategorien angezeigt werden: Kampfhandlungen (gelb) und Explosionen/'remote violence' (rot). Die dunkelgrauen Punkte beinhalten sowohl Kämpfe als auch Explosionen/'remote violence'. Wie auf der Karte zu sehen ist, konzentrieren sich die sicherheitsrelevanten Ereignisse auf westliche Teile Russlands. ACLED o.D. [Quellenbeschreibung siehe Kapitel Länderspezifische Anmerkungen]

Tschetschenien

Die tschetschenischen Sicherheitskräfte handeln außerhalb der russischen Verfassung und Gesetzgebung (Dekoder 10.2.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsorgane werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 26.10.2021). Regelmäßig wird aus Tschetschenien über Sabotage- und Terrorakte gegen Militär und Ordnungskräfte, über Feuergefechte mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen, Entführungen sowie Druck auf Familienangehörige von Mitgliedern illegaler bewaffneter Formationen berichtet. In verschiedenen Teilen der Republik Tschetschenien werden in regelmäßigen Abständen Antiterroroperationen durchgeführt (KK 29.3.2023a). Tschetschenische Behörden wenden regelmäßig kollektive Bestrafungsformen bei Familienangehörigen vermeintlicher Terroristen an, beispielsweise indem Familienangehörige dazu gezwungen werden, die Republik zu verlassen (USDOS 22.4.2024). In Tschetschenien gibt es eine Antiterrorismus-Kommission, deren Vorsitzender das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ist (NAK o.D.a). Im September 2018 wurde ein Grenzziehungsabkommen zwischen Tschetschenien und der Nachbarrepublik Inguschetien unterzeichnet, was in Inguschetien zu Massenprotesten der Bevölkerung führte und in der Gegenwart noch für gewisse Spannungen zwischen den beiden Republiken sorgt (KK 15.11.2021).

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst (FSB), das Untersuchungskomitee, die Generalstaatsanwaltschaft und die Nationalgarde sind für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Staatssicherheit, Spionageabwehr, Korruptionsbekämpfung sowie Bekämpfung des organisierten Verbrechens befasst (USDOS 20.3.2023). In manchen Fällen ist der FSB zur Befehligung von Einheiten der Streitkräfte berechtigt. Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung werden vom Nationalen Anti-Terrorismus-Komitee koordiniert und vom FSB, unterstützt vom Innenministerium und der Nationalgarde, durchgeführt (USDOS 30.11.2023). Die Nationalpolizei untersteht dem Innenministerium und ist für die Bekämpfung von Straftaten zuständig (USDOS 20.3.2023). Die Nationalgarde unterstützt den Grenzwachdienst des FSB bei der Grenzsicherung, ist für Waffenkontrolle sowie den Schutz der öffentlichen Ordnung verantwortlich, bekämpft das organisierte Verbrechen und bewacht wichtige staatliche Einrichtungen (USDOS 30.11.2023). Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes in Koordination mit dem Verteidigungsministerium teil (USDOS 20.3.2023). Die 2016 von Präsident Wladimir Putin gegründete Nationalgarde (Rosgwardija) ist Putin direkt unterstellt (ORF 27.6.2023). Gemäß zahlreichen Berichten sind Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte an Folter, Missbrauch und Gewalt zur Erzwingung von Geständnissen Verdächtiger beteiligt. Die Straflosigkeit in Bezug auf Sicherheitskräfte stellt ein beträchtliches Problem dar (USDOS 22.4.2024). Ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt (AA 28.9.2022). Die Polizei wendet häufig übermäßige Gewalt an (FH 2024). Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen 'fremdländischen' Aussehens oft Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden (AA 28.9.2022).

Laut gesetzlichen Vorgaben dürfen Verdächtige für eine Dauer von maximal 48 Stunden ohne gerichtliche Genehmigung inhaftiert werden - vorausgesetzt, es gibt Beweise oder Zeugen. Anderenfalls ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete werden von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt, und die Polizei hat die Gründe für die Festnahme zu dokumentieren. Inhaftierten muss die Möglichkeit gegeben werden, Angehörige telefonisch zu benachrichtigen, es sei denn, ein Staatsanwalt ordnet die Geheimhaltung der Inhaftierung an. Verhaftete müssen von der Polizei innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor haben sie das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu sehen. Spätestens 12 Stunden nach der Festnahme muss die Polizei den Staatsanwalt benachrichtigen. Die Polizei muss Festgenommene nach 48 Stunden gegen Kaution freilassen - es sei denn, ein Gericht beschließt in einer Anhörung, die Inhaftierungsdauer auszudehnen. Zuvor (mindestens acht Stunden vor Ablauf der 48-Stunden-Haftdauer) muss die Polizei einen diesbezüglichen Antrag eingereicht haben. Im Allgemeinen werden von den Behörden die rechtlichen Beschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (USDOS 22.4.2024).

Tschetschenien

Rechtswidrige Handlungen tschetschenischer Sicherheitskräfte, welche für Entführungen von Personen in ganz Russland verantwortlich sind, bleiben straffrei (Conversation 9.11.2023). Die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik, Ramsan Kadyrow, gilt (ÖB Moskau 30.6.2023), bestehen aus (Oryx 23.11.2022):

dem 141. motorisierten Spezialregiment 'A. Ch. Kadyrow'

dem 249. motorisierten Spezialbataillon 'Süden'

der Schnellen Sondereingriffseinheit 'Achmat' (SOBR)

der Mobilen Einheit für Sonderaufgaben 'Achmat-Grosnyj' (OMON)

dem Polizeiregiment für Sonderaufgaben 'A. A. Kadyrow' (PPSN) und

uniformierten Polizeitruppen.

Bewaffnete Kräfte in Tschetschenien sind Kadyrow persönlich untergeben. Die sogenannten Kadyrowzy stellen [im engeren Sinn; Anm. der Staatendokumentation] eine paramilitärische Einheit bzw. eine Privatarmee dar. Diese ist formal ein Teil des Innenministeriums und der Nationalgarde und dient dazu, Opponenten innerhalb Tschetscheniens zu unterdrücken und Kadyrows Gegner außerhalb Tschetscheniens zu eliminieren (Conversation 9.11.2023). Die Kadyrowzy stellen die gegenüber den tschetschenischen Behörden loyalste Bevölkerungsgruppe dar (Nowaja gaseta/Milaschina 29.9.2022). Die Kadyrowzy werden für zahlreiche Missbrauchshandlungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Strafrechtliche Konsequenzen haben die Handlungen der Kadyrowzy nicht (EUAA 16.12.2022a). Die Kadyrowzy kommen im Ukraine-Krieg zum Einsatz (KK 19.12.2023; vgl. Conversation 9.11.2023). Mittlerweile umschließt der Begriff Kadyrowzy auch Bewohner anderer russischer Regionen, die ihre Ausbildung in der tschetschenischen Stadt Gudermes durchlaufen, um als Söldner an die Front geschickt zu werden (KR 7.9.2022; vgl. KR 22.1.2024).

Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem langen Arm des Regimes von Republikoberhaupt Kadyrow nicht sicher. Sicherheitskräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs auch in Moskau präsent. Es wird von Einzelfällen berichtet, in denen entweder die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile verfolgen, sowie von Angehörigen sexueller Minderheiten, die gegen ihren Willen von anderen russischen Regionen nach Tschetschenien zurückgeholt wurden (AA 28.9.2022).

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung 2023-06-29 09:50

Folter, Gewalt sowie unmenschliche bzw. grausame oder erniedrigende Behandlung und Strafen sind in Russland auf Basis des Art. 21 der Verfassung verboten (Duma 6.10.2022). Die Konvention der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe wurde von Russland 1987 ratifiziert. Das Zusatzprotokoll hat Russland nicht unterzeichnet (UN-OHCHR o.D.). Die Zufügung körperlicher oder seelischer Schmerzen durch systematische Gewaltanwendung wird gemäß § 117 Strafgesetzbuch mit Freiheitsbeschränkung von bis zu drei Jahren, Zwangsarbeit von bis zu drei Jahren oder Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren bestraft. Wird dieselbe Tat beispielsweise von mehreren Personen oder mit besonderer Grausamkeit begangen, ist das Opfer eine minderjährige Person oder wird die Tat zum Beispiel aus politischen, ideologischen oder religiösen Motiven begangen, hat dies Freiheitsentzug von 3 - 7 Jahren zur Folge. Gemäß § 286 Strafgesetzbuch führt die Anwendung von Folter im Rahmen der Überschreitung von Amtsbefugnissen zu Freiheitsentzug von 4 - 12 Jahren (RF 28.4.2023).

Trotz des gesetzlichen Rahmens werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut (ÖB 30.6.2022). Die Polizei nutzt Folter, um Andersdenkende unter Druck zu setzen. Im März 2022 berichteten mehrere Demonstranten und Demonstrantinnen, die bei Antikriegskundgebungen festgenommen worden waren, auf Polizeiwachen gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein (AI 28.3.2023). In den Haftanstalten sind Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung (AI 28.3.2023) und die dafür Verantwortlichen werden selten strafrechtlich verfolgt (AI 28.3.2023; vgl. ÖB 30.6.2022). Foltervorwürfe werden nicht effektiv untersucht (UN-HRC 1.12.2022). Gemäß Berichten kommt es vor, dass Journalisten und Aktivisten, welche über Folterfälle in Gefängnissen berichten, von Behörden strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 20.3.2023). Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten stützen, scheint in vielen Fällen Grund für zum Teil schwere Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein (ÖB 30.6.2022). Gemäß zahlreichen Berichten erzwingen Strafverfolgungsbehörden Geständnisse gewaltsam, durch Folter und Missbrauchshandlungen. Es kommt zu Todesfällen aufgrund von Folter (USDOS 20.3.2023). Das Problem der Folter und Erniedrigungen hat systemischen Charakter (Gulagu.net o.D.). Betroffene, welche vor Gericht Foltervorwürfe erheben, werden zunehmend unter Druck gesetzt, beispielsweise durch Verleumdungsvorwürfe. Die Dauer von Gerichtsverfahren zur Überprüfung von Foltervorwürfen ist kürzer geworden (früher fünf bis sechs Jahre), Qualität und Aufklärungsquote sind jedoch nach wie vor niedrig (AA 28.9.2022). Es existieren keine verlässlichen Statistiken zu Folter und Misshandlungen (UN-HRC 1.12.2022).

Nordkaukasus/Tschetschenien

Im Nordkaukasus kommt es zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, darunter Folter und Misshandlungen (UN-HRC 1.12.2022). Gemäß weitverbreiteten Berichten begehen Sicherheitskräfte in nordkaukasischen Haftanstalten Missbrauchshandlungen und wenden Folter an (USDOS 20.3.2023). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das tschetschenische Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 2023). Die Bekämpfung von Extremisten geht mit Folter zur Erlangung von Geständnissen einher (AA 28.9.2022). Es herrscht in Tschetschenien diesbezüglich Straflosigkeit (ÖB 30.6.2022).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Überblick über die Armee

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Ab einem Alter von 16 Jahren ist der freiwillige Besuch einer Militärschule möglich (EBCO 12.5.2023). Gemäß dem föderalen Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' unterliegen männliche russische Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren der Einberufung zum Grundwehrdienst. Die Entscheidung, ob eine Person einberufen wird oder nicht, darf erst dann getroffen werden, wenn die betreffende Person mindestens 18 Jahre alt ist (FGWW RUSS 25.12.2023). Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. FGWW RUSS 25.12.2023). Für gewöhnlich findet zweimal jährlich eine Stellung/Einberufung statt (FGWW RUSS 25.12.2023). Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden sollen. In der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel der jährlich ins wehrdienstpflichtige Alter kommenden jungen Männer (ÖB Moskau 30.6.2023). Für Herbst 2022 wurden 120.000 Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen (EPEMD11-12/22 RUSS 30.9.2022), für das Frühjahr 2023 147.000 (EPEMD4-7/23 RUSS 30.3.2023) und für Herbst 2023 130.000 Personen (EPEMD10-12/23 RUSS 29.9.2023). Die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen ist relativ gering, im Durchschnitt 500 Einberufene pro Einberufungsperiode (ÖB Moskau 21.2.2024). Die Tschetschenen werden über das ganze Land verteilt und verschiedenen Militäreinheiten zugewiesen (VQ RUSS1 4.12.2023).

Es existieren folgende Tauglichkeitskategorien (FGWW RUSS 25.12.2023):

A [A]: tauglich

Б [B]: tauglich mit geringfügigen Einschränkungen

В [W]: eingeschränkt tauglich

Г [G]: vorübergehend untauglich

Д [D]: untauglich

Gemäß dem föderalen Gesetz zur Aus- und Einreise dürfen zum Wehrdienst einberufene Staatsbürger das Land bis zur Beendigung des Wehrdiensts nicht verlassen (FGAE RUSS 4.8.2023). Darüber wird der Grenzschutz des Inlandsgeheimdienstes FSB (Föderaler Sicherheitsdienst) direkt informiert (BAMF 31.7.2023). Nach Ableistung des Grundwehrdiensts werden die Wehrpflichtigen als Reservisten registriert (EUAA 16.12.2022a; vgl. BBC 21.9.2022) und dürfen somit mobilisiert werden (MBZ 31.3.2023; vgl. FGMB RUSS 25.12.2023). Die Ableistung des Grundwehrdienstes ist Voraussetzung für bestimmte (vor allem staatliche) berufliche Laufbahnen (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. VMR RUSS o.D.a).

Gemäß den gesetzlichen Vorgaben sind unter anderem Personen vom Wehrdienst befreit, welche wegen ihres Gesundheitszustands untauglich oder eingeschränkt tauglich sind; Söhne oder Brüder von Personen, welche infolge der Ausübung ihrer militärischen Dienstpflichten verstarben; sowie Personen, die einer Straftat verdächtigt werden. Folgende Staatsbürger dürfen den Wehrdienst aufschieben: wer aus gesundheitlichen Gründen als vorübergehend untauglich eingestuft wurde (Aufschub bis zu einem Jahr); pflegende Angehörige; Alleinerziehende; Familien mit mehreren Kindern; Parlamentsabgeordnete; Studierende usw. (FGWW RUSS 25.12.2023). Viele junge Männer, insbesondere wohlhabenderen Gesellschaftsschichten entstammend, sowie Bewohner von Großstädten versuchen, dem Wehrdienst zu entgehen (EUAA 16.12.2022a).

Die russische Armee bietet die Möglichkeit eines Freiwilligendiensts auf Vertragsbasis (ÖB Moskau 30.6.2023). Seit mehreren Jahren sind Bemühungen im Gang, die Armee in Richtung eines Berufsheeres umzugestalten (ISW 5.3.2022; vgl. SWP/Klein/Schreiber 7.12.2022, GS o.D.).

Mehr als 39.000 Frauen gehören den russischen Streitkräften an (Wedomosti 7.3.2023). Frauen sind nicht militärdienstpflichtig (Connection 8.10.2023), doch weiblichen Staatsbürgern steht ein freiwilliger Armeedienst auf Vertragsbasis offen (ÖB Moskau 30.6.2023). Frauen mit bestimmten beruflichen Spezialisierungen gehören [automatisch; Anm. der Staatendokumentation] der Reserve an (FGWW RUSS 25.12.2023). Arbeiten sie in kriegswichtigen Berufen, wie beispielsweise im medizinischen Bereich, können sie für einen Kriegseinsatz herangezogen werden (Connection 8.10.2023).

Gemäß dem föderalen Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' werden Einberufungsbefehle in schriftlicher Form und zusätzlich elektronisch übermittelt (FGWW RUSS 25.12.2023). Die elektronische Zustellung erfolgt über das Online-Portal Gosuslugi (VB Moskau 15.9.2023), was eine Registrierung auf https://www.gosuslugi.ru/ erfordert (Gosuslugi o.D.). Die Registrierung geschieht auf freiwilliger Basis (objasnjaem 3.9.2023). Die Einberufungsbefehle werden vom Militärkommissariat per eingeschriebenem Brief verschickt. Möglich ist auch die persönliche Aushändigung des Einberufungsbefehls durch Mitarbeiter des Militärkommissariats oder durch andere für Militärregistertätigkeiten verantwortliche Personen. So die Zustellung eines Einberufungsbefehls auf die hier dargestellte Art und Weise nicht möglich ist, gilt der Einberufungsbefehl spätestens sieben Tage nach dessen Eintragung ins Einberufungsbefehlsregister als zugestellt. Verweigert ein Bürger den Erhalt des per Post zugestellten oder persönlich ausgehändigten Einberufungsbefehls des Militärkommissariats, gilt der Einberufungsbefehl am Tag der Verweigerung als zugestellt (FGWW RUSS 25.12.2023). Das einheitliche Militärregister sollte ab dem Jahr 2025 voll funktionsfähig sein (RBK 19.9.2023).

Prinzipiell erhalten alle Personen, welche den Wehrdienst abgeleistet haben, ein Militärbuch. Es häufen sich Aussagen, dass immer mehr Männer, die nie gedient haben, mit Vollendung des 25. Lebensjahres ein Militärbuch erhalten. Dieses besagt dann jedoch, dass sie nie dienten und daher auch nicht zur Reserve zählen (ÖB Moskau 21.2.2024). Die Ausstellung eines Militärbuchs (woennyj bilet) erfolgt per Antrag. Das Militärbuch erhält man beim örtlichen Militärkommissariat (Armyhelp 24.3.2023). Es wird nicht zugestellt, sondern muss abgeholt werden. Meist werden Militärbücher zur Vorlage an einen Arbeitgeber benötigt (VB Moskau 15.9.2023).

Im Militärbereich ist Korruption weitverbreitet (USDOS 20.3.2023; vgl. SWP/Klein/Schreiber 7.12.2022, MoD@DefenceHQ 2.2.2024). Die Teilmobilmachung in Russland hat zu Kleinkorruption in Form von Manipulationen des Wehrpflichtigenregisters sowie in Form von Bestechung an Grenzübergängen geführt (FH 24.5.2023). Es wird über mehrere Fälle russischer Soldaten berichtet, welche ihre Kommandanten bestochen haben, um nicht in den Ukraine-Krieg ziehen zu müssen (WG 30.10.2023). In den russischen Militäreinheiten, welche in der Ukraine kämpfen, ist Bestechung weitverbreitet. Für Soldaten besteht die Möglichkeit, Verwundungen, Urlaub, Rotationen und die Nichtteilnahme an Angriffen zu 'kaufen' (NGE 28.11.2023). 2015 wurden die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweitert. Seitdem zählt hierzu ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte. In diesem Zusammenhang ist auch die sogenannte Dedowschtschina ('Herrschaft der Großväter') zu nennen. Hierbei handelt es sich um ein System der Erniedrigung bis hin zur Vergewaltigung von sich ausgeliefert fühlenden Rekruten durch dienstältere Mannschaften in Verbindung mit abgelegenen Standorten und keinem Ausgang bzw. kaum Urlaub. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu Delikten kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit (AA 28.9.2022). NGOs gehen von Hunderten Gewaltverbrechen pro Jahr im Heer aus. Laut Menschenrechtsvertretern existiert Gewalt in den Kasernen zumindest in bestimmten Militäreinheiten als System und wird von den Befehlshabenden unterstützt bzw. geduldet (ÖB Moskau 30.6.2023). Die Diskreditierung der Armee kann gemäß dem Strafgesetzbuch unter anderem zu Geldstrafen, Zwangsarbeit oder Freiheitsentzug von bis zu sieben Jahren führen (StGB RUSS 14.2.2024). Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, welche in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie gewöhnliche Freiheitsstrafen in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch bis zu zwei Jahre in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 28.9.2022).

Laut der Verfassung ist der Präsident der Russischen Föderation Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Verfassung RUSS 6.10.2022). Gemäß einem präsidentiellen Erlass vom 1.12.2023 wurde die russische Armee auf einen Personalstand von 2.209.130 Bediensteten aufgestockt, davon 1.320.000 bewaffnete Kräfte (EPPS RUSS 1.12.2023). Bis 2026 ist eine Erhöhung der Anzahl der bewaffneten Kräfte auf 1,5 Millionen geplant (Iswestija 17.1.2023). Die genauen Zahlen über die Stärke und Neuaufstellungen der russischen Armee sind schwer zugänglich (BAMF 7.8.2023). Im Jahr 2022 betrugen die Militärausgaben 4,1 % des Bruttoinlandsprodukts (SIPRI o.D.). Für das Jahr 2024 sind 38,6 % des Gesamtbudgets für die Bereiche Sicherheit und Verteidigung vorgesehen (Iswestija 13.11.2023). Die Militarisierung der Gesellschaft schreitet schnell voran (ÖMZ/Goiser/Riemer 1.2024).

Mobilisierung

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Teilmobilisierung

Am 21.9.2022 verkündete ein Erlass des Präsidenten Putin eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation. Mobilisierte genießen denselben Status wie Vertragssoldaten der Streitkräfte und sind auch hinsichtlich der Entlohnung gleichgestellt. Verträge der Vertragssoldaten behalten bis zum Abschluss der Teilmobilmachung ihre Gültigkeit. Während des Zeitraums der Teilmobilmachung dürfen gemäß dem präsidentiellen Erlass vom 21.9.2022 die Dienstverhältnisse des militärischen Vertragspersonals sowie mobilisierter Personen nur aus folgenden Gründen aufgelöst werden (EPVT RUSS 21.9.2022):

aus Altersgründen - nach Erreichen der Altersgrenze

aus gesundheitlichen Gründen

im Falle des Vorliegens eines rechtskräftigen Gerichtsurteils über Verhängung einer Freiheitsstrafe (EPVT RUSS 21.9.2022)

Punkt 7 des präsidentiellen Erlasses vom 21.9.2022 enthält ausschließlich den Hinweis 'für den Dienstgebrauch' (EPVT RUSS 21.9.2022). [Der Inhalt des Punkts 7 ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Der für die Öffentlichkeit zugängliche Teil des Erlasses enthält keinerlei Informationen über die Anzahl der zu mobilisierenden Personen, keine Altersgrenzen und auch keine präzise Definition der zu Mobilisierenden; Anm. der Staatendokumentation] Im Rahmen eines Fernsehinterviews konkretisierte am 21.9.2022 der [damalige; Anm. der Staatendokumentation] Verteidigungsminister Sergej Schojgu, dass die Teilmobilmachung auf eine Einberufung von 300.000 Reservisten abzielt (RG 21.9.2022). Die zu Mobilisierenden sollten nach Angaben von Präsident Putin in den russischen Streitkräften gedient und bestimmte militärische Spezialisierungen erworben haben (RBK 28.9.2022; vgl. EUAA 16.12.2022a).

Personen, welche der Reserve angehören, werden im Allgemeinen in drei Kategorien unterteilt, für welche jeweils unterschiedliche Altersgrenzen gelten (FGWW RUSS 25.12.2023). [Eine genaue Darstellung der Reservisten-Kategorien findet sich im Anhang; Anm. der Staatendokumentation]. Im Falle einer Mobilisierung werden zuerst die Reservisten der Kategorie 1 einberufen (RIA Nowosti 19.10.2022). Die ab September 2022 in Russland durchgeführte Teilmobilisierung betraf in erster Linie Reservisten der Kategorie 1 (TASS 21.9.2022). Gemäß der unabhängigen russischen Zeitung Nowaja gaseta, welche sich auf eine Quelle innerhalb der Präsidialverwaltung beruft, erlaubt der geheim gehaltene Punkt 7 des Erlasses vom 21.9.2022 dem Verteidigungsministerium eine Mobilisierung von bis zu einer Million Personen (NGE 22.9.2022). Den Subjekten (Regionen) der Russischen Föderation wird vom Erlass die Einberufung der zu Mobilisierenden auferlegt (EPVT RUSS 21.9.2022).

Punkt 9 des präsidentiellen Erlasses vom 21.9.2022 gewährt Staatsbürgern, die im Rüstungsindustriesektor beruflich tätig sind, das Recht auf einen Mobilisierungsaufschub (EPVT RUSS 21.9.2022). Das föderale Mobilisierungsgesetz gewährt unter anderem folgenden Bürgern ein Recht auf einen Mobilisierungsaufschub: Bürgern, deren Gesundheitszustand vorübergehend eine Mobilisierung nicht gestattet (Aufschub für eine Dauer von bis zu sechs Monaten); pflegenden Angehörigen; kinderreichen Familien und Alleinerziehenden; Kindern alleinerziehender, kinderreicher Mütter; Senatoren der Russischen Föderation und Duma-Abgeordneten; sowie Mitgliedern von Freiwilligenformationen. Weiteren Personen oder Personengruppen kann durch präsidentielle Erlässe ein Mobilisierungsaufschub gewährt werden (FGMB RUSS 25.12.2023). Der Herausgabe des präsidentiellen Erlasses zur Einleitung der Teilmobilisierung folgten diverse Erlässe und offizielle Verlautbarungen, welche die von der Mobilisierung ausgenommenen Personengruppen definierten (MBZ 31.3.2023). Ein Mobilisierungsaufschub wurde durch präsidentiellen Erlass Studierenden gewährt (EPGM RUSS 5.10.2022). Ausgeschlossen von der Mobilmachung wurden außerdem Mitarbeiter im Finanz- und Telekommunikationssektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien (Garant 23.9.2022). Die von der Mobilisierung ausgenommenen Personengruppen waren örtlichen Rekrutierungsstellen nicht immer bekannt, oder aber sie standen in einem Widerspruch zur Gesetzgebung (MBZ 31.3.2023). Mehrmals wurden die Bedingungen für Mobilisierungsfreistellungen und -aufschübe geändert. Dies führte dazu, dass Rekrutierungsstellen landesweit uneinheitliche Mobilisierungskriterien anwandten (EUAA 16.12.2022a). Gemäß weitverbreiteten Berichten wurden Einberufungsbefehle durch die Behörden willkürlich zugestellt (Landinfo 10.8.2023). Es erfolgten Einberufungen von Personen, welche eigentlich von der Mobilmachung ausgenommen waren, darunter Schwerkranke (Kommersant 26.9.2022; vgl. UN News 27.9.2022b). Söhne der russischen Elite zahlten Berichten zufolge hohe Bestechungssummen, um nicht an die Front geschickt zu werden (Standard 28.9.2022). Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein (Kommersant 26.9.2022).

Mit Stand März 2023 nahmen gemäß dem Verteidigungsminister 1.100 Frauen am Ukraine-Krieg teil (Wedomosti 7.3.2023). Nur wenige Frauen werden auf russischer Seite im Ukraine-Krieg als Frontkämpfer eingesetzt (MoD@DefenceHQ 30.10.2023). Frauen befinden sich hauptsächlich als Ärztinnen und Köchinnen im Kriegseinsatz (WG 23.10.2023).

