Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revision des J S, vertreten durch Mag. Christian Hirsch, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 21. Juli 2023, Zl. LVwG AV 1631/001 2023, betreffend eine Angelegenheit nach dem Führerscheingesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit dem angefochtenen Erkenntnis entzog das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Bestätigung des im Vorstellungsweg ergangenen Bescheides der belangten Behörde vom 17. Februar 2023 dem Revisionswerber gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 iVm. § 26 Abs. 2a Führerscheingesetz (FSG) die Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge bestimmter Klassen bis zur Befolgung einer als begleitende Maßnahme angeordneten, innerhalb der Entziehungsdauer zu absolvierenden Nachschulung, jedenfalls aber für sechs Monate ab Zustellung des im Vorstellungsweg ergangenen Bescheides mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Nachschulung nunmehr auf § 24 Abs. 3 Z 1a FSG gestützt wurde. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
2Dem legte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes zu Grunde: Der Revisionswerber, der drei rechtskräftige und noch nicht getilgte verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO 1960) aufweise, habe am 20. Dezember 2022 zu einer bestimmten Uhrzeit auf der Autobahn A 2 in einem näher bezeichneten Streckenabschnitt ein Kraftfahrzeug bei regem Verkehr (kein Kolonnenverkehr) auf dem vierten Fahrtstreifen gelenkt. Er sei zunächst dem Fahrzeug einer Zivilstreife und in der Folge, nach dessen Fahrstreifenwechsel, einem weiteren Fahrzeug derart knapp aufgefahren, dass er über eine Fahrstrecke von etwa 300 m mit einer Fahrgeschwindigkeit von zumindest 146 km/h einen Tiefenabstand von jeweils weniger als 6 m eingehalten habe, sodass ihm ein rechtzeitiges Anhalten nicht möglich gewesen wäre, wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre.
3 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich dieser Feststellungen insbesondere auf die als glaubwürdig und nachvollziehbar erachteten Aussagen der beiden als Zeugen in der Beschwerdeverhandlung einvernommenen Polizisten, die die Zivilstreifenfahrt durchgeführt und eine entsprechende Erfahrung hätten. Diese unterlägen aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Stellung der Wahrheitspflicht und müssten anders als der Revisionswerber bei deren Verletzung mit straf- und disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen. Sie hätten an Hand der Kilometrierung die maßgebliche Fahrtstrecke (jeweils ca. 300 m) ermittelt, den vom Revisionswerber eingehaltenen Sicherheitsabstand an Hand der Länge einer Leitlinie. Dabei sei für sie genau erkennbar gewesen, dass der Revisionswerber zweimal über eine Strecke von jeweils rund 300 m nicht einmal die Länge einer Leitlinie, also nicht einmal einen Abstand von sechs Metern, zum vorderen Fahrzeug, eingehalten habe.
4 Die Geschwindigkeit von zumindest 146 km/h legte das Verwaltungsgericht auf Basis eines vom Revisionswerber vorgelegten Auszugs aus einem von ihm im Fahrzeug verwendeten GPS Ortungs Programm zugrunde.
5Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, der festgestellte Sachverhalt falle unter § 7 Abs. 3 Z 3 FSG, weil der Revisionswerber mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeugs maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen habe, indem er bei regem Verkehr und überhöhter Geschwindigkeit mehrmals bewusst massiv den Sicherheitsabstand zum jeweils vor ihm fahrenden Fahrzeug unterschritten und keinen solchen Abstand eingehalten habe, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre. Ein solches Verhalten bewirke die Gefahr von Unfällen mit sehr schweren Folgen. Da er erstmalig ein Delikt gemäß § 7 Abs. 3 Z 3 FSG begangen habe, sei ihm die Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs. 2a FSG zwingend für die Dauer von mindestens sechs Monaten zu entziehen und eine Nachschulung gemäß § 24 Abs. 3 Z 1a FSG anzuordnen gewesen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung erstattete.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung die Auffassung zu Grunde gelegt, dass der Revisionswerber durch das festgestellte Verhalten eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z 3 FSG verwirklicht habe, weil das mehrmalige bewusste und massive Unterschreiten des erforderlichen Sicherheitsabstandswomit der Sache nach ein Verstoß gegen das Gebot des § 18 Abs. 1 StVO 1960 angesprochen wurdeeine besondere Rücksichtslosigkeit darstelle. Es sei deshalb die Lenkberechtigung gemäß § 26 Abs. 2a FSG für die Dauer von sechs Monaten zu entziehen und gemäß § 24 Abs. 3 Z 1a FSG eine Nachschulung anzuordnen gewesen.
11Gemäß § 7 Abs. 3 Z 3 FSG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des § 7 Abs. 1 FSG insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat.
12 Als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gilt u.a. nach lit. b insbesondere das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat, wenn diese Übertretung mit technischen Messgeräten festgestellt wurde.
