Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr. in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kreil, über die Revision des Dr. W S als Massenverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der P GmbH in S, vertreten durch Dr. Wolfgang Strasser und Mag. Dr. Christian Strasser, Rechtsanwälte in 4300 St. Valentin, Hauptplatz 11, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 16. Jänner 2023, RV/7103919/2022, betreffend Feststellung über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gemäß § 8 SBBG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Amt für Betrugsbekämpfung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Bescheid vom 30. Juni 2022 stellte das Amt für Betrugsbekämpfung fest, die Gemeinschuldnerin gelte ab 6. November 2018 als ein Scheinunternehmen gemäß § 8 Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG). Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin sei mit Stichtag 21. Dezember 2021 ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Nach Auskunft des bestellten Masseverwalters (des Revisionswerbers) sei der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin „untergetaucht“ und nicht mehr auffindbar. Im Rahmen der von der Finanzpolizei zum Teil bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durchgeführten Ermittlungen habe kein Kontakt zum Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin hergestellt werden können. Bei einer Nachschau am Betriebssitz der Gemeinschuldnerin habe keine unternehmerische Tätigkeit festgestellt werden können. Auf dem Abgabenkonto der Gemeinschuldnerin hafte ein nicht bloß geringer Rückstand (aufgrund der Festsetzung von Körperschaftsteuer) aus, der ausgesetzt sei. Weitere Rückstände in der Höhe von insgesamt rd. 815.000 € würden auf den Beitragskonten der Bauarbeiter Urlaubsund Abfertigungskasse (BUAK) und der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) aushaften. In der Gesamtzusammenschau dieser Umstände sei festzustellen gewesen, dass ein Scheinunternehmen iSd SBBG vorliege und es evident sei, dass die Gemeinschuldnerin zu dem Zweck gegründet worden sei, illegalen Zwecken nachzugehen.
2 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin sei erst seit der Insolvenzeröffnung im Dezember 2021 „untergetaucht“ und nicht mehr erreichbar. Bis dahin sei er im Unternehmen der Gemeinschuldnerin anwesend gewesen. Zudem würden keine Beweise vorliegen, dass die Gemeinschuldnerin seit dem festgestellten Datum (6. November 2018) ein Scheinunternehmen sei. Bis zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung sei das Unternehmen tatsächlich geführt worden und es seien zahlreiche Dienstnehmer beschäftigt gewesen. Die Gemeinschuldnerin habe im Wesentlichen auch nahezu alle Löhne und Abgaben bezahlt. Bis zur Insolvenzeröffnung habe die Gemeinschuldnerin am Geschäftsverkehr teilgenommen und sei laufend ihren Zahlungsverpflichtungen insbesondere gegenüber den Abgaben und Beitragsgläubigern nachgekommen. Hinweise für das Bestehen einer Absicht, ein Unternehmen nur für betrügerische Zwecke zu gründen, seien nicht vorhanden. Nicht jedes Unternehmen, das mangelhaft geführt werde und in welchem Unregelmäßigkeiten vorkommen würden, sei als Scheinunternehmen zu werten. Es würden offenbar Malversationen seitens des Geschäftsführers vorliegen und der Verbleib eines größeren Geldbetrages sei nicht nachzuvollziehen.
3 Das Amt für Betrugsbekämpfung wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab, woraufhin der Revisionswerber einen Vorlageantrag stellte. Darin führte er u.a. wie folgt aus: „Hinsichtlich der Begründung meines Begehrens und der gestellten Anträge verweise ich auf meine Beschwerde vom 07.07.2022 und halte diese vollinhaltlich aufrecht. Ich beantrage weiterhin eine mündliche Beschwerdeverhandlung.“
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Das Bundesfinanzgericht führte neben der Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, die Gemeinschuldnerin sei im Juli 2018 errichtet worden, wobei zunächst H Alleingesellschafter und Geschäftsführer gewesen sei. Seit November 2018 sei B Alleingesellschafter und Geschäftsführer gewesen. Mit Beschluss des zuständigen Landesgerichtes vom 20. Dezember 2021 sei über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und der Revisionswerber zum Masseverwalter bestellt worden.
