Spruch
W274 2293900-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 17.04.2024, Zl. 1329230006-223258751, wegen § 3 AsylG, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:
Der allein gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides gerichteten Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer (BF) wurde am 14.10.2022 ohne gültige Einreisepapiere bei einer schlepperunterstützten Einreise ins Bundesgebiet betreten, beantragte am selben Tag vor der PI Fremdenpolizei Wels internationalen Schutz und gab als Fluchtgrund an, in Syrien gäbe es keine Sicherheit und es gäbe dort terroristische Gruppen, denen er sich anschließen müsse. Außerdem sei er während seines Militärdiensts im Jahr 2012 desertiert.
Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) gab der BF am 27.09.2023 zusammengefasst an, er sei in XXXX /Idlib geboren und habe dort auch zuletzt gelebt. Al Nusra habe dort zuletzt die Kontrolle gehabt. Er habe sieben Jahre die Schule besucht und als Schneider, Friseur und in der Gastronomie gearbeitet. Er sei verheiratet und habe drei Töchter, die mit seiner Frau in der Türkei lebten. In Österreich lebten ein Onkel und ein Cousin. In Syrien befänden sich noch die Mutter und einige Geschwister. Er sei Ende 2014 aus Syrien in die Türkei ausgereist, nachdem er von Al Nusra geschlagen worden sei. Dreimal sei er wieder nach Syrien für Besuche zurückgekehrt.
Als Fluchtgrund gab der BF an, er sei vom Militär desertiert, weil er Kinder hätte töten müssen. Die Rebellen in Idlib hätten ihn zu rekrutieren versucht, wobei ihn sechs Personen von Al Nusra geschlagen hätten. Deshalb sei er in die Türkei gegangen. Es gäbe keine direkte Zwangsrekrutierung in Idlib, sondern man werde solange unter Druck gesetzt, bis man freiwillig einrücke.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF nicht feststehe. Der BF habe seinen Militärdienst bereits abgeleistet. Seine Heimatregion stehe aktuell nicht unter Kontrolle der syrischen Regierung. Es bestehe daher in seiner Heimatregion keine Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung oder Verfolgung durch die dort kontrollierenden Gruppen. Zudem sei die Region über einen der nicht von der syrischen Regierung kontrollierten Grenzübergänge über die Türkei oder den Irak grundsätzlich erreichbar. Es bestehe für den BF jedoch im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung derzeit eine nicht ausreichende Lebenssicherheit.
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, eine Desertion des BF sei nicht glaubhaft, weil er über einen Personalausweis verfüge, der Männern beim Einrücken abgenommen werde. Aufgrund fehlender Kontrolle des syrischen Regimes in seiner Heimatregion herrsche dort kein verpflichtender Wehrdienst. Die behauptete Rekrutierung durch Al Nusra erscheine nicht plausibel, zumal der BF nach seiner Ausreise 2014 mehrmals nach Syrien zurückgekehrt sei. Auch seine Angaben zum angeblichen indirekten Zwang durch Vorschriften betreffend das Rasieren von Bärten oder das Abgeben der Ernte seien nicht überzeugend. Zudem gäbe es bei den oppositionellen Gruppen SNA und HTS grundsätzlich keine Wehrdienstpflicht.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.
Allein gegen Spruchpunkt I. wendet sich die Beschwerde des BF mit dem Antrag, dem BF nach mündlicher Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Der BF brachte darin zusammengefasst vor, er sei zwar in Idlib geboren, jedoch in Aleppo Stadt aufgewachsen, wo er 18 Jahre lang gelebt habe. Aufgrund seiner Desertion habe er Aleppo verlassen müssen, weshalb er dann etwa zweieinhalb Jahre in Idlib gelebt habe. Dort hätten oppositionelle Gruppierungen wie die Al Nusra immer wieder Druck auf ihn ausgeübt, um ihn dazu zu bringen, für sie zu kämpfen. Sie hätten ihn auch geschlagen und dabei am Kopf verletzt, wobei die Narben immer noch sichtbar seien. Aufgrund dieser Probleme habe er 2014 Syrien in Richtung Türkei verlassen. Nach seiner Ausreise sei er noch dreimal zu Besuch nach Syrien zurückgekehrt. Dies sei jeweils zum Zuckerfest gewesen, als die Grenzen leichter geöffnet gewesen seien. Er befürchte im Fall seiner Rückkehr Verfolgung durch Al Nusra, weil sich diese strikt an die Gesetze der Scharia halte, während der BF westlich orientiert sei, nicht faste und nicht bete. Er wolle sich nicht an deren Kleidungsvorschriften halten und sei Raucher. Ebenso drohe ihm durch das syrische Regime Verfolgung aufgrund seiner Desertion, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung im Ausland. Eine Rückkehr ohne Kontakt mit dem syrischen Regime sei nicht sicher möglich. Der Vorfall mit Al Nusra bei der Ölpresse sei im Jahr 2018 gewesen.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem BVwG mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie langte beim BVwG am 18.06.2024 ein.
Nach individuellem Parteiengehör vom 20.12.2024, in dem auf die geänderte Lage in Syrien aufgrund des Sturzes von Baschar al-Assad von Dezember 2024 verwiesen wurde, führte der BF im Rahmen seiner Stellungnahme vom 17.01.2025 zusammengefasst aus, es habe von Seiten der HTS (ehemals Al Nusra) immer wieder Rekrutierungsversuche beim BF gegeben. Die HTS habe ihn auch mit einer Waffe geschlagen und am Kopf verletzt. Der BF werde daher von HTS als Befürworter des alten Regimes angesehen. Zudem handle es sich dabei um eine „sehr extremistisch radikalislamistische“ Gruppierung, die sich streng an die Gesetze der Scharia halte. Der BF sei nunmehr seit acht Jahren nicht mehr in Syrien aufhältig und bereits westlich orientiert. Er halte sich nicht an die strengen religiösen Vorschriften und trinke auch Alkohol. Er äußere sich immer wieder ablehnend gegenüber Gott. Aus diesen Gründen befürchte er Verfolgung durch die HTS. Auch als Sunnit sei er von dieser Bedrohung betroffen. Sein Bruder, der noch in Idlib lebe, habe nach dem Sturz des Assad-Regimes beide Beine durch eine Mine verloren. Zudem sei die weitere Entwicklung der Lage nach dem Sturz des Assad-Regimes völlig unklar, sodass es an einer wesentlichen Grundlage für die Entscheidung fehle. Verwiesen werde in diesem Zusammenhang auf die höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Afghanistan. Die nunmehr regierende HTS werde von UNO, EU und USA als Terrororganisation eingestuft, sei in der Vergangenheit brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gewesen. Seitens der HTS seien Zwangsrekrutierungen und allgemeine Verfolgung von Andersdenkenden zu befürchten. Außerdem gäbe es weitere Unsicherheitsfaktoren und es werde auf die UNHCR-Position zu Rückführungen nach Syrien verwiesen.
Am 12.03.2025 langten von der RD Oberösterreich der belangten Behörde – für die Beurteilung des Falles letztlich irrelevante - Übersetzungen des Militärdienstbuches (in 2 Teilen) ein.
Am 13.03.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen wurde. Seitens des Gerichts wurden der RV „Individuelle Länderinformationen Syrien nach Sturz ASSAD-Regime“ (Stand 11.03.2025), erstellt u.a. anhand von Presseberichten mit Verweisen auf die Quellen, übergeben und darauf hingewiesen, dass sich das Gericht im Hinblick auf die aktuellen Entwicklungen auch an diesen Quellen orientiere. Vor allem werde auch auf die allerjüngsten Entwicklungen, die Kämpfe zwischen Alawiten und Milizen insbesondere im Nordwesten von Syrien und eine getroffene Einigung mit den Kurden, verwiesen.
Der BF verwies durch seine RV auf die „Massaker in Latakia“ vor wenigen Tagen und auf den Hinweis der Staatendokumentation des BFA zum Wehrdienst, wonach das Themendossier zum Wehrdienst auf Grund derzeit nicht absehbare Entwicklung auf absehbare Zeit nicht weiter aktualisiert werde (Themendossier Wehrdienst in ECOI vom 23.09.2024 samt Anmerkung vom 09.12.2024).
Aufgrund dessen steht folgender Sachverhalt fest:
Zum Beschwerdeführer:
Der BF wurde am XXXX in XXXX im Gouvernement Idlib geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Araber und Muslim sunnitischer Richtung. Er wuchs in Aleppo Stadt auf und erfuhr eine siebenjährige Schulbildung. Er leistete ab 2011 seinen Grundwehrdienst in der syrischen arabischen Armee. Nicht festgestellt werden konnte, dass er 2012 nach einer Freistellung unerlaubt die Armee verließ. Zuletzt lebte er in XXXX , bevor er 2014 Syrien in Richtung Türkei verließ. In der Folge kehrte er noch drei Mal (2015 zur Eheschließung, 2017 und 2018) für jeweils etwa eineinhalb Monate nach XXXX zurück. Der BF arbeitete 15 Jahre als Schneider (in Syrien), 2 Jahre als Friseur und 4 Jahre in der Gastronomie (in der Türkei).
Der BF ist seit 2015 mit XXXX verheiratet und hat mit ihr drei Kinder. Diese leben in der Türkei, ebenso wie ein Bruder des BF. In Syrien leben noch die Mutter, ein Bruder und zwei Schwestern des BF.
Aleppo Stadt sowie XXXX stehen aktuell (nach dem Sturz des Assad-Regimes Ende 2024) unter Kontrolle der Regierung unter Ahmed al-Scharaa.
Der BF ist in Österreich unbescholten.
Für den BF besteht keine Gefahr, dass er in Aleppo Stadt oder XXXX (samt näherer Umgebung) durch das (nicht mehr existierende) syrische Regime zum Militärdienst rekrutiert bzw. wegen einer Desertion oder aus sonstigen Gründen bestraft würde.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass Al Nusra/HTS versucht hätte, den BF in Syrien zwangsweise zu rekrutieren, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Syrien eine Zwangsrekrutierung durch HTS droht oder er wegen vergangener Nichteinrückung zu HTS vom nunmehrigen Regime als Befürworter des Assad-Regimes angesehen und in diesem Zusammenhang verfolgt wird.