13§ 7 Abs. 3 Z 3 FSG geht im Kern zurück auf die Novelle BGBl. I Nr. 15/2005. In den Gesetzesmaterialien dazu (RV 794 Blg. NR 22. GP, 5) wird ausgeführt:
„Zu Z 3:
In die beispielhafte Aufzählung der besonders gefährlichen Verhältnisse wird das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren aufgenommen, sofern der Abstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat. Diese Ergänzung dient nur zur Klarstellung, da es bereits derzeit bei den Behörden gängige Praxis ist, bei diesem Delikt die Lenkberechtigung zu entziehen. Dies soll jedoch nur dann gelten, wenn die Übertretung mit technischen Messgeräten, die den maß- und eichrechtlichen Vorschriften unterliegen, festgestellt wurde. Bei Messungen mit derartigen Geräten ist es nach dem Stand der Technik ausgeschlossen, dass Fahrzeuge nur deswegen erfasst werden, weil sich ein anderer Fahrzeuglenker nach einem Spurwechsel vor das erfasste Fahrzeug gedrängt hat und deshalb für kurze Zeit der zeitliche Sicherheitsabstand nicht eingehalten wurde. Darüber hinaus dient die Ergänzung der eindeutigen Abgrenzung zum Vormerksystem, da Sicherheitsabstände zwischen 0,2 und 0,4 Sekunden künftig zu einer Vormerkung führen sollen.“
14Für die Verwirklichung des Entziehungstatbestandes des § 26 Abs. 2a FSG (Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG genannten Übertretung) ist eine Bestrafung nicht erforderlich. Liegt eine solche jedoch vor, sind die Führerscheinbehörden daran gebunden.
15Liegt hingegen im Zeitpunkt der Entscheidung der mit der Entziehung der Lenkberechtigung befassten Behörde (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vor, hat sie die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene Verwaltungsgericht (vgl. VwGH 26.8.2022, Ra 2021/11/0182, mwN).
16Unabdingbare Voraussetzung für das Vorliegen einer bestimmen Tatsache iSd § 7 Abs. 3 Z 3 FSG ist nämlich, ausgehend vom klaren Wortlaut dieser Bestimmung, die „Übertretung von Verkehrsvorschriften“ (vgl. VwGH 21.11.2017, Ra 2017/11/0261).
17Die Aufzählung der Verhaltensweisen, die geeignet sind, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen und damit eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs. 1 FSG begründen, in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG ist lediglich eine demonstrative (vgl. VwGH 11.7.2025, Ra 2024/11/0204, mwN).
18 Vor dem dargestellten Hintergrund zeigt die für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebende Zulässigkeitsbegründung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf:
19Der Vorwurf, die Begründung des Verwaltungsgerichts über die Unzulässigkeit der Revision sei unzureichend, ist schon deshalb nicht zielführend, weil selbst das gänzliche Fehlen einer Zulässigkeitsbegründung die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen vermag (VwGH 30.6.2016, Ra 2016/19/0103).
20Wenn die Revision weiters unter dem Blickwinkel des Abweichens von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 21.1.1997, 96/11/0279) geltend macht, die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung würde eine Entziehung der Lenkberechtigung für sechs Monate nicht rechtfertigen, so ist ihr entgegenzuhalten, dass die Entziehung der Lenkberechtigung des Revisionswerbers nicht wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgte, sondern aufgrund der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG genannten Übertretung. Das insoweit geltend gemachte Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht daher nicht.
21Der weiter geltend gemachte Verstoß gegen näher zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, weil die festgestellte Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstands nicht durch technische Messgeräte objektiviert worden sei, liegt schon deshalb nicht vor, weil die referierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes Übertretungen des im Revisionsfall nicht unmittelbar relevanten § 99 Abs. 2c Z 4 StVO 1960 betreffen.
22Im Übrigen: Gemäß § 7 Abs. 3 Z 3 FSG begründet eine mit technischen Messgeräten festgestellte Unterschreitung des zeitlichen Sicherheitsabstands von 0,2 Sekunden beim Hintereinanderfahren jedenfalls, also unabhängig von weiteren Voraussetzungen im Einzelfall, eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs. 1 FSG. Daraus ist aber wegen des demonstrativen Charakters der Aufzählung im Gesetz nicht abzuleiten, eine nicht durch technische Messgeräte festgestellte Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstands könne keine bestimmte Tatsache begründen.
23 Das Verwaltungsgericht stützte seine Feststellungen zur Fahrweise des Revisionswerbers auf die Aussagen der beiden in der Beschwerdeverhandlung als Zeugen vernommenen Polizisten.
24Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der in einem Einzelfall erfolgten Beweiswürdigung liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer grob fehlerhaften, unvertretbaren Weise vorgenommen hat, sodass dadurch die Rechtssicherheit beeinträchtigt ist (vgl. etwa VwGH 24.5.2024, Ra 2024/03/0054, mwN).
25 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung fallbezogen nicht vertretbar wäre. Die Polizisten begründeten nachvollziehbar ihre Berechnung der gefahrenen Wegstrecke von zweimal mindestens 300 m (anhand der Kilometrierung) und des Abstands von nicht einmal sechs Metern zum vorderen Fahrzeug (anhand der Leitlinien).
26 Dass das Verwaltungsgericht mit seiner Beurteilung, das festgestellte Verhalten des Revisionswerbers, der jeweils bei einer Fahrgeschwindigkeit von zumindest 146 km/h bloß einen Tiefenabstand von nicht einmal 6 m zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug eingehalten hat, begründe einen Verstoß gegen die maßgebenden Verkehrsvorschriften mit besonderer Rücksichtslosigkeit, eine unvertretbare Einzelfallbeurteilung vorgenommen hätte, ist nicht zu erkennen: Der Sekundenweg bei 146 km/h beträgt nämlich etwa 40 m, mit einem Tiefenabstand von 6 m wurde also bloß ein zeitlicher Sicherheitsabstand von 0,15 Sekunden eingehalten.
27 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
28Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Oktober 2025
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