6 Das Bundesfinanzgericht gehe in Übereinstimmung mit dem Revisionswerber und mit dem Amt für Betrugsbekämpfung davon aus, dass die Gemeinschuldnerin tatsächlich eine (wirtschaftliche) Tätigkeit entfaltet und Arbeitskräfte beschäftigt habe. Dies stehe entgegen der vom Revisionswerber offenbar vertretenen Auffassungder Beurteilung, dass ein Scheinunternehmen iSd § 8 SBBG vorliege, nicht entgegen. Dafür spreche schon der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Z 1 SBBG, der auf eine Verkürzung von Lohnabgaben, Beiträgen und Entgeltansprüchen abstelle, was zwangsläufig ein tatsächliches Tätigwerden voraussetze, da nur ein solches die Verpflichtung zur Entrichtung von Abgaben/Beiträgen/Entgelten nach sich ziehen könne. In diesem Sinn habe auch der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 20. November 2019, Ro 2019/08/0016, ausgeführt, dass bei von Scheinunternehmen (iSd § 8 SBBG) beschäftigten Dienstnehmern regelmäßig davon auszugehen sein werde, dass tatsächlich Arbeitsleistungen verrichtet worden seien.
7Nach § 8 Abs. 3 Z 3 SBBG liege ein Anhaltspunkt (für einen Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens) vor, wenn es unmöglich sei, zum organschaftlichen Vertreter an der im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift einen persönlichen Kontakt herzustellen. Dies sei vorliegend der Fall, auch wenn der Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, aufgrund der damit verbundenen Konsequenzen, „untergetaucht“ sei.
8 Die belangte Behörde habe ihre Feststellung, dass es sich bei der Gemeinschuldnerin um ein Scheinunternehmen handle, nicht nur mit der Unauffindbarkeit ihres Geschäftsführers begründet, sondern ganz wesentlich auch auf die Abgaben und Beitragsrückstände gestützt, die in Anbetracht ihrer Höhe von rd. 815.000 € und auch unter Berücksichtigung der Unternehmensgröße nicht mehr als „äußerst gering“ bezeichnet werden könnten.
9Während jedoch die Unmöglichkeit, zum organschaftlichen Vertreter eines Rechtsträgers einen persönlichen Kontakt herzustellen, „nur“ den Verdacht auf das Vorliegen einer Scheinunternehmerschaft begründe, führten die angeführten Rückstände dazu, dass ein Unternehmen unter den Tatbestand des § 8 Abs. 1 Z 1 SBBG zu subsumieren und damit als ein Scheinunternehmen einzustufen sei.
10Auch eine Gewinnerzielungsabsicht schließe die Verwirklichung des Tatbestandes des § 8 Abs. 1 Z 1 SBBG nicht aus, führe doch die Verkürzung der in dieser Bestimmung angeführten Abgaben/Beiträge/Entgelte zwangsläufig dazu, dass diese Beträge als Aufwand im Rechenwerk des Unternehmens fehlten und es damit (zwangsläufig) zu einer Erhöhung des Gewinnes komme.
11 Dass die in § 8 Abs. 1 SBBG genannten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Scheinunternehmens schon bei der Unternehmensgründung vorgelegen sein müssten, könne dieser Bestimmung zudem nicht entnommen werden.
12 Zur beantragten mündlichen Verhandlung führte das Bundesfinanzgericht aus, deren Durchführung diene nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere dazu, bei der Aufklärung des (entscheidungsrelevanten) Sachverhaltes mitzuwirken und zu Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. Da im gegenständlichen Fall der (entscheidungsrelevante) Sachverhalt keiner weiteren Aufklärung bedürfe und (im Beschwerdeverfahren) auch keine Beweise aufgenommen worden seien, erübrige sich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weshalb davon Abstand genommen worden sei.