Mit 28.10.2022 erklärte der Verteidigungsminister die Teilmobilmachung für beendet (TASS 28.10.2022). Am 31.10.2022 bestätigte Putin mündlich das Ende der Teilmobilmachung (Kreml 31.10.2022). Jedoch ist gemäß einer schriftlichen Mitteilung der russischen Präsidialverwaltung vom 30.12.2022 der präsidentielle Erlass zur Einleitung der Teilmobilmachung (21.9.2022) nach wie vor in Kraft (Jabloko 17.1.2023). Auch Dmitrij Peskow, der Kreml-Pressesprecher, bestätigte dies (ISW 20.1.2023). [Der präsidentielle Erlass vom 21.9.2022 enthält keinerlei Hinweise auf das zeitliche Ende der Teilmobilmachung. Bis zum heutigen Tag veröffentlichte die russische Regierung keinen Erlass zur Beendigung der Teilmobilisierung; Anm. der Staatendokumentation]

Die Mobilmachung führte in Russland zu Protesten, Festnahmen (UN News 27.9.2022b) sowie zu einer Ausreisebewegung. Im Zuge der Teilmobilmachung verließen mindestens 700.000 Bewohner Russlands ihr Land (ISW 23.12.2023). Manche Personen, die während der Mobilisierung die Flucht versuchten, trafen an der Grenze auf Sicherheitspersonal, welches ihnen Einberufungsbefehle aushändigte (FH 2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen im Militärregister aufscheinende Bürger ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (FGMB RUSS 25.12.2023).

Bei Gerichten eingebrachte Beschwerden gegen Mobilisierungsentscheidungen entfalten keine aufschiebende Wirkung (EUAA 16.12.2022a).

Verdeckte Mobilisierung

Wegen der Unpopularität der Teilmobilmachung und der folgenden Massenemigration sind die russischen Behörden von einer Teilmobilmachung zu einer bis heute andauernden sogenannten verdeckten Mobilisierung übergegangen. Unter den Begriff der verdeckten Mobilisierung fallen die Rekrutierung Freiwilliger sowie Zwangseinberufungen von Migranten und kürzlich eingebürgerter russischer Staatsbürger (ISW 23.12.2023). Lokale Behörden führen umfassende Kampagnen, um für den Vertragsdienst in der Armee zu werben. Beispielsweise wenden sich Rekrutierungsstellen direkt telefonisch an die Zielgruppen. Zudem finden sich Plakate in verschiedenen Städten, Werbung auf Social-Media-Plattformen usw. (EUAA 3.10.2023). Es werden verschiedene Anreize geschaffen, um Freiwillige als Kämpfer für den Ukraine-Krieg zu gewinnen. In der Moskauer Region wird Freiwilligen eine Summe von einer Million Rubel [ca. EUR 10.133] geboten, außerdem wird mit Steuerbefreiungen, Arbeitsplatzerhalt und der Aussetzung von Gerichtsverfahren gelockt (RIA Nowosti 20.11.2023). Mit dem Ziel der Planerfüllung konkurrieren Regionen miteinander und werben Vertragssoldaten mit attraktiven finanziellen Angeboten an (NGE 3.8.2023). Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurde der Militärdienst im Rahmen der russischen Streitkräfte immer lukrativer (MoD@DefenceHQ 29.8.2023). Gemäß einem behördeninternen Dokument werden Regionalbehörden angehalten, unter anderem folgende Personen als Vertragssoldaten für den Ukraine-Krieg zu gewinnen: Migranten, zahlungsunfähige Personen, Erwerbslose und andere vulnerable Bevölkerungsschichten (WG 2.11.2023).

Bewohner besetzter ukrainischer Gebiete sind Zwangsrekrutierungen durch die russische Besatzungsmacht ausgesetzt (ISW 6.11.2023). Russland ruft Bürger benachbarter Staaten dazu auf, sich den Kämpfen in der Ukraine anzuschließen (MoD@DefenceHQ 3.9.2023). In der Ukraine kämpfen auf russischer Seite Staatsangehörige verschiedener Länder, darunter von russischen Behörden angeworbene serbische Staatsbürger (ISW 12.1.2024) und Kubaner (ISW 30.9.2023). Auch syrische Söldner wurden zur Unterstützung Russlands für den Kampf in der Ukraine rekrutiert (Rat der EU 22.7.2022).

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bieten juristische Beratung für Soldaten an (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. KK 12.10.2022).

Situation von Grundwehrdienern (Rekruten)

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Rechtliche Ausgangssituation

Gemäß einem präsidentiellen Erlass müssen Wehrpflichtige einen mindestens viermonatigen Militärdienst und eine militärische Ausbildung absolviert haben, um zu Kampfeinsätzen entsandt werden zu können (EPMD RUSS 26.2.2024). Wird jedoch das Kriegsrecht ausgerufen, dürfen Wehrpflichtige bereits früher und nicht erst nach vier Monaten herangezogen werden (ISW 30.10.2022). Gemäß dem föderalen Gesetz 'Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst' dürfen Militärbedienstete ab Ableistung des Militäreids, welche spätestens zwei Monate nach Beginn der militärischen Ausbildung erfolgt, an Kampfhandlungen teilnehmen (FGWW RUSS 25.12.2023). Laut dem föderalen Aus- und Einreisegesetz kann das Ausreiserecht russischer Staatsbürger, die zum Wehrdienst einberufen wurden, vorübergehend eingeschränkt werden. Diese Beschränkung gilt bis zur Beendigung des Wehrdiensts. Die betreffende Person hat für den Zeitraum der Ausreisebeschränkung ihren Reisepass bei der Behörde, die den Reisepass ausgestellt hat, abzugeben bzw. in Verwahrung zu geben (FGAE RUSS 4.8.2023). Ein Reisepass, der ohne stichhaltige Gründe innerhalb der vorgegebenen Frist nicht in Verwahrung gegeben wird, verliert seine Gültigkeit und kann an der Grenze beschlagnahmt werden (RS 11.12.2023).

Situation von Grundwehrdienern in der Praxis

Aktuell gibt es keine Hinweise auf eine Teilnahme russischer Grundwehrdiener an Kampfhandlungen in der Ukraine (ISW 29.12.2023; vgl. ÖB Moskau 21.2.2024, VQ RUSS1 4.12.2023). Immer wieder beteuern die Behörden, dass russische Grundwehrdiener nicht in den Ukraine-Krieg geschickt werden (ISW 29.12.2023; vgl. AP 1.12.2023, ISW 3.10.2023, BBC 5.8.2023, NYT 1.8.2023, Wedomosti 2.11.2022). Grundwehrdiener werden auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim (EUAA 16.12.2022a) sowie für Grenzsicherungszwecke entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt (BBC 5.8.2023; vgl. ISW 8.12.2023, EUAA 16.12.2022a, VQ RUSS1 4.12.2023). Auf Grundwehrdiener wird Druck ausgeübt, einen Vertrag mit dem Militär zu unterzeichnen (WG 29.11.2023). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben dürfen russische Staatsbürger und auch Bürger anderer Staaten ab einem Alter von 18 Jahren einen Vertrag mit dem russischen Militär abschließen (FGWW RUSS 25.12.2023).

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bieten juristische Beratung für Grundwehrdiener an (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. KK 12.10.2022).

Situation in Tschetschenien

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Tschetschenische Gruppierungen kämpfen in der Ukraine seit Kriegsbeginn (EUAA 16.12.2022a). Die von Putin am 21.9.2022 verkündete Teilmobilmachung (EPVT RUSS 21.9.2022) wurde in Tschetschenien nicht durchgeführt. Ramsan Kadyrow, das Oberhaupt der Republik Tschetschenien, begründete dies damit, dass Tschetschenien bereits überproportional viele Kämpfer in die Ukraine entsandt und somit die Quote übererfüllt hatte (KK 23.9.2022). Nach Verkündung der Teilmobilmachung durch Putin wandte sich Kadyrow an Kampfunwillige und nannte diese Feiglinge, Verräter und Menschen zweiter Klasse (KK 11.10.2023). Im Herbst 2022 befahl Kadyrow, Einberufungsbefehle an diejenigen Bevölkerungsteile zu versenden, welche sich der Einberufung zu entziehen versuchen (KR 11.10.2023). Die Bevölkerung Tschetscheniens unterstützt den Krieg größtenteils nicht (SOS-NK 8.6.2023).

Rekrutierungsmethoden und Zielgruppen der Rekrutierung

In Tschetschenien finden Rekrutierungen von Kämpfern in einer allgemeinen Atmosphäre des Zwanges und unter Verletzung von Menschenrechtsstandards statt. In vielen Fällen erfolgen Zwangsrekrutierungen (EUAA 16.12.2022a; vgl. KR 8.6.2023). Auf Einzelpersonen in Tschetschenien wird Druck ausgeübt (ÖB Moskau 25.1.2023). Kadyrow betreibt in Bezug auf den Ukraine-Krieg eine intensive mediale Propaganda (VQ RUSS2 23.1.2024). Oft ruft er die Bewohner Tschetscheniens zur Teilnahme am Ukraine-Krieg auf (KK 14.12.2023). Kadyrow drohte Kampfunwilligen mit der 'Hölle' (KK 17.7.2022) und ordnete die Streichung von Sozialleistungen für Familien von Kriegsdienstverweigerern an (KK 25.8.2022). Kadyrow und Beamte beleidigen offen Personen, die nicht an die Front wollen (KR 19.2.2023).

Beamten, Imamen und Kommandanten in Tschetschenien sind Rekrutierungsquoten für den Ukraine-Krieg auferlegt. Um diese normativen Vorgaben erfüllen zu können, werden Tschetschenen in Geheimgefängnissen rechtswidrig festgehalten. So sie einen Kriegseinsatz ablehnen, werden Repressalien gegen ihre Verwandten angedroht (KR 7.8.2023). Häufig werden Einwohner Tschetscheniens von Behördenmitarbeitern (Silowiki) entführt, um ihre Kriegsteilnahme zu erzwingen (KR 7.8.2023; vgl. EUAA 17.2.2023). Einige der Entführten werden vor die Wahl gestellt, entweder in den Krieg zu ziehen (KR 7.8.2023; vgl. AI 28.3.2023, EUAA 17.2.2023) oder Lösegeld zu bezahlen (EUAA 17.2.2023), Folter über sich ergehen zu lassen und wegen fingierter Straftaten gerichtlich verurteilt zu werden (KR 7.8.2023; vgl. AI 28.3.2023, EUAA 17.2.2023). Gedroht wird außerdem mit der Entführung von Familienmitgliedern sowie der Demütigung weiblicher Verwandter. Die Entführten sind meistens junge Männer, welche bereits zuvor im Visier der Behörden waren (EUAA 17.2.2023).

Die meisten tschetschenischen Kriegsteilnehmer entstammen dem ländlichen Raum und leben mit ihren Familien in bescheidenen Verhältnissen. Die versprochenen hohen Geldsummen verleiten sie zu einem Kriegseinsatz. Weiters nehmen am Ukraine-Krieg tschetschenische Berufs- bzw. Vertragssoldaten teil. Diesen machte Kadyrow ein schlechtes Gewissen und erklärte ihnen, es sei nun an der Zeit, ihren in Friedenszeiten empfangenen 'hohen' Sold abzuarbeiten. Außerdem nehmen (noch nicht gerichtlich verurteilte) Gesetzesbrecher am Krieg teil, welchen man einen Kriegseinsatz als 'Freiwillige' nahelegt. Besonders betroffen davon sind Personen, welche sich des Drogenmissbrauchs und Alkoholismus schuldig machten, sowie Diebe (VQ RUSS2 23.1.2024). Ebenfalls unter den unfreiwillig Rekrutierten befinden sich Strafgefangene (EUAA 16.12.2022a). Gemäß Berichten kommt es im Zuge von Verkehrskontrollen und Streitigkeiten zwischen Verkehrspolizisten und Autofahrern zur Aushändigung von Einberufungsbefehlen (KK 24.11.2023). Tschetschenen, welchen eine homosexuelle Orientierung unterstellt wird, sind ebenfalls Zielgruppe von Kriegsentsendungen. Gleich ergeht es Personen, die spezielle politische Ansichten vertreten (VQ RUSS2 23.1.2024). Rekrutiert werden hauptsächlich Menschen, welche ihre Unzufriedenheit mit der tschetschenischen Führung oder dem Ukraine-Krieg ausdrückten, und auch Personen, die auf irgendeine Art und Weise in Ungnade gefallen sind (DIS 9.12.2022). In der Praxis kommt es zur Kriegsentsendung von Familienangehörigen illoyaler Tschetschenen (KR 9.8.2023). In Tschetschenien ist die Praxis der kollektiven Verantwortung weitverbreitet (KR 2.3.2023). Es wird über tschetschenische Frauen berichtet, welche als medizinisches Personal in die Ukraine entsandt werden (OFPRA 25.8.2023).

Tschetschenische Kampfeinheiten in der Ukraine

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs wurden in Tschetschenien mehrere Bataillone und Regimenter auf Linie des russischen Verteidigungsministeriums gebildet. Zusätzlich entstanden gemäß Kadyrow mehrere der Nationalgarde untergeordnete Einheiten (KK 18.9.2023). Im November 2022 forderte Kadyrow die tschetschenischen Sufismus-Vertreter auf, Kampfeinheiten nach dem Prinzip der Zugehörigkeit zu religiösen Bruderschaften zu bilden (KK 18.11.2022). Die sogenannten Kadyrowzy nahmen seit 2014 an Kampfhandlungen im ukrainischen Donbas-Gebiet teil (KK 16.5.2023) [zum Begriff der Kadyrowzy siehe das Kapitel Sicherheitsbehörden; Anm. der Staatendokumentation]. Die Objektivität und Richtigkeit der von der tschetschenischen Führung angegebenen Zahlen tschetschenischer Kämpfer in der Ukraine werden von Experten angezweifelt (KR 4.8.2023).

Kadyrow hat sich sehr darum bemüht, die Tschetschenen nicht zum Kanonenfutter werden zu lassen, und hat für seine Kämpfer ein relativ sicheres Umfeld inmitten der Kriegshandlungen geschaffen (Nowaja gaseta/Milaschina 29.9.2022; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024). Im Jahr 2023 gelang es Kadyrow nicht mehr, seine Kämpfer von der Front fernzuhalten. Dies vor dem Hintergrund, dass die frühere Wagner-Gruppe bzw. deren mittlerweile verstorbener Anführer Ewgenij Prigoschin damals den Wunsch äußerte, sich von der Front zurückzuziehen. Immer wieder nun ist Kadyrow gezwungen, der Verwendung seiner Truppen für Kampfhandlungen an der Frontlinie zuzustimmen. Verluste unter den in der Ukraine kämpfenden Tschetschenen stellen eine potenzielle Bedrohung der Stabilität des von Kadyrow in Tschetschenien etablierten Regimes dar (VQ RUSS2 23.1.2024). Kadyrow verschweigt die Anzahl der im Ukraine-Krieg gefallenen Tschetschenen (KR 18.2.2023).

Militärische Organisation (Ausbildung, Sold)

Eines der Ausbildungszentren für Ukraine-Kämpfer ist die sogenannte Russische Universität für Spezialkräfte (Rossijskij uniwersitet speznasa) in der tschetschenischen Stadt Gudermes (KK 1.7.2023), welche nach Kriegsbeginn zum größten Ausbildungszentrum für Söldner aus dem ganzen Land wurde (KR 29.6.2023). Die Zulassung zu dieser Ausbildungsstätte gestaltet sich zu Kriegszeiten nicht schwierig (WG 29.6.2023). Es ist ausreichend, sich beim Bürgermeisteramt in Grosnyj mit folgenden Worten zu melden: 'Ich bin ein Freiwilliger.' (KK 1.7.2023; vgl. RUSK o.D.). Die Ausbildung ist kostenlos (KR 15.10.2023) und nicht anspruchsvoll (WG 29.6.2023). Nach einer Ausbildungsdauer von in etwa zehn Tagen werden die als Freiwillige bezeichneten Kämpfer in die Ukraine entsandt (KK 1.7.2023).

Die regionale Einmalzahlung, welche in Tschetschenien Ukraine-Kriegsteilnehmern zuteil wird, beträgt RUB 300.000 [ca. EUR 3.040] und zählt zu den höchsten Geldsummen im Land (KR 4.8.2023). In Tschetschenien werden Kämpfern eine Versicherung sowie drei Millionen Rubel [ca. EUR 30.334] im Falle einer Kriegsverwundung versprochen (KR 23.11.2023). Gemäß Berichten werden die Versprechen nicht immer erfüllt (EUAA 16.12.2022a).

Bewegungsfreiheit / Formen der Kriegsdienstverweigerung

Die Furcht vor dem Erhalt eines Einberufungsbefehls fördert Migrationstendenzen junger Männer. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist die Anzahl derjenigen Personen, welche Tschetschenien verlassen haben, beträchtlich gestiegen (DIS 9.12.2022; vgl. KR 15.2.2023). Die Bewegungsfreiheit der Tschetschenen wird verstärkt kontrolliert (SOS-NK 8.6.2023). Einwohner Tschetscheniens treffen auf Probleme beim Erhalt von Reisepässen (KR 19.7.2023; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024). Gemäß Angaben von Menschenrechtsverteidigern begann die örtliche Bevölkerung, 'massenhaft' Anträge auf Reisepässe zu stellen, und mehrere der Antragsteller wurden angeblich entführt (KR 11.12.2023). Es wurde damit begonnen, Personen zu Militärübungen einzuberufen, die kürzlich einen Antrag auf einen Reisepass gestellt oder versucht hatten, ihre Meldeanschrift zu ändern (KR 11.10.2023). Wollen Männer im wehrpflichtigen Alter einen Reisepass erhalten, müssen sie mittlerweile über einen Bürgen verfügen und seit Kriegsbeginn außerdem eine Bescheinigung des Militärkommissariats vorlegen. Die Ausstellung einer solchen Bescheinigung zieht sich ohne Angabe von Gründen häufig in die Länge (KR 11.12.2023). Jedoch ist es gemäß Angaben einer vertraulichen Quelle möglich, diese Hürden durch Bestechung zu umgehen (VQ RUSS2 23.1.2024). In Tschetschenien wurden Listen aller ins Ausland ausgereisten Männer erstellt (KR 11.12.2023). Das tschetschenische Republiksoberhaupt hat damit gedroht, Ausgereisten eine spätere Rückkehr nach Tschetschenien zu verbieten (KR 19.2.2023).

Die Führung Tschetscheniens leugnet Fälle tschetschenischer Soldaten, die den Kriegseinsatz in der Ukraine verweigern (KR 31.12.2022). 2023 bearbeitete das Militärgericht in Grosnyj 78 strafrechtliche Fälle, wovon 47 Fälle Kriegsdienstverweigerung, darunter Desertion, betrafen (KR 22.1.2024).

Unterstützungsmöglichkeiten durch NGOs

In Tschetschenien gibt es keine NGOs, welche eingezogene Personen unterstützen (EUAA 16.12.2022a; vgl. VQ RUSS2 23.1.2024).

Wehr-/Kriegsdienstverweigerung

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Desertion

Gemäß dem russischen Strafgesetzbuch (StGB) bedeutet Desertion das eigenmächtige Verlassen der Militäreinheit oder des Dienstorts mit dem Ziel, dem Wehrdienst zu entgehen. Desertion wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Desertion Folge schwieriger Umstände war. Desertion mit einer Waffe sowie die Desertion einer Personengruppe ziehen eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren nach sich. Desertion während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen wird mit einer Freiheitsstrafe von fünf bis fünfzehn Jahren geahndet (StGB RUSS 14.2.2024). Desertion ist schwer beweisbar (VQ RUSS1 4.12.2023; vgl. Moscow Times 4.12.2023), da sie im Gegensatz zu anderen Formen der Kriegsdienstverweigerung mit der Absicht verbunden ist, für immer dem Militärdienst den Rücken zu kehren (KK 26.12.2023; vgl. BOGMS RUSS 18.5.2023). Um als Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches gelten zu können, ist Vorsatz erforderlich (ÖB Moskau 21.2.2024). Eine Desertion kann nur dann begangen werden, wenn bereits aktiver Wehrdienst geleistet wird. Eine Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls stellt daher nie eine Desertion dar (ÖB Moskau 9.2.2024). Deserteure können Wehrdienstleistende, Vertragssoldaten sowie Reservisten sein. Reservisten können von Militärkommissariaten zu militärischen Übungen einberufen werden. Die bloße Ausreise eines Reservisten ohne Einberufungsbefehl stellt keine Desertion im Sinne des Strafgesetzbuches dar (ÖB Moskau 21.2.2024). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben sind russische Staatsbürger jedoch zu einer Meldung an die Behörden verpflichtet, so sie für mehr als sechs Monate aus der Russischen Föderation ausreisen oder in die Russische Föderation einreisen (FGWW RUSS 25.12.2023). Das Ausreiserecht russischer Staatsbürger, die zum Wehrdienst einberufen wurden, darf vorübergehend eingeschränkt werden (bis zur Beendigung des Wehrdienstes) (FGAE RUSS 4.8.2023).

Haben einberufene Reservisten an einer militärischen Übung noch nicht teilgenommen und erscheinen sie (ohne gerechtfertigten Grund) nicht zur Übung, so liegt keine Desertion vor, sondern eine Verwaltungsübertretung. Haben hingegen einberufene Reservisten an der militärischen Übung bereits teilgenommen und erscheinen sie nicht zum weiteren Dienst mit dem Vorsatz, sich auf Dauer dem Militär zu entziehen, liegt Desertion gemäß dem Strafgesetzbuch vor (ÖB Moskau 21.2.2024).

Es wird über tschetschenische Einheiten in der Ukraine berichtet, welche als sogenannte Sperrtrupps eingesetzt werden, um russische Deserteure aufzuhalten (ISW 11.9.2023; vgl. KR 18.12.2023, VQ RUSS2 23.1.2024).

Andere Formen der Wehr-/Kriegsdienstverweigerung

Das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation enthält mehrere Paragrafen, welche verschiedene Formen von Wehr-/Kriegsdienstverweigerung unter Strafe stellen (StGB RUSS 14.2.2024):

§ 328 StGB: Die Verweigerung der Wehrdiensteinberufung zieht folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 200.000 [ca. EUR 2.027] oder in der Höhe von bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug von bis zu zwei Jahren.

§ 332 StGB: Wer in Zeiten des Kriegsrechts, zu Kriegszeiten, im Rahmen von Kampfhandlungen oder bewaffneten Konflikten den Befehl eines Vorgesetzten nicht befolgt und die Teilnahme an Kriegs- oder Kampfhandlungen verweigert, wird mit Freiheitsentzug von zwei bis drei Jahren bestraft. Sind die Taten nach § 332 mit schwerwiegenden Folgen verbunden, zieht dies eine Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren nach sich.

§ 337 StGB: Einberufene oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen die Militäreinheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als zwei Tagen bis max. zehn Tagen ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft. Einberufene oder Vertragssoldaten, welche während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, im Rahmen bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen die Militäreinheit oder den Dienstort eigenmächtig verlassen und für eine Dauer von mehr als einem Monat ungerechtfertigt nicht zum Dienst erscheinen, werden mit Freiheitsentzug von fünf bis zehn Jahren bestraft. Ersttäter können sich der strafrechtlichen Verantwortung entziehen, wenn die Tat Folge schwieriger Umstände war. Reservisten sind während Militärübungen strafrechtlich für Taten nach diesem Paragrafen (§ 337) verantwortlich.

§ 339 StGB: Wehrdienstverweigerung durch Betrug (Vortäuschung einer Krankheit, Selbstverletzung, Selbstverstümmelung, Fälschung von Dokumenten usw.) wird folgendermaßen geahndet: Wehrdienstbeschränkung von bis zu einem Jahr, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Disziplinarhaft (Inhaftierung in einer militärischen Disziplinareinheit) von bis zu einem Jahr. Dieselbe Tat (jedoch mit dem Ziel, sich gänzlich den militärischen Pflichten zu entziehen) zieht eine Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren nach sich. Taten gemäß § 339 StGB, die während einer Mobilmachung, während Kriegsrecht herrscht, zu Kriegszeiten, während bewaffneter Konflikte oder Kampfhandlungen begangen wurden, ziehen eine Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren nach sich. Zum oben verwendeten Begriff der Wehrdienstbeschränkung: Gemäß dem Strafgesetzbuch bedeutet Wehrdienstbeschränkung eine verminderte Besoldung sowie das Aussetzen dienstlicher Beförderungen.

Der oben dargestellte § 328 StGB bezieht sich gemäß dem Obersten Gerichtshof ausschließlich auf Personen, die zum Grundwehrdienst einberufen wurden (BOGPF RUSS 18.5.2023). Im Gegensatz zu mobilisierten Reservisten sind Grundwehrdiener bereits ab dem Augenblick eines ignorierten Einberufungsbefehls strafrechtlich belangbar. Mobilisierte Personen sind erst nach Registrierung bei der Rekrutierungsstelle und Zuordnung zu einer Militäreinheit strafrechtlich verantwortlich (MBZ 31.3.2023).

Als mildernde Umstände in Fällen der Kriegsdienstverweigerung werden ein der Straftat vorangegangener Ukraine-Kriegseinsatz sowie das Versprechen der Angeklagten, abermals in der Ukraine Kriegsdienst zu leisten, gewertet (KR 17.12.2023). Das Versprechen, sich erneut an die Front zu begeben, führt oft zu bedingten Haftstrafen, wodurch eine weitere Kriegsteilnahme unterstützt wird (KR 21.11.2023). Militärgerichtsverfahren enden kaum mit Freisprüchen, sondern hauptsächlich mit Schuldsprüchen (Moscow Times 4.12.2023). Da Gerichte nur einen geringen Teil ihrer Urteile veröffentlichen, gestaltet sich eine Gesamteinschätzung der Urteile schwierig (KR 15.6.2023). Gerichte haben mit der Führung von Verfahren in absentia begonnen [d. h. Gerichtsverfahren in Abwesenheit des Angeklagten; Anm. der Staatendokumentation] (EUAA 17.2.2023).

Es wird über Fälle von Soldaten berichtet, welche vom russischen Militär wegen Befehlsverweigerung hingerichtet wurden. Weiters drohen russische Kommandanten mit der Hinrichtung ganzer Einheiten, so diese versuchen sollten, vor dem ukrainischen Beschuss zurückzuweichen (REU 27.10.2023).

Internationale und unabhängige russische Medien berichten über zahlreiche Fälle von Vertragssoldaten, welche die Entsendung in die Ukraine verweigern oder die Ukraine verlassen haben, um zu ihren Militäreinheiten in Russland zurückzukehren (EUAA 16.12.2022a). Über einen zahlenmäßigen Anstieg der Fälle von Personen, die einen Kriegseinsatz ablehnen, wird berichtet (Sib.R 4.9.2023; vgl. Moscow Times 4.12.2023). Es ist jedoch nicht möglich, genaue Zahlen über Desertion, Kriegsdienstverweigerung und Militärdienstentziehung zu erhalten (Connection 8.10.2023).

Organisationen wie Idite lesom unterstützen Personen, die eine Kriegsteilnahme vermeiden wollen (Moscow Times 4.12.2023; vgl. IL o.D.).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Wehrersatzdienst/Zivildienst

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) aus Gewissens-, religiösen oder anderen Gründen wird durch die Verfassung garantiert (Verfassung RUSS 6.10.2022). Ein alternativer Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht (ÖB Moskau 30.6.2023) oder diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. FGZD RUSS 4.8.2023). Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate als ziviles Personal bei den russischen Streitkräften, hingegen 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen (VMR RUSS o.D.b; vgl. FGZD RUSS 4.8.2023). Jährlich wird eine Liste von Tätigkeiten, Berufen und Organisationen erstellt, in welchen die Ableistung eines alternativen Zivildiensts möglich ist (FAAB o.D.).