Letztlich kann auch nicht festgestellt werden, dass dem BF vom aktuellen Regime „wegen westlicher Orientierung“ oder Nichtbeachtung islamischer Verhaltensregeln unverhältnismäßige Gefängnisstrafen, sonstige Verfolgung oder mangelnder Schutz vor solcher Verfolgung drohen. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem BF Entführung „als Sunnite“ droht.
Zur relevanten Situation in Syrien:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba‘ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Demonstranten, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein immer komplexer werdender bewaffneter Konflikt.
Ab März 2020 trat der Konflikt in eine Patt-Phase ein, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Dabei kontrollierte die syrische Regierung unter Präsident Assad („syrisches Regime“) rund 60% des syrischen Staatsgebietes, während der Nordosten Syriens unter Herrschaft kurdischer Kräfte stand, mit der Türkei alliierte Rebellengruppen Teile des Nordens kontrollierten und die islamistische Gruppierung HTS über einen Teil der Provinzen Idlib und Aleppo im Nordwesten herrschte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) vom 27.03.2024, S. 16).
Für männliche syrische Staatsbürger war im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren in der syrisch-arabischen Armee des syrischen Regimes gesetzlich verpflichtend. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mussten mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Gesetz waren in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu verpflichtet, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer militärärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wurde man einberufen, um den Wehrdienst zu leisten, sofern kein Ausnahmegrund (Studium, medizinische Gründe, einziger Sohn der Familie) vorlag (LIB, S. 119). Nach Ableistung des Wehrdienstes blieb ein syrischer Mann Reservist und konnte bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (LIB, S. 124). Eine Durchsetzung der Wehrpflicht durch Zwangsrekrutierung war dem syrischen Regime im Wesentlichen nur im eigenen Herrschaftsgebiet möglich (LIB, S. 123f.).
Wehrdienstverweigerung wurde aber vom syrischen Regime zuletzt nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das Regime war sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land lediglich verlassen hatten, um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich gegen Bezahlung einer Geldsumme von der Wehrpflicht „freizukaufen“ (LIB, S. 144).
Personen, die unter dem Verdacht standen, sich oppositionell zu engagieren, oder als regimekritisch wahrgenommen wurden, unterlagen einem besonders hohen Folterrisiko seitens des Regimes. In vielen Fällen wurden auch Familienmitglieder solcher Personen als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen ihrer Angehörigen inhaftiert (LIB, S. 165).
Das sowohl von den USA als auch den UN als Terrororganisation eingestufte Milizenbündnis HTS versuchte in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Ihr wurden in dieser Zeit Menschenrechtsverletzungen (auch gegenüber religiöser Minderheiten) und u.a. willkürliche Verhaftungen, mangelnde Rechtsstaatlichkeit auf Basis einer religiösen Gerichtsbarkeit, gewaltsame Niederschlagungen von Protesten sowie das Verschwindenlassen von Personen vorgeworfen (LIB, S. 11, 35, 90, 169). Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF in Syrien von durch HTS-Angehörige begangenen Menschenrechtsverletzungen betroffen wäre.
Durch eine am 27.11.2024 gestartete Großoffensive unter HTS-Führung gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 08.12.2024 zu einem Machtwechsel in Syrien: Assad setzte sich nach Russland ab, HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung. Die nunmehr machtausübenden Akteure haben insgesamt eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, der diesbezügliche Zeitplan beinhaltet die Ausarbeitung einer neuen Verfassung binnen drei Jahren und die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren. Die Soldaten der von Assad befehligten Syrischen Arabischen Armee (SAA) wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der SAA gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.
Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:
„Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf […] Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. (…)
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind, und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.
[…]
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein.
[…]
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.
[…]
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben.“
Auszüge aus der „Informationssammlung zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad“ des ECOI
Wie es dazu kam
Am 27.11.2024 startete die militante islamistische Gruppe HTS, deren Kontrolle sich bis dahin auf Teile der Provinzen Aleppo und Idlib beschränkt hatte, mit verbündeten Rebellenfraktionen eine Großoffensive im Nordwesten Syriens. Die Rebellen eroberten zunächst Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes. Am 05.12.2024 fiel die Stadt Hama und zwei Tage darauf die drittgrößte Stadt Syriens, Homs (BBC, 08.12.2024; Der Standard, 08.12.2024; ISPI, 08.12.2024). Am 08.12.2024 marschierten die von HTS angeführten Rebellen in Damaskus ein. Am selben Tag verließ Baschar al-Assad das Land (ARD, 08.12.2024).
Wer sind die wichtigsten Rebellengruppen?
Die syrischen Gruppen, die Al-Assad gestürzt und die Hauptstadt Damaskus eingenommen haben, sind heterogen (ARD, 08.12.2024) mit teils gegensätzlichen Ideologien und langfristigen Zielen (DW, 09.12.2024; Reuters, 09.12.2024):
HTS
Die mächtigste Gruppe in Syrien, die den Vormarsch der Rebellen anführte, ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Sie begann als offizieller al-Qaida-Ableger in Syrien unter dem Namen Nusra-Front und verübte bereits zu Beginn des Aufstands gegen Assad Angriffe in Damaskus. Die Gruppe durchlief mehrere Namensänderungen und gründete schließlich als HTS eine Regierung in der Provinz Idlib, im Nordwesten Syriens. Die USA, Türkei und andere stufen HTS und ihren Anführer, Ahmed al-Scharaa (auch Abu Mohammed al-Dscholani genannt), als Terroristen ein (Reuters, 08.12.2024; BBC, 08.12.2024; DW, 09.12.2024).
Syrische Nationalarmee (SNA)
Die SNA ist eine zersplitterte Koalition unterschiedlicher bewaffneter Gruppen (DW, 09.12.2024), die mit direkter türkischer Militärunterstützung einen Gebietsabschnitt entlang der syrisch-türkischen Grenze halten (Reuters, 08.12.2024). Trotz interner Spaltungen pflegen viele SNA-Fraktionen enge Bindungen zur Türkei, wie die Sultan-Suleiman-Schah-Brigade, die al-Hamza-Division und die Sultan-Murad-Brigade. Andere Fraktionen der Gruppe versuchen trotz ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei ihre eigenen Ziele durchzusetzen (DW, 09.12.2024). Als HTS und verbündete Gruppen aus dem Nordwesten Anfang Dezember auf von Assads Regierung kontrolliertes Gebiet vorrückten, schloss sich ihnen auch die SNA an und kämpfte im Nordosten sowohl gegen Regierungstruppen als auch kurdisch geführte Kräfte (Reuters, 08.12.2024). Der Vormarsch der Rebellen gegen die Regierungstruppen wurde Berichten zufolge von der Türkei unterstützt (ARD, 08.12.2024).
Syrische Demokratische Kräfte (SDF)
Die SDF sind ein Bündnis kurdischer und arabischer Milizen, das von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wird. Sie kontrollieren den größten Teil Syriens östlich des Euphrats, sowie einige Gebiete westlich des Flusses. Mit der aktuellen Offensive kam es auch zu Kämpfen zwischen den SDF und der SNA (Reuters, 08.12.2024).
Sonstige
Neben den genannten Gruppen gibt es in Syrien eine Vielzahl lokaler Gruppierungen, die sich gegen al-Assad gestellt haben. Diese vertreten ein breites Spektrum islamistischer und nationalistischer Ideologien. Im Norden schlossen sich einige von ihnen dem Militäroperationskommando der HTS an. Im Süden dominierende Gruppen erhoben sich in der aktuellen Situation und nahmen den Südwesten Syriens ein (Reuters, 08.12.2024).
Neueste Entwicklungen:
Die neue Übergangsregierung und Ahmed al-Scharaa (Führer der HTS)
Mohammed Al-Baschir, der bis zum Sturz Baschar Al-Assads die mit HTS verbundene Syrischen Heilsregierung im Nordwesten Syriens geleitet hatte, wurde am 10.12.2024 als Interimspremierminister mit der Leitung der Übergangsregierung des Landes bis zum 01.03.2025 beauftragt (MEE, 10.12.2024; Al Jazeera, 10.12.2024). Die Minister der Syrischen Heilsregierung übernahmen vorerst die nationalen Ministerposten. Laut dem Congressional Research Service (CRS) seien einige Regierungsbeamten und Staatsangestellte der ehemaligen Regierung weiterhin im Regierungsapparat beschäftigt (CRS, 13.12.2024). Am 21.12.2024 ernannte die Übergangregierung Asaad Hassan Al-Schibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister. Beide seien Verbündete des HTS-Anführers Ahmed Al-Scharaa (Al-Jazeera, 21.12.2024). Am 29.12.2024 legte Al-Sharaa in einem Interview mit dem saudischen Fernsehsender Al-Arabiyya dar, dass es bis zu vier Jahre dauern könne, bis Wahlen stattfinden werden, da die verschiedenen Kräfte Syriens einen politischen Dialog führen und eine neue Verfassung ausarbeiten müssten (AP, 29.12.2024). Die Ausarbeitung einer solchen könnte bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen. Die Rebellengruppe HTS soll im Rahmen eines nationalen Dialogs aufgelöst werden (DiePresse.com, 29.12.2024).
Al-Scharaa erklärte am 17.12.2024, dass alle Rebellenfraktionen aufgelöst und in die Reihen des Verteidigungsministeriums integriert werden würden (The Guardian, 17.12.2024; DiePresse.com, 24.12.2024). Am 29.12.2024 sagte Al-Sharaa in einem Interview, dass das syrische Verteidigungsministerium plant, auch die kurdischen Streitkräfte in seine Reihen aufzunehmen. Es gebe Gespräche mit den SDF zur Lösung der Probleme im Nordosten Syriens (Kurdistan24, 29.12.2024). Am 10.01.2025 bestätigte der Kommandeur der SDF, Mazloum Abdi, dass sich seine Streitkräfte in ein umstrukturiertes syrisches Militär integrieren würden (Shafaq News, 10.01.2025). AFP berichtete am 08.01.2024, dass laut einem Sprecher des Southern Operations Room, einer Koalition bewaffneter Gruppen aus der südlichen Provinz Dara‘a, die am 06.12.2024 gebildet wurde, um beim Sturz Assads zu helfen, die Kämpfer Südsyriens nicht mit einer Auflösung ihrer Gruppen einverstanden seien. Sie könnten sich jedoch eine Integration in das Verteidigungsministerium in ihrer momentanen Form vorstellen (France24, 08.01.2025).