13 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit u.a. geltend gemacht wird, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu mehreren näher genannten Rechtsfragen iZm den Voraussetzungen für die Feststellung der Scheinunternehmerschaft gemäß § 8 SBBG.
14 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Amt für Betrugsbekämpfung eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
16 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und begründet.
17Nach der Bestimmung des § 8 Abs. 1 Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG), BGBl. I Nr. 113/2015 (in der im Revisionsfall anwendbaren Fassung des Finanz Organisationsreformgesetzes FORG, BGBl. I Nr. 104/2019) ist ein Scheinunternehmen ein Unternehmen das „vorrangig darauf ausgerichtet“ ist, näher genannte Abgaben, Beiträge oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmern zu verkürzen (Z 1), oder Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs , Sozial oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen (Z 2).
18 Die Feststellung, dass ein Unternehmen ein Scheinunternehmen gemäß § 8 Abs. 1 SBBG ist, kann somit nur erfolgen, wenn eine entsprechende vorrangige Ausrichtung dieses Unternehmens festgestellt wird. Dies erfordert entsprechende Ermittlungen primär der für die Erlassung des Feststellungsbescheides zuständigen Behörde gemäß § 8 Abs. 4 SBBG, im Beschwerdeverfahren allenfalls des Bundesfinanzgerichtes insbesondere im Hinblick auf die in § 8 Abs. 3 SBBG genannten Anhaltspunkte (für einen Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens). Wird im Beschwerdeverfahren trotz Vorliegens dieser Anhaltspunkte und damit des Verdachts gemäß § 8 Abs. 2 SBBG die in § 8 Abs. 1 SBBG definierte vorrangige Ausrichtung des Unternehmens bestritten, hat sich das Bundesfinanzgericht mit dem diesbezüglichen Vorbringen auseinanderzusetzen und dieses im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu berücksichtigen.
19 Entgegen der (in der Revisionsbeantwortung dargelegten) Rechtsansicht der belangten Behörde führt ein unterlassener Widerspruch gegen eine (Verdachts)Mitteilung gemäß § 8 Abs. 4 SBBG nicht automatisch dazu, dass im Beschwerdeverfahren das Bundesfinanzgericht das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 8 Abs. 1 SBBG nicht mehr zu prüfen hätte und die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens allein auf die Verdachtsmomente gemäß § 8 Abs. 2 iVm Abs. 3 SBBG stützen könnte (vgl. dazu VfGH 26.9.2019, G 117/2019 Rn. 44 bis 49).
20Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
21Was die Nichtdurchführung der im vorliegenden Fall beantragten mündlichen Verhandlung betrifft, ist weiters anzumerken, dass die BAOmit Ausnahme der in § 274 Abs. 3 BAO genannten Fälle (vgl. dazu VwGH 17.10.2018, Ra 2017/13/0087, mwN)im Fall eines rechtzeitigen Parteiantrags einen Rechtsanspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorsieht (vgl. VwGH 17.1.2023, Ra 2021/13/0014, mwN) und keine § 24 Abs. 4 VwGVG (bzw. in Verwaltungsstrafsachen § 44 Abs. 4 VwGVG) vergleichbare Möglichkeit des Absehens von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ungeachtet eines Parteiantrages kennt (vgl. VwGH 5.9.2024, Ra 2022/16/0083, mwN). Das Bundesfinanzgericht hätte somit jedenfalls und zwar unabhängig davon, ob (so die Begründung des Bundesfinanzgerichtes) der entscheidungsrelevante Sachverhalt als nicht weiter aufklärungsbedürftig erschienen seieine mündliche Verhandlung durchführen müssen (vgl. allerdings zur allenfalls notwendigen Darlegung der Relevanz dieses Verfahrensmangels im Revisionsverfahren etwa VwGH 10.3.2016, Ra 2015/15/0041; 22.10.2024, Ra 2024/13/0103, mwN).
22Der Ausspruch über den Aufwandersatz (in beantragter Höhe) gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
23Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 26. März 2025