Anträge auf Zivildienstableistung sind beim örtlichen Militärkommissariat spätestens sechs Monate vor den jährlichen Einberufungsterminen zu stellen und müssen eine Begründung enthalten. Die Anträge werden von der Einberufungskommission geprüft (FGZD RUSS 4.8.2023). Wer bereits den Wehrdienst ableistet, darf keinen Antrag auf Wehrersatzdienst mehr stellen (EUAA 16.12.2022a). Gemäß dem föderalen Gesetz 'Über den alternativen Zivildienst' kommen für den alternativen Zivildienst nur männliche Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren infrage, welche nicht der Reserve angehören (FGZD RUSS 4.8.2023). Mit Stand August 2023 absolvierten laut Angaben des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) 1.199 russische Staatsbürger einen alternativen Zivildienst. In Tschetschenien und Dagestan absolvierte gemäß dieser Statistik niemand den alternativen Zivildienst (FAAB 1.8.2023). Von Verletzungen des Rechts auf Wehrdienstverweigerung ist die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas betroffen (EBCO 12.5.2023; vgl. WHJW 21.3.2022). Lehnt die Einberufungskommission den Antrag einer Person auf Ableistung des Zivildiensts ab, kann diese Entscheidung gerichtlich angefochten werden. Eine solche Anfechtung (Beschwerde) entfaltet bis zur rechtskräftigen gerichtlichen Klärung eine aufschiebende Wirkung (FGZD RUSS 4.8.2023). Gerichtsverfahren mangelt es an Transparenz (EBCO 12.5.2023).

Das Recht Zivildienstleistender auf Ausreise aus der Russischen Föderation darf gesetzlich vorübergehend beschränkt werden. Diese Beschränkung gilt bis zur Beendigung des Wehrersatzdiensts. Die betreffende Person hat für den Zeitraum der Ausreisebeschränkung ihren Reisepass bei der Behörde, die den Reisepass ausgestellt hat, abzugeben bzw. in Verwahrung zu geben (FGAE RUSS 4.8.2023). Ein Reisepass, welcher ohne stichhaltige Gründe innerhalb der vorgegebenen Frist nicht in Verwahrung gegeben wird, verliert seine Gültigkeit und kann an der Grenze beschlagnahmt werden (RS 11.12.2023).

Die Verweigerung der Zivildienstableistung zieht gemäß dem Strafgesetzbuch folgende Strafen nach sich: Geldstrafen von bis zu RUB 80.000 [ca. EUR 811] oder in der Höhe von bis zu sechs Monatseinkommen, bis zu 480 Stunden Pflichtarbeiten oder Arrest von bis zu sechs Monaten (StGB RUSS 14.2.2024).

Wehrersatzdienst in Verbindung mit Mobilmachung

Wer den alternativen Zivildienst abgeleistet hat, zählt zur Reserve (FGWW RUSS 25.12.2023) und darf somit mobilisiert werden, so kein Recht auf einen Mobilisierungsaufschub besteht. Gemäß dem Mobilisierungsgesetz ist bei Verkündung einer Mobilmachung die Fortsetzung des zivilen Ersatzdienstes in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen gestattet. Staatsbürger, welche zu Zeiten einer Mobilmachung den zivilen Ersatzdienst in nichtmilitärischen Einrichtungen absolvieren, können als ziviles Personal in Einrichtungen der russischen Streitkräfte sowie in anderen militärischen Einrichtungen zum Einsatz kommen (FGMB RUSS 25.12.2023). Militärkommissariate und Gerichte lehnen Anträge von Personen, die für einen Ukraine-Einsatz eingezogen worden sind und stattdessen Zivildienst leisten wollen, routinemäßig ab. Zur Begründung heißt es (AI 28.3.2023; vgl. Forum 9.10.2023), dass es keine spezifischen gesetzlichen Zivildienstregelungen in Zeiten einer Teilmobilmachung gibt (AI 28.3.2023; vgl. FH 24.5.2023, Forum 9.10.2023). Gemäß Medienberichten vom November 2023 hat der Oberste Gerichtshof einem Mobilisierten das Recht auf Ableistung eines alternativen Zivildienstes zugesprochen. Der Betreffende hatte sich auf seinen Glauben berufen (BAMF 27.11.2023; vgl. Meduza 23.11.2023).

Allgemeine Menschenrechtslage, Ombudsperson, Menschenhandel, Flüchtlinge

Letzte Änderung 2023-06-29 10:08

Artikel 19 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert gleiche Rechte und Freiheiten für alle Personen, unabhängig von Geschlecht, Ethnie, Nationalität, Sprache, Herkunft, sozialem Status, Wohnort, Religionszugehörigkeit usw. Gemäß Verfassungsartikel 55 dürfen die Rechte und Freiheiten der Menschen durch die föderale Gesetzgebung nur insoweit eingeschränkt werden, als dies aus folgenden Gründen notwendig ist: zum Schutz der Verfassung, der Moral, Gesundheit, der Rechte und gesetzlichen Interessen anderer Personen, zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit (Duma 6.10.2022). Die Grundrechte werden in Russland zwar in der Verfassung garantiert, es besteht jedoch ein deutlicher Widerspruch zwischen verfassungsrechtlichen Normen und der Rechtswirklichkeit (AA 28.9.2022). Russland hat unter anderem folgende internationale Menschenrechtsverträge ratifiziert (UN-OHCHR o.D.):

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau

Internationales Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung

Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe

Kinderrechtskonvention

Behindertenrechtskonvention

Aufgrund von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine stimmte die UN-Generalversammlung im April 2022 für den Ausschluss Russlands aus dem UN-Menschenrechtsrat (UN 7.4.2022). Die Menschenrechtssituation in Russland hat sich im Laufe der vergangenen Jahre sukzessive verschlechtert (EEAS 19.4.2022). Russland wird von der NGO Freedom House als unfrei in Bezug auf politische Rechte und bürgerliche Freiheiten eingestuft (FH 2023). Freiheitsrechte wurden durch die russische Regierung immer weiter eingeschränkt (SWP 19.4.2022). Um die politische Macht und Stabilität zu stärken, untergräbt Russlands politische Führung oft Bürger- und Menschenrechte sowie die Rechtsstaatlichkeit (BS 2022). Die Regierung geht unerbittlich gegen Menschenrechtsorganisationen vor (FH 2023). Zahlreiche davon wurden aufgelöst oder werden in ihren Tätigkeiten beträchtlich behindert (UN-HRC 1.12.2022). 2022 wurde Memorial, eine der ältesten russischen Menschenrechtsorganisationen, auf Grundlage einer Gerichtsentscheidung aufgelöst (ÖB 30.6.2022; vgl. Memorial o.D.). Die Behörden nutzen neben der Gesetzgebung über 'ausländische Agenten' und 'unerwünschte Organisationen' verschiedene weitere Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger unter Druck zu setzen. Im November 2022 schloss Präsident Putin mehrere prominente Menschenrechtsverteidiger aus dem Menschenrechtsrat des Präsidenten aus und ersetzte sie durch regierungsfreundliche Personen (AI 28.3.2023). Menschenrechtsanwälte geraten zunehmend unter Druck (ÖB 30.6.2022). Mehreren Menschenrechtsanwälten wurde die Anwaltslizenz entzogen, ohne ihnen ein Beschwerderecht einzuräumen (EUAA 16.12.2022b).

Es ist gesetzlich vorgesehen, dass Personen Behörden wegen Menschenrechtsverletzungen klagen können. Jedoch sind diese Mechanismen oft nicht effektiv (USDOS 20.3.2023). Am 16.3.2022 wurde Russland aus dem Europarat ausgeschlossen (Europarat 16.3.2022). Seit 16.9.2022 ist Russland keine Vertragspartei der vom Europarat geschaffenen Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mehr (Europarat 16.9.2022; vgl. Europarat o.D.b). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellt die Einhaltung der EMRK sicher. Bürger können sich, nachdem die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind, mit Beschwerden direkt an ihn wenden (Europarat o.D.). Seit 16.9.2022 haben russische Bürger kein Recht mehr, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen (SWP 19.4.2022).

Ombudsperson

Die Ombudsperson für Menschenrechte wird laut Artikel 103 der Verfassung der Russischen Föderation vom Parlament (Duma) ernannt und entlassen (Duma 6.10.2022). Zu den Aufgaben der Ombudsperson für Menschenrechte gehören die Kontrolle der Tätigkeiten staatlicher Organe sowie die Bearbeitung von Beschwerden, welche von Bürgern der Russischen Föderation, Staatenlosen oder anderen Personen eingereicht werden (OPMR o.D.a). Jährlich erstellt die Ombudsperson einen Tätigkeitsbericht (OPMR o.D.b). Die Befugnisse der Ombudsperson für Menschenrechte gelten als begrenzt (USDOS 20.3.2023; vgl. OSCE 22.9.2022). In allen Regionen gibt es außerdem regionale Ombudspersonen, deren Wirksamkeit sehr variiert. Örtliche Behörden untergraben oft die Unabhängigkeit der Ombudspersonen (USDOS 20.3.2023).

Menschenhandel

Gemäß § 127.1 des Strafgesetzbuches zieht Menschenhandel eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren nach sich (RF 28.4.2023). Das Strafgesetzbuch definiert den Begriff Menschenhandelsopfer nicht. Die meisten der an Behörden gemeldeten Menschenhandelsfälle werden von der Regierung nicht als Menschenhandel anerkannt, sondern anderen Gesetzesparagrafen zugeschrieben. Dadurch wird das Ausmaß des Problems verschleiert. Regierungsbeamte und die Polizei lassen sich regelmäßig bestechen, um Menschenhandelsfälle zu vertuschen. Die Regierung zeigt kaum Bemühungen zur Unterstützung von Menschenhandelsopfern. Auch existieren keine nationale Strategie und kein nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel. Die Regierung hat Aktivitäten mehrerer zivilgesellschaftlicher Gruppen, die gegen Menschenhandel ankämpfen, unterbunden (USDOS 29.7.2022). Menschenhandelsopfer werden regelmäßig inhaftiert, abgeschoben und gerichtlich verfolgt (FH 2023). Die am weitesten verbreitete Form von Menschenhandel in Russland ist der Handel mit Arbeitskräften. Sexhandel kommt vor (USDOS 29.7.2022). Gesetze, die sich gegen Zwangsarbeit richten, werden von der Regierung nicht wirksam umgesetzt (USDOS 20.3.2023). In der Russischen Föderation gibt es Schutzunterkünfte für Opfer von Menschenhandel. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet (IOM 12.2022).

Flüchtlinge

Gesetzlich ist Asylgewährung vorgesehen. Personen, welche nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, wird von der Regierung das Recht auf temporären Schutz eingeräumt. In der Praxis wird dieses Prinzip von Behörden nicht konsequent umgesetzt (USDOS 20.3.2023). Für ausländische Flüchtlinge ist es de facto schwierig, einen endgültigen oder zeitlich begrenzten Flüchtlingsschutz zu erlangen (AA 28.9.2022). Die Anerkennungsrate von Asylwerbern, die nicht aus der Ukraine stammen, ist niedrig (UN-HRC 1.12.2022). Mit Stand Oktober 2022 besaßen ca. 93.700 Personen einen temporären Schutzstatus. Es mangelt an klaren Verfahrensregeln. Der Non-Refoulement-Begriff ist gesetzlich nicht ausdrücklich festgeschrieben (USDOS 20.3.2023). Für Personen mit besonderen Bedürfnissen sind keine besonderen Verfahrensmaßnahmen vorgesehen. Personen, welchen Asyl gewährt wurde, sind mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert (UN-HRC 1.12.2022).

Gemäß Berichten sind viele Flüchtlinge aus der Ukraine in Russland in sogenannten Filtrationslagern interniert oder sonstigen Bewegungseinschränkungen ausgesetzt. Es wird über Fälle von Folter, geschlechtsspezifischer Gewalt und Erniedrigung ukrainischer Staatsangehöriger sowie über Zwangsverschleppung ukrainischer Kinder nach Russland berichtet (AA 28.9.2022). Die russischen Behörden legen ukrainischen Flüchtlingen die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft nahe bzw. setzen sie diesbezüglich teilweise auch unter Druck (AI 28.3.2023). Mit Stand 3.10.2022 waren in der Russischen Föderation 2.852.395 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert (UNHCR o.D.).

Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer

Letzte Änderung 2023-06-29 10:49

In Tschetschenien stellt sich die Menschenrechtssituation als äußerst beunruhigend dar (FCDO 12.2022). Die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen sind staatlichen Akteuren zuzuschreiben (EUAA 16.12.2022b). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet das Republiksoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Gewaltformen an, beispielsweise Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 2023; vgl. Europarat 3.6.2022). Es kommt zu Massenrazzien und Massenentführungen (KR 27.3.2023). Einige der Entführten werden von den Behörden unter Druck gesetzt, in der Ukraine zu kämpfen (AI 28.3.2023). Auch kollektive Bestrafungen kommen zur Anwendung (EUAA 16.12.2022b). Die Stabilisierung der Sicherheitslage erfolgt um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, darunter menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige. Die Bekämpfung von Extremisten geht mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 28.9.2022). Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen, sexuelle Minderheiten usw. (USCIRF 4.2022). Frauen werden Opfer von Ehrenmorden (USDOS 20.3.2023). Es gibt Clans, die Blutrache praktizieren (AA 28.9.2022; vgl. KU 1.2.2023). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen religiöse Minderheiten vorgegangen (USCIRF 10.2021). Zwischen 2019 und 2021 verschwanden in Tschetschenien 4.984 Personen spurlos. Tschetschenien gehört zu denjenigen Regionen, in welchen Verschwundene am seltensten wiedergefunden werden (KR 28.3.2023). Russland ist dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen nicht beigetreten (UN-OHCHR o.D.).

Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, begangen von Vertretern der föderalen und regionalen Behörden, bleiben straffrei (Europarat 3.6.2022). Bestimmte Gruppen genießen keinen effektiven Rechtsschutz. Hierzu gehören Menschenrechtsaktivisten, sexuelle Minderheiten sowie Frauen, welche mit den Wertvorstellungen ihrer Familie in Konflikt geraten. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich. Kadyrow äußert regelmäßig Drohungen gegen Menschenrechtsaktivisten. Teilweise werden Bilder von Personen dieser Gruppe auf Instagram veröffentlicht. Teilweise droht er, sie mit Sanktionen zu belegen, da sie angeblich Feinde des tschetschenischen Volkes sind, oder er ruft offen dazu auf, sie umzubringen (AA 28.9.2022). Menschenrechtsaktivisten sind schweren Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane ausgesetzt, darunter Folter, Verschwindenlassen, rechtswidrige Festnahmen und Fälschung von Straftatbeständen (ÖB 30.6.2022; vgl. EEAS 19.4.2022). Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht (ÖB 30.6.2022). In Tschetschenien gibt es eine regionale Ombudsperson für Menschenrechte. Dieses Amt bekleidet derzeit Mansur Soltaew (OMRT o.D.).

Kritiker

Tschetschenische Behörden unterdrücken alle Formen abweichender Meinungen (HRW 12.1.2023). Kadyrow droht denjenigen Personen öffentlich, welche ihn und seine Familie kritisieren (UK-VI 17.11.2022). Mit der Unterstützung Moskaus wird gewaltsam gegen Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgegangen (USCIRF 10.2021). Regimekritiker müssen mit Strafverfolgung aufgrund fingierter Straftaten sowie physischen Übergriffen bis hin zu Mord rechnen (AA 28.9.2022). In mehreren Fällen kam es zu Folterungen (KR 27.3.2023). Auch kann es zu Sippenhaft von Familienangehörigen kommen (AA 28.9.2022). Bürger, welche sich über örtliche Angelegenheiten beschweren (beispielsweise Krankenhausschließung), sind Belästigungen oder Demütigungen ausgesetzt (UK-VI 17.11.2022). Kritiker des Kadyrow-Regimes werden systematisch zu Entschuldigungen gezwungen (KU 29.3.2023).

Oppositionelle, Regimekritiker und Personen, die sich gegen Republiksoberhaupt Kadyrow bzw. dessen Clan aufgelehnt haben, genießen keinen effektiven Rechtsschutz (AA 28.9.2022). Wer aus politischen Gründen strafrechtlich verfolgt wird, kann nicht mit einem fairen Gerichtsverfahren rechnen (UK-VI 17.11.2022). Die Opposition hat sich wegen der Unmöglichkeit von Straßenprotesten in Tschetschenien in soziale Netze und Messenger verlagert. Einer der bekanntesten Oppositionskanäle ist der Telegram-Kanal 1ADAT. Die Inhalte von 1ADAT wurden gerichtlich als extremistisch eingestuft (KU 13.2.2022). 1ADAT steht dem tschetschenischen Republiksoberhaupt Kadyrow äußerst kritisch gegenüber (USDOS 20.3.2023) und lässt regelmäßig Stimmen tschetschenischer Dissidenten zu Wort kommen (HRW 12.1.2023). Der Kanal sammelt Informationen über Verbrechen in Tschetschenien und führt eine Entführungsstatistik (KU 13.2.2022). Mitarbeiter von 1ADAT sind Festnahmen und Folter durch die 'Kadyrowzy' ausgesetzt (KU 13.2.2022; vgl. KR 23.8.2022). Die Kadyrowzy stellen die persönliche Armee von Kadyrow dar (FPRI 15.6.2022). Sie werden für zahlreiche Missbrauchshandlungen verantwortlich gemacht, darunter willkürliche Festnahmen, Folter und außergerichtliche Tötungen. Strafrechtliche Konsequenzen haben die Handlungen der Kadyrowzy keine (EUAA 16.12.2022a). [zum Begriff Kadyrowzy Näheres im Kapitel Sicherheitsbehörden]

Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor dem Regime Kadyrows nicht sicher. Sicherheitskräfte, welche Kadyrow zuzurechnen sind, sind nach Aussagen von NGOs auch in Moskau präsent. Jedenfalls stehen Tschetschenen in größeren russischen Städten unter Beobachtung ihrer Landsleute, und 'falsches' Verhalten kann ebenfalls das Interesse der tschetschenischen Sicherheitsstrukturen wecken (ÖB 30.6.2022). Gemäß Berichten verfolgen in Einzelfällen die Familien der Betroffenen oder tschetschenische Behörden (welche Zugriff auf russlandweite Informationssysteme haben) Flüchtende in andere Landesteile. Auch wird von verschiedenen Personengruppen berichtet, die gegen ihren Willen von einem innerstaatlichen Zufluchtsort nach Tschetschenien zurückgeholt und dort Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Zu den Betroffenen gehören Oppositionelle und Regimekritiker, darunter ehemalige Kämpfer und Anhänger der tschetschenischen Unabhängigkeitsbewegung (AA 28.9.2022; vgl. KU 22.2.2023, Meduza 23.8.2022). In mehreren Fällen wurden Kritiker Kadyrows, welche außerhalb Russlands lebten, Opfer von Attentaten (KR 31.1.2023; vgl. FH 6.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB 30.6.2022). Im Dezember 2022 wurden einige Familienmitglieder von fünf tschetschenischen Bloggern und Aktivisten, welche im Ausland leben und Kadyrow online kritisiert haben, durch tschetschenische Sicherheitskräfte misshandelt und in Isolationshaft gehalten. Die Familien wurden gezwungen, sich zu entschuldigen und sich öffentlich von ihren Verwandten im Exil loszusagen (HRW 12.1.2023).

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen (auf der Grundlage in ihrer Heimatregion erlassener Rechtsakte) in anderen Gebieten Russlands in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen. Sofern keine Strafanzeige vorliegt, können Untergetauchte durch eine Vermisstenanzeige ausfindig gemacht werden (AA 28.9.2022). Die russischen Behörden setzen Kameras mit Gesichtserkennungssoftware ein, um Personen festzunehmen. Solche Kameras sind beispielsweise in der Moskauer U-Bahn installiert (FH 18.10.2022). Unter dem Vorwand der Pandemie-Bekämpfung wird die Gesichtserkennungssoftware in Großstädten flächendeckend eingesetzt (AA 28.9.2022). Bei polizeilichen Personenkontrollen ist Racial Profiling verbreitet (AA 28.9.2022; vgl. UN-HRC 1.12.2022). Racial Profiling steigerte sich gemäß Berichten während der COVID-Pandemie und wird durch die Nutzung neuer Technologien intensiviert (UN-HRC 1.12.2022). Seit langer Zeit missbraucht Russland die von Interpol betriebenen 'red notices' ('rote Ausschreibungen'), um Regimekritiker ausfindig zu machen (Politico 27.7.2022). 'Red notices' informieren weltweit die Polizei über international gesuchte Personen und fordern Gesetzesvollzugsorgane dazu auf, die betreffenden Personen ausfindig zu machen und vorübergehend (bis zu einer Auslieferung usw.) festzunehmen (Interpol o.D.).

Tschetschenienkrieg-Kämpfer

Von einer Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges allein aufgrund ihrer Teilnahme an Kriegshandlungen ist heute im Allgemeinen nicht mehr auszugehen. Prominentes Beispiel dafür ist der Kadyrow‐Clan selbst, welcher im Zuge der Tschetschenienkriege vom Rebellen‐ zum Vasallentum wechselte (ÖB 30.6.2022).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung 2023-06-29 11:20

Die Bevölkerung des Landes weist eine religiöse Vielfalt auf. Ca. 68 % sind russisch-orthodox, 7 % Muslime, und 25 % gehören unter anderem folgenden Gemeinschaften an: Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Judentum, Bahai usw. (USCIRF 4.2022). Gemäß einer Umfrage des Lewada-Zentrums von April 2023 bekennen sich 72 % der Befragten zur Orthodoxie, 7 % zum Islam, 13 % zu keiner Religion, 5 % zum Atheismus und ca. 3 % zu anderen Glaubensrichtungen - vor allem Katholiken, Protestanten und Buddhisten (LZ 16.5.2023). Verlässliche Zahlen zu den Mitgliedern bzw. Anhängern einzelner Gemeinschaften gibt es nicht, da ein System der Mitgliederregistrierung fehlt (MR 2022).

Artikel 28 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Religiöse Überzeugungen dürfen frei verbreitet werden. Gemäß Artikel 29 der Verfassung ist das Schüren von religiösem Hass verboten. Laut Verfassungsartikel 14 ist die Russische Föderation ein säkularer (weltlicher) Staat, und es gibt keine Staatsreligion. Staat und Religion sind laut Verfassung voneinander getrennt (Duma 6.10.2022). Gemäß § 3 des Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' darf die Gewissens- und Glaubensfreiheit nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden: zum Schutz der Verfassung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und der gesetzlichen Interessen der Menschen und zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit. Gemäß § 9 sind zur Gründung einer örtlichen religiösen Organisation mindestens zehn erwachsene Staatsbürger notwendig. Zentralisierte religiöse Organisationen bestehen aus mindestens drei örtlichen religiösen Organisationen. Laut § 11 unterliegen religiöse Organisationen einer staatlichen Registrierung. Die Verweigerung der staatlichen Registrierung einer religiösen Organisation kann gerichtlich angefochten werden (§ 12). Religiöse Vereinigungen können aufgelöst werden, wenn sie extremistisch tätig sind (§ 14 des Föderalen Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen') (RF 29.12.2022c). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird in Russland überschießend angewandt (UN-HRC 1.12.2022) und wegen ihrer vagen Formulierungen kritisiert, welche breite Interpretationen sowie eine missbräuchliche Anwendung erlauben (EUAA 16.12.2022b). Beschwerden über den Umgang der Regierung mit dem Thema Religionsfreiheit nimmt die Ombudsperson entgegen (USDOS 15.5.2023).

Die Religionsfreiheit ist in Russland eingeschränkt (UN-HRC 1.12.2022). Behörden missbrauchen die Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetzgebung, um friedliche religiöse Gruppen als terroristisch, extremistisch und unerwünscht einzustufen. Zu den betroffenen Gruppen gehören Zeugen Jehovas, vier protestantische Gruppen aus Lettland und der Ukraine, ein regionaler Zweig von Falun Gong sowie sieben mit Falun Gong verbundene NGOs. Solchen Gruppen ist die Religionsausübung verboten, und sie sind mit langen Haftstrafen, harten Haftbedingungen, Hausarrest, Razzien, Diskriminierung und Schikanierungen konfrontiert (USDOS 20.3.2023). Viele Muslime wurden in den letzten Jahren wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu verbotenen islamistischen Gruppen inhaftiert (FH 2023). Mindestens 20 angebliche Mitglieder von Hizb-ut-Tahrir wurden im Jahr 2022 im Rahmen politisch motivierter Gerichtsverfahren zu Haftstrafen von 11-18 Jahren verurteilt. Die Bewegung Hizb-ut-Tahrir strebt die Gründung eines Kalifats an, lehnt aber Gewaltanwendung zur Erreichung dieses Ziels ab. Hizb-ut-Tahrir wurde im Jahr 2003 in Russland als terroristische Organisation verboten (HRW 12.1.2023). Zahlreiche Haftstrafen erhielten friedliche Anhänger des gemäßigten muslimischen Theologen Said Nursi sowie der Missionsgruppe Tablighi Jamaat (USCIRF 4.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als stabilitätsbedrohend (USCIRF 4.2022). Mit Stand Dezember 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation Memorial 488 politische Gefangene im Land, darunter 370 Personen, welche ungerechtfertigt wegen ihrer Religionsausübung inhaftiert sind. Gemäß Memorial ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (USDOS 20.3.2023).

Religiöse Minderheiten sind Diskriminierung ausgesetzt (Sowa-Zentr 24.3.2023; vgl. EEAS 19.4.2022). Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus sind als sogenannte traditionelle Religionen anerkannt (MR 2022). Das Föderale Gesetz 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' räumt dem orthodoxen Christentum eine besondere Rolle ein (RF 29.12.2022c). Die russisch-orthodoxe Kirche genießt Privilegien (FH 2023; vgl. BS 2022) und arbeitet im innen- und außenpolitischen Bereich eng mit der Regierung zusammen (FH 2023; vgl. RAD 17.10.2022). Indigene Religionen wurden durch staatliche Programme unter einen gewissen Schutz gestellt. Sie sind jedoch, obwohl seit langer Zeit in Russland verwurzelt, nicht als traditionelle Religionen anerkannt. Ein Beispiel für eine indigene Religion stellt der Schamanismus dar. Die sogenannten traditionellen Religionen haben gesetzlich das Recht, an staatlichen Schulen Religionsunterricht anzubieten. Andere Religionsgemeinschaften dürfen an staatlichen Schulen nicht auftreten (MR 2022). Innerhalb der Politik nimmt Antisemitismus zu (USDOS 2.6.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Massenmedien bedienen sich antisemitischer Rhetorik (USDOS 15.5.2023). Nach Angaben der israelischen Regierung emigrierten im Jahr 2022 43.685 Personen von Russland nach Israel (TOI 11.1.2023). Vergleichsweise waren im gesamten Jahr 2019 15.930 Russen nach Israel ausgewandert (Reuters 18.8.2022).

Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche hat, mit verschiedenen Nuancen und Dynamiken, Russlands militärisches Handeln in der Ukraine seit dem 24.2.2022 unverändert unterstützt (Russland-Analysen 23.2.2023). Religiöse Führer werden von der Regierung teils unter Druck gesetzt, um als Unterstützer des Krieges gegen die Ukraine aufzutreten (Forum 18 2.8.2022; vgl. FH 2023).