Am 29.12.2024 wurde eine Liste mit 49 Personen, die zu Kommandeuren der neuen syrischen Armee ernannt wurden, veröffentlicht. Unter den Namen sind einige HTS-Mitglieder, sowie ehemalige Armeeoffiziere, die zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges desertierten. Laut Haid Haid, einem beratenden Mitarbeiter beim britischen Think Tank Chatham Haus, wurden die sieben höchsten Ränge mit HTS-Mitgliedern besetzt. Laut einem weiteren Experten seien auch mindestens sechs Nicht-Syrer unter den neuen Kommandeuren (France24, 30.12.2024; DiePresse.com, 30.12.2024).
Die neue Führung hatte sich seit ihrer Machtübernahme verpflichtet, die Rechte der Minderheiten zu wahren (The New Arab, 07.01.2025). Anfang Jänner 2024 kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung auf seiner Facebook-Seite einen neuen Lehrplan für alle Altersgruppen an, der eine stärker islamische Perspektive widerspiegelt und alle Bezüge zur Assad-Ära aus allen Fächern entfernt. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehörte unter anderem die Streichung der Evolutionstheorie und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht. Aktivisten zeigten sich besorgt über die Reformen (BBC News, 02.01.2025).
Herrschaftsbereich der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) und der SDF
Die von der Türkei unterstützte SNA führte ihre Offensive gegen die SDF und das Gebiet der DAANES fort. Die SNA nahm in den vergangenen Tagen Gebiete der nordwestlichen Region Shahba sowie die Stadt Manbidsch ein. Mit 10.12.2024 griffen SNA-Kämpfer den strategisch wichtigen Tischreen-Staudamm unter kurdischer Kontrolle in der Provinz Aleppo an (Rudaw, 10.12.2024), und rückten auf die Stadt Kobane vor (Al-Monitor, 10.12.2024). Am 11.12.2024 kam es nach Vermittlungen der US-Behörden zu einem Waffenstillstand in der Stadt Manbidsch. Das Abkommen sieht den Abzug der (mit den SDF verbündeten) „Manbij Military Council Forces“ vor (SOHR, 11.12.2024). Am 17.12.2024 wurde dieser Waffenstillstand bis zum Ende derselben Woche verlängert (Reuters, 17.12.2024). Am 18.12.2024 trat ein Waffenstillstandsabkommen in der Region Ain Al-Arab (auch Kobane) in Kraft (SOHR, 18.12.2024). Die SDF warfen der Türkei und ihren Verbündeten vor, sich nicht an das Waffenstillstandsabkommen zu halten und ihre Angriffe südlich von Kobane fortzusetzen. Zur gleichen Zeit gingen Einwohner der nordostsyrischen Stadt Qamischli auf die Straße, um den Widerstand der SDF gegen die Angriffe protürkischer Kämpfer in der Region zu unterstützen (France24, 19.12.2024). Am 21.12.2024 wurden laut SDF fünf ihrer Kämpfer bei Angriffen durch von der Türkei unterstützte Streitkräfte auf die Stadt Manbidsch getötet (Reuters, 21.12.2024). Das Pentagon erklärte am 30.12.2024, dass der Waffenstillstand zwischen der Türkei und den von den USA unterstützten SDF rund um die Stadt Manbidsch anhält (Reuters, 30.12.2024). Am selben Tag behauptete die SDF, dass die Türkei zwei Militärstützpunkte in der Nähe von Manbidsch aufbaut und mehrere Militärfahrzeuge und Radarsystem von den SDF zerstört wurden (Rudaw, 30.12.2024). Zur gleichen Zeit kam es erneuten Schusswechseln zwischen von der Türkei unterstützen Streitkräften und den SDF. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) griffen türkische Streitkräfte und mit ihnen verbündete bewaffnete Gruppen das Dorf al-Terwaziyah südlich von Slouk im ländlichen Raqqa mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren an, was anschließend zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Spezialeinheiten der SDF drangen in Stellungen von durch die Türkei unterstützen Fraktionen im Dorf Al-Reyhaniyah in der Nähe von Tel Tamer in der Provinz Hasaka ein (Kurdistan24, 30.12.2024). Anfang Jänner 2025 kamen bei Zusammenstößen in mehreren Dörfern rund um die Stadt Manbidsch über hundert Menschen ums Leben (The New Arab, 05.01.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von heftigen Kämpfen in der Region von Manbidsch zwischen der SNA und der SDF und steigenden Opferzahlen (Shafaq News, 09.01.2025).
Am 11.12.2024 übernahm die Koalition ehemaliger oppositioneller Kräfte unter HTS-Führung die vollständige Kontrolle über die ostsyrische Stadt Deir ez-Zor (Al Jazeera, 11.12.2024). Im Osten der Provinz Deir ez-Zor kam es zu Demonstrationen und der Forderung, die von HTS geführten Streitkräfte sollten die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Einige Kommandanten der SDF seien in Folge desertiert (Syria Direct, 13.12.2024).
Erklärungen der UN-Organisationen (Sicherheit, Sozioökonomische Situation, Flüchtlinge)
Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet, dass zwischen dem Beginn der Offensive am 27.11.2024 und dem 11.12.2024 etwa eine Million Menschen aus den Provinzen Aleppo, Hama, Homs und Idlib vertrieben wurden. Berichten zufolge kehrten im selben Zeitraum Tausende syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon ins Land zurück. Auch aus der Türkei kehrten Flüchtlinge in den Nordwesten Syriens zurück. Gleichzeitig flohen einige Syrer in den Libanon (UNHCR, 11.12.2024).
Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher berichtet am 17.12.2024 über kritische Engpässe bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Vorräten aufgrund unterbrochener Handelsrouten und Grenzschließungen (UN News, 17.12.2024).
Laut UNICEF benötigen 7,5 Million Kinder in Syrien humanitäre Hilfe. Mehr als 2,4 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und eine weitere Million Kinder läuft Gefahr, die Schule abzubrechen. Auch die Gesundheitsversorgung ist fragil. Fast 40% der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen sind teilweise oder vollständig funktionslos. Fast 13,6 Millionen Menschen benötigen Wasser, Sanitäranlagen und Hygienedienste; und 5,7 Millionen Menschen, darunter 3,7 Millionen Kinder, benötigen Nahrungsmittellieferungen (UNICEF, 18.12.2024).
Die UN berichtet, dass es in der Woche vom 23.12.2024 weiterhin zu Feindseligkeiten und Unsicherheiten in den Provinzen Aleppo, Homs, Hama, Latakia, Tartus, Deir ez-Zor und Quneitra kam. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage waren humanitäre Einsätze mit 30.12.2024 in mehreren Gebieten weiterhin ausgesetzt. Im November hatten rund zwei Millionen Menschen in ganz Syrien Nahrungsmittelhilfe in unterschiedlicher Form erhalten. Die instabile Sicherheitslage in den ländlichen Gebieten von Hama, Quneitra, Latakia und Tartus beeinträchtigte die Möglichkeit des Schulbesuches für Kinder (UN News, 30.12.2024).
Mit 29.12.2024 haben 94 der 114 von UNHCR unterstützten Gemeindezentren in ganz Syrien ihre Arbeit wiederaufgenommen. Seit dem 27.11.2024 haben sich 58.500 Personen an die Gemeindezentren gewandt, um sich anzumelden und um Zugang zu Schutzdiensten zu erhalten. Laut UNHCR kehrten zwischen dem 08.12.2024 und dem 29.12.2024 58.400 Personen nach Syrien (hauptsächlich aus dem Libanon, Jordanien und der Türkei) zurück. Seit Anfang 2024 (bis zum 29.12.2024) waren ungefähr 419.200 syrische Flüchtlinge zurückgekehrt; die Mehrheit von ihnen nach Raqqa (25%), Aleppo (20%) und Daraa (20%) (UNHCR, 30.12.2024).
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, erklärte in seinem Briefing an den UN-Sicherheitsrat am 08.01.2025, dass sich die Sicherheitssituation in einigen Regionen zwar verbesserte, es jedoch weiterhin zu Unruhen in den Küstenregionen, Homs und Hama kam. Bewaffnete Gruppen, darunter der IS und über 60 Gruppen mit widersprüchlichen Agenden würden ebenfalls eine anhaltende Bedrohung für die territoriale Integrität Syriens darstellen. Pederson berichtete weiters über den oben beschriebenen Konflikt zwischen SNA und SDF, sowie die Verstöße Israels. Auch die humanitäre Lage war nach wie vor kritisch: Fast 15 Millionen Syrer benötigten Gesundheitsversorgung, 13 Millionen waren von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen und über 620.000 waren Binnenflüchtlinge. Die am Tischreen-Staudamm verursachten Schäden schränkten die Wasser- und Stromversorgung für mehr als 400.000 Menschen ein (UN News, 08.01.2025).
Weiteres
Human Rights Watch bestätigt am 16.12.2024 den Fund eines Massengrabes im südlichen Damaskus (HRW, 16.12.2024).
Am 18.12.2024 startete der erste kommerzielle Flug seit dem Sturz von Baschar Al-Assad, ein Inlandsflug nach Aleppo, vom Flughafen Damaskus (Al-Jazeera, 18.12.2024).
Am Abend des 23.12.2024 setzten Unbekannte in Al-Suqaylabiyah in der Provinz Hama einen öffentlichen Weihnachtsbaum in Brand. Eine Person sei festgenommen worden, hieß es aus Kreisen der örtlichen Sicherheitsbehörden. Der Baum solle ausgebessert werden. Es würden keine Beleidigungen irgendeines Teiles des syrischen Volkes geduldet.
Seit der HTS-Machtübernahme der HTS fürchten Christen und andere Minderheiten Repressionen. „Wir haben das Recht, Angst zu haben“, sagte Priester Andrew Bahi der dpa in Damaskus. Die Atmosphäre bleibe weiterhin zweideutig. Die Aussagen der neuen Führung seien jedoch beruhigend. HTS-Anführer Ahmed al-Sharaa, auch bekannt als Abu Mohammed al-Golani, hatte nach Assads Sturz wiederholt betont, alle Volksgruppen in dem gespaltenen Land müssten respektiert und berücksichtigt werden. Ein christlicher Bewohner von Damaskus sagte, bisher habe es keine Beleidigungen oder Auseinandersetzungen mit der von den Rebellen gebildeten Übergangsregierung gegeben. „Wir haben die Geschäfte und Häuser nicht so dekoriert, wie wir es gewohnt sind, obwohl uns niemand davon abgehalten hat“, sagte er. In den sozialen Medien kursierten aber Berichte, die ihm Angst machten (DiePresse.com, 24.12.2024).
