Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des Amts für Betrugsbekämpfung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 14. März 2023, Zl. LVwG 2022/27/1905 3, betreffend Übertretung des LSD BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck; mitbeteiligte Partei: M H in Deutschland), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis vom 8. Juni 2022 erkannte die belangte Behörde den Mitbeteiligten als Verantwortlichen der H Zimmerei mit Sitz in Deutschland schuldig, er habe es zu verantworten (Tatzeitpunkt: 24. September 2021; Tatort in S in Tirol), dass das genannte Unternehmen als Arbeitgeberin drei namentlich genannte Arbeitnehmer beschäftigt habe und die Meldung betreffend deren Entsendung vor der Arbeitsaufnahme an die Zentrale Koordinationsstelle nicht erstattet worden sei. Die Meldung der Entsendung habe am Kontrolltag, dem 24. September 2021, weder elektronisch zugänglich gemacht noch den Kontrollorganen vorgelegt werden können. Dadurch habe der Mitbeteiligte eine Verwaltungsübertretung gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm. § 19 Abs. 1 und 2 Lohn und Sozialdumping Bekämpfungsgesetz (LSD BG) begangen, weshalb über ihn gemäß § 26 Abs. 1 LSD BG eine Geldstrafe in der Höhe von € 3.000, (Ersatzfreiheitsstrafe: 30 Tage) verhängt und er zur Zahlung eines Beitrags zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in der Höhe von € 300, verpflichtet wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Tirol der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob das genannte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht - auf das im Revisionsfall Wesentliche zusammengefasst - aus, dem Mitbeteiligten sei im Straferkenntnis der belangten Behörde vom 8. Juni 2022 die Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm. § 19 Abs. 1 und 2 LSD BG in seiner Funktion als „Verantwortlicher“ der H Zimmerei vorgeworfen worden. Diese Umschreibung der Tätereigenschaft lasse die Merkmale nicht erkennen, aus denen sich die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten im Sinn von § 9 VStG ergebe. Der Spruch des Straferkenntnisses entspreche daher nicht dem Konkretisierungsgebot des § 44a Z 1 VStG. Auch der Begründung des Straferkenntnisses sowie der Aufforderung zur Rechtfertigung sei nicht näher zu entnehmen, in welcher konkreten Funktion der Mitbeteiligte zur Verantwortung gezogen werde. Da innerhalb der einjährigen Frist für die Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 VStG) gegen den Mitbeteiligten keine taugliche Verfolgungshandlung im Sinn von § 32 Abs. 2 VStG gesetzt worden sei, sei im vorliegenden Fall Verfolgungsverjährung eingetreten, weshalb das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Amts für Betrugsbekämpfung, dessen Revisionslegitimation sich aus Art. 133 Abs. 8 B VG iVm. § 32 Abs. 1 Satz 1 Z 1 und Satz 2 LSD BG ergibt.
5 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG macht die Revision unter dem Gesichtspunkt einer Abweichung von der hg. Rechtsprechung geltend, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass eine Verfolgungshandlung im Sinn von § 32 Abs. 2 VStG nicht voraussetze, dass etwa dem gemäß § 9 VStG verantwortlichen Organ einer juristischen Person die Begehung einer Verwaltungsübertretung in einer näher konkretisierten Organfunktion vorgeworfen werde. Auch wenn das Straferkenntnis vom 8. Juni 2022 keine Konkretisierung jener Eigenschaft enthalten habe, in der dem Mitbeteiligten die gegenständliche Verwaltungsübertretung zur Last gelegt werde, sei fallbezogen entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts eine rechtzeitige Verfolgungshandlung gesetzt worden. Eine § 44a Z 1 VStG entsprechende Konkretisierung des Merkmals, aufgrund dessen der Mitbeteiligte verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen sei, hätte durch das Verwaltungsgericht in Form einer Präzisierung des Spruchs des Straferkenntnisses erfolgen müssen.
6 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung. Die belangte Behörde übermittelte ebenfalls einen Schriftsatz, in dem sie sich der in der Revision des Amts für Betrugsbekämpfung vertretenen Rechtsauffassung anschloss.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die Revision erweist sich aus dem von ihr bezeichneten Grund als zulässig und begründet.