Tschetschenien

Letzte Änderung 2023-06-29 11:23

Artikel 25 der Verfassung der Republik Tschetschenien garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Gemäß Artikel 26 ist Propaganda zur Entfachung von religiösem Hass nicht gestattet. Der Verfassungsartikel 11 definiert Tschetschenien als einen säkularen (weltlichen) Staat und spricht sich gegen eine Staatsreligion aus. Staat und religiöse Vereinigungen sind voneinander getrennt (RT 23.3.2003).

Die Hauptreligionsrichtung in Tschetschenien ist der sunnitische Islam (PPTR o.D.). Seit dem späten 18. Jahrhundert blüht in Tschetschenien der Sufismus, eine von großer Vielfalt gekennzeichnete Bewegung des islamischen Mystizismus (USCIRF 10.2021). Heute identifizieren sich die meisten tschetschenischen Muslime mit dem Sufismus (USCIRF 10.2021; vgl. PPTR o.D.). Das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow hat eine zentralisierte Staatsreligion begründet, welche mit der Unterstützung Moskaus gewaltsam gegen religiöse Minderheiten sowie Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgeht. Kadyrow lehnt jede Form von Islam ab, die nicht mit seinem Sufismus-Modell im Einklang steht. Die in Tschetschenien vorherrschende Islam-Interpretation wird stark vom tschetschenischen Gewohnheitsrecht (Adat) beeinflusst (USCIRF 10.2021). Zu den existierenden säkularen (weltlichen) Gesetzen fügt die tschetschenische Führung religiöse Normen hinzu (BS 2022). Die von Kadyrow aufgezwungene offizielle Islam-Version gibt vor, den örtlichen Glauben und die örtliche Kultur zu verteidigen sowie gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen. Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen, sexuelle Minderheiten usw. (USCIRF 4.2022). Die tschetschenischen Behörden gehen gegen friedliche muslimische Geistliche vor, welche die Einmischung des Regimes in ihre religiösen Angelegenheiten ablehnen (USCIRF 10.2021).

Das Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige ist von Menschenrechts- und Rechtsstaatswidrigkeit gekennzeichnet. Die Bekämpfung von Extremisten geht laut NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 28.9.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsbehörden werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021).

Religionsfreiheit

Letzte Änderung 2023-06-29 11:20

Die Bevölkerung des Landes weist eine religiöse Vielfalt auf. Ca. 68 % sind russisch-orthodox, 7 % Muslime, und 25 % gehören unter anderem folgenden Gemeinschaften an: Protestanten, Katholiken, Zeugen Jehovas, Buddhisten, Judentum, Bahai usw. (USCIRF 4.2022). Gemäß einer Umfrage des Lewada-Zentrums von April 2023 bekennen sich 72 % der Befragten zur Orthodoxie, 7 % zum Islam, 13 % zu keiner Religion, 5 % zum Atheismus und ca. 3 % zu anderen Glaubensrichtungen - vor allem Katholiken, Protestanten und Buddhisten (LZ 16.5.2023). Verlässliche Zahlen zu den Mitgliedern bzw. Anhängern einzelner Gemeinschaften gibt es nicht, da ein System der Mitgliederregistrierung fehlt (MR 2022).

Artikel 28 der Verfassung der Russischen Föderation garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Religiöse Überzeugungen dürfen frei verbreitet werden. Gemäß Artikel 29 der Verfassung ist das Schüren von religiösem Hass verboten. Laut Verfassungsartikel 14 ist die Russische Föderation ein säkularer (weltlicher) Staat, und es gibt keine Staatsreligion. Staat und Religion sind laut Verfassung voneinander getrennt (Duma 6.10.2022). Gemäß § 3 des Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' darf die Gewissens- und Glaubensfreiheit nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden: zum Schutz der Verfassung, der Moral, der Gesundheit, der Rechte und der gesetzlichen Interessen der Menschen und zur Gewährleistung der Landesverteidigung sowie der nationalen Sicherheit. Gemäß § 9 sind zur Gründung einer örtlichen religiösen Organisation mindestens zehn erwachsene Staatsbürger notwendig. Zentralisierte religiöse Organisationen bestehen aus mindestens drei örtlichen religiösen Organisationen. Laut § 11 unterliegen religiöse Organisationen einer staatlichen Registrierung. Die Verweigerung der staatlichen Registrierung einer religiösen Organisation kann gerichtlich angefochten werden (§ 12). Religiöse Vereinigungen können aufgelöst werden, wenn sie extremistisch tätig sind (§ 14 des Föderalen Gesetzes 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen') (RF 29.12.2022c). Die Anti-Extremismus-Gesetzgebung wird in Russland überschießend angewandt (UN-HRC 1.12.2022) und wegen ihrer vagen Formulierungen kritisiert, welche breite Interpretationen sowie eine missbräuchliche Anwendung erlauben (EUAA 16.12.2022b). Beschwerden über den Umgang der Regierung mit dem Thema Religionsfreiheit nimmt die Ombudsperson entgegen (USDOS 15.5.2023).

Die Religionsfreiheit ist in Russland eingeschränkt (UN-HRC 1.12.2022). Behörden missbrauchen die Anti-Terrorismus- und Anti-Extremismus-Gesetzgebung, um friedliche religiöse Gruppen als terroristisch, extremistisch und unerwünscht einzustufen. Zu den betroffenen Gruppen gehören Zeugen Jehovas, vier protestantische Gruppen aus Lettland und der Ukraine, ein regionaler Zweig von Falun Gong sowie sieben mit Falun Gong verbundene NGOs. Solchen Gruppen ist die Religionsausübung verboten, und sie sind mit langen Haftstrafen, harten Haftbedingungen, Hausarrest, Razzien, Diskriminierung und Schikanierungen konfrontiert (USDOS 20.3.2023). Viele Muslime wurden in den letzten Jahren wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zu verbotenen islamistischen Gruppen inhaftiert (FH 2023). Mindestens 20 angebliche Mitglieder von Hizb-ut-Tahrir wurden im Jahr 2022 im Rahmen politisch motivierter Gerichtsverfahren zu Haftstrafen von 11-18 Jahren verurteilt. Die Bewegung Hizb-ut-Tahrir strebt die Gründung eines Kalifats an, lehnt aber Gewaltanwendung zur Erreichung dieses Ziels ab. Hizb-ut-Tahrir wurde im Jahr 2003 in Russland als terroristische Organisation verboten (HRW 12.1.2023). Zahlreiche Haftstrafen erhielten friedliche Anhänger des gemäßigten muslimischen Theologen Said Nursi sowie der Missionsgruppe Tablighi Jamaat (USCIRF 4.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Regierung betrachtet unabhängige religiöse Aktivitäten als stabilitätsbedrohend (USCIRF 4.2022). Mit Stand Dezember 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation Memorial 488 politische Gefangene im Land, darunter 370 Personen, welche ungerechtfertigt wegen ihrer Religionsausübung inhaftiert sind. Gemäß Memorial ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (USDOS 20.3.2023).

Religiöse Minderheiten sind Diskriminierung ausgesetzt (Sowa-Zentr 24.3.2023; vgl. EEAS 19.4.2022). Orthodoxie, Islam, Judentum und Buddhismus sind als sogenannte traditionelle Religionen anerkannt (MR 2022). Das Föderale Gesetz 'Über die Gewissensfreiheit und religiöse Vereinigungen' räumt dem orthodoxen Christentum eine besondere Rolle ein (RF 29.12.2022c). Die russisch-orthodoxe Kirche genießt Privilegien (FH 2023; vgl. BS 2022) und arbeitet im innen- und außenpolitischen Bereich eng mit der Regierung zusammen (FH 2023; vgl. RAD 17.10.2022). Indigene Religionen wurden durch staatliche Programme unter einen gewissen Schutz gestellt. Sie sind jedoch, obwohl seit langer Zeit in Russland verwurzelt, nicht als traditionelle Religionen anerkannt. Ein Beispiel für eine indigene Religion stellt der Schamanismus dar. Die sogenannten traditionellen Religionen haben gesetzlich das Recht, an staatlichen Schulen Religionsunterricht anzubieten. Andere Religionsgemeinschaften dürfen an staatlichen Schulen nicht auftreten (MR 2022). Innerhalb der Politik nimmt Antisemitismus zu (USDOS 2.6.2022; vgl. USCIRF 5.2023). Die Massenmedien bedienen sich antisemitischer Rhetorik (USDOS 15.5.2023). Nach Angaben der israelischen Regierung emigrierten im Jahr 2022 43.685 Personen von Russland nach Israel (TOI 11.1.2023). Vergleichsweise waren im gesamten Jahr 2019 15.930 Russen nach Israel ausgewandert (Reuters 18.8.2022).

Die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche hat, mit verschiedenen Nuancen und Dynamiken, Russlands militärisches Handeln in der Ukraine seit dem 24.2.2022 unverändert unterstützt (Russland-Analysen 23.2.2023). Religiöse Führer werden von der Regierung teils unter Druck gesetzt, um als Unterstützer des Krieges gegen die Ukraine aufzutreten (Forum 18 2.8.2022; vgl. FH 2023).

Tschetschenien

Letzte Änderung 2023-06-29 11:23

Artikel 25 der Verfassung der Republik Tschetschenien garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Die Wahl des Religionsbekenntnisses steht frei. Auch wird die Freiheit eingeräumt, ohne Bekenntnis zu leben. Gemäß Artikel 26 ist Propaganda zur Entfachung von religiösem Hass nicht gestattet. Der Verfassungsartikel 11 definiert Tschetschenien als einen säkularen (weltlichen) Staat und spricht sich gegen eine Staatsreligion aus. Staat und religiöse Vereinigungen sind voneinander getrennt (RT 23.3.2003).

Die Hauptreligionsrichtung in Tschetschenien ist der sunnitische Islam (PPTR o.D.). Seit dem späten 18. Jahrhundert blüht in Tschetschenien der Sufismus, eine von großer Vielfalt gekennzeichnete Bewegung des islamischen Mystizismus (USCIRF 10.2021). Heute identifizieren sich die meisten tschetschenischen Muslime mit dem Sufismus (USCIRF 10.2021; vgl. PPTR o.D.). Das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow hat eine zentralisierte Staatsreligion begründet, welche mit der Unterstützung Moskaus gewaltsam gegen religiöse Minderheiten sowie Kritiker des Kadyrow-Regimes vorgeht. Kadyrow lehnt jede Form von Islam ab, die nicht mit seinem Sufismus-Modell im Einklang steht. Die in Tschetschenien vorherrschende Islam-Interpretation wird stark vom tschetschenischen Gewohnheitsrecht (Adat) beeinflusst (USCIRF 10.2021). Zu den existierenden säkularen (weltlichen) Gesetzen fügt die tschetschenische Führung religiöse Normen hinzu (BS 2022). Die von Kadyrow aufgezwungene offizielle Islam-Version gibt vor, den örtlichen Glauben und die örtliche Kultur zu verteidigen sowie gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen. Kadyrow billigt, beruhend auf seinen religiösen Ansichten, schwerwiegende Menschenrechtsverstöße gegen Frauen, sexuelle Minderheiten usw. (USCIRF 4.2022). Die tschetschenischen Behörden gehen gegen friedliche muslimische Geistliche vor, welche die Einmischung des Regimes in ihre religiösen Angelegenheiten ablehnen (USCIRF 10.2021).

Das Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige ist von Menschenrechts- und Rechtsstaatswidrigkeit gekennzeichnet. Die Bekämpfung von Extremisten geht laut NGOs mit rechtswidrigen Festnahmen, Sippenhaft, Kollektivstrafen, Verschwindenlassen, Folter zur Erlangung von Geständnissen, fingierten Straftaten, außergerichtlichen Tötungen und Geheimgefängnissen, in welchen gefoltert wird, einher (AA 28.9.2022). Tschetschenische Strafverfolgungsbehörden werfen vermeintlichen Salafisten und Wahhabiten unbegründet terroristische Machenschaften vor und erzwingen Geständnisse durch Folter (USCIRF 10.2021).

Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Letzte Änderung 2023-07-04 14:51

Gemäß Artikel 27 der Verfassung der Russischen Föderation haben alle Personen, welche sich rechtmäßig auf dem Territorium der Russischen Föderation aufhalten, das Recht auf Bewegungsfreiheit sowie Wahl des Aufenthalts- und Wohnorts. Alle Personen sind laut der Verfassung berechtigt, aus der Russischen Föderation auszureisen. Bürger der Russischen Föderation haben das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren. Gemäß Artikel 61 der Verfassung dürfen Bürger der Russischen Föderation nicht aus der Russischen Föderation ausgewiesen werden (Duma 6.10.2022). Gemäß § 1 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit' sind Einschränkungen des Rechts auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsorts nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Gemäß § 8 kann dieses Recht unter anderem dann eingeschränkt werden, wenn in den betreffenden Regionen der Ausnahmezustand oder das Kriegsrecht herrscht. Entscheidungen in Bezug auf Bewegungsfreiheit, Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes können von den Bürgern gerichtlich angefochten werden (§ 9) (RF 27.1.2023).

Gemäß § 15 des Gesetzes ’Über den Ablauf der Aus- und Einreise in die Russische Föderation' darf das Recht der Staatsbürger auf Ausreise aus der Russischen Föderation vorübergehend beschränkt werden. Von solchen Beschränkungen sind Personen betroffen, die zum Wehrdienst einberufen oder zum Wehrersatzdienst entsandt wurden (bis zur Beendigung des Wehrdiensts oder Wehrersatzdiensts); Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder unter Anklage stehen; Personen, die wegen Begehung einer Straftat verurteilt wurden (bis die Strafe verbüßt oder eine Strafbefreiung eingetreten ist); Personen, die gegen gerichtlich auferlegte Verpflichtungen verstoßen; Mitarbeiter des Föderalen Sicherheitsdiensts (FSB); sowie Personen, die zahlungsunfähig bzw. insolvent sind (RF 14.4.2023). Bürger, welche im Militärregister aufscheinen, dürfen ab Verkündung einer Mobilmachung ihren Wohnort nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen (§ 21 des Gesetzes 'Über die Mobilisierungsvorbereitung und die Mobilisierung') (RF 4.11.2022). Die Regierung beschränkt Auslandsreisen ihrer Mitarbeiter, darunter Generalstaatsanwaltschaft, Innen- und Verteidigungsministerium usw. (USDOS 20.3.2023; vgl. Bell 7.4.2023). Die Grenz- und Zollkontrollen eigener Staatsangehöriger durch russische Behörden entsprechen in der Regel internationalem Standard (AA 28.9.2022). Im Zuge von Grenzkontrollen kommt es zu Befragungen Ausreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB 4.4.2022). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen (AA 28.9.2022).

Auf Grundlage eines EU-Ratsbeschlusses ist seit 12.9.2022 das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt. Dies bedeutet nun unter anderem höhere Gebühren für einen Visumsantrag, Vorlage zusätzlicher Dokumente und längere Bearbeitungszeiten für Visa (Rat 12.5.2023). Auch die USA verhängten Visabeschränkungen, diese gelten für ca. 900 russische Amtsträger, darunter Mitglieder des Föderationsrats und des russischen Militärs (USDOS 2.8.2022). Weitere Länder (die baltischen Staaten, Tschechien, Niederlande) haben die Visavergabe an russische Staatsbürger eingeschränkt (DW 22.8.2022).

Meldewesen

Die Bürger der Russischen Föderation sind verpflichtet, ihren Aufenthalts- und Wohnort innerhalb des Landes registrieren zu lassen. Die Registrierung ist kostenlos (§ 3) (RF 27.1.2023). Die örtlichen Stellen des Innenministeriums sind gemäß § 4 die Meldebehörden (RF 27.1.2023; vgl. AA 28.9.2022). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses. Wer über Immobilienbesitz verfügt, bleibt dort ständig registriert, mit Eintragung im Inlandspass. Mieter benötigen eine Bescheinigung des Vermieters und werden damit vorläufig ohne Eintragung im Inlandspass registriert (AA 28.9.2022). Das staatliche Melderegister der Russischen Föderation ist nicht öffentlich zugänglich. Informationen werden natürlichen und nicht staatlichen juristischen Personen auf deren Anfrage nur bei Vorhandensein der Zustimmung derjenigen Person, deren Daten angefragt werden, erteilt; staatlichen Organen, soweit dies zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist (ÖB 1.2.2023).

Die Registrierung des Aufenthaltsortes hat binnen 90 Tagen nach Wohnungsnahme zu erfolgen. Von der Registrierung des Aufenthaltsortes bleibt die Wohnsitzregistrierung unberührt. Aufenthalte bis zu einer Dauer von 90 Tagen bedürfen keiner Registrierung (§ 5 des Gesetzes 'Über das Recht der Bürger auf Bewegungsfreiheit'). Beispiele für Aufenthaltsorte sind Hotels, Sanatorien, Campingplätze, medizinische Einrichtungen, Haftanstalten usw. (§ 2) (RF 27.1.2023). Die Aufenthaltsregistrierung (temporäre Registrierung) wird durch eine Bescheinigung in elektronischer oder in Papierform bestätigt (Gosuslugi o.D.). Temporär registrierte Personen haben Zugang zu medizinischer Notfallversorgung (ÖB 30.6.2022).

Bürger, welche ihren Wohnort wechseln, haben binnen sieben Tagen nach Wohnungsnahme die Registrierung zu veranlassen. Dabei ist ein Pass oder ein anderes Identitätsdokument vorzulegen. Anträge können auch elektronisch eingebracht werden, beispielsweise über das Portal Gosuslugi. Die Meldebehörde hat spätestens drei Tage nach Antragstellung die Registrierung vorzunehmen (§ 6) (RF 27.1.2023). Die Wohnsitzregistrierung (Propiska) wird im Pass vermerkt. Kinder bis zu einem Alter von 14 Jahren erhalten eine Registrierungsbescheinigung (Gosuslugi o.D.). Eine permanente Registrierung ist Voraussetzung für stationäre medizinische Versorgung, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Pensionszahlungen (ÖB 30.6.2022).

Kaukasus

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich in andere Teile Russlands reisen (AA 28.9.2022). Einige regionale Behörden schränken die Wohnsitzregistrierung bei ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 2023).

Tschetschenen innerhalb und außerhalb der Russischen Föderation

Letzte Änderung 2023-07-04 14:54

Die Bevölkerungszahl Tschetscheniens beträgt mit Stand 2023 in etwa 1,5 Millionen (FR o.D.). Laut Aussage des Republiksoberhaupts Kadyrow leben rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region, die eine Hälfte davon in Russland, die andere Hälfte im Ausland (ÖB 30.6.2021). Zwischen Jänner und November 2022 reisten aus Tschetschenien um ca. 4.000 Personen mehr aus, als sich in Tschetschenien niedergelassen haben, ungefähr doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die Binnenmigration in der Republik Tschetschenien ist angestiegen. Die Anzahl derjenigen Tschetschenen, welche in andere Regionen Russlands reisen, ist merklich höher als die Anzahl der Rückkehrer (KR 15.2.2023). Die tschetschenische Diaspora ist in allen russischen Großstädten stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben). Sie treffen auf antikaukasische Stimmungen (AA 28.9.2022). Die Migration ins Ausland hat ebenfalls stark zugenommen (KR 15.2.2023). Im Jahr 2022 verließen 1.300 Bewohner Tschetscheniens die Russische Föderation, ein Anstieg um das Vierfache im Vergleich zum Jahr zuvor. Hauptziel der Ausreisen waren Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) (KR 1.3.2023). Die tschetschenische Diaspora in Europa zählt nach verschiedenen Einschätzungen zwischen 150.000 und 300.000 Personen. Eine der größten tschetschenischen Gemeinschaften Europas befindet sich in Frankreich, wo um die 60.000 Tschetschenen leben. In Deutschland, Österreich und Belgien leben nach offiziellen Angaben jeweils zwischen 30.000 und 45.000 Tschetschenen (KU 16.5.2023).

Die 'Ständige Vertretung Tschetscheniens beim russischen Präsidenten' vertritt laut Eigendarstellung die Interessen Tschetscheniens in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Kultur und humanitäre Zusammenarbeit. Außerdem pflegt die Ständige Vertretung Kontakte mit Organisationen der tschetschenischen Diaspora (SVTR o.D.a). Um Belange der tschetschenischen Diaspora kümmern sich beispielsweise folgende Organisationen: der Wiener Rat der Tschetschenen und Inguschen (ZO 29.4.2022), der Weltkongress des tschetschenischen Volks (PTR o.D.), die Vereinigung der Tschetschenen Europas (VTE o.D.) und die Versammlung der Tschetschenen Europas (ACE o.D.). Generalsekretär des Weltkongresses des tschetschenischen Volks ist das tschetschenische Republiksoberhaupt Kadyrow (PTR o.D.).

[zur Situation tschetschenischer Kritiker siehe das Kapitel Tschetschenien, Kritiker, Tschetschenienkrieg-Kämpfer]

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Wirtschaft

Als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat die EU mehrere Sanktionspakete angenommen, um die wirtschaftliche Basis Russlands zu schwächen. Der Zugang Russlands zu den Kapital- und Finanzmärkten der EU wurde beschränkt. Für alle russischen Flugzeuge ist der Luftraum der EU geschlossen. Ebenso sind EU-Häfen für alle russischen Schiffe geschlossen. Transaktionen mit der russischen Zentralbank sind verboten. Mehrere russische Banken wurden aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Neue Investitionen in den russischen Energiesektor wurden verboten. Es gilt ein Einfuhrverbot für Eisen und Stahl aus Russland in die EU sowie ein Einfuhrverbot für Kohle, Holz, Zement, Gold, Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse usw. (Rat der EU 18.4.2024). Sanktionen gegen Russland verhängten außerdem die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, Japan, die Schweiz und die restliche westliche Welt. Der Sanktionsdruck ist in Russland in allen Bereichen spürbar. Die Isolation Russlands zwingt verstärkt zu einer Eigenproduktion kritischer Waren, darunter Medikamente, Anlagen und Computertechnik (WKO 4.2024). Aufgrund der Emigration verliert Russland qualifizierte Arbeitskräfte (EBRD 21.11.2023). Eine Einschätzung der wirtschaftlichen Situation in Russland gestaltet sich schwierig, da der öffentliche Zugang zu Wirtschaftsstatistiken eingeschränkt wurde (FH 2024).

Die Industrie wurde teilweise auf Kriegswirtschaft umgestellt (WKO 4.2024). 2023 ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) vor allem aufgrund der steigenden Militärproduktion um 3,6 % gewachsen, was sich auf viele Wirtschaftsbereiche positiv ausgewirkt hat. Andererseits kam es zu einer Überhitzung der Wirtschaft (WIIW o.D.). Gemäß vorläufigen Daten des Föderalen Amts für Staatliche Statistik (Rosstat) ist das Bruttoinlandsprodukt im 1. Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahr um 5,4 % gestiegen (Lenta 17.5.2024). Die Inflation betrug mit Stand 20.5.2024 nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 8,03 % (Interfax 22.5.2024). Es herrscht eine Geldwertinstabilität (HF 10.2023). Um den starken Verfall des Rubels aufzuhalten, führte die Regierung strenge Devisenbeschränkungen sowie weitere einschränkende Maßnahmen zur Stabilisierung der russischen Währung und der Wirtschaft ein. Der schwache Rubel lässt Preise für importierte Waren steigen und treibt somit die Inflation weiter an (WKO 4.2024). Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2023 14,9 % des Bruttoinlandsprodukts (WIIW o.D.). Die russischen Staatsausgaben steigen im Zusammenhang mit den Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine stark an. Die Auslandsverschuldung Russlands ist im internationalen Vergleich sehr niedrig (WKO 4.2024). Das Budgetdefizit ist im Allgemeinen unter Kontrolle (WIIW 2.2024). Der Privatsektor wird durch extensive staatliche Einmischung gehemmt (HF 10.2023).

Innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte ist Russland vom Importeur zum größten Weizenexporteur der Welt aufgestiegen (ZOiS/Götz 9.3.2023; vgl. Statista 2.1.2024). Die russische Wirtschaft ist wenig diversifiziert und von Rohstoffexporten stark abhängig (EBRD 21.11.2023). Russland gehört historisch zu den größten Erdölproduzenten weltweit. Öl- und Gasexporte machen traditionell mehr als zwei Drittel der russischen Ausfuhren aus. Es erfolgte eine Neuorientierung des Außenhandels auf China, Indien, die Türkei (WKO 4.2024) und die GUS-Staaten (WIIW 2.2024). Besonders der Handel mit China wurde nach Verhängung westlicher Sanktionen zur wichtigen Stütze für die russische Wirtschaft (WKO 4.2024). Die sozioökonomische Entwicklung wird durch die weitverbreitete Korruption und die ausgedehnte Schattenwirtschaft behindert (BS 2024).

Grundversorgung

Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ist armutsgefährdet (BS 2024). Im Jahr 2023 betrug der Anteil der russischen Bevölkerung mit Einkommen unter der Armutsgrenze - nach offiziellen Angaben - 9,3 % (13,5 Millionen Personen) (Rosstat o.D.a). Seit 2021 wird die Armutsgrenze neu berechnet. Die neue Berechnungsmethode wird als willkürliche Verschleierung der wahren Zustände kritisiert (AA 28.9.2022). Als besonders armutsgefährdet gelten Familien mit Kindern (vor allem Großfamilien), Alleinerziehende, Pensionisten und Menschen mit Beeinträchtigungen. Weiters gibt es regionale Unterschiede. In den wirtschaftlichen Zentren Moskau und St. Petersburg ist die Armutsquote halb so hoch wie im Landesdurchschnitt. Prinzipiell ist die Armutsgefährdung auf dem Land höher als in den Städten (Russland-Analysen/Brand 21.2.2020). Spezielle Regierungsprogramme, die sich dem Kampf gegen Armut im ländlichen Raum widmen, sind aufgrund der sich darstellenden massiven Probleme nur begrenzt erfolgreich (BS 2024).

Gemäß der Weltbank hatten im Jahr 2022 76 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu sicher verwalteten Trinkwasserdiensten (WB o.D.a). Nach staatlichen Angaben werden 88,6 % der Bevölkerung des Landes mit hochwertigem Trinkwasser versorgt. Der dementsprechende Anteil für die Stadtbevölkerung beträgt 94,9 % (NPRU o.D.a). Gemäß dem Welthunger-Index 2023 belegt die Russische Föderation Platz 26 von 125 Ländern. Mit einem Wert von 5,8 fällt die Russische Föderation in die Schweregradkategorie niedrig. Weniger als 2,5 % der Bevölkerung sind laut dem Welthunger-Index unterernährt (GHI o.D.). Laut der Weltbank hatten im Jahr 2022 89 % der Bevölkerung Russlands Zugang zu einer (zumindest) Basisversorgung im Bereich Hygiene (WB o.D.b). Ein Problem stellt die Versorgung mit angemessenem Wohnraum dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Mietkosten variieren je nach Region (IOM 12.2022). Russlands öffentliche Heizinfrastruktur ist zunehmend marode. Mangelhaft gewartete Heizkraftwerke fallen regelmäßig aus (Standard 19.1.2024).