Ebenfalls rund um Weihnachten soll Berichten zufolge in Nordsyrien ein alawitischer Schrein in Brand gesetzt worden sein, was zu Protesten Tausender Alawiten an mehreren Orten des Landes führte. In Homs soll ein Demonstrant getötet worden sein, als Sicherheitskräfte das Feuer eröffneten, um die Menge zu zerstreuen. Die neue Regierung verhängte eine Ausgangssperre und sprach von Gerüchten, die von Assad-Anhängern ausgenützt würden, um das Land zu destabilisieren. Wer genau für den Angriff verantwortlich sei, bleibe laut Innenministerium unklar (ZEIT ONLINE, 25.12.2024).
Am 27.12.2024 töteten Anhänger von Baschar Al-Assad 14 Menschen bei Zusammenstößen mit Soldaten der neuen Regierung im Westen des Landes, nahe der Stadt Tartus (BBC News, 27.12.2024).
Syriens neuer Geheimdienstchef Anas Khattab hat die Auflösung aller Geheimdienstorganisationen und eine grundlegende Neuorganisation angekündigt (DiePresse.com, 29.12.2024).
Die Übergangsregierung in Syrien hat erstmals eine Frau zur geschäftsführenden Direktorin der Zentralbank ernannt. Maysaa Sabrine habe bereits zuvor wichtige Ämter in der Zentralbank innegehabt, darunter die Position der ersten stellvertretenden Direktorin, teilte die Regierung mit. Die Zentralbankchefin ist bereits die zweite Frau in einer Schlüsselposition der neuen Regierung, die das Land nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad übernommen hat. Anfang Dezember war Aisha al-Dibas zur Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten ernannt worden (DiePresse.com, 30.12.2024).
Am 07.01.2025 landete der erste internationale Flug seit der Absetzung von Al-Assad auf dem international Flughaften von Damaskus (Al-Jazeera, 07.01.2025).
Anfang Jänner 2024 verfügten die USA eine sechsmonatige Ausnahme von den Sanktionen, eine sogenannte Generallizenz, um humanitäre Hilfe nach dem Ende der Herrschaft von Bashar al-Assad in Syrien zu ermöglichen. Die Ausnahme, die bis zum 07.07.2025 gültig ist, erlaubt bestimmte Transaktionen mit Regierungsinstitutionen, darunter Krankenhäuser, Schulen und Versorgungsunternehmen auf Bundes-, Regional- und lokaler Ebene sowie mit HTS verbundenen Einrichtungen in ganz Syrien. Zwar wurden keine Sanktionen aufgehoben, die Lizenz erlaubt jedoch auch Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkauf, der Lieferung, der Speicherung oder der Spende von Energie, einschließlich Erdöl und Strom, nach oder innerhalb Syriens. Darüber hinaus erlaubt sie persönliche Überweisungen und bestimmte energiebezogene Aktivitäten zur Unterstützung der Wiederaufbaubemühungen (Reuters, 06.01.2025). Nach der Ausnahme von den Sanktionen kündigte Katar eine Hilfe bei der Finanzierung einer 400-prozentigen Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Sektor an, die die syrische Übergangsregierung zugesagt hatte (Reuters, 07.01.2025).
Aktuelle Entwicklungen Syrien Stand 11.03.2025 (Zusammenstellung von Medieninformationen durch das Gericht, dem BF in der mündlichen Verhandlung übergeben)
Die neue Übergangsregierung unter der Führung von Ahmed al-Scharaa wird von einer Reihe an hochrangigen Treffen ausländischer diplomatischer und politischer Vertreter legitimiert. Am 30.12.2024 besuchte der ukrainische Außenminister Andri Sibiha seinen neuen syrischen Amtskollegen, Asaad Hassan al-Shaibani, in Damaskus und sicherte Syrien Unterstützung zu. Gefolgt vom EU Diplomat, Michael Ohnmacht, reisten zuletzt die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock sowie ihr Amtskollege Jean-Noël Barrot in enger Absprache mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas im Auftrag der EU nach Damaskus, wodurch sich bereits ein politischer Neuanfang zwischen Syrien und Europa abzeichnete.
Auch Nachbarstaaten nahmen die Beziehungen zu Syrien wieder auf. Auf Einladung reiste Najib Mikati am 11.01.2025 als erster libanesische Premierminister seit 2010 nach Syrien, um sich mit Ahmed al-Sharaa in Damaskus zu treffen. Am 15.01.2025 besuchte der neue syrische Außenminister Asaad Hassan al-Shaybani gemeinsam mit dem syrischen Verteidigungsminister Murhaf Abu Kasra und Geheimdienstchef Anas Chattab erstmals die Türkei. Dabei fand ein Treffen mit dem türkischen Außenminister sowie mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan statt (ZDF 03.01.2025; Tagesschau, 29.12.2024; ENR, 03.01.2025, Reuters, 11.01.2025; FR 17.01.2025).
Der internationale Flugbetrieb am Flughafen Damaskus wurde am 07.01.2025 wieder aufgenommen.
Seit dem Machtwechsel am 08.12.2024 kehrten zuletzt – schätzungsweise 115.000 – insbesondere in benachbarte Staaten geflüchtete Syrer in ihre Heimat zurück.
Die Vereinigten Staaten von Amerika lockerten die Sanktionsbedingungen zur Erleichterung von humanitär Hilfe in Syrien für eine Dauer von sechs Monaten. Hilfsorganisationen und Firmen, die lebenswichtige Güter liefern, wird eine Ausnahmegenehmigung erteilt.
Kurz nach dem Machtwechsel versammelten sich hunderte Männer und Frauen friedlich miteinander auf den Straßen Damaskus um ihre Meinung für ein vereintes Syrien, Demokratie, Frauenrechte, einer freien, pluralistischen Gesellschaft und einen säkularen Staat kundzutun. Diese Demonstrationen fanden insbesondere unter Anwesenheit patrouillierender HTS-Kämpfer statt, welche keinerlei Repressionsmaßnahmen gegen Demonstrierende setzten, sondern vielmehr um Entspannung bemüht waren.
Den Vertretern der HTS-Übergangsregierung ist bisher ein sehr gemäßigtes Auftreten beizumessen, zumal sich diese ideologisch und theologisch neu ausgerichtet hat. Sie spricht sich etwa für Minderheitenschutz aus, bekennt sich zu einer „nationalistisch-religiösen Haltung“ und zum endgültigen Bruch mit Organisationen wie al-Quaida oder dem IS.
Quellen:
Dass der syrische Geheimdienst aufgelöst werden soll, basiert auf den medial bekanntgewordenen Aussagen des neu ernannten Geheimdienstchef Anas Chattab. [Tagesschau 29.12.2024] Dieser beklagte „die Unterdrückung und Tyrannei des alten Regimes" unter Assad und kündigte damit eine Neuorganisation des Sicherheitsapparats an. "Die Sicherheitsdienste des alten Regimes waren zahlreich und vielfältig, aber allen war gemeinsam, dass sie dem Volk aufgezwungen wurden, um es fünf Jahrzehnte lang zu unterdrücken", so Chattab.
Offizielle Besuche diplomatischer und politischer Vertreter aus dem Westen und Nachbarländern Syriens, allen voran die Reise der deutschen Außenministerin sowie des französischen Außenministers nach Damaskus, sowie der Besuch des libanesischen Premierministers, sind ebenso breit medial bekannt geworden [ZDF 03.01.2025], [Tagesschau 29.12.2024], [ENR 03.01.2025], [Reuters 11.01.2025]. Ebenso wie der kürzlich erfolgte Besuch von Vertretern der syrischen Übergangsregierung in der Türkei [FR 17.01.2025].
Der Umstand, dass der internationale Flugbetrieb am Flughafen Damaskus am 07.01.2025 wiederaufgenommen werden konnte, am 11.01.2025 der erste kommerzielle Flug seit 13 Jahren der Fluglinie Qatar Airways landete und künftig dreimal wöchentlich eine Verbindung zwischen Doha und Damaskus geplant ist, lässt ebenso auf eine Normalisierung und Aufnahme internationaler Beziehungen schließen [NZZ 11.01.2025], [Qatar 02.01.2025], [ORF 07.01.2025].
Der Umstand, dass sich viele geflüchtete Syrer auf dem Weg zurück in ihre Heimat machen, ist insbesondere dem UNHCR Regional Flash Update #8 vom 02.01.2025 zu entnehmen. Demnach kehren ganze Familien, aber auch Frauen und Kinder allein nach Syrien zurück, während Familienväter zwischenzeitlich noch im Ausland verbleiben, um finanzielle Mittel für den Neubeginn in Syrien zu erwirtschaften [UNHCR Flash Update #8].
Dass die Vereinigten Staaten von Amerika Teile der Sanktionen im Hinblick auf die Erleichterung von humanitär Hilfe in Syrien lockerten, ist medialen Berichten wie etwa [TA 06.12.2024], [Die Presse 07.01.2025] sowie dem Iran Update vom Institute for the Study of War vom 07.01.2025 zu entnehmen.
Die friedlich abgehaltenen Demonstrationen sind ebenso medialen Berichten zu entnehmen: [TAZ 20.12.2024], [FAZ 20.12.2024].
Die Feststellung, dass sich die HTS ideologisch und theologisch neu ausgerichtet hat [LMD 01/2025] und sich im Gesamten sehr gemäßigt präsentiert, folgt insbesondere aus der Annäherung westlicher politischer und diplomatischer Vertreter sowie medial bekannt gewordene Äußerungen von Vertretern der Übergangsregierung sowie dem Umstand, dass keine gegenteiligen Berichte internationaler Medien und Organisationen hervorgekommen sind. Ebenso basiert die Feststellung, dass die neue Übergangsregierung versprach, Minderheiten zu schützen, auf medial bekanntgewordene Aussagen hochrangiger Vertreter der HTS. [ZDF 03.01.2025], [Tagesschau 29.12.2024].
Allerneueste Entwicklungen (jeweils NZZ online):
Erstmals seit dem Sturz von Bashar al Asad ist eine Delegation des russischen Aussenministeriums in Damaskus zu Gesprächen mit den neuen Machthabern eingetroffen. Der Status der russischen Militärbasen in Syrien ändere sich vorerst nicht, teilte Vizeaussenminister Michail Bogdanow, einer der zwei Delegationsleiter, nach den Sondierungsgesprächen am Dienstag (28. 1.) mit. «Das ist eine Frage weiterer Verhandlungen.» Moskau setze auf eine weitere Zusammenarbeit.
