Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und die Hofrätin Dr. in Oswald sowie den Hofrat Mag. Pichler als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des L P, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2024, G315 2281723 2/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer fremdenrechtlichen Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der Revisionswerber ist ein 1994 geborener deutscher Staatsangehöriger, der seit 2016 im Bundesgebiet aufhältig ist. Der Revisionswerber ist ledig, im Bundesgebiet hat er keine Angehörigen.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. August 2023 wurde der Revisionswerber wegen des Verschaffens und des Besitzes pornographischer Darstellungen Minderjähriger gemäß §§ 207a Abs. 3 zweiter Fall, Abs. 4 Z 1, 207a Abs. 3 erster Fall, Abs. 4 Z 3 lit. a sowie 207a Abs. 3 erster und zweiter Fall, Abs. 4 Z 3 lit. b StGB und wegen der versuchten Unterdrückung eines Beweismittels gemäß §§ 15, 295 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.
3 Mit Bescheid vom 19. September 2023 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wegen der Verurteilung des Revisionswerbers durch das Landesgericht für Strafsachen Graz und der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und gewährte dem Revisionswerber gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.
Die Sendung mit diesem Bescheid, die an die aktenkundige Adresse des Revisionswerbers übermittelt worden war, wurde, nachdem sie vom Revisionswerber nicht abgeholt worden war, dem BFA als „nicht behoben“ retourniert. Aus dem im Behördenakt einliegenden Zustellnachweis ist ersichtlich, dass die Sendung ab dem 27. September 2023 bei einer Postgeschäftsstelle in Graz zur Abholung bereitgehalten worden und eine Verständigung über die Hinterlegung der Sendung in die Abgabeeinrichtung eingelegt worden sei.
4 In weiterer Folge übermittelte das BFA dem Revisionswerber eine mit 2. November 2023 datierte „Information über die Verpflichtung zur Ausreise“.
5 Mit Eingabe vom 17. November 2023 brachte der Revisionswerber durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 19. September 2023 ein und erhob unter einem eine Beschwerde gegen diesen Bescheid. Zur Begründung seines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte der Revisionswerber aus, er habe von dem gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbot erst durch die Zustellung der Information über die Verpflichtung zur Ausreise am 8. November 2023 erfahren. „Naturgemäß“ verfüge der Revisionswerber über keine Kenntnis, weshalb ihm kein „gelber Zettel“ seitens des Zustelldienstes hinterlassen worden sei oder ob „allenfalls ein anderer“ im selben Haus wohnender „Mitbewohner“ diesen gelben Zettel entfernt habe. „Theoretisch wäre [es] auch möglich“, dass der Revisionswerber den „gelben Verständigungszettel übersehen“ und diesen „irrtümlich mit Werbesendungen entsorgt“ habe. Daraus ergebe sich, dass den Revisionswerber kein oder nur ein äußerst geringes Verschulden am Versäumen der Frist zur Erhebung der Beschwerde treffe.
6 Mit Bescheid vom 20. November 2023 wies das BFA den Antrag des Revisionswerbers vom 17. November 2023 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG keine aufschiebende Wirkung zu (Spruchpunkt II.).
7 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber fristgerecht Beschwerde.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. In der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses führte das BVwG aus, dass bereits im Wiedereinsetzungsantrag alle Umstände, die den Wiedereinsetzungsantrag begründen, darzulegen und im Antrag auch taugliche Bescheinigungsmittel zu deren Glaubhaftmachung anzuführen seien. Es bestehe eine Bindung an die im Wiedereinsetzungsantrag vorgebrachten Gründe. Reine Behauptungen könnten eine Wiedereinsetzung nicht rechtfertigen. Insbesondere habe eine Partei, die die Wiedereinsetzung damit begründe, von einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, darzulegen, was sie üblicherweise unternehme, um eine solche Unkenntnis zu vermeiden. In seinem Wiedereinsetzungsantrag habe der Revisionswerber lediglich Vermutungen vorgebracht und kein substantiiertes Vorbringen erstattet, mit dem glaubhaft gemacht worden sei, dass er von der Zustellung des Bescheides des BFA vom 19. September 2023 keine Kenntnis erlangt habe; ebensowenig habe der Revisionswerber dargelegt, dass er sich sorgfältig um seine Post kümmere, womit kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund vorliege. Spruchpunkt II. des Bescheides des BFA vom 20. November 2023 sei „obsolet“, weil einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ex lege keine aufschiebende Wirkung zukomme.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 In der Begründung der Zulässigkeit der Revision wird ausgeführt, der Revisionswerber habe die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 19. September 2023 nur deshalb verpasst, weil er keine Hinterlegungsanzeige erhalten habe. Erst durch die Zustellung weiterer behördlicher Schriftstücke sei der Revisionswerber darauf aufmerksam geworden, dass zuvor eine behördliche Entscheidung ergangen sein müsse. Der Revisionswerber habe bereits dargelegt, er könne nicht wissen, ob überhaupt eine Hinterlegungsanzeige erfolgt sei, ein Dritter die Hinterlegungsanzeige unerlaubt entfernt oder der Revisionswerber diese „irrtümlich“ weggeworfen habe. Zwar gelte nach der Rechtsprechung eine Zustellung trotz des Verlustes der Hinterlegungsanzeige als erfolgt, die Frage des Verlustes oder die Glaubhaftmachung der Entfernung oder Vernichtung der Hinterlegungsanzeige durch Dritte könne aber in einem Verfahren betreffend den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „eine Rolle spielen“. Der Revisionswerber bestreite nicht die Wirksamkeit der Zustellung, er habe aber von der Zustellung keine Kenntnis erlangt. Der Revisionswerber habe im Wiedereinsetzungsantrag seine Einvernahme angeboten, weitere Beweismittel seien nicht „denkbar“. Eine Befragung des Revisionswerbers oder eine mündliche Verhandlung hätten nicht stattgefunden, jedoch werde „moniert“, dass die Glaubhaftmachung des Verlustes der Hinterlegungsanzeige nicht gelungen sei. Dem Revisionswerber hätte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden müssen, weshalb die Revision zulässig sei.