Russische Staatsbürger haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 12.2022). Gemäß den gesetzlichen Vorgaben darf der Mindestlohn das Existenzminimum nicht unterschreiten (FGML RUSS 27.11.2023). Die Höhe des Mindestlohns wird von der Regierung jährlich angepasst (RBK 14.12.2023) und beträgt für das Jahr 2024 RUB 19.242 [ca. EUR 198] (monatlicher Mindestlohn) (Duma 1.1.2024; vgl. Lenta 24.12.2023). Der Mindestlohn kann in jeder Region durch regionale Abkommen individuell festgelegt werden. Jedoch darf die Höhe des regionalen Mindestlohns nicht niedriger als der national festgelegte Mindestlohn sein (ARBGB RUSS 6.4.2024). In der Stadt Moskau beträgt der Mindestlohn RUB 29.389 [ca. EUR 302] (Lenta 24.12.2023). Im Jahr 2024 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung RUB 16.844 [ca. EUR 173], für Kinder RUB 14.989 [ca. EUR 154] und für Pensionisten RUB 13.290 [ca. EUR 137] (Rosstat 22.12.2023). Die primäre Versorgungsquelle der russischen Bevölkerung bleibt ihr Einkommen (AA 28.9.2022). Weitverbreitet ist die Praxis, Löhne gar nicht oder verspätet auszuzahlen (USDOS 22.4.2024). Nach staatlichen Angaben betrug die Arbeitslosenrate im März 2024 2,7 % (Rosstat o.D.b). Die Arbeitslosenrate ist von Region zu Region verschieden (IOM 12.2022). Die versteckte Arbeitslosigkeit ist schwer einzuschätzen. Schwer am Arbeitsmarkt haben es ältere Arbeitnehmer. Besonders schwierig bis prekär ist die Lage für viele Migranten, welche überwiegend gering qualifiziert sind. Sie verdienen oft (wenn überhaupt) nur den Mindestlohn (AA 28.9.2022).

Nordkaukasus

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Die sozioökonomischen Unterschiede zwischen russischen Regionen sind beträchtlich. Die ländliche Peripherie, vor allem der Nordkaukasus, ist von großen Entwicklungsproblemen betroffen (BS 2024). Aufgrund des Ukraine-Kriegs verschlechtert sich die sozioökonomische Lage im Nordkaukasus (KR 4.5.2024). Dieser weist eine hohe Armutsrate (KR 19.5.2023) und eine hohe Arbeitslosigkeit auf (KR 19.5.2023; vgl. ÖB Moskau 30.6.2023). In Regionen des Nordkaukasus muss jeder Fünfte mit weniger als dem Existenzminimum auskommen (Russland-Analysen/Brand 21.2.2020). Das Einkommensniveau im Nordkaukasus ist sehr niedrig (KR 8.12.2023), die Höhe der Pensionen liegt unter dem Landesdurchschnitt (KR 8.2.2024). Der Nordkaukasus ist von einem hohen Niveau an informeller Beschäftigung gekennzeichnet (KK 29.3.2023b; vgl. BS 2024). Tschetschenien, Dagestan und andere nordkaukasische Gebiete gehören zu denjenigen Regionen Russlands, wo der Mittelschichtanteil unter der Bevölkerung am geringsten ist (Statista 7.2023). Mehrere ländliche Gegenden im Nordkaukasus haben begrenzten oder keinen Zugang zu Wasser, Stromversorgung und Sanitäreinrichtungen (BS 2024).

Tschetschenien

Tschetschenien ist von großer Armut und Arbeitslosigkeit betroffen (Borgen Project 3.9.2021; vgl. AA 28.9.2022, KR 8.12.2023). Nach offiziellen Angaben betrug die Arbeitslosenrate Ende 2023 10,4 % (KR 4.3.2024). Im Jahr 2022 lebten gemäß offiziellen Angaben 19,4 % der Bevölkerung in Tschetschenien unter der Armutsgrenze (Rosstat 29.12.2023a). Dank Zuschüssen aus dem russischen föderalen Budget haben sich die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung seit dem Ende des Tschetschenienkrieges deutlich verbessert (AA 28.9.2022). Tschetschenien ist von Moskau finanziell abhängig (ORF 30.3.2022) und wird in beträchtlichem Ausmaß subventioniert (KR 8.12.2023). Die Einkommensschere klafft weit auseinander (KK 10.5.2023). Im Jahr 2024 beträgt die Höhe des monatlichen Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung in Tschetschenien RUB 16.170 [ca. EUR 166], für Kinder RUB 14.390 [ca. EUR 148] und für Pensionisten RUB 12.758 [ca. EUR 131] (Rosstat 29.12.2023b). Die Anzahl der Einwohner, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegt, beträgt nach offiziellen Angaben 17,4 % (KK 3.5.2024a). Pensionen sind sehr niedrig (KR 8.12.2023).

Sozialbeihilfen

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Die russische Verfassung definiert die Russische Föderation als Sozialstaat und garantiert Bürgern soziale Unterstützung sowie eine obligatorische Sozialversicherung (Verfassung RUSS 6.10.2022). Es ist ein System der sozialen Sicherheit und sozialen Fürsorge in Russland vorhanden, welches Pensionen auszahlt und die vulnerabelsten Bürger unterstützt. Zum Kreis vulnerabler Gruppen zählen Familien mit mindestens drei Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie ältere Menschen (IOM 12.2022). Der Staat bietet verschiedene Sozialleistungen an, wovon unter anderem folgende Personengruppen profitieren: Veteranen, Waisenkinder, ältere Personen, Alleinerziehende, Erwerbslose, Landbewohner (AÜSU o.D.), Menschen mit Behinderungen, Familien, Pensionisten (SFR o.D.a), Bewohner des hohen Nordens sowie Familienangehörige Militärbediensteter und von infolge der Ausübung ihrer Dienstpflichten verstorbenen Bediensteten des Innenressorts (Regierung RUSS o.D.b). Das föderale Pensionsversorgungsgesetz zählt folgende staatliche Pensionsleistungen auf: Pensionen für langjährige Dienste; Alters-; Invaliditäts-; Hinterbliebenen- und Sozialpensionen (FGSP RUSS 29.5.2024). Gemäß dem russischen Sozialfonds erhalten alle Pensionisten, welche keiner Arbeit nachgehen, und deren finanzielle Mittel unter dem Existenzminimum für Pensionisten liegen, einen Sozialzuschlag zur Pension. Dadurch erfolgt eine Anhebung bis zur Höhe des Existenzminimums (SFR o.D.b).

Mit 1.1.2023 wurden der Pensions- und der Sozialversicherungsfonds zum neu geschaffenen 'Fonds für Pensions- und Sozialversicherung der Russischen Föderation' (kurz 'Sozialfonds') verschmolzen (SFR o.D.c). Zu den Aufgaben des neu geschaffenen Sozialfonds gehört die Auszahlung von Pensionen und staatlicher finanzieller Hilfen. In den einzelnen Subjekten der Russischen Föderation gibt es territoriale Abteilungen des Sozialfonds (SFR 18.4.2024).

Mutterschaft: Mutterschaftskapital, Kinderbetreuungsgeld usw.

Letzte Änderung 2024-06-12 10:50

Es gibt ein umfangreiches Programm zur Unterstützung von Familien (AA 28.9.2022). Die Dauer des Mutterschaftsurlaubs beträgt für gewöhnlich 140 Tage: 70 Tage vor und 70 Tage nach der Geburt. Bei Mehrlingsgeburten kann ein Mutterschaftsurlaub von 194 Tagen in Anspruch genommen werden. Die Höhe des Mutterschaftsgeldes hängt von der Höhe des Durchschnittslohns der vorangegangenen zwei Jahre, von der Beschäftigungsdauer und der Dauer des Mutterschaftsurlaubs ab. Das Mutterschaftsgeld beträgt im Jahr 2024 mindestens RUB 88.565 [ca. EUR 911] und maximal RUB 783.707 [ca. EUR 8.063]. Ist die Versicherungsdauer kürzer als sechs Monate, wird eine finanzielle Unterstützung maximal in der Höhe des Mindestlohns zuerkannt (RBK 9.2.2024). Eine Einmalzahlung wird russischen Staatsbürgerinnen gewährt, wenn sie ihre Schwangerschaft spätestens in der 12. Schwangerschaftswoche bei einer medizinischen Einrichtung registrieren und das Pro-Kopf-Einkommen der Familie das regionale Existenzminimum nicht übersteigt (SFR 13.5.2024a). Außerdem gibt es eine Einmalzahlung bei der Geburt eines Kindes (SFR o.D.d).

Das Mutterschaftskapital, das gesetzlich auch als Familienkapital bezeichnet wird (FGUF RUSS 25.12.2023), wird vorrangig der Mutter gewährt. Wenn beispielsweise die Mutter verstorben ist, bezieht der Vater das Mutterschaftskapital (Lenta 15.2.2024). Das Mutterschaftskapital ist eine bargeldlose, zweckgebundene Leistung (AA 28.9.2022) und darf für die Ausbildung der Kinder, zur Verbesserung der Wohnverhältnisse, für die Pensionsvorsorge sowie für die gesellschaftliche Integration beeinträchtigter Kinder verwendet werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, das Mutterschaftskapital bis zum dritten Geburtstag des Kindes in Form eines monatlichen Geldbetrages zu erhalten (FGUF RUSS 25.12.2023), so die betreffende Familie das Kriterium der Bedürftigkeit erfüllt (SFR 9.2.2024). Die Höhe des Mutterschaftskapitals beträgt für das Jahr 2024 ca. RUB 630.381 [ca. EUR 6.485] für das erste Kind und ca. RUB 833.025 [ca. EUR 8.570] für das zweite Kind (SFR 8.2.2024).

Kinderbetreuungsgeld wird zuerkannt, bis das Kind 1,5 Jahre alt ist. Im Jahr 2024 beträgt die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes für Bürger, welche vor der Kinderbetreuungszeit einer Arbeit nachgingen, mindestens RUB 9.227,24 [ca. EUR 95] und maximal RUB 49.123,12 [ca. EUR 505]. Bestand kein Arbeitsverhältnis, beträgt die Höhe des Kinderbetreuungsgeldes RUB 9.227,24 [ca. EUR 95] (SFR o.D.e). Im Rahmen des Nationalen Projekts 'Demografie' wurden im Laufe von fünf Jahren mehr als 1.670 neue Kindergärten mit Kinderkrippen für Kinder von bis zu drei Jahren eröffnet und mehr als 260.000 Plätze geschaffen (NPRU o.D.b). Die von den Eltern zu tragenden Kosten für den staatlichen Kindergarten werden von den örtlichen Behörden festgelegt. Die Preise sind unter anderem vom Alter des Kindes abhängig. Die örtlichen Behörden entscheiden, wer in den Genuss einer Kostenrückerstattung kommt. In der Regel werden mindestens 20 % der Kosten für ein Kind rückerstattet, 50 % für das zweite Kind und 70 % für jedes weitere Kind. In der Moskauer Region ist die Kostenrückerstattung für Privatkindergärten möglich (MF 7.3.2023; vgl. Lenta 27.2.2024). Befreit von Kindergartenkosten sind Familien mit beeinträchtigten Kindern (Lenta 27.2.2024). Für bedürftige russische Familien, welche sich dauerhaft in der Russischen Föderation aufhalten, gibt es eine monatliche finanzielle Unterstützung für Kinder im Alter von 8-17 Jahren (EPUF RUSS 31.3.2022).

Arbeitslosenunterstützung

Letzte Änderung 2024-06-12 10:29

Personen können sich bei den örtlichen Arbeitsämtern des Föderalen Amts für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Sollte es dem Arbeitsamt nicht gelingen, der arbeitssuchenden Person binnen zehn Tagen einen Arbeitsplatz zu beschaffen, wird der betreffenden Person der Arbeitslosenstatus und somit eine monatliche Arbeitslosenunterstützung zuerkannt (IOM 12.2022). Während der ersten drei Monate erhält die arbeitslose Person 75 % des Durchschnittseinkommens des letzten Beschäftigungsverhältnisses, jedoch höchstens RUB 12.792 [ca. EUR 132]. Während der folgenden drei Monate beträgt die Höhe der Arbeitslosenunterstützung 60 % des Einkommens bzw. höchstens RUB 5.000 [ca. EUR 51]. Die Mindesthöhe der Arbeitslosenunterstützung beträgt RUB 1.500 [ca. EUR 15] (RG 23.11.2022; vgl. FGBB RUSS 12.12.2023). Um den Anspruch auf monatliche Arbeitslosenunterstützung geltend machen zu können, haben sich die Arbeitslosengeldbezieher alle zwei Wochen im Arbeitsamt einzufinden. Außerdem dürfen sie beispielsweise nicht in eine andere Region umziehen und keine Pensionsbezieher sein. Arbeitsämter gibt es überall im Land. Sie stellen verschiedene Dienstleistungen zur Verfügung. Arbeitssuchende, die beim Arbeitsamt registriert sind, dürfen an kostenlosen Fortbildungskursen teilnehmen, um so ihre Qualifikationen zu verbessern (IOM 12.2022).

Wohnmöglichkeiten, Sozialwohnungen

Letzte Änderung 2024-06-12 10:30

Die russische Verfassung garantiert das Recht auf Wohnraum. Laut der Verfassung wird bedürftigen Personen Wohnraum kostenlos oder zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung gestellt (Verfassung RUSS 6.10.2022). Bürger ohne Unterkunft oder mit einer Substandard-Unterkunft und sehr geringem Einkommen dürfen kostenfreie Wohnungen beantragen. Jedoch kann die Wartezeit bei einigen Jahren oder Jahrzehnten liegen. Ein Anrecht auf eine kostenlose Unterkunft haben Waisenkinder und Personen mit schwerwiegenden chronischen Erkrankungen (Tuberkulose etc.). Es gibt Schutzunterkünfte für Opfer von Menschenhandel und häuslicher Gewalt, für alleinerziehende Mütter und andere vulnerable Gruppen. Für gewöhnlich werden diese Unterkünfte von örtlichen NGOs verwaltet. Es gibt keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (IOM 12.2022). Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum stellt ein Problem dar. Bezahlbare Eigentums- oder angemessene Mietwohnungen sind für Teile der Bevölkerung unerschwinglich (AA 28.9.2022). Wohnungskosten sind regional unterschiedlich (WW 17.3.2023; vgl. Rosrealt o.D.). Es mangelt an ausreichendem Wohnraum für Familien (AA 28.9.2022).

Rückkehr

Letzte Änderung 2024-06-12 10:43

Gemäß der russischen Verfassung (Verfassung RUSS 6.10.2022) und im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben haben russische Staatsbürger das Recht, ungehindert in die Russische Föderation zurückzukehren (FGAE RUSS 4.8.2023). Jedoch kommt es de facto beispielsweise im Zuge von Grenzkontrollen zu Befragungen Einreisender durch Grenzkontrollorgane (ÖB Moskau 8.5.2024). Es liegen Hinweise vor, dass die Sicherheitsdienste einige Personen bei Ein- und Ausreisen überwachen. Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments nach Russland einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine Verwaltungsstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen beim Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 28.9.2022). Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (ÖB Moskau 30.6.2023; vgl. EGRÜ 17.5.2007). Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach welchem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 30.6.2023).

Rückkehrende haben - wie alle anderen russischen Staatsbürger - Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Pensionssystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen (IOM 7.2022). Sozialleistungen hängen vom spezifischen Fall des Rückkehrers ab. Zurückkehrende Staatsbürger haben ein Anrecht auf eine kostenlose medizinische Versorgung im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung. Jeder Bürger der Russischen Föderation kann dementsprechend gegen Vorlage eines gültigen russischen Reisepasses oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis zu einem Alter von 13 Jahren) eine Krankenversicherungskarte erhalten. Diese wird von der nächstgelegenen Krankenversicherungszweigstelle am Wohnsitzort ausgestellt (IOM 12.2022). Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können nicht als spezifische Probleme von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, vor allem für junge Mädchen, wenn diese in einem westlichen Umfeld aufgewachsen sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf eine mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt (ÖB Moskau 30.6.2023).

Es sind keine Fälle bekannt, in welchen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten (AA 28.9.2022). Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten (ÖB Moskau 30.6.2023). Der Kontrolldruck der Sicherheitsbehörden gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. NGOs berichten von willkürlichem Vorgehen der Polizei bei Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen. Letztere finden vor allem in Tschetschenien auch ohne Durchsuchungsbefehle statt (AA 28.9.2022).

Sollte ein Einberufungsbefehl ergangen sein, ist diesem bei Rückkehr Folge zu leisten. Nach Rückkehr in die Russische Föderation werden, bei Vorliegen eines Einberufungsbefehls, russische Staatsangehörige aus Tschetschenien - wie auch andere Bürger - eingezogen und nach einer Ausbildung auch im Ukraine-Krieg eingesetzt. In Bezug auf Zwangsrekrutierungen von Tschetschenen können, aufgrund des willkürlichen Charakters von Zwangsrekrutierungen, keine Aussagen dazu getroffen werden, ob sich das Vorgehen analog jenem bei Einberufungsbefehlen gestaltet (ÖB Moskau 8.5.2024).

2. Beweiswürdigung:

Der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt ergibt sich, soweit nicht im Folgenden Zusätzliches ausgeführt wird, aus den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, bei den jeweiligen Feststellungen angegebenen unbedenklichen Aktenbestandteilen der Verwaltungs- und Gerichtsakten bzw. der sonst beigeschafften Beweismittel (vgl. oben vor Punkt II.1.), die das Bundesverwaltungsgericht als valide und unbedenklich erachtet.

2.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer

Die Feststellungen betreffend die Personen der Beschwerdeführer beruhen auf ihren diesbezüglich konsistenten Angaben im Verwaltungsverfahren (AS 1 ff, BFA-Akt Zweitbeschwerdeführer AS 5 ff), bei der Einvernahme vor der belangten Behörde am XXXX .2023 (AS 47 ff) und am XXXX .2023 (BFA-Akt Zweitbeschwerdeführer AS 101 ff) sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX 2024 (VP S. 1 ff). Die Identität der Beschwerdeführer steht aufgrund dem Vorverfahren der belangten Behörde sowie ihrer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung vorgelegten Aufenthaltsberechtigungskarten, Nr.: XXXX und XXXX , fest (AS 47 ff, VP S. 2).

Die standesamtliche Eheschließung der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers steht auf Grund der Heiratsurkunde und der Eintragung der Eheschließung in den Inlandsreisepässen dieser Beschwerdeführer fest (BFA-Akt des Zweitbeschwerdeführers AS 135, 149 ff).

Die Feststellung über die erfolgten Asylantragstellungen in Polen und der Bundesrepublik Deutschland, der erste und der zweite Asylantrag ergeben sich aus der Einsichtnahme in die Verwaltungs- und Gerichtsakten betreffend die Beschwerdeführer sowie dem Umstand, dass sowohl in der Beschwerdeschrift als auch in den Stellungnahmen diese Feststellung nicht abgestritten wurden (siehe hierzu BVwG-Gerichtsakt W112 2177708-1).

Die Feststellungen zum Lebenslauf der Beschwerdeführer (Geburtsort, Wohnort, Schulbildung und Berufserfahrung) gründen im Übrigen auf den diesbezüglich schlüssigen, übereinstimmenden und gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren und der in Vorlage gebrachten Dokumente.

Dass die Beschwerdeführer bis zur Ausreise im Jahr 2017 gemeinsam mit den (Groß-)Eltern im Familienhaus in XXXX lebten, ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben der einvernommenen Beschwerdeführer im gesamten Verfahren (Vorakt BFA Zweitbeschwerdeführer AS 79).

Die Feststellungen über die Sprachkenntnisse und darüber, dass die Beschwerdeführer mit den Gepflogenheiten im Herkunftsstaat vertraut sind, beruhen darauf, dass sie in der Russischen Föderation, Tschetschenien, geboren und aufgewachsen sind. Sie sprechen untereinander in der Familie in der tschetschenischen, russischen und der deutschen Sprache (AS 7, 8, 142, 143, VP S. 12, 25). Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer auch Russisch als Familiensprache verwenden, beruht auf dem in das Verfahren eingebrachten ersten Asylakt (W112 2177713-1 u.a.; Erkenntnis S 34, 90).

Die Sprachkenntnisse der deutschen Sprache der Beschwerdeführer konnten anhand der vorgelegten Integrationsprüfung der Erstbeschwerdeführerin auf dem Niveau A2 (Vorakt der Erstbeschwerdeführerin AS 349, 351) und B1 (AS 111) und der vorgelegten Schulnachrichten bzw. Jahreszeugnisse der minderjährigen Beschwerdeführer für das Schuljahr 2023/2024 (Beilagen zu OZ 6, VP S.12) festgestellt werden. Nach den Angaben der Eltern, der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, sprechen alle Kinder gut Deutsch (VP S. 12, 25). Von den Kenntnissen der deutschen Sprache der Erstbeschwerdeführerin konnte sich der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung überzeugen, wobei aufgrund des persönlichen Eindrucks den Antworten der Beschwerdeführerin ein einstudiertes und nicht frei gesprochenes Moment zugeschrieben wird (VP S. 16: „R: Erzählen Sie mir ein wenig über sich selbst auf Deutsch. BF1: Ich bin 35-Jährige, ich bin sehr gute Frau und sehr schöne. Meine Freundin von NÖ mir so gesagt mir. Momentan ich mache Autoführerschein-Ausbildung. Ich habe selber theoretische Prüfung schon bestanden. Jetzt ich muss praktische Prüfung bestanden. Ich hoffe, ich kann das auch schaffen.“).

Die Feststellung, dass der Zweitbeschwerdeführer nur geringfügig Deutsch spricht, fußt auf seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung. So hat er nur den Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht und spricht auch mit den Kindern in der tschetschenischen Sprache (Erkenntnis W112 217713-1/43E, VP S. 25, 28).

Die Angaben zum Schul- und Kindergartenbesuch der in der Russischen Föderation geborenen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers liegen schon auf Grund der Feststellungen zu ihrem Alter nahe. Dass die Söhne keinen Kindergarten bzw. der zweite Sohn nicht einmal eine Schule besuchen haben sollten, wie die Erstbeschwerdeführerin (VP S. 12) und der Zweitbeschwerdeführerin (VP S. 25) in der mündlichen Verhandlung angaben, erachtet der erkennende Richter nicht als glaubhaft. So hatte die Erstbeschwerdeführerin im ersten Asylverfahren (vgl. oben Punkt I.1.) noch angegeben, nachdem die Familie nach dem erfolglosen Versuch, in XXXX und XXXX Asyl zu erhalten, freiwillig in den Herkunftsstaat zurückgekehrt war, hätten die Kinder in Tschetschenien die Schule bzw. den Kindergarten besucht. Insbesondere erwähnte die Beschwerdeführerin dabei nicht, dass der zweite Sohn keinerlei Schulausbildung erhalten haben sollte, was die späteren Aussagen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht als unglaubwürdig erscheinen lässt. Auch gaben die Beschwerdeführer keinerlei nachvollziehbaren Grund (z.B. längere Krankheit) an, warum eines Ihrer Kinder gar keine schulische Ausbildung bekommen haben sollte bzw. warum sie als Eltern das hingenommen haben sollten. Die Andeutung der Zweitbeschwerdeführerin „es ist nicht so wie hier“ (VP S. 12) überzeugt hierzu nicht. Es liegt vielmehr nahe, dass die Beschwerdeführer versuchten, im nunmehrigen zweiten Asylverfahren die Situation von Kindern in der Russischen Föderation möglichst negativ darzustellen, um die Chancen im Verfahren zu erhöhen. Im Ergebnis war daher festzustellen, dass die Kinder in der Russischen Föderation (altersentsprechend) Kindergärten bzw. Schulen besucht haben.

Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs der Fünftbeschwerdeführerin ergibt sich aus den Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und deckt sich mit dem vorgelegten Jahreszeugnis der Fünftbeschwerdeführerin für das Schuljahr 2023/2024, das einen Sonderschulbedarf in bestimmten Fächern ausweist. Allerdings hat die Fünftbeschwerdeführerin im Fach „Deutsch“ die Schulnote „Befriedigend“ und im Fach „Englisch“ ein „Teilgenommen“ in ihrem Jahreszeugnis erzielt. Auch aus dem Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin vom erkennenden Richter in der Beschwerdeverhandlung befragt, wie es der Tochter geht, antwortete, die Tochter komme mit der Sprache nun gut zurecht, spricht für eine sprachliche Weiterentwicklung trotz des Sonderschulbedarfs (VP S. 13: „R: Wie geht es der Tochter, ich möchte nicht wissen, wie die Landesgesetze ausschauen, sondern wie es der Tochter geht. BF1: Sie kann normal lernen, aber Englisch als zusätzliche Sprache kann sie nicht lernen. Das hat mir die Lehrerin so erklärt. R hält fest, dass im vorgelegten Jahreszeugnis 2023/2024 der Tochter XXXX in Deutsch die Note 3 ausgewiesen wird und bei Englisch „Teilgenommen“ steht. BF1: Ja, weil sie sich schwer tut, noch eine neue Sprache aufzunehmen. Das Gleiche war mit Deutsch, sie hat die Buchstaben vergessen. R: Ich möchte aber wissen, wie es ihr jetzt geht. BF1: Jetzt kommt sie mit der deutschen Sprache zurecht. Sie lernt genug. […]“). Im gegenständlichen Asylverfahren haben die Beschwerdeführer auch keine weiteren Unterlagen diesbezüglich in Vorlage gebracht, die eine andere Beurteilung bzw. eine Verschlechterung der Entwicklung der Fünftbeschwerdeführerin im Vergleich zum ersten Asylverfahren nahelegen würden.

Soweit sich die Beschwerde wiederum auf das bereits im ersten, rechtskräftig negativ abgeschlossenen Asylverfahren vorgelegte (undatierte) Schreiben (M. Kösner u.a.) beruft, wonach die Fünftbeschwerdeführerin auf Grund vieler schwer traumatisierender Erlebnisse wie Krieg, ständigen Gefahren und Lebensgefahr Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung zeigt, teilt der erkennende Richter die im Erkenntnis W112 2177708-1 (u.a.) im ersten Asylverfahren dargestellte Beurteilung. Einerseits findet sich die in diesem Schreiben dargestellte Meinung über eine posttraumatische Störung in keinem der anderen vorgelegten Befunde. Andererseits beruht diese Stellungnahme auf angeblich traumatisierenden Erlebnissen wie „Krieg“, was bei der im Jahr 2012 geborenen Fünftbeschwerdeführerin aber angesichts des Endes des zweiten Tschetschenienkrieges mit 2009 nicht mehr anzunehmen ist. Auch haben die Erst- und Zweitbeschwerdeführer erfolgte Bedrohungen gegenüber den Kindern verneint. Der erkennende Richter erachtet daher dieses Schreiben, wie schon im Erstverfahren, als bloße Gefälligkeitsaussage zur Unterstützung des unberechtigten Asylantrags der Beschwerdeführer. Es war daher festzustellen, dass die Fünftbeschwerdeführerin bis auf eine Entwicklungsverzögerung des Sprechens gesund ist und inzwischen mit der deutschen Sprache zurechtkommt. Darüber hinaus sind eine sonderpädagogische Förderung sowie die psychotherapeutische und logopädische Betreuung ausweislich der im rechtskräftigen Verfahren zu W112 2177708-1 u.a. eingebrachten Länderberichte (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Russische Föderation vom 14.06.2021) in der Russischen Föderation, auch in Tschetschenien, verfügbar. Ein Hinweis auf eine schwerwiegende und lebensbedrohende Erkrankung der Fünftbeschwerdeführerin ist daraus nicht abzuleiten. Auch antwortete der Vater der Fünftbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer, in der Beschwerdeverhandlung auf Nachfrage des erkennenden Richters über die im ersten Verfahren diagnostizierte Entwicklungsstörung der Tochter, es gehe ihr normal (VP S. 25: „R: Wie geht es den Kindern gesundheitlich? BF2: Gut. R: Im ersten Verfahren wurde eine Entwicklungsstörung der Tochter thematisiert, die sonderpädagogischen Bedarf erfordert hat. Wie schaut es diesbezüglich jetzt aus? BF2: Normal. R: Ist die Tochter in einer Sonderschule oder in einer Therapie? BF2: In NÖ hatte sie eine Art Therapie. Sie hatte jedenfalls eine Lehrerin für sich. Sie ist auch mit meiner Frau zum Psychologen gefahren. R: Wollen Sie mir noch etwas über die Kinder erzählen? BF2: Nein.“).