Die Aussenminister der EU-Staaten haben eine schrittweise Lockerung von Sanktionen gegen Syrien gebilligt. Das am Montag (27. 1.) bei einem Treffen in Brüssel vereinbarte Vorgehen sieht vor, den neuen Machthabern Anreize zu geben, eine echte Demokratie in Syrien aufzubauen. Dabei besteht auch die Hoffnung, dass Hunderttausende syrische Flüchtlinge in der EU eines Tages in ihre Heimat zurückkehren können. Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas sagte nach dem Treffen, die Lockerungen sollten den Wiederaufbau erleichtern und Syrien helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Zugleich betonte sie, der Plan beinhalte auch, Lockerungen wieder rückgängig zu machen, wenn die neuen Machthaber Schritte einleiten, die aus EU-Sicht in die falsche Richtung gehen. Zu den Sanktionen, die aufgehoben werden sollen, gehören demnach vor allem Massnahmen, die die Energieversorgung negativ beeinträchtigen und den Personen- und Warenverkehr erschweren. Zudem sind auch Lockerungen für den Bankensektor geplant.
Bewaffnete Gruppen in Syrien haben einen Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) festgenommen. Atta al-Hariri habe den IS im Osten Syriens angeführt, hiess es aus Quellen in der syrischen Übergangsregierung. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London, die die Lage in Syrien mit einem Netzwerk aus Aktivisten verfolgt, bestätigte am Montag (27. 1.) die Festnahme und Details der Aktion.
Bei mutmasslichen Racheakten in Syrien sind 39 Personen getötet worden. Dies berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Montag (27. 1.). Die Gewalt soll sich gegen Anhänger des gestürzten Präsidenten Bashar al-Asad und Mitglieder religiöser Minderheiten gerichtet haben. In dem Zusammenhang spricht die Beobachtungsstelle von Hinrichtungen und «willkürlichen Massenverhaftungen». Die Taten hätten sich Mitte vergangener Woche rund um die Großstadt Homs ereignet und wurden laut der Beobachtungsstelle von militanten Gruppen verübt, die keine Anhänger der neuen Übergangsregierung sein sollen. Unabhängige Bestätigungen liegen derzeit nicht vor.
Bei einem israelischen Luftangriff im Süden Syriens sind laut Angaben von Aktivisten am Mittwoch (15. 1.) mindestens drei Personen getötet worden. Der Drohnenangriff in der Provinz Kunaitra habe einen syrischen Militärkonvoi mit Soldaten der neuen Übergangsregierung getroffen, meldete die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Eine weitere Person sei schwer verletzt worden. Israels Militär machte zunächst keine Angaben zu Opfern.
In der syrischen Hauptstadt Damaskus ist am Samstag (11. 1.) ein terroristischer Anschlag des IS auf die Sayeda-Zinab-Moschee vereitelt worden. Das meldet die staatliche Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf den Geheimdienst. Die IS-Mitglieder seien verhaftet worden, bevor sie das Attentat ausüben konnten.
Erstmals seit dem Machtwechsel in Syrien hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit dem Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa telefoniert. Das teilte der Kreml am Mittwoch (12. 2.) mit und sprach von einem «umfassenden Meinungsaustausch zur aktuellen Lage in Syrien». Die syrische Präsidentschaft in Damaskus bestätigte das Telefonat, nannte aber keine Details. Die russische Seite habe ihre Unterstützung für die Einheit und Souveränität Syriens erklärt, hieß es in der Kreml-Mitteilung. Putin habe Hilfe angeboten, um die soziale und wirtschaftliche Lage in Syrien zu verbessern. Die Mitteilung ging nicht darauf ein, dass Russland bis zum Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Asad vor zwei Monaten dessen Schutzmacht war – und ihm nach seinem Sturz Asyl gewährt hatte.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat am Donnerstag (6. 2.) mit dem syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa telefoniert und diesen dabei nach Frankreich eingeladen. Das teilte die syrische Präsidentschaft mit. Aus Paris gab es für die Einladung zunächst keine Bestätigung. Wie es aus dem Élysée-Palast hieß, habe Macron die Initiative für das Telefonat mit Blick auf die internationale Syrien-Konferenz ergriffen, die am Donnerstag kommender Woche in Paris organisiert wird. Macron habe den Wunsch geäussert, dass der von den Interimsbehörden eingeleitete Prozess den Bestrebungen des syrischen Volkes in vollem Umfang gerecht wird. Auch habe Macron die Treue Frankreichs zu den demokratischen Kräften in Syrien betont und zu deren vollständiger Integration in den syrischen Übergangsprozess aufgerufen, hieß es in Paris.
Die erste Präsidentenwahl nach dem Machtwechsel in Syrien wird laut Angaben des Interims-Staatschefs erst in vier bis fünf Jahren stattfinden. In einem ersten Interview im syrischen Fernsehen nach seiner Ernennung am Montag (3. 2.) äusserte sich Ahmed al-Sharaa vage über die politische Zukunft des Landes. Die künftige Regierung werde Syrien repräsentieren, aber vor allem auf der Kompetenz der Individuen beruhen, sagte al-Sharaa. Weiteren Nachfragen der Fernsehjournalisten wich al-Sharaa aus. Er erklärte zudem, sich zunächst auf eine Reform der syrischen Wirtschaft konzentrieren zu wollen. Die Korruption der alten Regierung habe die ökonomische Lage schwer beeinträchtigt, so al-Sharaa. «Wir müssen viele Institutionen reformieren, um eine erfolgreiche Wirtschaft zu schaffen und das Land für Investitionen attraktiv zu machen.» Ziel sei es auch, dass sich viele Syrerinnen und Syrer für die Rückkehr in ihr Land entscheiden.
Die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) sind mit den neuen syrischen Machthabern zu einer Einigung gelangt. Die SDF, die einen Grossteil des erdölreichen Nordostens Syriens kontrollieren, erklärten sich bereit, sich in die syrischen staatlichen Institutionen zu integrieren. Dazu unterzeichneten sie ein Abkommen, wie die syrische Präsidentschaft am Montag (10. 3.) mitteilte. Das Abkommen sieht eine vollständige Einstellung der Kampfhandlungen vor und wurde vom syrischen Interimspräsidenten Ahmed al-Sharaa und dem Kommandeur der SDF, Mazloum Abdi, unterzeichnet. Gemäss der Vereinbarung werden alle zivilen und militärischen Einrichtungen im Nordosten Syriens in den Staat integriert, der damit die Kontrolle über die Grenzen, die Flughäfen sowie die Öl- und Gasfelder übernimmt. Die SDF erklärten sich bereit, die Regierung bei der Bekämpfung von Überresten des gestürzten Regimes von Präsident Bashar al-Asad und jeglicher Bedrohung der Sicherheit und Einheit Syriens zu unterstützen.
Das syrische Verteidigungsministerium hat am Montag (10. 3.) den Abschluss der Militäroperationen gegen die verbliebenen Loyalisten des gestürzten Machthabers Bashar al-Asad vermeldet. Bei den Zusammenstössen mit den neuen islamistischen Machthabern sind laut Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mehr als 1000 Personen ums Leben gekommen. Wie die in Grossbritannien ansässige Organisation berichtet, wurden dabei 745 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder getötet und exekutiert. In der Küstenregion Syriens war es am vergangenen Donnerstag und Freitag zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des gestürzten Ex-Präsidenten Bashar al-Asad und Sicherheitskräften der neuen Machthaber gekommen. Die Region gilt als Hochburg al-Asads, der zur religiösen Minderheit der Alawiten gehört.
Bei Gefechten im Grenzgebiet zwischen Libanon und Syrien sind mehrere Menschen getötet worden. Auf syrischer Seite seien seit Ausbruch der Gefechte am Sonntagabend (16. 3.) mindestens zehn Personen gestorben, berichtete das syrische Staatsfernsehen. Das libanesische Gesundheitsministerium meldete sieben Tote und 52 Verletzte im Land. Laut dem syrischen Verteidigungsministerium gerieten am Sonntag drei Soldaten der Übergangsregierung in Syrien in einen Hinterhalt der libanesischen Hizbullah-Miliz. Deren Kämpfer hätten die Soldaten in der Provinz Homs entführt, in den Libanon verschleppt und dort getötet. Laut Angaben der libanesischen Armee wurden Orte in Libanon aus Syrien beschossen. Der Hizbullah wies jede Verantwortung zurück.
Die israelische Luftwaffe soll in der syrischen Hauptstadt Damaskus ein Wohngebäude bombardiert haben. Das berichtete die syrische Nachrichtenagentur Sana. Laut dem israelischen Armeeradio soll der Angriff der islamistischen Terrororganisation Palästinensischer Islamischer Jihad gegolten haben, der sein Hauptquartier im Gebäude eingerichtet haben soll. Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz erklärte dazu, es werde keine Immunität für islamistischen Terror gegen Israel geben – weder in Damaskus noch anderswo. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, dass zwei Raketen eingeschlagen seien. Das Gebäude sowie angrenzende Häuser hätten darauf gebrannt. Ob es Tote gab, war zunächst unklar.
Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio hat am Dienstag (11. 3.) die am Tag zuvor getroffene Übereinkunft in Syrien positiv bewertet. «Die Vereinigten Staaten begrüssen die kürzlich angekündigte Vereinbarung zwischen den syrischen Übergangsbehörden und den Demokratischen Kräften Syriens, den Nordosten in ein vereintes Syrien zu integrieren», sagte Rubio in einer Erklärung. «Die Vereinigten Staaten bekräftigen ihre Unterstützung für einen politischen Übergang, der eine glaubwürdige, nicht-konfessionsgebundene Regierungsführung als den besten Weg zur Vermeidung eines weiteren Konflikts zeigt. Wir werden die Entscheidungen der Übergangsbehörden weiterhin beobachten und nehmen mit Sorge die jüngste tödliche Gewalt gegen Minderheiten zur Kenntnis», fügte Rubio hinzu.