8 Fallbezogen ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, mangels tauglicher Verfolgungshandlung im Sinn von § 32 Abs. 2 VStG stehe der Eintritt der Verfolgungsverjährung der Bestrafung des Mitbeteiligten entgegen:
9 Obgleich die nach § 32 Abs. 2 VStG erforderliche Verfolgungshandlung nur dann im Sinn einer Unterbrechung der Verjährungsfrist ausreichend ist, wenn dem Beschuldigten das vorgeworfene Verhalten hinsichtlich aller maßgeblichen Tatbestandselemente vorgehalten wird, kommt es in diesem Stadium des Verfahrens auf eine (zutreffende) rechtliche Qualifikation des Verhaltens im Zusammenhang mit der Verfolgungshandlung (noch) nicht an; die Verfolgungshandlung bezieht sich nur auf die Tat selbst, nicht auf deren rechtliche Wertung. In diesem Sinn ist es auch ohne Belang, ob der Beschuldigte die Tat in eigener Verantwortung oder als zur Vertretung nach außen berufenes Organ einer Gesellschaft oder als verantwortlicher Beauftragter zu verantworten hat, weil diese Fragen nicht Tatbestandselement der ihm zur Last gelegten Übertretung sind, sondern ein die Frage der Verantwortlichkeit der von Anfang an als beschuldigt angesprochenen Person betreffendes Merkmal, das aber auf die Vollständigkeit der Verfolgungshandlung im Sinn des § 32 VStG ohne Einfluss ist. Es ist daher nicht als rechtswidrig gesehen und das Vorliegen der Verjährung verneint worden, wenn dem Beschuldigten erstmals in der Entscheidung über dessen Rechtsmittel gegen das Straferkenntnis, und zwar nach Ablauf der Frist des § 31 Abs. 2 VStG, vorgeworfen wurde, die Übertretung in seiner Eigenschaft als Verantwortlicher nach § 9 VStG begangen zu haben (vgl. VwGH 14.10.2016, Ra 2016/09/0093, mwN).
10 Zu § 9 Abs. 1 VStG etwa, welcher die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften regelt, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, dass diese Gesetzesstelle zwar festlegt, wer unter bestimmten Voraussetzungen als strafrechtlich Verantwortlicher anzusehen ist. Sie normiert jedoch kein zusätzliches, zum Tatbild der jeweiligen Strafnorm hinzutretendes Tatbestandselement, das mit der Änderung des Rechtsgrundes der Heranziehung zur strafrechtlichen Haftung gleichfalls eine Änderung erführe. Demnach findet allein durch die Aufrechterhaltung des Schuldspruches des erstbehördlichen Straferkenntnisses durch die Rechtsmittelinstanz mit der Maßgabe, dass dem Beschuldigten die Straftat nicht für seine Person, sondern als Organ einer juristischen Person zuzurechnen sei, weder eine Auswechslung oder eine Überschreitung der Sache des Beschwerdeverfahrens statt, noch ist die richtige und vollständige Angabe des die Verantwortlichkeit des Beschuldigten konstituierenden Merkmales für die Tauglichkeit einer Verfolgungshandlung von Belang (vgl. VwGH 1.4.2022, Ra 2022/02/0042, ebenfalls mwN).
11 Für die Tauglichkeit einer Verfolgungshandlung ist somit nicht gefordert, dass dem individuell bestimmten Beschuldigten, wenn etwa § 9 Abs. 1 VStG zur Anwendung gelangt, auch vorgeworfen wird, er habe die Tat als zur Vertretung nach außen Berufener im Sinn des § 9 Abs. 1 VStG zu verantworten. Damit ist es im Stadium der Setzung von Verfolgungshandlungen auch nicht erforderlich, bereits die Art der Organfunktion konkret zu determinieren. Das Verwaltungsgericht, das verpflichtet ist, das die Verantwortlichkeit des Beschuldigten konstituierende Merkmal im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung richtig und vollständig anzugeben, ist auch berechtigt und verpflichtet, in seinem Erkenntnis eine Richtigstellung des von der Verwaltungsbehörde angesprochenen, vom Verwaltungsgericht aber allenfalls nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens als unzutreffend oder unzureichend erkannten Verantwortlichkeitsmerkmales vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0021, mwN).
12 Das Landesverwaltungsgericht Tirol vertrat hingegen die Rechtsauffassung, bereits die Verfolgungshandlung im Sinn von § 32 Abs. 2 VStG verlange eine nähere Konkretisierung der Eigenschaft des Mitbeteiligten, infolge derer er im Revisionsfall verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen sei. Diese Rechtsansicht erweist sich als unzutreffend. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Bestrafung des Mitbeteiligten scheitere gegenständlich am Fehlen einer rechtzeitigen und wirksamen Verfolgungshandlung und somit am Eintritt der Verfolgungsverjährung, trifft nicht zu. Das Verwaltungsgericht hätte das Verwaltungsstrafverfahren folglich nicht aus dem von ihm angeführten Grund einstellen dürfen, sondern im Fall des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen für eine Bestrafung des Mitbeteiligten den Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde mit einer entsprechenden Präzisierung der Eigenschaft des Mitbeteiligten, in der ihm die betreffende Verwaltungsübertretung zur Last zu legen ist, bestätigen müssen.
13 Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 4. Juni 2024