Ebenso beruhen die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer auf den jeweils im Detail angegebenen Aktenbestandteilen bzw. den entsprechenden glaubwürdigen Aussagen der Beschwerdeführer (AS 57, BFA-Akt Zweitbeschwerdeführer AS 107, VP S. 13, 25). Die Erstbeschwerdeführerin gab zwar auf die Frage des erkennenden Richters in der Beschwerdeverhandlung zu ihrem Gesundheitszustand an, sie habe manchmal Panikattacken, dies sei ein posttraumatisches Syndrom, sie leide sonst an keinen chronischen oder akuten Krankheiten oder Gebrechen und sie nehme nicht regelmäßige Medikamente ein, sie würde lediglich Beruhigungsmittel einnehmen. (VP S. 5: „R: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen? BF1: Ich möchte sagen, dass ich jeden Tag Gebete verrichtet habe, dass der Tag so schnell wie möglich kommt. Aber ich habe manchmal Panikattacken, das ist ein posttraumatisches Syndrom.BF1: Ja. R: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen oder nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein? BF1: Nur Beruhigungsmittel. BF2: Nein. R an BF1: Haben Sie Befunde für dieses posttraumatische Syndrom? BF1: Nein, ich habe mich an niemanden gewandt.“). Weder wurde nach Angaben der Erstbeschwerdeführerin ein posttraumatisches Syndrom diagnostiziert, noch hat sie überhaupt ärztliche Hilfe in Anspruch genommen und wurde auch kein entsprechender Befund vorgelegt, der eine Erkrankung gegebenenfalls objektivieren hätten können (VP S. 5). Daher kann nicht festgestellt werden, dass sie an einer krankheitswertigen psychischen Störung leidet und dass ein diesbezüglicher Behandlungsbedarf besteht. Dass auch die restlichen Beschwerdeführer psychisch und physisch gesund sind, steht fest, weil anderes nicht behauptet wurde. Die Beschwerdeführer leiden somit an keinen lebensbedrohlichen, im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Krankheiten, die einer Rückkehr entgegenstehen.

Dass die Beschwerdeführer mit der Lebensart und Kultur Tschetscheniens vertraut sind, liegt auf Grund des persönlichen Eindrucks, den sie in der hg. mündlichen Verhandlung vermittelten, nahe und beruht auch auf den Feststellungen, dass sie – abgesehen von ein paar Monaten im Jahr 2013 – ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise im Jahr 2017 in Tschetschenien lebten, dort sozialisiert wurden und im Familienverband mit den Großeltern aufgewachsen sind. Die Beschwerdeführer leben ausweislich der hg. mündlichen Verhandlung diese Traditionen in Österreich weiter, weshalb auch die minderjährigen Kinder, die in diesem Familienverband (auch) tschetschenisch mit ihren Eltern sprechen, in dieser Kultur und Lebensart erzogen werden (VP S. 12, 25).

Die Feststellungen über ihre Verwandten, deren aktuelle Wohnorte, den Kontakt zu diesen sowie die Feststellungen über Aufenthalt, Schul- und Berufsausbildungen beruhen auf den jeweils angegebenen unbedenklichen Aktenbestandteilen bzw. Aussagen der Beschwerdeführer (VP S. 14, 26). Folglich konnten auch die Familienverhältnisse, wie unter II.1.1. festgehalten, festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den weiteren Familienangehörigen in der Russischen Föderation der Beschwerdeführer ((Groß-)Eltern bzw. Geschwister/Onkel und Tanten), deren Wohnort sowie der Umstand, dass die Beziehung auch von Österreich aus weiter gepflegt wird, gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung (VP S. 12, 25).

Die Arbeitsfähigkeit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers konnte auf Grund ihres Alters und Gesundheitszustandes sowie des Umstandes festgestellt werden, dass der Zweitbeschwerdeführer bis zur Auseise als LKW-Fahrer bzw. Fernfahrer und Automechaniker, die Erstbeschwerdeführerin bis zur Geburt ihres dritten Kindes als Krankenpflegerin beschäftigt waren. Die Erstbeschwerdeführerin arbeitete zwischen XXXX und XXXX in der COVID-19-Teststrasse in der XXXX mit. Ebenso war der Zweitbeschwerdeführer in Österreich geringfügig für Garten- und Reparaturarbeiten mit Dienstleistungsschecks erwerbstätig. Mit Schriftsatz OZ 9 legte die Rechtsvertretung Unterlagen vor, nach denen der Zweitbeschwerdeführer im September 2024 das freie Gewerbe „Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service), eingeschränkt auf Autoreinigung“ angemeldet hat, sowie einige diesbezügliche Rechnungen (OZ 9). Dass durch diese gegebenenfalls inzwischen ausgeübte Tätigkeit im Entscheidungszeitpunkt eine finanzielle Versorgung des Zweitbeschwerdeführers samt seiner Familie ohne weiteren Rückgriff auf öffentliche Sozialleistungen möglich sein sollte, wurde nicht vorgebracht und ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch auszuschließen. Es war vielmehr festzustellen, dass die Beschwerdeführer weiterhin von Leistungen aus dem Sozialsystem leben.

2.2. Zu den Flucht- bzw. Verfolgungsgründen der Beschwerdeführer

Die Feststellungen zur fehlenden potentiellen Verfolgungsgefahr der Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat beruhen auf folgenden Überlegungen:

Gemäß der Rechtsprechung des VwGH ist es Aufgabe des Asylwerbers durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559). Die erkennende Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn die Beschwerdeführer gleichbleibende, substantiierte Angaben machen, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und mit den Tatsachen oder allgemeinen Erfahrungen übereinstimmen. Es entspricht der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes bzw. Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens –niederschriftlichen Einvernahmen – unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, 95/20/0650).

Zu dem Vorbringen der Verfolgung wegen angeblicher Treffen der Erstbeschwerdeführerin mit XXXX der Republik Tschetschenien, XXXX , ist vorab auszuführen, dass über dieses Fluchtvorbringen bereits rechtskräftig negativ entschiedenen wurde (siehe hiezu rechtskräftige Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.10.2021, Zahlen: W112 2177713-1/58E, W112 2177708-1/43E, W112 2177716-1/29E, W112 2177717-1/29E und W112 2177716-1/10E).

Zudem ist diesbezüglich auszuführen, dass diese angeblichen Vorkommnisse zwar in den Beschwerden wieder erwähnt wurden, in den Schilderungen der Fluchtgründe in der mündlichen Verhandlung nahmen die Beschwerdeführer aber in keiner Weise mehr Bezug darauf („R: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend und detailliert alle ihre Fluchtgründe und warum Sie nicht mehr in die Russische Föderation zurückkehren wollen. Sie haben ausreichend Zeit Ihre Gründe detailliert darzulegen (freie Erzählung). Beachten Sie aber, dass über das im ersten Verfahren erstatteten Fluchtvorbringen bereits rechtskräftig entschieden wurde. BF1: Bei der Schilderung muss ich mich sehr zurückhalten, um stark zu bleiben, nicht zu weinen und nicht zu dramatisieren. Ich will über diese Sache nicht mehr sprechen. Ich kann nicht nach Tschetschenien zurück, obwohl ich das ehrlich gesagt, gerne hätte. Ich möchte das, weil ich hier schon müde geworden bin. Ich mache weiter mit der letzten Kraft, nur deswegen, weil ich hier die Kinder habe. Das ist alles was ich sagen wollte. Wenn Sie noch Fragen haben, werde ich diese beantworten. R: Sind Sie sicher, dass das alles ist, was Sie sagen wollen? BF1: Ja.“; VP S. 18 / „R: Nennen Sie jetzt bitte abschließend und möglichst umfassend und detailliert alle ihre Fluchtgründe und warum Sie nicht mehr in die Russische Föderation zurückkehren wollen. Sie haben ausreichend Zeit Ihre Gründe detailliert darzulegen (freie Erzählung). Beachten Sie aber, dass über das im ersten Verfahren erstatteten Fluchtvorbringen bereits rechtskräftig entschieden wurde. BF2: Ich kann derzeit nicht nach Hause fahren, wegen der Ukraine. Man kann sagen, dass alle Tschetschenen, die dem Kadyrow nicht passen, in die Ukraine geschickt werden. Deswegen kann ich nicht zurück. Das ist alles. R: Wollen Sie noch etwas hinzufügen? BF2: Nein.“; VP S. 29). Für den erkennenden Richter besteht kein Grund, an den in den oben genannten ersten Asylverfahren getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen zu zweifeln. Eine asylrelevante Verfolgung ist aus diesen Gründen daher (weiterhin) nicht glaubhaft gemacht und anzunehmen.

Für die minderjährigen Beschwerdeführer wurden von der Erstbeschwerdeführerin als gesetzlicher Vertreterin keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht und ergaben sich auch amtswegig vor dem Hintergrund der Länderinformationen und den Feststellungen zu den drei minderjährigen Beschwerdeführern keine Anhaltspunkte für eine konkrete aktuelle Verfolgung oder Bedrohung.

2.2.1. Einziehung zum Militärdienst und Ukrainekrieg

Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer brachten im gegenständlichen Verfahren im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme im Wesentlichen vor, sie fürchten eine Einberufung zum Militär und an Kampfhandlungen im Ukrainekrieg teilnehmen zu müssen (AS 59: „VP: Wir haben Österreich verlassen, weil wir nicht in die Russische Föderation zurückkehren konnten. Die Polizei dringt bei der Familie meines Mannes regelmäßig ein. Meine Familie erwähnt das nicht, wenn wir Kontakt haben. Diese Information habe ich von meinem Ehemann, und er von seiner Familie. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Für meinen Ehemann besteht Gefahr. Mein Ehemann und ich werden in die Ukraine geschickt. Es besteht zurzeit großen Bedarf an mir und meinem Ehemann. Weiter habe ich nichts zu sagen. LA: Haben Sie noch andere Gründe vorzubringen? VP: Ich bin von der russischen Staatsangehörigkeit müde. Ich strebe die österreichische Staatsangehörigkeit an. Es tut mir weh, dass wir als russische Staatsangehörige angesehen werden. Wegen dem Krieg, den Russland mit der Ukraine führt, obwohl wir hier als Asylwerber sind. Unser Heimatland wurde von Russen okkupiert. […]“.). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung von dem erkennenden Richter befragt, führte die Erstbeschwerdeführerin aus, sie habe nicht gedient, keinen Dienstgrad, sei aber Krankenschwester und deswegen in Tschetschenien wehrpflichtig. Auch werde sie eingezogen, weil sie eine Auslandstschetschenin sei (Siehe VP S. 19 „R: Haben Sie Militärdienst geleistet und wenn ja, wann war das? BF1: Nein. R: Haben Sie einen militärischen Dienstgrad? BF1: Ich habe keinen Dienstgrad, bin aber Krankenschwester. Deswegen bin ich in Tschetschenien bzw. Russland wehrpflichtig. R: Haben Sie ein Militärbuch erhalten, dass Sie als Reservistin ausweist? BF1: Nein. R: Haben Sie einen Einberufungsbefehl erhalten? BF1: Nein. R: Warum glauben Sie, dass konkret Sie einberufen werden würden? BF1: Weil ich eine Auslandstschetschenin bin. R: Werden sämtliche Auslandstschetschenen einberufen? BF1: Ja. R: Waren Sie jemals politisch tätig? BF1: Nein. R: Haben Sie sich öffentlich regimekritisch in Tschetschenien oder Russland geäußert? BF1: Öffentlich nicht.“).

Auch der Zweitbeschwerdeführer antworte im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX .2023 zu seinen Fluchtgründen befragt, man habe nach ihm gesucht und würde er zum Militärdienst einberufen werden (siehe BFA-Akt Zweitbeschwerdeführer AS 109 ff: „[…] Als wir in Deutschland waren, ist die Polizei zu mir nach Hause in Tschetschenien gekommen. Man hat nach mir gesucht, aber nicht gefunden. Dann waren sie weg. Dann haben sich meine Eltern an die Organisation Memorial gewandt. Der Zweite Grund ist die drohende Einberufung zum Militär beim Angriffskrieg in der Ukraine, Es werden hauptsächlich Tschetschenen in den Krieg geschickt. Das sind meine Gründe, sonst habe ich keine Gründe mehr.“).

Diese Aussagen sind nicht geeignet, eine Gefährdung der Beschwerdeführer in der Russischen Föderation glaubhaft aufzuzeigen.

Aus den Länderberichten ergibt sich, dass mit 21.09.2022 eine Teilmobilmachung in der Russischen Föderation verkündet wurde. Der Erlass enthält keine Angaben zur Anzahl der einzuberufenden Staatsbürger und auch kein Enddatum der Mobilisierung. Nach offiziellen Angaben wurden im Rahmen der Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einberufen. Die Umsetzung der Mobilmachung oblag den Regionen. Ausgenommen von der Mobilmachung waren gemäß dem Erlass ältere Personen, Personen, die wegen ihres Gesundheitszustands als untauglich eingestuft werden, außerdem Mitarbeiter im Banken- und Mobilfunksektor, IT-Bereich sowie Mitarbeiter von Massenmedien. Ein Einberufungsaufschub gilt für Staatsbürger, die im Verteidigungsindustriesektor arbeiten. Ebenfalls von der Mobilmachung ausgenommen waren pflegende Angehörige, Betreuer von Personen mit Behinderungen, kinderreiche Familien, Personen, deren Mütter alleinerziehend sind und mindestens vier Kinder unter acht Jahren haben, Veteranen im Ruhestand, die nicht mehr im Militärregister aufscheinen sowie Personen, die nicht in Russland leben und nicht im Militärregister aufscheinen. Der Kreml räumte Fehler bei der Umsetzung der Teilmobilmachung ein. Aus den Länderinformationen ergibt sich jedoch keine systematische Missachtung der vorgesehenen Regelungen bei der Umsetzung der Teilmobilisierung bzw. der laufenden verdeckten Mobilisierung, weshalb davon auszugehen ist, dass es sich dabei um einzelne Fälle handelt. Die Teilmobilmachung wurde Ende Oktober 2022 beendet, wenngleich der präsidentielle Erlass zur Einleitung nach wie vor in Kraft ist und es weiterhin zu einer verdeckten Mobilisierung kommt, die beispielsweise mittels finanzieller Anreize und auch Zwangsmaßnahmen versucht, Menschen für den Militärdienst zu gewinnen. Nach den Länderinformationen erhöht sich gemäß § 22 des föderalen Gesetzes „Über die Wehrpflicht und den Wehrdienst“ ab dem Jahr 2024 das wehrdienstpflichtige Alter auf 30 Jahre. Bei den zweimal jährlich stattfindenden Stellungsterminen wird nur ein Teil der jährlich in das wehrdienstpflichtige Alter kommenden Männer tatsächlich einberufen. Der Staatspräsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden, wobei die Quote bei ca. einem Drittel liegt.

Der Zweitbeschwerdeführer hat zwar ein Wehrdienstbuch, hat aber keinen Grundwehrdienst in der Russischen Föderation absolviert. Der bereits XXXX -jährige Zweitbeschwerdeführer kommt allerdings nicht erst in das wehrdienstpflichtige Alter, er hat es bereits deutlich überschritten. Es ist daher schon deshalb nicht wahrscheinlich, dass gerade der Zweitbeschwerdeführer in den Grundwehrdienst des russischen Militärs einberufen werden sollte, wie er angibt. Zudem ist nach den Länderberichten insbesondere die Anzahl der aus Tschetschenien Einberufenen mit im Durchschnitt nur 500 Einberufenen pro Einberufungsperiode sehr gering, weshalb eine Einberufung des Zweitbeschwerdeführers zum Grundwehrdienst auch wegen der geringen Anzahl der in Tschetschenien einberufenen Männer nicht wahrscheinlich ist. Und selbst im Falle einer Einberufung zum Militärdienst ist nach den Länderberichten auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Zweitbeschwerdeführer entsprechend seinem Vorbringen gerade zu einem Kampfeinsatz im Ukrainekrieg abkommandiert werden würde. Auch diesem Vorbringen stehen die aktuellen Länderinformationen entgegen. Wie den Feststellungen – und hier insbesondere den Länderinformationen zur Lage in der Russischen Föderation „11. Wehrdienst und Rekrutierungen – 3. Situation von Grundwehrdienern“ in Punkt II.1.4. zu entnehmen ist, gibt es: „Aktuell […] keine Hinweise auf eine Teilnahme russischer Grundwehrdiener an Kampfhandlungen in der Ukraine (ISW 29.12.2023; vgl. ÖB Moskau 21.2.2024, VQ RUSS1 4.12.2023). Immer wieder beteuern die Behörden, dass russische Grundwehrdiener nicht in den Ukraine-Krieg geschickt werden (ISW 29.12.2023; vgl. AP 1.12.2023, ISW 3.10.2023, BBC 5.8.2023, NYT 1.8.2023, Wedomosti 2.11.2022). […] Grundwehrdiener werden auf der von Russland besetzten ukrainischen Halbinsel Krim (EUAA 16.12.2022) sowie für Grenzsicherungszwecke entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt (BBC 5.8.2023; vgl. ISW 8.12.2023, EUAA 16.12.2022, VQ RUSS1 4.12.2023).“

Selbst wenn nach den Länderinformationen die Teilrepublik Tschetschenien Gruppen Freiwilliger als Kämpfer in den Ukrainekrieg schickt und auch nicht verkannt wird, dass Behörden in Tschetschenien eine aggressive Anwerbekampagne betreiben, um Einheimische als Kämpfer für diese Freiwilligengruppen für die Ukraine zu gewinnen, ergibt sich alleine daraus ebenfalls noch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass gerade der Zweitbeschwerdeführer im Fall einer Rückkehr zwangsweise eingezogen werden würde und wurden glaubhafte Gründe dafür auch nicht vorgebracht (VP S. 31).

Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin ist auszuführen, dass laut den Länderinformationen auch mehr als 39.000 Frauen den russischen Streitkräften angehören. Jedoch sind Frauen nicht militärdienstpflichtig. Weiblichen Staatsbürgern steht ein freiwilliger Armeedienst auf Vertragsbasis offen. Frauen mit bestimmten beruflichen Spezialisierungen gehören automatisch der Reserve an. Arbeiten sie in kriegswichtigen Berufen, wie beispielsweise im medizinischen Bereich, können sie grundsätzlich für einen Kriegseinsatz herangezogen werden. Die Erstbeschwerdeführerin hat weder einen freiwilligen Militärdienst geleistet noch hat sie eine militärische Ausbildung. Sie verfügt zwar über eine Ausbildung als Krankenpflegerin, arbeitet aber seit etwa zwölf Jahren nicht mehr in diesem Beruf oder sonst im medizinischen Bereich. Davor arbeitete sie in einer Kinderpolyklinik, was ebenfalls keine unmittelbar kriegswichtige medizinische Erfahrung nahelegt. In der Verhandlung befragt, warum sie glaube, dass konkret sie einberufen werden würde, berief sich die Erstbeschwerdeführerin nicht einmal mehr auf ihre zuvor erwähnte medizinische Ausbildung, sondern gab vielmehr an, sämtliche Auslandstschetschenen würden einberufen (VP S. 19). Selbst wenn nach den festgestellten Länderberichten auch Frauen in medizinischen Berufen grundsätzlich einberufen werden können, gelingt es der Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen nicht, eine beachtliche Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen, dass gerade sie im Fall einer Rückkehr als Krankenpflegerin zwangsweise zum Militär oder Kriegseinsatz eingezogen werden würde.

Es wäre den Beschwerdeführern zudem auch möglich und zumutbar, sich in einem anderen Teil der Russischen Föderation niederzulassen. Aus den Länderberichten geht hervor, dass das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes auch Tschetschenen – wie allen russischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen – zusteht. Nach den Länderberichten ist die Anzahl der Tschetschenen, die in andere Regionen Russlands reisen, merklich höher als die Anzahl der Rückkehrer, die „tschetschenische Diaspora ist in allen russischen Großstädten stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben)“. Im Übrigen wird Staatsangehörigen der Russischen Föderation das Recht auf einen zivilen Ersatzdienst (Zivildienst) durch Artikel 59 der Verfassung garantiert und im föderalen Gesetz „Über den alternativen Zivildienst“ umgesetzt. Ein alternativer Zivildienst kann geleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die persönliche (politische, pazifistische) Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht, oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht. Diese Möglichkeit stünde im (wenig wahrscheinlichen) Falle einer Einberufung auch dem Zweitbeschwerdeführer grundsätzlich offen.

Auf Basis der Länderberichte und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung ist es daher zusammengefasst nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die volljährigen Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zum Militärdienst eingezogen und dabei insbesondere, wie sie vorbringen, in den Ukrainekrieg entsandt werden würden.

2.2.2. Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden des Herkunftslandes

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am XXXX .2023 legte der Zweitbeschwerdeführer ein Schreiben der Organisation Memorial vom XXXX 2021 samt beglaubigter Übersetzung vor. Nach diesem Schreiben, welches sich rein auf die Aussagen der Familienmitglieder des Zweitbeschwerdeführers stützt, komme es seit dem Jahr 2017 in regelmäßigen Abständen gegenüber seinen Eltern zu regelmäßigen Drohungen und Hausbesuchen seitens der Strafverfolgungsbehörden wegen verschiedener Strafsachen, die gegen die Beschwerdeführer eingeleitet worden seien.

Demgegenüber gab der Zweitbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme an, es habe nur einen Besuch gegeben und nicht wie im Schreiben der Organisation Memorial vom XXXX .2021 angeführt „seit 2017 in regelmäßigen Abständen Hausdurchsuchungen an der Wohn- und Meldeadresse […]“ (siehe BFA Akt des Zweitbeschwerdeführers S. 119); BFA-Akt Zweitbeschwerdeführer AS 115: „LA: Wann war die Polizei bei Ihren Eltern und was haben Ihre Eltern erzählt? VP: Im Dezember 2021, an das Darum kann ich mich nicht erinnern. Meine Eltern haben mir erzählt, dass die Polizei zu uns gekommen ist und haben nach mir gesucht. Meine Eltern fragten nach dem Grund. Die Polizei gab die Antwort, dass ein Strafverfahren gegen mich eingeleitet wurde. Sagten aber nicht aus welchem Grund. LA: War das der einzige Besuch der Polizei? VP: Ja, glaub ich.“ Auch die Nachfrage des erkennenden Richters nach diesem vorgelegten Schreiben in der Beschwerdeverhandlung konnte der Zweitbeschwerdeführer nicht beantworten. Der Zweitbeschwerdeführer konnte sich weder an den Inhalt dieses Schreibens erinnern, noch warum er es vorgelegt hat (VP S. 32: „R: Im Akt ist ein Schreiben der Organisation MEMORIAL vom XXXX .2021. Was wissen Sie darüber? BF2: Ja, meine Eltern haben mir dieses Schreiben geschickt. R: Was steht darin? BF2: Jetzt kann ich mich nicht genau erinnern. R: Wissen Sie es noch ungefähr? BF2: Ich habe es vergessen.“). Sollten sich wirklich Drohungen gegen die Beschwerdeführer und illegale Hausdurchsuchungen durch Strafverfolgungsbehörden des Herkunftslandes ereignet haben, hätte der Zweitbeschwerdeführer, der sein Fluchtvorbringen u.a. auf dieses Schreiben stützt, den Inhalt und die darin genannten Geschehnisse zweifellos nicht vollständig vergessen. Auch, dass die Anzeige der Familie erst 2021 gemacht wurde, wenn doch die (erste) Drohung und Hausdurchsuchung laut Schreiben von Memorial bereits im Jahr 2017 erfolgt sei, erscheint realitätsfremd und nicht glaubhaft. Darüber hinaus hat der Zweitbeschwerdeführer auch im ersten Asylverfahren kein Vorbringen zu diesen angeblichen Geschehnissen erstattet, obwohl die ersten Drohungen und Hausdurchsuchungen bereits 2017 stattgefunden haben sollen.

Im Weiteren konnte auch die Erstbeschwerdeführerin, vom erkennenden Richter befragt, keinerlei Äußerungen zu dem Schreiben von Memorial und den angeblichen Erlebnissen ihrer Schwiegerfamilie berichten, weshalb der erkennende Richter in Zusammenschau zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verfolgung und Durchsuchung im Haus der Eltern des Zeitbeschwerdeführers durch Strafbehörden des Herkunftsstaates nicht stattgefunden hat (VP S. 20: „R: Im Akt ist ein Schreiben der Organisation MEMORIAL vom XXXX .2021. Was wissen Sie darüber? BF1: Ich habe etwas davon gehört, aber ich kann mich an nichts erinnern.“). Auch wird nochmals darauf hingewiesen, dass dieses Schreiben lediglich widergibt, was die Eltern des Zweitbeschwerdeführers gegenüber Memorial angegeben hatten („bestätigen auf Grund der Aussagen von …“; AS 119), weshalb auch der ungeprüften Ausstellung durch diese (grundsätzlich renommierte) Organisation keine erhöhte Glaubwürdigkeit beizumessen ist.

Zusammengefasst erachtet der erkennende Richter auch dieses Vorbringen als erfundenes Konstrukt zur Erlangung des angestrebten Asylstatus. Insoferne ist auch dieses Vorbringen nicht geeignet, eine konkret die Beschwerdeführer betreffende Verfolgungsgefährdung glaubhaft zu machen.

2.2.3. Keine politische Gesinnung Aufenthalt und in Österreich und Antrag auf internationalen Schutz

Auch die von der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerdeverhandlung erwähnte angebliche kritische Haltung gegenüber PUTIN bzw. KADYROW ist nicht geeignet, ein Fluchtvorbringen glaubhaft darzustellen. Die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung durch den Richter gestellte Frage, ob sie sich je politisch betätigt habe oder regimekritisch geäußert habe, wurde von der Erstbeschwerdeführerin verneint (Siehe VP S. 21: „R: Waren Sie jemals politisch tätig? BF1: Nein. R: Haben Sie sich öffentlich regimekritisch in Tschetschenien oder Russland geäußert? BF1: Öffentlich nicht. R: Haben Sie eine politische Einstellung? BF1: Ja. R: Wie schaut die aus? BF1: Unsere Region wurde besetzt. Und wir haben das Recht auf Freiheit, so wie jedes andere Volk auch.“). Erst auf genaue Nachfrage der rechtsfreundlichen Vertretung sagte die Erstbeschwerdeführerin aus, dass sie aufgrund ihrer politischen Gesinnung in der gesamten Russischen Föderation verfolgt werden würde (VP S. 21: „BFV: Habe ich das richtig verstanden, Sie sind gegen das politische Regime der Russischen Föderation? BF1: Ja. BFV: Das heißt, Sie könnten auch in keinem anderen Teil der Russischen Föderation leben? BF1: Ja.“).