Beweiswürdigung:
Die Feststellungen hinsichtlich der persönlichen Umstände des BF, seiner Familie, seiner Ausreise aus Syrien und der Aufenthaltsorte der Familienmitglieder beruhen auf den diesbezüglich unbedenklichen Angaben des BF gegenüber der Polizei, dem BFA sowie dem erkennenden Gericht sowie den vorgelegten syrischen Urkunden.
Ob der BF tatsächlich unerlaubt den Dienst bei der syrischen Armee beendet hat, ist aufgrund des zwischenzeitlichen Sturzes des Assad-Regimes nicht mehr von asylrelevamter Bedeutung.
Die Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
Die Feststellung zur Gebietskontrolle betreffend Aleppo Stadt bzw. XXXX beruht auf den Informationen von syria.liveuamap.com, bzw. https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des BF.
Zur Negativfeststellung hinsichtlich einer Verfolgung durch das Assad-Regime:
Vor dem BFA behauptete der einerseits, vom Militärdienst desertiert zu sein, weshalb das Regime ihn suche. In seiner Beschwerde stützte sich der BF u.a. ebenfalls auf eine Desertion beim Assad-Regime, seine illegale Ausreise sowie seine Asylantragstellung.
Eine Verfolgungsgefahr aus den auf das Assad-Regime bezogenen Gründen ist aber schon deshalb mittlerweile auszuschließen, weil das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert (siehe die obigen Länderfeststellungen). Dem vermochte der BF in seiner letzten Stellungnahme auch nichts Substantiiertes entgegenzuhalten.
Zur Negativfeststellung hinsichtlich einer Verfolgung im Zusammenhang mit Rekrutierungsversuchen durch Al Nusra in der Vergangenheit sowie im Zusammenhang mit behaupteter Säkularisierung/westlicher Orientierung und sonstigen Gründen:
Der BF führte bereits in seinem Asylantrag aus, es gäbe keine Sicherheit in Syrien und dort gäbe es auch „terroristische Gruppen“, er müsse sich den Terroristen anschließen. Vor dem BFA gab der BF diesbezüglich an, er habe sich Ende 2014 entschlossen, sein Heimatland zu verlassen, nachdem er von Al Nusra geschlagen worden sei. Auf die Frage, ob er gröbere Probleme mit Privatpersonen (Blutfehden, Racheakte, etc.) habe, antwortete er: „Nein, aber mit Al Nusra“. In Tall'Amar habe es keine Bedrohung seitens der Regierung gegeben, er sei aber geflüchtet, weil ihn die bewaffneten Gruppierungen dort rekrutieren wollten. Über Vorhalt, dass er trotzdem dreimal zurückgekehrt sei, schwächte er seine diesbezügliche Aussage dahingehend ab, dass es dort keine „direkte Zwangsrekrutierung“ gäbe, aber man werde so lange unter Druck gesetzt, bis man irgendwann freiwillig einrücke. Beispielsweise habe er einen Teil seiner Olivenernte den Rebellen geben müssen. Über Frage, ob sein Bruder Probleme mit Al Nusra/HTS habe, antwortete er, dieser lebe dort problemlos. An anderer Stelle antwortete der BF auf die Region Idlib bezogen, ein Problem gäbe es mit den dortigen Rebellen. Dort gäbe es keine Infrastruktur, keine Schulen und keine Sicherheit. Das Leben dort wünsche er seinen Kindern nicht.
Im Rahmen der Beschwerde führte der BF zum Thema Verfolgung durch Al Nusra aus, aufgrund seiner Desertion habe er nicht nach Aleppo zurück können, weshalb er dann etwa zweieinhalb Jahre in Tall'Amar/Idlib gelebt habe, nachdem er etwa bis 2012 den Grundwehrdienst geleistet habe. In Idlib hätten oppositionellen Gruppierungen, wie die Al Nusra, immer wieder Druck auf ihn ausgeübt und ihn dazu bringen wollen, für sie zu kämpfen. Sie hätten ihn auch geschlagen und dabei am Kopf verletzt. Aufgrund der Probleme habe er 2014 Syrien Richtung Türkei verlassen (Beschwerde S 3). Nach seiner Ausreise sei er noch dreimal zu Besuch nach Syrien zurückgekehrt, u.a. als er 2015 dort geheiratet habe. Er befürchte im Fall seiner Rückkehr Verfolgung durch oppositionelle Gruppierungen wie die Al Nusra, die sich strikt an die Gesetze der Scharia halte. Der BF sei westlich orientiert und halte sich nicht an alle Regeln der Scharia. Er faste und bete nicht, wolle sich nicht an deren Kleidungsvorschriften halten und sei Raucher. An anderer Stelle der Beschwerde (S 10) führte der BF aus, bei jedem Zuckerfest werde die Grenze geöffnet. In dieser Zeit dürfe man für ein paar Wochen zurückkehren, um die Familie zu besuchen. Der BF sei ausschließlich in dieser Zeit nach Syrien zurückgekehrt. Dabei sei er darauf bedacht gewesen, die Checkpoints zu vermeiden. Er wolle klarstellen, dass der Vorfall mit Al Nusra bei der Ölpresse 2018 gewesen sei. Daraufhin habe er Syrien ganz verlassen.
Im Zuge des Parteiengehörs führte der BF in seiner Stellungnahme vom 16.01.2025 diesbezüglich aus, er sei nicht nur von Seiten des Assad-Regimes aufgrund seiner Desertion bedroht worden, sondern auch von Seiten der HTS (ehemals Al Nusra) habe es immer wieder Rekrutierungsversuche gegeben. Der BF sei mehrmals aufgefordert worden, sich der HTS anzuschließen und habe dies verweigert. Sie hätten ihn auch geschlagen und am Kopf verletzt. Aufgrund dieser Weigerung, sich ihnen anzuschließen, werde der BF von der HTS als Gegner und Befürworter des Regimes angesehen. Zudem handle es sich bei der HTS um eine sehr extremistisch radikal-islamistische Gruppierung, die sich streng an die Gesetze der Scharia halte und strenge religiöse Vorschriften gäbe. Der BF habe sich seit acht Jahren nicht mehr in Syrien aufgehalten und sei bereits westlich orientiert. Er halte sich nicht an die strengen religiösen Vorschriften und trinke auch Alkohol, was in Syrien verboten sei. Er äußere sich auch immer wieder ablehnend gegenüber Gott. Aus diesem Grund drohe ihm eine unverhältnismäßig lange Gefängnisstrafe. In Syrien würden auch Sunniten und Aleviten von der HTS entführt, wovon der BF als Sunnit auch betroffen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2025 antwortete der BF auf die Frage, warum er zum Zeitpunkt vor dem Sturz Assads Asyl begehrt habe, weil er ein desertierter Soldat sei und sein Bruder auch desertiert habe. Auch sein Onkel sei als Offizier desertiert und habe deswegen nicht zurück nach Syrien kommen können. Nach ausführlich Darstellung der Thematik „Desertion“ wurde der BF gefragt, ob die Desertion der einzige Asylgrund des BF vor dem Sturz Assads gewesen sei. Er antwortete darauf, wenn er in Syrien angehalten oder festgenommen worden wäre, wäre er wegen Hochverrats zu Tode verurteilt worden. Es sei höchstwahrscheinlich gewesen, dass das Regime weiterhin an der Macht geblieben wäre. Über weitere und nochmalige Frage, ob sich der BF nach dem Sturz Assads auch noch bedroht fühle und wenn ja aus welchem Grund, führte der BF aus, er fürchte sich vor dem neuen Regime und den dortigen Banden, dem Rassismus und der extremen Religionshaltung. Er faste nicht, bete nicht und schimpfe auf Gott. Ein nicht fastender Mensch in Syrien werde an den Pranger gestellt, geschlagen und gefoltert. Wer auf Gott schimpfe, bekomme ein Jahr Haft. Er könne mit solcher Religion überhaupt nicht leben. Befragt nach den von ihm genannten „Rassismus“, bezog er sich auf die „Volksgruppen Alawiten, Kurden, Drusen etc“.
Aus folgenden Gründen geht das Gericht nicht davon aus, dass dem BF im Falle einer Rückkehr Verfolgungsgefahr von der „HTS bzw. Al Nusra“ droht:
Der BF gab zwar den Umstand vor seiner Ausreise drohender Rekrutierung durch Al Nusra bzw. bewaffnete Gruppen in Idlib mehrmals und durch das gesamte Verfahren hindurch an, konkretisierte diese Umstände aber weder hinsichtlich einzelner Vorfälle noch der Zeitpunkte. Er führte lediglich an verschiedener Stelle aus, dass ihn diese Umstände zu einer erstmaligen Ausreise 2014 veranlassten und ein Problem mit der erzwungenen Abgabe eines Teils der Olivenernte 2018 aufgetreten sei. Die ausdrückliche Behauptung in der Beschwerde, der „Vorfall mit der Al Nusra bei der Ölpresse“ sei 2018 gewesen, steht im Widerspruch zu seinen Angaben, dass er bei seinen dreimaligen weiteren Aufenthalten in Syrien nach seiner Ausreise 2014 in die Türkei besonders vorsichtig bzw. quasi Nutznießer zeitlicher Amnestien im Rahmen von „Zuckerfesten“ gewesen sei. Der belangten Behörde ist bei ihrer Begründung des Bescheides insofern grundsätzlich beizupflichten, dass es wenig wahrscheinlich erscheint, dass der BF im Falle tatsächlich massiver Rekrutierungsversuche durch bewaffnete Gruppen gegen seinen Willen mehrmals für längere Zeit nach Syrien zurückgekehrt wäre und somit dadurch die Gefahr solcher Rekrutierungen bzw. Nachteile aufgrund einer Weigerung auf sich genommen hätte.
Der BF relativierte auch im Rahmen näherer Befragung vor der Behörde den Charakter von diesbezüglichen „Zwangsrekrutierungen“, als er ausführte, es gäbe „keine direkte Zwangsrekrutierung“, sondern man werde so lange unter Druck gesetzt, bis man freiwillig einrücke (was der BF evident nicht tat).
Im Rahmen seiner Befragung vor Gericht am 13.03.2025 erwähnte der BF die Problematik einer Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen bzw. Konsequenzen bei diesbezüglicher Verweigerung zunächst trotz ausdrücklicher Frage nach weiteren bereits vor dem Sturz Assads bestehenden Asylgründen nicht (Prot. S 6 ff bzw. insbesondere S 10). Dort begründete er eine nach seinen Angaben aktuell noch bestehende Bedrohung mit „Rassismus“ und einer „extremen Religionshaltung“ des herrschenden Regimes im Verhältnis zu seiner westlichen Orientierung.