13 Aus § 17 Abs. 4 ZustG ergibt sich unmissverständlich, dass eine auf die Beschädigung oder Entfernung der Verständigung zurückzuführende Unkenntnis vom Zustellvorgang und damit die so bewirkte subjektive Unmöglichkeit der Behebung der hinterlegten Sendung für die Rechtswirksamkeit der Zustellung, die fallgegenständlich in der Revision auch ausdrücklich nicht bestritten wird, rechtlich ohne Belang ist. Darin kann allenfalls ein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen, sofern die Unkenntnis nicht auf einem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt (VwGH 29.5.2024, Ra 2023/19/0214, Rn. 17, mwN).
14 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist, wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt wird. Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0310, Rn. 11; VwGH 3.8.2022, Ra 2022/01/0202, Rn. 10).
16 Im Zusammenhang mit dem - behaupteten - Entfernen einer Hinterlegungsanzeige hat der Verwaltungsgerichtshof zwar bereits festgehalten, dass eine Partei den konkreten Vorgang, wie es zur Entfernung der Hinterlegungsanzeige gekommen ist, nur in den seltensten Fällen bescheinigen können wird. Allerdings obliegt es ihr neben der Behauptung des Fehlens der Hinterlegungsanzeige in der Post Umstände darzutun, die die Entfernung der Hinterlegungsanzeige als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 10.7.2025, Ra 2025/14/0179, Rn. 19; VwGH 28.1.2025, Ra 2024/02/0230, Rn. 23, jeweils mwN). Auch im Falle der Behauptung des Wiedereinsetzungswerbers von einem ihn betreffenden Schriftstück oder einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, hat er in einem detaillierten sachverhaltsbezogenen Vorbringen darzulegen, was er üblicherweise unternimmt, um eine solche Unkenntnis zu vermeiden (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb , AVG § 71 Rz 122 [Stand März 2020] zitierte hg. Rechtsprechung).
17 Der Revisionswerber hat in seinem für die Beurteilung, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen ist, alleine maßgeblichen Wiedereinsetzungsantrag vom 17. November 2023 (vgl. Rn. 5) aber lediglich allgemein vorgebracht, dass er keine Hinterlegungsanzeige erhalten habe. Damit hat er aber nicht einmal ansatzweise dargelegt, welche Maßnahmen er üblicherweise setzt, um zu vermeiden, dass er von behördlichen Schriftstücken keine Kenntnis erlangt. Im Übrigen wird im Wiedereinsetzungsantrag eingeräumt, dass der Revisionswerber die Hinterlegungsanzeige „möglicherweise“ gemeinsam mit Werbematerial entsorgt habe. Gerade im Falle eines mit Werbematerial angefüllten Postkastens hat die Durchsicht des Inhaltes des Postkastens aber besonders genau zu erfolgen, um nichts zu übersehen (VwGH 21.11.2023, Ra 2021/17/0205, mwN). Dass den Revisionswerber an der Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 19. September 2023 nur ein „geringfügiges Verschulden“ treffen würde, kann somit - mangels entsprechend konkreter Glaubhaftmachung durch den Revisionswerber - nicht angenommen werden. Das behauptete Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt daher nicht vor.
18 Ausgehend davon bedurfte es entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Klärung des Sachverhaltes, zumal der Revisionswerber in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wie bereits dargelegt lediglich allgemein geltend machte, dass er die Hinterlegungsanzeige nicht erhalten habe.
19 Die Revision war daher nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 22. August 2025