Ebenso wenig konnte der Zweitbeschwerdeführer eine wahrscheinliche Verfolgung im Herkunftsland aufgrund einer oppositionellen Gesinnung glaubhaft aufzeigen (VP S. 32: „R: Waren Sie jemals politisch tätig? BF2: Nein. R: Haben Sie sich öffentlich regimekritisch geäußert? BF2: Nein. […] R: Haben Sie eine politische Einstellung? BF2: Eine Meinung? Meine Meinung ist, dass ich mit dem Regime nicht einverstanden bin, das ist meine Meinung“.)

Damit legten die Beschwerdeführer nicht dar, dass sie tatsächlich oppositionell gesinnt oder im Herkunftsstaat bzw. in Österreich jemals regierungskritisch aufgetreten wären. Die Beschwerdeführer taten auch nicht dar, dass sie in der Russischen Föderation jemals festgenommen oder inhaftiert gewesen wären. Sie gaben auch nicht an, dort politisch oder journalistisch aktiv oder ein Parteimitglied gewesen zu sein. Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft sind, dort nie inhaftiert waren und keine Mitglieder einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung waren. Festzustellen war auch, dass sie sich nicht politisch oder journalistisch betätigt haben und sie keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland hatten.

Des Weiteren hatten die Beschwerdeführer auch mehrmaligen Kontakt mit tschetschenischen und russischen Behörden, sei es bei ihrer ersten Ausreise aus dem Herkunftsland im Jahr 2013, der freiwilligen Rückkehr nach Tschetschenien, nachdem ihre Asylanträge in Polen und Deutschland abgewiesen wurden und der erneuten Ausreise im Jahr 2017. Auch der russische Führerschein des Zweitbeschwerdeführers wurde – nach der Rückkehr – am XXXX 2014 ausgestellt, was gegen ein Problem mit staatlichen Behörden spricht (BFA-Vorakt Zweitbeschwerdeführer AS 111).

Es ist daher zusammenschauend auch nicht davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird.

Dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr wegen ihres Aufenthalts in Österreich oder der Antragstellung auf internationalen Schutz keiner Gefährdung ausgesetzt sind, ergibt sich aus den Länderberichten, denen zufolge Rückkehrer gewöhnlich mit keiner Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind. Gründe, warum das bei den Beschwerdeführern anders sein sollte, haben sie nicht glaubhaft gemacht.

2.2.4. Sonstige Gründe

Eine Verfolgung aus religiösen Gründen ist ebenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich. Die Beschwerdeführer sind Angehörige des Islams, der in der Russischen Föderation die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft ist. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Eine aktuelle Verfolgung aus diesem Grund ist den Länderberichten mit Blick auf die Beschwerdeführer nicht zu entnehmen. Die Erstbeschwerdeführerin gab zwar in der Verhandlung auf Nachfrage nach religiösen Gründen an, „Ja, es gibt welche. Jeder Mensch hat das Recht, die Religion auszuüben die er will. Es gibt religiöse Richtungen. Ich habe nicht die religiöse Richtung, die der Präsident in Tschetschenien vertritt. Mein Schwiegervater zum Beispiel vertritt die Glaubensrichtung die der Präsident auch vertritt. Das ist wie eine Sekte. Ich will das aber nicht machen, das ist nicht meines.“ (VP S. 20). Da die Beschwerdeführerin derartige religiöse Gründe aber nicht einmal bei der freien Schilderung ihrer Fluchtgründe aus Eigenem erwähnt hat und auch bei der zitierten, floskelhaften Aussage nicht den Eindruck machte, sie spreche über eine tatsächliche Einstellung oder Meinung, kann sie mit diesen Angaben eine religiöse Gesinnung oder eine daraus resultierende Verfolgung nicht glaubhaft machen. Dies auch deshalb, weil sie der Frage, ob sie aus religiösen Gründen verfolgt worden sei, mit einer allgemeinen Aussage auswich („R: Sind Sie deswegen verfolgt worden? BF1: Wenn man erfährt, dass ich eine andere Meinung habe, dann wird man mich als Terroristin einstufen und ich werde umgebracht.“; VP S. 20).

Eine Verfolgung der Beschwerdeführer aus ethnischen Gründen kann ebenso nicht erkannt werden, weil tschetschenische Volksangehörige in der Russischen Föderation weit verbreitet und nicht grundsätzlicher Benachteiligung oder Übergriffen ausgesetzt sind. Eine solche brachten die Beschwerdeführer auch nicht glaubhaft vor.

Insgesamt steht für das erkennende Gericht fest, die Beschwerdeführer sind bzw. waren keiner konkreten und individuell gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung in der Russischen Föderation ausgesetzt und haben die volljährigen Beschwerdeführer mit ihren minderjährigen Kindern die Russische Föderation weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen, noch geht aus den dargelegten Gründen hervor, dass die russischen oder tschetschenischen Behörden ein Interesse an den Beschwerdeführern haben würden.

Vielmehr ist aufgrund der vagen, spekulativen und widersprüchlichen Schilderungen der Beschwerdeführer davon auszugehen, dass sie nach Österreich reisten, weil sie sich hier ein besseres Leben erwarteten. Dieser Eindruck wurde in der Beschwerdeverhandlung auch dadurch verstärkt, dass die Erstbeschwerdeführerin ausführte, sie habe Österreich wegen der deutschen Sprache ausgewählt. Wenn eine Person eine reale Verfolgung zu befürchten hätte, würde sie nicht gezielt Länder aussuchen, sondern jeden Schutz eines Landes – z.B. Polen, wo die Beschwerdeführer 2013 den ersten Asylantrag gestellt hatten, bevor sie nach Deutschland weiterreisten – annehmen (VP S. 15: „R. Warum sind Sie entgegen der rk. Rückkehrentscheidung vom 11.10.2021, also nach dem negativen Abschluss des ersten Asylverfahrens in Österreich, nach Deutschland gefahren und haben dort am 10.11.2021 wieder einen Asylantrag gestellt? BF1: Für mich ist das Leben meiner Kinder sehr wichtig. Wenn es nur um mein Leben gehen würde, würde ich nicht noch einmal das durchmachen wollen, was ich hier durchgemacht habe. Meine Kinder würden Deutsch sprechen. Ich habe dieses Land nur wegen der deutschen Sprache ausgesucht.“).

Eine individuelle Bedrohung haben die Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft gemacht und liegt eine solche zum Entscheidungszeitpunkt nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vor, was entsprechend festzustellen war.

2.3. Rückkehrsituation

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr in die Russische Föderation, bzw. nach Tschetschenien, weder in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen noch von der Todesstrafe bedroht, beruht auf folgenden Überlegungen:

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt (vgl. z.B. VwGH vom 26.02.2020, Ra 2019/18/0486).

Nach den festgestellten Länderberichten stellt sich die Menschenrechtslage in Tschetschenien zwar nach wie vor als äußerst beunruhigend dar, da das Republikoberhaupt Kadyrow unterschiedliche Gewaltformen anwendet, um die Kontrolle über die Republik zu behalten. Die Stabilisierung der Sicherheitslage erfolgt um den Preis gravierender Menschenrechtsverletzungen, darunter menschen- und rechtsstaatswidriges Vorgehen der Behörden gegen Extremismusverdächtige. Es kommt auch zu Menschenrechtsverstößen gegen Frauen, sexuelle Minderheiten und Menschenrechtsaktivisten. Tschetschenische Behörden unterdrücken alle Formen abweichender Meinungen. Oppositionelle, Regimekritiker und Personen, die sich gegen Republikoberhaupt KADYROW bzw. dessen Clan aufgelehnt haben, werden nach den Länderberichten Opfer von Gewalt oder werden systematisch zu Entschuldigungen gezwungen. Eine erhöhte Gefährdung kann sich nach einem Asylantrag im Ausland bei Rückkehr nach Tschetschenien auch für diejenigen Personen ergeben, welche bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten.

Die Beschwerdeführer fallen unter keine dieser Gruppen. Die Beschwerdeführer sind auch weder Menschenrechtsaktivisten noch haben sie angegeben, das Republikoberhaupt KADYROW öffentlich kritisiert zu haben. Sie waren – was auch nicht vorgebracht wurde – auch nie in sonstiger Weise politisch oder oppositionell tätig.

Die Beschwerdeführer gehören daher auch nicht zu den Personen, die bereits vor der Ausreise Probleme mit den Sicherheitskräften hatten. Auch leben die Verwandten der Beschwerdeführer nach wie vor in Tschetschenien und die Beschwerdeführer brachten nicht glaubhaft vor, diese seien konkreten Bedrohungen oder Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt gewesen. Trotz der in den festgestellten Länderberichten abgebildeten bedenklichen Menschenrechtssituation in der Teilrepublik Tschetschenien ist nicht davon auszugehen, dass die dort vorherrschende Gewalt bereits ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es – im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung – nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich wäre, dass gerade auch die Beschwerdeführer Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Von einem solchen Ausmaß an Gewalt kann nach der Rechtsprechung nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt, was nach den Länderberichten nicht der Fall ist. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer auch die Möglichkeit, an einen anderen Ort innerhalb der Russischen Föderation zu ziehen und sich dort niederzulassen. Es ist für den erkennenden Richter daher insgesamt nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung ihres Rechts auf Leben ausgesetzt oder der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Wie bereits unter Punkt II.1.1. festgestellt wurde, leiden die Beschwerdeführer nicht unter sonstigen akuten oder chronischen behandlungsbedürftigen Krankheiten, sodass vor dem Hintergrund der Länderberichte kein Grund zur Annahme besteht, die Beschwerdeführer liefen wegen einer nicht zugänglichen lebensnotwendigen medizinischen Behandlung im Herkunftsstaat Gefahr, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

Die Beschwerdeführer liefen in ihrem Herkunftsstaat auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die im Jahr 1988 geborenen volljährigen Beschwerdeführer sind mit der Sprache und Kultur im Herkunftsstaat vertraut, arbeitsfähig, haben bereits im Herkunftsland gearbeitet und ist ihnen daher, wie auch vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsland im Jahr 2017, eine eigenständige Bestreitung ihres Lebensunterhalts möglich und zumutbar.

Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über eine schulische und berufliche Ausbildung (Grundschule und ein Diplom als Krankenpflegerin), welche sie in ihrem Herkunftsstaat abgeschlossen hat, und auch über Arbeitserfahrung in diesem Bereich.

Der Zweitbeschwerdeführer hat ebenso die Grundschule abgeschlossen und als LKW-Fahrer bzw. Fernfahrer sowie in einer Autowerkstatt gearbeitet und ein Einkommen erzielt. Der Zweitbeschwerdeführer sorgte auch vor ihrer Ausreise für den Lebensunterhalt seiner Familie.

Die volljährigen Beschwerdeführer sind gesund und gibt es keinen Grund an der Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit der Beschwerdeführer zu zweifeln.

Es wäre den Beschwerdeführern gegebenenfalls auch möglich, sich an einem anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens wie zB St. Petersburg, Moskau oder Wolgograd, ein neues Leben aufzubauen und können sie unterstützend die verfügbaren Sozialleistungen des Staates, dessen Staatsangehörige sie sind, zB betreffend die Schaffung von Wohnraum oder der Arbeitslosenunterstützung, in Anspruch nehmen.

Vor ihrer Ausreise lebten die Beschwerdeführer mit den Eltern des Zweitbeschwerdeführers im gemeinsamen Haushalt, in dem seine Eltern nach wie vor leben (VP S. 26) und es ist ihnen daher sicherlich möglich, vorübergehend auch wieder bei den Familienangehörigen Unterkunft zu beziehen oder finanzielle Unterstützung zu erhalten.

Die minderjährigen Beschwerdeführer können in der Russischen Föderation wieder die Schule besuchen, mit ihren Eltern eine Unterkunft beziehen oder, wie auch vor der Ausreise, wieder im Familienhaus gemeinsam mit ihren Großeltern leben. Der Lebensunterhalt wäre durch die Eltern und gegebenenfalls auch mit Unterstützung weiteren Familienangehörigen (Großeltern, Onkel, Tanten) gesichert. Weiters gibt es auch für Familien soziale Unterstützung, an welchen sie als russische Staatsbürger Anspruch haben. Die medizinische Versorgung ist in der Russischen Föderation gewährleistet. Auch kinderspezifische Gefahren für die minderjährigen Beschwerdeführer in der Russischen Föderation sind nicht ersichtlich, da diese gemeinsam im Familienverbund mit ihren Eltern zurückreisen und auch weiterhin im geschützten Familienverband aufwachsen können.

Auch aus den sonstigen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ergaben sich keine Hinweise darauf, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat relevanten Gefahren ausgesetzt sein könnte. Es war daher insgesamt festzustellen, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nicht Gefahr laufen, ihren Alltag nicht bewältigen zu können und so in eine existenzbedrohende Notlage geraten würden.

Schließlich ist festzuhalten, dass sich die Russische Föderation aktuell zwar im Kriegszustand mit der Ukraine befindet, dieser Umstand aber nicht bedeutet, dass jede auf deren Staatsgebiet aufhältige Zivilperson deshalb einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses Konflikts ausgesetzt wäre.

2.4. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A)

3.1.1. Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005, FPG) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Ist die Voraussetzung des § 28 Abs 2 Z 1 VwGVG 2014 erfüllt, hat das Verwaltungsgericht "in der Sache selbst" zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das Verwaltungsgericht über den Inhalt der vor der Verwaltungsbehörde behandelten Rechtsache abspricht, wobei es entweder die Beschwerde gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid abweist oder dieser durch seine Entscheidung Rechnung trägt. Das Verwaltungsgericht hat somit nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (VwGH 31.01.2017, Ra 2015/03/0066). In diesem Sinne ist „Sache“ des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens die (erneute) Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten, Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, der Erlass einer Rückkehrentscheidung, die Absprache über die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.1.2. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der Bescheide – Status eines Asylberechtigten

Flüchtling“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention („GFK“) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Die Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) lautet auszugsweise:

„Artikel 2

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a) ... c) ...

d) Flüchtling“ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

e) ... n) ...

...

Artikel 4

Prüfung der Tatsachen und Umstände

(1) Die Mitgliedstaaten können es als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Es ist Pflicht des Mitgliedstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Anhaltspunkte zu prüfen.

(2) Zu den in Absatz 1 genannten Anhaltspunkten gehören Angaben des Antragstellers zu Alter und familiären und sozialen Verhältnissen — auch der betroffenen Verwandten —, Identität, Staatsangehörigkeit(en), Land/Ländern und Ort(en) des früheren Aufenthalts, früheren Asylanträgen, Reisewegen und Reisedokumenten sowie zu den Gründen für seinen Antrag auf internationalen Schutz und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen zu diesen Angaben.

(3) Die Anträge auf internationalen Schutz sind individuell zu prüfen, wobei Folgendes zu berücksichtigen ist:

a) alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden;

b) die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte oder einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. erleiden könnte;

c) die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind;

d) die Frage, ob die Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes ausschließlich oder hauptsächlich aufgenommen wurden, um die für die Beantragung von internationalem Schutz erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, damit bewertet werden kann, ob der Antragsteller im Fall einer Rückkehr in dieses Land aufgrund dieser Aktivitäten verfolgt oder ernsthaften Schaden erleiden würde;

e) die Frage, ob vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte.

4) Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ist ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.

(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist.

Artikel 6

Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann

Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von

a) dem Staat;

b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen;

c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.

...

Artikel 9

Verfolgungshandlungen

(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.

Artikel 10

Verfolgungsgründe

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:

a) Der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;

b) der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;

c) der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;

d) eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn - die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und

- die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.

Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt;

e) unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Artikel 6 genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob der Antragsteller aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.“

Artikel 12

Ausschluss

(2) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen; …“

3.1.3. Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 75/2007 idF BGBl. I Nr. 67/2024, („AsylG 2005“), lautet auszugsweise:

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1. – 8. …

9. die Statusrichtlinie: die Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9;

10. …

11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;

12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;

13. – 27. …

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) – (5) …

Mitwirkungspflichten von Asylwerbern im Verfahren

§ 15. (1) Ein Asylwerber hat am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken; insbesondere hat er

1. ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen;

2. bei Verfahrenshandlungen und bei Untersuchungen durch einen Sachverständigen persönlich und rechtzeitig zu erscheinen, und an diesen mitzuwirken. Unfreiwillige Eingriffe in die körperliche Integrität sind unzulässig;

3. ihm zur Verfügung stehende ärztliche Befunde und Gutachten, soweit diese für die Beurteilung des Vorliegens einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung (§ 30) oder besonderer Bedürfnisse (§ 2 Abs. 1 GVG-B) relevant sind, vorzulegen;

4. dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht, auch nachdem er Österreich, aus welchem Grund auch immer, verlassen hat, seinen Aufenthaltsort und seine Anschrift sowie Änderungen dazu unverzüglich bekannt zu geben. Hierzu genügt es, wenn ein in Österreich befindlicher Asylwerber seiner Meldepflicht nach dem Meldegesetz 1991 – MeldeG, BGBl. Nr. 9/1992 nachkommt. Unterliegt der Asylwerber einer Meldeverpflichtung gemäß § 15a, hat die Bekanntgabe im Sinne des ersten Satzes spätestens zeitgleich mit der Änderung des Aufenthaltsortes zu erfolgen. Die Meldepflicht nach dem MeldeG bleibt hievon unberührt;

5. dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht alle ihm zur Verfügung stehenden Dokumente und Gegenstände am Beginn des Verfahrens, oder soweit diese erst während des Verfahrens hervorkommen oder zugänglich werden, unverzüglich zu übergeben, soweit diese für das Verfahren relevant sind;

7. unbeschadet der Z 1, 2, 4 und 5 an den zu Beginn des Zulassungsverfahrens notwendigen Verfahrens- und Ermittlungsschritten gemäß § 29 Abs. 6 mitzuwirken.

(2) Wenn ein Asylwerber einer Mitwirkungspflicht nach Abs. 1 aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht nachkommen kann, hat er dies, je nachdem bei wem zu diesem Zeitpunkt das Verfahren geführt wird, unverzüglich dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht mitzuteilen. Die Mitteilung ist zu begründen.

(3) Zu den in Abs. 1 Z 1 genannten Anhaltspunkten gehören insbesondere

1. der Name des Asylwerbers;

2. alle bisher in Verfahren verwendeten Namen samt Aliasnamen;

3. das Geburtsdatum;

4. die Staatsangehörigkeit, im Falle der Staatenlosigkeit der Herkunftsstaat;

5. Staaten des früheren Aufenthaltes;

6. der Reiseweg nach Österreich;

7. frühere Asylanträge und frühere Anträge auf internationalen Schutz, auch in anderen Staaten;

8. Angaben zu familiären und sozialen Verhältnissen;

9. Angaben über den Verbleib nicht mehr vorhandener Dokumente;

10. Gründe, die zum Antrag auf internationalen Schutz geführt haben, und

11. Gründe und Tatsachen, nach denen das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich fragt, soweit sie für das Verfahren von Bedeutung sind.

(4) …

Ermittlungsverfahren

§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

(2) ….

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

Befragungen und Einvernahmen

§ 19. (1) Ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.

(2) Ein Asylwerber ist vom Bundesamt, soweit er nicht auf Grund von in seiner Person gelegenen Umständen nicht in der Lage ist, durch Aussagen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, zumindest einmal im Zulassungsverfahren und – soweit nicht bereits im Zulassungsverfahren über den Antrag entschieden wird – zumindest einmal nach Zulassung des Verfahrens einzuvernehmen. Eine Einvernahme kann unterbleiben, wenn dem Asylwerber, ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt (§ 12a Abs. 1 oder 3). Weiters kann eine Einvernahme im Zulassungsverfahren unterbleiben, wenn das Verfahren zugelassen wird. § 24 Abs. 3 bleibt unberührt.

(3) ...

(4) Vor jeder Einvernahme ist der Asylwerber ausdrücklich auf die Folgen einer unwahren Aussage hinzuweisen. Im Zulassungsverfahren ist der Asylwerber darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass seinen Angaben verstärkte Glaubwürdigkeit zukommt.

(5) – (6) ...“

3.1.2.1. Allgemeine Erwägungen

Bei der Beurteilung eines Antrags auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sind folgende Grundsätze und Leitlinien zu beachten:

Dem Vorbringen des Asylwerbers kommt, wie aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hervorgeht, zentrale Bedeutung zu. Danach haben das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, dass die belangte Behörde oder das Bundesverwaltungsgericht ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne, dass sich aus den Angaben konkrete Anhaltspunkte ergeben würden, jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen müssen (vgl. etwa VwGH 03.07.2020, Ra 2019/14/0608, Rn. 11, mwN).

Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht, d.h. aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung (vgl. VwGH 23.01.2019, Ra 2018/01/0442, Rn. 7, mwN). Zentraler Aspekt dieser Verfolgung im Herkunftsstaat ist die „wohlbegründete Furcht“ davor. Eine Furcht kann nur dann „wohlbegründet“ sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074, mwN).

Die Gefahr der „Verfolgung“ iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Merkmalen solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen könnten auch zu asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlungen gegen andere Familienmitglieder führen (vgl. VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

Die Verfolgungsgefahr muss überdies aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesamts oder des Bundesverwaltungsgerichts vorliegen muss (vgl. etwa VwGH vom 27.06.2019, Ra 2018/14/0274). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Entscheidend ist, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. etwa VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN; zur Maßgeblichkeit der Wahrscheinlichkeit auch VwGH 20.04.2022, Ra 2021/14/0375, Rn. 11, mwN). Die Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit ist in allen Fällen mit Wachsamkeit und Vorsicht und unter Berücksichtigung der Regeln in Art. 4 der Statusrichtlinie vorzunehmen (vgl. EuGH 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12, Rn. 73, mwN). Eine Vorverfolgung ist aber als ernsthafter Hinweis für die Begründetheit der Furcht vor Verfolgung iSd Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie und damit als Indiz für eine mögliche Verfolgung anzusehen (vgl. dazu etwa VwGH 18.07.2022, Ra 2021/18/0416, Rn. 14, mwN).

Um als „Verfolgung“ bzw. „Verfolgungshandlung“ nach § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 iVm Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie qualifiziert zu werden müssen die maßgeblichen Ereignisse aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie durch eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte betroffen ist. Hierzu zählt die Statusrichtlinie ausdrücklich gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden bzw. solche, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Ob dies der Fall ist, haben das Bundesamt bzw. das Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0402, Rn. 19). Nach Art. 9 Abs. 3 der Statusrichtlinie muss außerdem eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 leg. cit. genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen bestehen (vgl. zuletzt auch VwGH 04.07.2023, Ra 2023/18/0108, Rn. 27 ff).

Bei der Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat sind die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. dazu etwa VwGH 20.10.2021, Ra 2021/20/0329, Rn. 25, mwN). Verpflichtend zu berücksichtigen sind von UNHCR und dem EASO (nunmehr der EUAA) herausgegebene Richtlinien (vgl. VwGH 11.02.2021, Ra 2021/20/0026 bis 0029, Rn. 14, mwN).

Nach VwGH vom 12.03.2020, Ra 2019/01/0472, ist die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen des Verwaltungsgerichts vorzunehmen, im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgericht aber nicht getroffen werden. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist nach VwGH vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.

3.1.2.2. Zum Vorbringen der Beschwerdeführer

Die Beschwerdeführer erstatteten als iSd § 18 AsylG 2005 relevantes Vorbringen die Furcht, in den Ukrainekrieg eingezogen zu werden bzw. von Strafbehörden bzw. wegen einer politischen Gesinnung und der Asylantragstellung in Österreich verfolgt zu werden.

Zu diesem Vorbringen bzw. im beachtlichen Kontext wurden Sachverhaltsfeststellungen zu individuellen Umständen der Beschwerdeführer wie auch, beruhend auf aktuellen Berichten und vergleichbaren Dokumenten, zur Lage in der Russischen Föderation, getroffen. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung (Punkt II.2.2.) dargestellt wurde, haben die Beschwerdeführer entgegen den Ausführungen in der Beschwerde eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe im Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Im gegenständlichen Fall sind die dargestellten Voraussetzungen, eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, daher nicht gegeben. Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte erfordert es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen. Sohin kann nicht erkannt werden, dass den Beschwerdeführern aus den von ihnen ins Treffen geführten Gründen im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung droht.

Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die Feststellungen hinsichtlich einer Verfolgung des Beschwerdeführers aus anderen als den vorgebrachten asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat beachtlich wahrscheinlich erscheinen ließen (vgl. Punkt II.2.2.2.). Auch das Vorliegen von Konventionsgründen wurden nicht festgestellt.

Im Ergebnis sind daher die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide abzuweisen.

3.1.3. Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der Bescheide – Subsidiärer Schutz

Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, wenn sich ein Asylwerber bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage beruft (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat nur dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

Es ist nach den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht anzunehmen, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 oder Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie festgestellt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführer für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr bzw. Einreise in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt sind, noch das „außergewöhnliche Umstände“ der Rückkehr bzw. Einreise der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen. Es steht fest, dass den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlt, zumal ihnen als Staatsangehörigen der Russischen Föderation der Zugang zum staatlichen Sozial- und Krankenversicherungssystem offensteht. Die volljährigen Beschwerdeführer sind arbeitsfähig und gesund. Sie können – wie auch vor ihrer Ausreise – eine Beschäftigung ausüben und somit auch im Herkunftsstaat ihren Lebensunterhalt bestreiten. Den Beschwerdeführern ist es somit möglich, ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Sie könnten nach ihrer Wahl wieder in ihrer Herkunftsrepublik Tschetschenien Fuß fassen, aber auch an anderen Orten in der Russischen Föderation, wie z.B. Moskau, arbeiten und sich dort niederlassen, weil in der Russischen Föderation Niederlassungsfreiheit besteht. Auch eine allgemeine medizinische Versorgung ist nach den Feststellungen im Bedarfsfall sowohl in Tschetschenien, als auch in anderen Teilen der Russischen Föderation gewährleistet. Außergewöhnliche Umstände wurden nicht behauptet und es wurde nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführer an akuten und lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, welche in der Russischen Föderation nicht behandelbar sind, sodass es im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK kommen könnte.

Auch unter Berücksichtigung des von Russischen Föderation geführten Ukraine-Kriegs ergeben sich keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK. Wie oben in Punkt II.2.2.1. dargestellt wurde, besteht für die volljährigen Beschwerdeführer keine reale Gefahr, im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden. Zudem ist festzuhalten, dass der Krieg gegen die Ukraine nicht bedeutet, dass jede auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation befindliche Zivilperson bereits deshalb einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses Konflikts ausgesetzt wäre.

Da keine reale Gefahr besteht, dass die Rückführung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen wird und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen, vorliegen, hat die belangte Behörde daher den Beschwerdeführern auch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Recht nicht zuerkannt und waren die Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide daher abzuweisen.