Schließlich steht eine versuchte Zwangsrekrutierung auch im Widerspruch zu den auch von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichten, wonach Al Nusra/HTS in Idlib grundsätzlich keine zwangsweisen Rekrutierungen vornahm, sondern auf freiwillige Beitritte ideologisch und religiös loyaler Männer setzte, und es in Idlib angesichts der wirtschaftlichen Anreize eines Beitritts nicht an Freiwilligen mangelte. Schon in der damaligen Situation vor dem politischen Wandel Ende 2024 war also eine Zwangsrekrutierung durch HTS nicht wahrscheinlich.
Aufgrund seiner im Bezug auf Rekrutierungsversuche durch Al Nusra vagen Angaben im bisherigen Verfahren und der mehrmaligen längeren Rückreisen in seine Heimatregion Idlib im Zusammenhalt mit den dargestellten Aussagen vor Gericht ist davon auszugehen, dass keine konkreten Rekrutierungsversuche von Al Nusra gegenüber dem BF stattgefunden haben und somit auch nicht auf dessen Gegenwehr gestoßen wären. Somit konnten auch keine Umstände festgestellt werden, die eine Wahrnehmung des BF als „Gegner der HTS“ begründen könnten.
Selbst im Falle solcher Rekrutierungsversuche in langer Vergangenheit wäre aufgrund der aktuell geänderten Verhältnisse und insbesondere der Bemühungen des Regimes al-Scharaa davon auszugehen, dass solche Rekrutierungsversuche aktuell nicht mehr drohen. Es ist auch nicht ersichtlich, wieso – selbst im Falle solcher Rekrutierungsversuche in einem lang zurückliegenden Zeitraum – dies den BF als „Gegner der HTS“ einer Verfolgungsgefahr des aktuellen Regimes aussetzen sollte.
Während der BF sich noch in der Befragung vor der belangten Behörde im September 2023 ohne näheren Kommentar als sunnitischen Muslim bezeichnete und diese Niederschrift auch sonst keine Hinweise auf eine besondere Säkularisierung des BF enthält, bezeichnet er sich 8 Monate später in der Beschwerde als „westlich orientiert“, nicht betend, nicht fastend und die Kleidervorschriften nicht beachtend. Diese Haltung stellt der BF nun vor Gericht nochmals deutlich gesteigert dar, er schimpfe auf Gott (Prot S 10). In der Stellungnahme vom Jänner 2025 verwies er auf Alkoholkonsum und darauf, sich in den 8 Jahren der Abwesenheit von Syrien „westlich orientiert“ zu haben. Insoferne wäre zu erwarten gewesen, dass er Hinweise auf diesen Umstand bereits vor der Behörde (etwa 9 Jahre nach seiner ersten Ausreise aus Syrien) gegeben hätte. Abgesehen davon, dass das diesbezügliche Vorbringen und vor allem die Aussagen vor Gericht (Prot S 10) plakativ und ohne nachvollziehbare Verbindung zu Lebensumständen des BF erfolgten, liegt im diesbezüglichen Vorbringen erst ab der Beschwerde auch eine deutliche Steigerung des Asylvorbringens. Auch die generelle Glaubwürdigkeit des BF steht aufgrund mehrerer Widersprüche in Frage, von denen beispielhaft darauf verwiesen wird, dass der Bruder des BF laut Stellungnahme beide Beine durch eine Mine verloren hat, während die Beinverletzungen nach der ausdrücklichen Aussage vor Gericht nicht durch eine Mine verursacht sein sollen.
Aber selbst bei Wahrunterstellung dieser Behauptungen wäre vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Syrien, die der BF nach Auffassung des Gerichts zu Unrecht als „extreme Religionshaltung“ bezeichnet, für ihn daraus keine Asylrelevanz abzuleiten:
Die derzeit verfügbaren und oben wiedergegebenen Berichte zu Syrien weisen auf eine relativ moderate Haltung des Regimes in Bezug auf Religionsausübung hin bzw sind keine maßgeblichen Berichte über religiöse Intoleranz oder eine fundamentalistische Grundhaltung der Staatsführung ersichtlich:
„…, dass sich die HTS ideologisch und theologisch neu ausgerichtet hat [LMD 01/2025] und sich im Gesamten sehr gemäßigt präsentiert, folgt insbesondere aus der Annäherung westlicher politischer und diplomatischer Vertreter sowie medial bekannt gewordene Äußerungen von Vertretern der Übergangsregierung sowie dem Umstand, dass keine gegenteiligen Berichte internationaler Medien und Organisationen hervorgekommen sind. Ebenso basiert die Feststellung, dass die neue Übergangsregierung versprach, Minderheiten zu schützen, auf medial bekanntgewordene Aussagen hochrangiger Vertreter der HTS. [ZDF 03.01.2025], [Tagesschau 29.12.2024].
Eine besondere Sensibilisierung von Ländern insbesondere der europäischen Union in diesem Zusammenhang ist aus deren Haltung gegenüber dem aktuellen Taliban-Regime in Afghanistan abzuleiten. Auch die rezenten Besuche führender europäischer Politiker, (darunter Frankreich und Deutschland) sind ein deutliches Indiz, dass eine fundamentalistische Haltung des Regimes in Religionsfragen derzeit nicht besteht.
Nach dem aktuellen EUAA Bericht März 2025 (S 32f) gibt es zwar immer wieder Versuche seitens fundamentalistischer Gruppen, religiöse Freiheiten einzuschränken. Allerdings wird diesen seitens der Regierung offenbar mit Gegenmaßnahmen begegnet:
„The new Syrian leadership has pledged to uphold minority rights and promote national unity amid concerns of marginalisation under Islamist rule.
As part of efforts to reassure minority communities, Ahmad Al-Sharaa met with Lebanese Druze leader Walid Jumblatt on 22 December. He later convened with Christian leaders, including Catholic, Orthodox and Anglican clerics, following a series of attacks targeting religious minorities. This engagement took place after protests triggered by the 23 December burning of a Christmas tree by foreign fighters affiliated with HTS in a predominantly Christian town in Hama, alongside additional reports of harassment. Following the attack on the Christmas tree, the transitional government apprehended the foreign fighters it identified as responsible for what it characterised as an isolated incident. Furthermore, government offices were closed for the Christmas holiday and the following day, 23 December. Meanwhile, France24 reported that while Christmas celebrations took place in Damascus, Christian residents kept a low profile, with some refraining from purchasing alcohol due to fear and uncertainty.
Human rights organisations have documented various restrictions on religious freedoms. Richard Ghazal, executive director of In Defense of Christians, highlighted measures such as alcohol bans, and the presence of Islamic State flags in areas near Damascus. Similarly, Nadine Maenza from the Washington-based International Religious Freedom Secretariat documented at least a dozen eyewitness accounts of attacks against religious and ethnic minorities in the Shehba region, near Aleppo, in late December. However, Rafif Jouejati, a scholar at the Middle East Institute, suggested that these incidents should be viewed as isolated cases rather than evidence of a broader pattern of systematic intolerance.
In Damascus’ Al-Qassaa district, armed individuals distributed flyers imposing restrictions on women’s attire, smoking, and social interactions. HTS deployed patrols in response, attributing the incidents to unidentified individuals and denying endorsement. However, concerns remain over the frequency of such actions.“
Die vom BF dem aktuellen Regime offenbar zugesonnene Haltung strenger Intoleranz gegen nicht orthodoxe Muslime, die sich auch äußerlich religiösen Geboten nicht unterwerfen (nicht beten und fasten, keinen Bart wachsen lassen und Alkohol trinken) findet daher keine Deckung in der Berichtslage, während zumindest Reaktionen der Machthaber gegen solche offenbar immer wieder hervorkommende Tendenzen aus der Bevölkerung gesetzt werden. Die Berichtslage macht es daher auch nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF bei auffällig säkularisiertem Verhalten „an den Pranger gestellt, geschlagen und gefoltert“ wird. Der allgemeine Verweis des BF auf „sehr viele Berichte auf den Social Media über Erniedrigungen von Menschen, die nicht fasten und beten“ (Prot S 11), kann daran nichts ändern.
Wenn der BF vor Gericht ausführt, wer auf Gott schimpfe, bekomme (gemeint: in Syrien) ein Jahr Haft, er könne mit einer solchen Religion überhaupt nicht leben, erscheint ein Hinweis auf die Strafrechtslage in Österreich angebracht:
Herabwürdigung religiöser Lehren
§ 188 StGB. Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Wieso der BF „als Sunnite“ und somit Angehöriger der Mehrheitsreligion durch die –zwischenzeitlich aufgelöste – HTS entführt werden soll (Stellungnahme), bleibt gänzlich offen.
Vor dem Hintergrund der aktuell zugänglichen Berichtslage ist es dem BF daher auf Tatsachenebene nicht gelungen, eine gegründete Furcht vor Zwangsrekrutierung oder Verfolgung wegen Abweichens von einer streng islamischen Praxis durch das aktuelle Regime glaubhaft zu machen.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen stützen sich auf die auszugsweise wiedergegebenen aktuellen Länderberichte zu Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sowie rezente Medienberichte. Die Ausführungen in der Stellungnahme vom 16.01.2025 stehen dem sich insgesamt abzeichnenden, in den Feststellungen dargestellten aktuellen Lagebild in Syrien nicht entgegen. Das durch den Machtwechsel veraltete LIB vom 27.03.2024 wurde dort zitiert, wo sich trotz dieses Machtwechsels keine wesentliche Änderung ergeben hat und es daher nach wie vor Aktualität besitzt, oder wo es um einen Vergleich mit der Situation vor dem Machtwechsel geht.
Angesichts der Aktualität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Rechtlich folgt:
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder er einen Asylausschlussgrund gesetzt hat.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 AsylG ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art. 10 StatusRL genannter Grund.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach Art. 9 der StatusRL muss eine Verfolgungshandlung i.S.d. GFK aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, bestehen.
Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten: Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt; gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewendet werden; unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung; Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung; Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 fallen; Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt AZ 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht vor dieser Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, dass dem Asylwerber in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht.
Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch eine seitens des Verfolgers dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant.
Im Fall der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der die Gewährung von Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer gesetzlich für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleichermaßen treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen eine Verfolgung im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.
Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an.