3.1.4. Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide – Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Die Beschwerdeführer erfüllen die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 AsylG 2005 nicht, da sie weder geduldet sind (Z 1), noch ihr Aufenthalt zur Gewährleistung der Strafverfolgung oder der Geltendmachung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen erforderlich ist (Z 2), noch die Beschwerdeführer Opfer von Gewalt wurden, derentwegen eine einstweilige Verfügung erlassen wurde oder hätte werden können (Z 3), wobei dies im Konkreten auch nicht behauptet wurde.

Die belangte Behörde hat eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz zutreffend nicht erteilt, weil die Voraussetzungen dafür gemäß § 57 Abs 1 AsylG 2005 nicht vorliegen. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide waren daher abzuweisen.

3.1.5. Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide – Rückkehrentscheidung

§ 9 BFA-VG idgF lautet:

„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

§ 52 FPG idgF lautet auszugsweise:

„Rückkehrentscheidung

§ 52. …

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn 2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.“

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und unter anderem im Fall der Z 3 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

3.1.5.1. Allgemeines

Die belangte Behörde stützte die Rückkehrentscheidung des Spruchpunktes IV. der angefochtenen Bescheide zutreffend auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, weil deren Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde.

3.1.5.2. Abwägung iSd Art 8 EMRK, § 9 BFA-VG

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs. Diese Prüfung verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Aufenthaltsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. auch VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Prüfungsumfang des Begriffs des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, die miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der Verwaltungsgerichtshof stellen in ihrer Rechtsprechung darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die betroffenen Personen bewusst waren, der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes sei derart, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher ist (VwGH vom 30.04.2009, 2009/21/086, VwGH vom 19.02.2009, 2008/18/0721 und die dort zitierte EGMR-Judikatur).

Nach der Rechtsprechung des EGMR garantiert die Konvention Fremden kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem Staat. Unter gewissen Umständen können von den Staaten getroffene Entscheidungen auf dem Gebiet des Aufenthaltsrechts (z.B. eine Ausweisungsentscheidung) aber in das Privatleben eines Fremden eingreifen. Dies beispielsweise dann, wenn ein Fremder den größten Teil seines Lebens in dem Gastland zugebracht oder besonders ausgeprägte soziale oder wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat vorliegen, die sogar jene zum eigentlichen Herkunftsstaat an Intensität deutlich übersteigen (vgl. EGMR 8. 4. 2008, Nnyanzi gg. das Vereinigte Königreich, Appl. 21.878/06; 4. 10. 2001, Fall Adam, Appl. 43.359/98, EuGRZ 2002, 582; 9. 10. 2003, Fall Slivenko, Appl. 48.321/99, EuGRZ 2006, 560; 16. 6. 2005, Fall Sisojeva, Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). So können persönliche Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, sehr wohl als „Privatleben“ relevant sein. In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen stellen regelmäßig einen Eingriff in das Privatleben dar, weil sie die betroffene Person aus ihrem sozialen Umfeld herausreißen. Nach der Rechtsprechung des EGMR hängt es von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob es angebracht ist, sich eher auf den Gesichtspunkt des Familienlebens zu konzentrieren als auf den des Privatlebens (EGMR 23.04.2015, 38030/12, Khan, Rn. 38; 05.07.2005, Große Kammer, 46410/99, Üner, Rn. 59). Die Prüfung am Maßstab des Privatlebens ist jedoch weniger streng als jene am Maßstab des Familienlebens, weshalb letztere in der Praxis im Vordergrund steht (Wiederin, Schutz der Privatsphäre, in: Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer, Handbuch der Grundrechte VII/1, 2. Aufl., § 10, Rn. 52). Nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts kommt dem öffentlichen Interesse aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSd Art 8 Abs. 2 EMRK ein hoher Stellenwert zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055).

Private Interessen am Verbleib im Bundesgebiet können vielfältig sein. Tendenziell sind eine regelmäßige Erwerbstätigkeit und vor allem die damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit ein wichtiger Aspekt. Im Erkenntnis VwGH 20.04.2006, 2005/18/0560, war etwa mitentscheidend, dass der Beschwerdeführer seit fast fünf Jahren ununterbrochen, noch dazu beim selben Dienstgeber, legal beschäftigt war. Für die wirtschaftliche Integration ist nicht maßgeblich, ob es sich um eine qualifizierte Tätigkeit handelt. Hingegen erachtet der Verwaltungsgerichtshof die Integration als stark gemindert, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH vom 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH vom 22.6.2006, 2006/21/0109; VwGH vom 5.7.2005, 2004/21/0124 u.a.).

Da verfahrensgegenständlich die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer minderjährige Kinder sind, ist im Verfahren auch wesentlich zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung gemäß § 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG 2014 bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen sind. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen und, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 24.09.2019, Ra 2019/20/0274; vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, mwN zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR), wobei es sich bei der Anpassungsfähigkeit von Kindern nur um einen von mehreren Aspekten, der bei der erforderlichen Berücksichtigung des Kindeswohls im Rahmen der Interessenabwägung in Betracht zu ziehen ist, handelt (vgl. VwGH 09.09.2021, Ra 2020/22/0193).

Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist dabei allerdings auch zu berücksichtigen, dass bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht allein auf die privaten und familiären Interessen eines Minderjährigen abzustellen ist, sondern auch den öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme - insbesondere gegen im Bundesgebiet aufhältige Fremde, denen nach für sie negativem Abschluss von Asylverfahren kein Aufenthaltsrecht mehr zukommt - maßgeblicher Stellenwert zukommt. Es ist daher dem Kindeswohl im Rahmen einer Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 kein absoluter Vorrang beizumessen. Bei Heranziehen der in § 138 ABGB enthaltenen Kriterien als Orientierungsmaßstab ist auf die Eigenart der im Rahmen verwaltungsrechtlicher Entscheidungen zu treffenden Beurteilung Bedacht zu nehmen. So kann angesichts der im Rahmen der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmenden Prüfung nach § 9 BFA-VG 2014, die eine Abwägung der widerstreitenden öffentlichen Interessen mit den familiären und privaten Interessen des Fremden erfordert, dem bloßen Wunsch eines Fremden, im Bundesgebiet bleiben zu wollen, keine vorrangige Bedeutung beigemessen werden. Das hat auch in jenem Fall Platz zu greifen, in dem der Fremde noch minderjährig ist, sodass etwa dem in § 138 Z 5 ABGB zum Ausdruck kommenden und – im Rahmen des Kindschaftsrechts – im Besonderen auf die Bedürfnisse des Kindes in Bezug auf sein Verhältnis zu den Obsorge- und Kontaktberechtigten abstellenden Gedanken bei der Interessenabwägung grundsätzlich kein erhöhter Stellenwert beizulegen ist. Der Besuch einer Bildungseinrichtung in Österreich kann als Aspekt des Privatlebens im Sinn von Art. 8 MRK zu jenen Umständen zählen, die bei der Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig ist, zu berücksichtigen sind. Der allfällige Umstand, dass Bildungsmöglichkeiten in Österreich mit jenen im Herkunftsland nicht gleichwertig sind, ist bei der Abwägung nach Art. 8 MRK aber nicht entscheidend (vgl. VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125; VwGH 24.04.2024, Ra 2021/20/0477; vgl. in diesem Sinn auch EGMR 18.1.2024, Dabo gg. Schweden, 12510/18, [= NLMR 2024, 31], Rn. 120, wo der EGMR - dort im Zusammenhang mit der Prüfung der Verletzung des Art. 8 EMRK im Fall der Ablehnung der Familienzusammenführung - festgehalten hat, dass das Wohl eines Kindes, gleich welchen Alters, kein unanfechtbarer Faktor sein kann).

Im vorliegenden Fall ist danach Folgendes zu berücksichtigen:

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und der Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin sind ihre minderjährigen Kinder. Die Beschwerdeführer leben zusammen in einem Haushalt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind obsorgeberechtigt. Die Beziehung der Beschwerdeführer zueinander fällt sohin als schützenswertes Familienleben in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK. Die Rückkehrentscheidung betrifft allerdings alle Familienmitglieder im gleichen Ausmaß. Durch die gemeinsame Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung der Beschwerdeführer wird nicht in das Familienleben der Fremden eingegriffen (VwGH 18.03.2012, 2010/22/0013; 19.09.2012, 2012/22/0143; 19.12.2012, 2012/22/0221; vgl. EGMR 09.10.2012, Fall Slivenko, NL 2003, 263). Zu den Verwandten in XXXX und in XXXX wird Kontakt bestehen, aber es ist kein Abhängigkeitsverhältnis vorgebracht worden oder hervorgekommen, sodass dieses Verhältnis nicht unter das Familienleben, sondern unter das Privatleben der Beschwerdeführer zu subsumieren ist. Die Rückkehrentscheidung greift daher nicht in das Recht der Beschwerdeführer auf Schutz des Familienlebens ein.

Hinsichtlich des Privatlebens ist Folgendes zu berücksichtigen: Die Beschwerdeführer reisten, wie festgestellt, nach rechtskräftigem negativem Abschluss des ersten Asylverfahrens in Österreich (W112 2177708-1/43E u.a.) im Oktober 2021 freiwillig wieder nach Deutschland aus. Die Beschwerdeführer stellten in der Folge nach ihrer erneuten Wiedereinreise nach Österreich am XXXX .2022 die verfahrensgegenständlichen zweiten Asylanträge. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH vom 23.10.2019, Zl. Ra 2019/19/0289 mit Hinweis auf VwGH vom 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; vom 10.05.2016, Ra 2015/22/0158 und 15.03.2016, Ra 2016/19/0031). Angesichts der genannten freiwilligen Ausreise 2021 nach Deutschland und zumal der Aufenthalt in Österreich während des ersten Asylverfahrens ebenfalls nur auf einem unbegründeten Asylantrag beruhte, ist der (kumuliert) in Österreich verbrachte Zeitraum nicht als ein hinsichtlich der Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer insgesamt maßgeblicher zusammenhängender Aufenthaltszeitraum zu werten (vgl. z.B. VwGH 26.03.2015, Ra 2014/22/0078: „Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn [das Verwaltungsgericht] in diesem Zusammenhang die zwischenzeitige Ausreise der revisionswerbenden Parteien aus dem Bundesgebiet und den Umstand, dass der Inlandsaufenthalt auf zwei Asylanträgen beruhte, mitberücksichtigte.“; vgl. auch VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044: „Ein ununterbrochener Aufenthalt liegt daher erst ab der Wiedereinreise vor;“). Vielmehr sind die Beschwerdeführer erst seit März 2022, sohin seit rund zweieinhalb Jahren wieder im Bundesgebiet und auch dieser Aufenthalt beruht wiederum nur auf den bereits zweiten unberechtigten Asylanträgen der Beschwerdeführer. Diese Dauer des zu berücksichtigenden erneuten Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ist vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung noch sehr kurz und kommt ihm demnach für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung bei der Abwägung hinsichtlich des Privatlebens zu. Auch wenn man vom Vorliegen eines schützenswerten Privatlebens ausgeht, ist der Eingriff in dieses Recht aus folgenden Gründen verhältnismäßig:

Wie dargestellt, beruhte der (gesamte) bisherige Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich, insbesondere auch die Zeit während des gegenständlichen Verfahrens, auf unbegründeten Asylanträgen. Im Vergleich zu den noch stark ausgeprägten Bindungen zum Herkunftsstaat sind auch die während dieser Zeit aufgebauten Bindungen der Beschwerdeführer zu Österreich noch gering.

Die im Entscheidungszeitpunkt knapp XXXX -jährige Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich die Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 und B1 absolviert. Sie ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Sie bestreitet ihren Lebensunterhalt durch die Grundversorgung. Sie machte in Österreich neben der Integrationsprüfung eine theoretische Prüfung des Führerscheins B und besuchte einen Computer-Kurs. Die Erstbeschwerdeführerin kümmert sich, wie auch schon im Herkunftsstaat, um die Kinder, insbesondere auch um die Betreuung der Fünftbeschwerdeführerin und den Haushalt. Sie hat, abgesehen von Bekannten, keine besonderen sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Die Durchführung der Verhandlung war in deutscher Sprache nicht möglich, auch die in der Verhandlung gezeigten Deutschkenntnisse sind als gering einzustufen.

Im Vergleich dazu bestehen noch stark ausgeprägte Bindungen der Erstbeschwerdeführerin zum Herkunftsstaat, wo sie ihr gesamtes Leben bis zur Ausreise im Jahr 2017 verbrachte (ausgenommen sechs Monate im Jahr 2013), die Landessprachen Russisch und Tschetschenisch spricht, die Grundschule besuchte, eine Ausbildung zur Krankenpflegerin abschloss und auch als Krankenschwester erwerbstätig war. Sie ist mit der Kultur und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten in der Russischen Föderation vertraut, ihre Mutter und ihre Schwester, aber auch ihre Schwiegereltern, mit denen sie vor der Ausreise im gemeinsamen Haushalt lebte, leben in der Russischen Föderation. Zu ihrer Schwester hält sie auch von Österreich aus Kontakt. Die Erstbeschwerdeführerin ist somit in ihrem Herkunftsstaat sozialisiert.

Der XXXX Zweitbeschwerdeführer machte eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1, sonst in Österreich aber keine Aus- oder Fortbildung. Er war in Österreich von 2018 bis 2019 im Rahmen von Dienstleistungsschecks geringfügig legal erwerbstätig, bezog daneben aber den gesamten Zeitraum ebenfalls die Grundversorgung. Wie festgestellt wurde, hat der Zweitbeschwerdeführer im September 2024 ein freies Gewerbe für Autoreinigung angemeldet. Wie beweiswürdigend schon dargestellt wurde, ist aber nicht anzunehmen, dass er durch diese Tätigkeit eine eigenverantwortliche finanzielle Versorgung seiner Familie ohne weiteren Rückgriff auf öffentliche Sozialleistungen leisten könnte, was auch gar nicht vorgebracht wurde. Vielmehr leben die Beschwerdeführer weiterhin von Leistungen aus dem Sozialsystem (vgl. zu Gelegenheitsarbeiten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts ausgeübte Tätigkeiten VwGH vom 11. 10. 2005, 2002/21/0124). Der Zweitbeschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein. Bis auf seine Familie hat er sich keine näheren sozialen Bindungen in Österreich angegeben. Auch mit dem Zweitbeschwerdeführer war keine auch nur teilweise Durchführung der Verhandlung in deutscher Sprache möglich.

Diesen geringen Bindungen in Österreich stehen auch beim Zweitbeschwerdeführer noch starke Bindungen zur Russischen Föderation gegenüber, wo er, abgesehen von einigen Monaten im Jahr 2013, sein gesamtes Leben bis zur Ausreise verbrachte, die Landessprachen Russisch und Tschetschenisch beherrscht, die Grundschule absolvierte, mehrere Jahre als LKW-Fahrer arbeitete, gemeinsam mit seinen Eltern, seiner Frau und Kindern in einem Familienhaus lebte und mit der Kultur und den gesellschaftlichen Gepflogenheiten vertraut ist. Die meisten Familienangehörigen des Erstbeschwerdeführers leben in der Russischen Föderation. Zu ihnen hat er auch von Österreich aus regelmäßig Kontakt.

Der mj. Drittbeschwerdeführer ( XXXX ) besuchte in Österreich vier Klassen Volksschule, besucht nun die zweite Klasse einer Neuen Mittelschule und hat entsprechende Deutschkenntnisse. Er besucht regelmäßig eine Lernwerkstatt und ein Jugendzentrum und legte eine Beschäftigungsbewilligung als Ferialpraktikant für etwa zwei Wochen für August 2024 vor (OZ 8). Diesen zwar beginnenden Bindungen zu Österreich stehen ebenfalls noch starke Bindungen zur Russischen Föderation gegenüber, wo er geboren und bis zum XXXX aufgewachsen ist, die Schule besuchte, die Landessprachen Tschetschenisch und Russisch spricht – ersteres auch derzeit in Österreich zu Hause – und gemeinsam mit seinen Eltern, Geschwistern und Großeltern in einem Haushalt lebte. Sein Leben in Österreich spielt sich somit, abgesehen vom Schulbesuch, hauptsächlich im Familienverband ab.

Der mj. Viertbeschwerdeführer ( XXXX ) besucht, ebenso wie sein älterer Bruder, die zweite Klasse einer Neuen Mittelschule und hat entsprechende Deutschkenntnisse. Er geht in einen Sportclub und trainiert Boxen. Aber auch er hat deutliche Bindungen zur Russischen Föderation, wo er geboren wurde, ebenfalls die Schule besuchte, Tschetschenisch und Russisch spricht – ersteres auch derzeit in Österreich zu Hause – und gemeinsam mit seinen Eltern, Geschwistern und Großeltern im Familienhaus bis zur Ausreise aufgewachsen ist.

Die mj. Fünftbeschwerdeführerin ( XXXX ) hat Deutschkenntnisse und besucht in Österreich die erste Klasse einer Mittelschule nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule. Sie hatte auf Grund einer Entwicklungsverzögerung Probleme beim Erlernen der deutschen Sprache, spricht diese aber inzwischen gut. Auch sie hat Bindungen zur Russischen Föderation, wo sie den Kindergarten besuchte, sie kann sich in ihrer Muttersprache Tschetschenisch und in Russisch verständigen und kommunizieren, was sie auch derzeit mit den Eltern tut. Sie hatte in Österreich seit dem Jahr XXXX psychotherapeutische und logopädische Betreuung und wird seither auch sonderpädagogisch gefördert. Diese Unterstützungsmaßnahmen stehen ihr auch in der Russischen Föderation, bzw. in Tschetschenien, zur Verfügung.

Die Bindungen der Beschwerdeführer zur Russischen Föderation sind nach Ansicht des erkennenden Richters daher im Ergebnis stärker als ihre Bindungen zu Österreich. Dass die Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten sind, kann weder ihr persönliches Interesse an einem Aufenthalt in Österreich stärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abschwächen (VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253; 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273).

Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihres Privatlebens in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren Aufenthalts und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein musste. Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur auf Grund ihrer Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten durfte, begründetes Privatleben per se nicht geeignet war, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügte. In diesem Fall muss sich der Beschwerdeführer bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg. 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013). Wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, muss das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthalts auch auf die Kinder durchschlagen, wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt (vgl. VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072; 28.02.2020, Ra 2019/14/0545; 23.10.2019, Ra 2019/19/0405).

Die bei den Beschwerdeführern festgestellten Integrationsschritte sind daher durch das Wissen um den unsicheren Aufenthalt zusätzlich noch deutlich relativiert. Eine außergewöhnliche Integration, die in der Abwägung gegebenenfalls dennoch für die Beschwerdeführer sprechen könnte, ist im Verfahren nicht hervorgekommen. Diesem stark relativierten Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihres Privatlebens in Österreich steht fallgegenständlich ein öffentliches Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenüber, dem nach der Rechtsprechung – auch bei Berücksichtigung des Kindeswohls – maßgeblicher Stellenwert zukommt. Der VwGH hat in seiner oben zitierten Rechtsprechung dem öffentlichen Interesse an einer Rückkehrentscheidung nämlich gerade dann maßgeblichen Stellenwert zugemessen, wenn im Bundesgebiet aufhältigen Fremden nach für sie negativem Abschluss von Asylverfahren kein Aufenthaltsrecht mehr zukommt. Die Beschwerdeführer haben allerdings nicht nur einen unberechtigten Asylantrag gestellt, sondern in den vergangenen elf Jahren sogar fünf derartige Anträge in drei Ländern im Schengen-Raum (Polen, Deutschland, Österreich), zwei davon in Österreich. Nach negativem Abschluss des ersten Asylverfahrens in Österreich sind die Beschwerdeführer entgegen der Rückkehrentscheidung nicht in den Herkunftsstaat ausgereist, sondern vielmehr wieder nach Deutschland gefahren, um sich durch einen neuerlichen Asylantrag der auferlegten Rückkehrverpflichtung zu entziehen. Gleiches haben sie auch nach der (unfreiwilligen) Rückkehr nach Österreich mit dem zweiten unbegründeten Asylantrag getan. Dieser konsequente Versuch, die asylrechtlichen Bestimmungen zu missbrauchen bzw. rechtskräftige Entscheidungen zu ignorieren, lässt nach Ansicht des erkennenden Gerichts das öffentliche Interesse an Rückkehrentscheidungen im gegenständlichen Fall umso schwerer wiegen. Könnte sich ein Fremder in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- oder Familienleben berufen, würde dies auch dazu führen, dass andere Fremde, die vergleichbare missbräuchliche Verhaltensweisen unterlassen und sich an die Regelungen des Niederlassungsrechts halten, schlechter gestellt wären, als Fremde, die genau zu diesen Mitteln greifen, um sich über mehrfache unberechtigte Asylanträge letztlich ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu erschleichen, was in Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. Estoppel-Prinzip; AsylGH 04.08.2008, E10 313376-1/2008; vgl. dazu auch VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044, wonach dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts ein hoher Stellenwert zukommt, weil die unberechtigte Einbringung von Asylanträgen nicht der Umgehung der allgemeinen Regeln eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfe).

Fallgegegenständlich überwiegt das öffentliche Interessen an der Erlassung von Rückkehrentscheidungen gegen die Beschwerdeführer daher deren private Interessen an einem weiteren Verbleib in Österreich.

Auch das zu berücksichtigenden Kindeswohl ändert daran nichts. Die in der oben dargestellten Rechtsprechung genannten Kriterien (Geburt im Herkunftsstaat, kulturelles und sprachliches Umfeld, teilweise Schulbildung bzw. Kindergarten im Herkunftsstaat, Beherrschung der Landesprachen) ergeben bei allen drei Kindern deutliche Anknüpfungspunkte an den Herkunftsstaat. Alle minderjährigen Beschwerdeführer sprechen Russisch und (auch derzeit in der Familie) Tschetschenisch und haben im Herkunftsstaat den Kindergarten und/oder auch die Schule besucht. Sie wurden in der Kultur und den Gebräuchen ihres Herkunftsstaates sozialisiert und werden mit ihren Eltern, die ihre Hauptbezugspersonen sind, in die Russische Föderation zurückkehren, wo sie auch noch andere Verwandte haben, weshalb die Erlassung der Rückkehrentscheidung, die gegen alle Familienmitglieder erlassen wird, nach Ansicht des Richters fallgegenständlich im Ergebnis auch nicht dem Kindeswohl widerspricht. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung ändert daran auch nichts, dass die Beschwerdeführer offenkundig in Österreich bleiben wollen („dass dem bloßen Wunsch eines Fremden, in Österreich bleiben zu wollen, im Rahmen der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung keine vorrangige oder gar ausschlaggebende Bedeutung beizumessen ist“; VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125). Ebenso wenig kann der Umstand, dass die Kinder hier weiterhin die Schule besuchen wollen, den Ausschlag zu Gunsten der Beschwerdeführer geben, da die Frage, ob die Schulbildung in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien mit der österreichischen gleichwertig ist, für die Abwägung nicht relevant ist („dass Bildungsmöglichkeiten in Österreich mit jenen im Herkunftsland nicht gleichwertig sind, [ist] bei der Abwägung nach Art. 8 MRK nicht entscheidend“; VwGH 25.10.2023, Ra 2023/20/0125). Festzuhalten ist, dass nach den Feststellungen auch die Fünftbeschwerdeführerin allfällige sonderpädagogische Unterstützung auch im Herkunftsstaat erhalten kann.

In einer Gesamtabwägung überwiegen daher auch bei Berücksichtigung des Kindeswohles die Interessen der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihres Privatlebens in Österreich, angesichts ihrer noch starken Bindungen der Beschwerdeführer zur Russischen Föderation und der noch kurzen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens nicht.

Daher greift bei der Interessensabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht unverhältnismäßig in das Privatleben und nicht in das Familienleben der Beschwerdeführer ein.

Die Beschwerden sind daher abzuweisen, soweit sie sich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen wenden.

3.1.6. Beschwerde gegen Spruchpunkt V. der Bescheide – Zulässigkeit der Abschiebung

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung durchsetzbar ist, sind gem. § 46 Abs. 1 FPG von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn die Überwachung der Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint, sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind oder dies aufgrund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist oder der Fremde einem Einreise- oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist.

Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Nach VwGH 26.01.2024, Ra 2023/18/0493, stimmt der Prüfungsmaßstab nach § 50 Abs. 1 FPG mit dem nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 überein. In seiner ständigen Rechtsprechung zu § 8 Abs 1 AsylG 2005 hält der VwGH fest, dass unter realer Gefahr eine ausreichend echte, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr („a sufficiently real risk“) möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen ist (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Weiters müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.

Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des „real risk“, wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

Es obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307; VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134).

Herrscht im Herkunftsstaat des Fremden eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat nur dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016).

Es ist nach den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten nicht anzunehmen, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage besteht, dass jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 oder Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie festgestellt, ist die Situation in der Russischen Föderation auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführer für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, finden sich auch weder Anhaltspunkte dafür, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr bzw. Einreise in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt ist, noch das „außergewöhnliche Umstände“ der Rückkehr bzw. Einreise der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen. Es steht fest, dass den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation die notdürftigste Lebensgrundlage nicht fehlt, zumal sie als Staatsangehörige der Russischen Föderation der Zugang zum staatlichen Sozial- und Krankenversicherungssystem offensteht. Die volljährigen Beschwerdeführer sind arbeitsfähig und können auch in der Russischen Föderation eine Beschäftigung ausüben und somit auch dort ihren Lebensunterhalt bestreiten. Den Beschwerdeführern ist es somit möglich, ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Sie könnten nach ihrer Wahl wieder in ihre Herkunftsrepublik Tschetschenien zurückkehren, aber auch an anderen Orten in der Russischen Föderation, wie z.B. Moskau, arbeiten und sich dort niederlassen, weil in der Russischen Föderation Niederlassungsfreiheit besteht. Auch eine allgemeine medizinische Versorgung ist nach den Feststellungen im Bedarfsfall sowohl in Tschetschenien, als auch in anderen Teilen der Russischen Föderation gewährleistet. Außergewöhnliche Umstände wurden nicht behauptet und es wurde nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführer an akuten und lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, welche in der Russischen Föderation nicht behandelbar sind, sodass es im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat zu einer Überschreitung der hohen Eingriffsschwelle des Art. 3 EMRK kommen könnte.

Auch unter Berücksichtigung des von Russland geführten Ukraine-Kriegs ergeben sich keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK. Der Zweitbeschwerdeführer ist mit seinen XXXX Jahren nicht mehr wehrpflichtig. Wie festgestellt, sind Erst- und Zweitbeschwerdeführer/in auch nicht in realer Gefahr, im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt zu werden. Zudem ist festzuhalten, dass der Krieg gegen die Ukraine nicht bedeutet, dass jede auf dem Staatsgebiet der Russischen Föderation befindliche Zivilperson bereits deshalb einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen dieses Konflikts ausgesetzt wäre. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 3 FPG 2005 schließlich unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht. Eine solche Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme besteht hinsichtlich der Russischen Föderation nicht.

Da keine reale Gefahr festgestellt wurde, dass die Rückführung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen wird und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen, vorliegen, hat die belangte Behörde daher zu Recht ausgesprochen, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zulässig ist.

3.1.7. Beschwerden gegen Spruchpunkt VI. – Frist für die Ausreise

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides. Dies, sofern nicht im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, jene Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Derartige Gründe wurden im Verfahren nicht vorgebracht und es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine längere Frist erforderlich machen würden.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der im Erkenntnis zitierten bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht uneinheitlich. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine klare Rechtslage stützen.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

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