Der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt, wie dies etwa bei der Anwendung von Folter grundsätzlich der Fall ist (VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; VwGH 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; jüngst VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zur Teilnahme an völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe eine asylrelevante Verfolgung darstellen (VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009; VwGH 28.03.2023, Ra 2023/20/0027, m.w.N.; Putzer, Leitfaden Asylrecht2 (2011), Rn. 97; EuGH 26.02.2015, C-472/13 (Shepherd)). Wird der Asylwerber in seinem Herkunftsstaat dazu gezwungen, gegen Angehörige seiner eigenen Volksgruppe vorzugehen, kann dies ebenfalls in asylrechtlicher Hinsicht relevant sein (VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124, m.w.N.).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Gewährung von Asyl zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche Vorverfolgung für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten hat (VwGH 23.05.2023, Ra 2023/20/0110, m.w.N.).
Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Zur Bestimmung der Heimatregion kommt in diesem Sinn der Frage maßgebliche Bedeutung zu, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (vgl. EUAA, Richterliche Analyse, Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes [2018], 83; vgl. idS auch VwGH 27.6.2016, Ra 2016/18/0055). Das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Hinblick auf § 3 Abs. 1 AsylG 2005 erst dann zu prüfen, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber „in der Heimatregion seines Herkunftsstaats“ Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. etwa VwGH 25.05.2020, Zl. Ra 2019/19/0192).
Zum Beschwerdeführer:
Ob als Heimatregion des BF Aleppo Stadt oder XXXX anzunehmen ist, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil beide Orte nunmehr von der Regierung al-Scharaa kontrolliert werden und das Ergebnis der nachfolgenden Beurteilung nach § 3 AsylG daher dasselbe ist.
Zur Wehrdienstverweigerung/Desertion bei der syrischen Armee bzw. sonstigen Verfolgung durch das Assad-Regime:
Wie festgestellt, existiert das syrische Regime unter Präsident Assad seit dem Umsturz im Dezember 2024 nicht mehr. Der Befürchtung der Einberufung zum Militärdienst beim vom BF genannten syrischen Regime mit der Gefahr der Heranziehung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist damit der Boden entzogen. Eine Verfolgung (aus welchen Gründen immer) seitens des nicht mehr vorhandenen Regimes ist daher nicht anzunehmen.
Im Umstand, dass im Heimatland des BF eine Situation nach einem Bürgerkrieg mit noch unsicherer Lage herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer (nunmehr bis vor kurzem bestehenden) Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine solche hat der BF aber nicht hinreichend nachvollziehbar glaubhaft machen bzw. dartun können.
Zur Befürchtung einer Verfolgung durch das nunmehr in Syrien herrschende Regime al-Scharaa:
Neben der Behauptung mangelnder Entscheidungsreife aufgrund der in Veränderung begriffenen Situation stützte der BF in der Stellungnahme vom 17.01.2025 sein Asylvorbringen nun auch auf eine Verfolgung durch die seit dem Sturz des Assad-Regimes (faktisch) die Macht in Syrien innehabende HTS (nunmehr aufgelöst und im Regime al-Scharaa aufgegangen, Anmerkung durch das Gericht). Diese werde von UNO, EU und USA als Terrororganisation eingestuft und sei in der Vergangenheit brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gewesen.
Ganz allgemein wird nicht verkannt, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzungen seitens der HTS-Machthaber kam. Doch ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 (BAMF), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie unter lit. a leg. cit. beschrieben betroffen ist (lit. b leg. cit.).
Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass dem männlichen BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten gegenüber HTS in Erscheinung getreten ist (zur Unglaubwürdigkeit einer unterstellten Opposition dieser gegenüber durch Verweigerung der Rekrutierung siehe oben in der Beweiswürdigung), im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort, der nunmehr unter Kontrolle des Regimes al-Scharaa steht, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist nicht zu erwarten, zumal noch überhaupt nicht absehbar ist, wie sich die Politik der derzeit moderat agierenden HTS in Zukunft entwickeln wird und die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren Glaubhaftmachung genügt.
Gleiches gilt für das Vorbringen hinsichtlich weiterer „Unsicherheitsfaktoren“, wie einem möglichen Wiedererstarken des IS oder Kriegshandlungen seitens Israel oder der türkisch unterstützten SNA. Wie sich die geopolitische Lage in Syrien entwickeln und inwieweit es im Zuge von weiteren Kriegshandlungen zu asylrelevanten Verfolgungshandlungen kommen wird, ist derzeit – generell und erst recht in Bezug auf den konkreten BF – nicht absehbar, sodass eine drohende Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit besteht.
Selbst wenn man annähme, dass das syrische Wehrpflichtgesetz formell noch in Kraft wäre, würde das nichts daran ändern, dass es faktisch derzeit nicht umgesetzt wird und damit keine staatliche Wehrpflicht in Syrien tatsächlich existiert. Die neue Regierung plant nach den Feststellungen die Auflösung aller Rebellenfraktionen und deren Integration in eine neue syrische Armee, die auf freiwillige Soldaten und nicht auf einen verpflichtenden Wehrdienst gegründet sein soll. Derzeit ist eine neuerliche Wehrpflicht also jedenfalls nicht absehbar.
Zur Verfolgung durch religiöse Intoleranz:
Schon eine tatsächlich der religiösen Praxis als Muslim entgegenstehende verfestigte Lebensweise steht aufgrund der diesbezüglichen Steigerung des Vorbringens des BF (siehe oben in der Beweiswürdigung) in Frage. Um allenfalls Asylrelevanz zu begründen, müßte eine Divergenz der im Ausland erworbenen Lebensführung gegenüber religiösen Restriktionen im Herkunftsland zu einem wesentlichen Bestandteil der Identität geworden sein, die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388), dies vor dem Hintergrund einer entsprechend restriktiven Praxis im Herkunftsland. Diese Entscheidung bezog sich auf eine weibliche Asylwerberin aus Afghanistan, bezogen auf eine Zeit vor 2015.
Eine nur annähernd vergleichbare Situation der Restriktion der Lebensweise aus religiösen Gründen ist fallbezogen unter Zugrundelegung der aktuellen Verhältnisse in Syrien aber nicht zu erkennen (siehe die ausführliche Darstellung oben in der Beweiswürdigung), sodass – ungeachtet der hier gar nicht abschließend geprüften Frage der Verfestigung einer solchen Abkehr des BF von einer dem Islam entsprechenden Lebensweise – auch unter diesem Titel von keiner gegründeten Furcht vor Verfolgung auszugehen ist.
Zur Volatilität der Lage in Syrien:
Der BF verwies zuletzt darauf, dass infolge des Sturzes des Assad-Regimes gegenwärtig nicht absehbar sei, wie sich die Lage in Syrien entwickeln werde, weshalb es an einer wesentlichen Grundlage für eine Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen fehle. Er berief sich dabei auf ein zur Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban ergangenes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH 19.09.2022, E 3015/2021), demzufolge das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet sei, die laufende Entwicklung zu prüfen, und das UNHCR-Positionspapier zur Rückkehr nach Syrien vom Dezember 2024, wonach UNHCR dazu aufrufe, bis auf weiteres keine negativen Asylentscheidungen zu treffen.
Zunächst kommt den UNHCR-Richtlinien zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zu, doch ergibt sich daraus nicht, dass diese für das Verwaltungsgericht bindend wären, sondern lediglich, dass es sich mit diesen auseinandersetzen muss und eine etwaige Abweichung von ihnen zu begründen hat (dazu beispielsweise VwGH 25.06.2024, Ra 2024/18/0151). Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine Rückführung des BF, sodass das zitierte UNHCR-Papier im konkreten Fall weitgehend nicht relevant ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass für den BF weiterhin bestehende oder neue Verfolgungsgründe vorlägen, enthält die Stellungnahme vom 17.01.2025 nicht.
Das vom BF angeführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes zur Lage nach der (letzten) Machtübernahme der Taliban in Afghanistan bezieht sich indes auf die Zurückweisung von Anträgen auf subsidiären Schutz und auf ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, das sich nicht auf die aktuelle Version der relevanten Länderberichte gestützt hat. Im gegenständlichen Verfahren gibt es jedoch keine neueren oder umfassenderen Berichte als jene, die in den Feststellungen referiert werden, und ist dem Beschwerdeführer ohnehin subsidiärer Schutz gewährt worden.
Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass eine neuerliche Lageveränderung durchaus möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird. Seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 gab es allerdings – von den Kämpfen zwischen der SNA und den SDF im Norden abgesehen – keine größeren Kampfhandlungen mehr (siehe zu den Kampfhandlungen im Nordwesten in den allerletzten Tagen unten). Zudem sprechen die zuletzt stattgefundenen Besuche hochrangiger Vertreter der Europäischen Union sowie die Lockerung der Sanktionen gegenüber Syrien seitens der USA und der EU für eine gewisse Konsolidierung der Verhältnisse in Syrien. Es wäre untunlich, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, weil nicht abschätzbar ist, ob und wann ein solches Szenario eintritt. Die verfügbaren aktuellen Berichte zur Lage in Syrien wurden – im Wesentlichen nach vorheriger Gelegenheit zur Stellungnahme – dem Verfahren zugrunde gelegt. Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wurde durch die Gewährung subsidiären Schutzes ohnehin Rechnung getragen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN; Ra 2021/01/0003). Eine potentiell immer und zumal im generell volatilen Syrien mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer kann daher nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten Beschwerdeführer in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen Folgeantrag zu stellen.
Kurz ist auch auf die Gewalteskalation in Teilen Syriens vom 09.03.2025 und 10.03.2025 einzugehen, die regional begrenzte Konflikte (Departments Latakia, Tartus, Hama und Homs) zwischen von Alawiten geführten Milizen und dem Regime sowie sich diesem angeschlossener Milizen zum Gegenstand hatten. Diese Kämpfe, bei denen über 1.000 Personen umkamen, konnten rasch eingedämmt werden und sind betreffend den BF als Araber/Sunnit in der Region Aleppo bzw. Idlib nicht asylrelevant, wobei dem BF ohnehin derzeit Subsidiärschutz zukommt.
Dem BF ist es daher im Rahmen der Beschwerde und der daraufhin durchgeführten Befragung insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien kann nicht erkannt werden, dass dem BF aktuell in Syrien eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides kommt daher gemäß § 3 Abs. 1 AsylG kein Erfolg zu.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass im Wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen waren und im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden wurde.